Ich komme nach Hause, in die Wohnagentur, in der Koppel in St. Georg. Links, in dem Verschlag, in dem Garderobe, Schuhe, Ablage, Altflaschen und Drucker und Druckerpapier untergebracht sind, brennt wie immer ein düsteres Licht. Sonst ist es finster. Und einsam. Also, menschenleer. Ohne Menschen. Ich bin der einzige. Allein. Ich wohne alleine hier. Bin alleine hier. Stärker noch als im wirklichen Leben liegt dieses Gefühl wie ein Gegner (ein Gas?) in der Luft. Wenn ich mehr Licht mache, kann es besser sein, oder schlechter. Aber heute, in diesem Traum, ist es anders. Ich nehme Witterung auf. Ein anderer Geruch, fremd. Ist da noch jemand? Da ist noch jemand. Links vom großen Agenturraum, den ich, wenn nicht gearbeitet wird, als Wohnzimmer nutze, geht mein privates Schlafzimmer ab. Die Tür ist einen Spalt offen, drinnen Licht. Normalerweise ist die Tür untertags geschlossen. Jetzt beginnt mein Herz zu rasen, ich nehme den Geruch deutlicher wahr. Alt, der Geruch von etwas altem. Alt bin ich auch schon selbst, vielleicht auch mit Geruch. Aber das ist anders. Im nächsten Traumbild habe ich es in mein Schlafzimmer geschafft. Es ist grösser als das wirkliche, grell hell, symmetrisch in der Mitte ein überdimensioniertes Bett da, King Size. Queen Size. Denn wer darin liegt, ist – DoktorVon, meine langjährige, am Ende sehr alte (zu alte?) Psychoanalytikerin, ohne die es „Mann auf der Couch“ wahrscheinlich nie gegeben hätte. Sie war gestorben, bevor MAC erschienen war, ihr Tod ist darin beschrieben, wie es war, als ich davon aus dem Internet erfahren hatte und ihr online bis ins digitale Tribute Archive des Bullard-Durand Funeral & Cremation Services gefolgt war, ein Beerdigungs-Institus in White Plains, N.Y. Sowas kommt in einem Traum nicht vor, aber, denke ich, der Traum baut auf all dem Wissen auf. Er weiß auch, dass ich „die Tante“, wie ich sie Eva und meinen Kindern gegenüber immer genannt habe, das erste Mal treffe, seit das Buch erschienen ist. Und sie spielt so eine große Rolle darin. Habe mich mit dem Buch gerächt an ihr, habe ich das? Warum? Habe, ohne sie zu fragen, eine Liste von Schallplatten abgedruckt, die sie handschriftlich für mich gemacht hatte, weil ich so getan hatte, als sei ich ein großer Schallplattenverkäufer. Plauder, plauder. Hier im Traum, das ist jetzt was anders. Ich wage mich näher an das Bett. Ja, es ist der Körper von Doktor Von, der hier liegt, unter einer weißen Decke, die eng an ihrem Körper liegt und die Kontur der kleinen Figur betont. Sie liegt seitlich da, die Knie angezogen, mit dem Rücken zu mir. Und ich, und ich: Die Sch-Gefühle klar, Schuld, Scham – Scheiße, wie immer, wie immer. Es ist so unheimlich. Mein Herz rast, sagte ich schon, jetzt noch mehr. Doktor Von: atmet. Schläft, offensichtlich. Soll ich sie wecken? Im Traumhatte ich schon einmal eine ähnliche Begegnung, Von lag da in der Badewanne. Ist auch gut gegangen. ** Ich tippe ihr auf die Schulter, wie ich es bei meiner Mutter getan hatte, wenn ich sie zum Muttertag wecken wollte (durfte!), sie aber noch dabei war ihren „Schwips“ auszuschlafen. Ich berühre die schlafende Analytikerin also auf der Schulter, die habe ich noch nie berührt, knochig ist es da, kantig, hart, mager. Ich berühre also. Die Tante schreckt auf, total lebendig. „Hallo, Frau Dr. Von …“ stammle ich, mit brüchiger Stimme, brüchig, wie in vielen Therapiestunden, und bemerke, erkenne, kriege mit, nehme wahr, checke (es gibt kein richtiges Wort dafür), sehe und spüre, dass das Aufschrecken bereits übergegangen ist in ein Um-sich-schlagen, ein Aus-sich-heraus-herumschleudern des Körpers, wie man es vielleicht von Irren (?) kennt, bevor sie in die Zwangsjacke kommen. Oder ich von mir es kenne, einmal, als 18jähriger, auf LSD. Ich merke, Doktor Von hat enorme, furchterregende, vielleicht tödliche Kraft. Animalische Kraft. Kraft, nicht von dieser Erde. Wie sie da liegt und um sich schlägt, boxt, strampelt, vor sich hin arbeitet. Ich wage es nicht, sie festzuhalten. Mit dem Bild und dem Gefühl endet der Traum abrupt und ich wache auf.
* Der Mann auf der Couch träumt den Traum in der Nacht vom 25. auf den 26. Dezember 2022. Das Schlafzimmer hatte er in den Tagen davor seinem Sohn Tom und seiner Freundin überlassen, die zu den Weihnachtstagen zu Besuch in Hamburg waren
** Mann auf der Couch, Traum 4, Seite 150