Die nunmehr von einem Verwaltungsgericht in Berlin bestätigte Beobachtung der linken Tageszeitung „Junge Welt“ ist ein offensichtlicher Skandal. Offensichtlich, weil sich wenigstens die linksliberale Öffentlichkeit solidarisch zeigt, siehe dazu auch den unten wiedergegebenen Kommentar in der „Süddeutschen“ von heute.
Dass das Urteil aus Berlin zwei Tage nach dem Verbot des rechtsradikalen „Compact“ kommt (des ehemals„Linken“ Jürgen Elsässer, er wollte Hermann L. Gremliza als Chef des „konkret“ beerben), wird die Diskussion um Pressefreiheit für viele nicht einfacher machen. „Gleiches Recht für alle“ kann in Pressefragen auch ein stumpfes Schwert sein.
Das Urteil in Berlin beruft sich darauf, dass die Verfassungsfeindlichkeit des „Marxismus-Leninismus“ schon festgestellt sei. Da der Verlag der Jungen Welt in Berufung und damit vor das Verfassungsgericht in Karlsruhe geht, wird auch darüber neu zu befinden sein.
Das Urteil wirkt, wie es wirken soll: Es schafft Unsicherheit, macht Angst. In der Begründung des Antrags des Verfassungsschutzes war auch die Rede davon, dass die JW den Begriff „Klassengesellschaft“, verwende, der doch etwas bezeichne, das der „Garantie der Menschenrechte“ widerspräche.
Das ist einerseits zum Lachen, weil die Verfassungsschützer damit offenbaren, zwischen einer affirmativen und einer kritischen Verwendung nicht zu unterscheiden zu können – aber gleichwohl ihre Einstellung zu erkennen geben, dass die Klassengesellschaft Menschenrechte verletze.
Aber auch zum Fürchten, weil eine Kriminalisierung des Wortes „Klassengesellschaft“ einem Verbot der Infragestellung des Kapitalismus nahe käme. Es wäre das Verbot, Dinge beim Namen zu nennen.
Aber das ist alles Wortgeklingel. Die reale politische Wirkung des Urteils liegt in dem Prozessrisiko, das der Verlag der Jungen Welt trägt. Es liegt bei einem Streitwert von 115.000 Euro sehr hoch. So hoch, dass der Verlag gefährdet sein könnte. M.H.

Eine Zeitung beobachten? Es geht um Anprangern
Von Ronen Steinke
Eine Pressefreiheit, die nur für bestimmte Meinungen gelten würde, wäre keine. Eine Pressefreiheit, die nur für konstruktive, besonnene Meinungen gelten würde, bräuchte niemand.
Denn wenn man sich zu solchen Attributen erst auf Diskussionen mit staatlichen Autoritäten einlassen müsste – hätte die Freiheit verloren. Pressefreiheit muss für alle gelten. Ausnahme: Sie darf nicht für diejenigen gelten, die Gewalt androhen oder zu Gewalt aufstacheln. Hass ist keine Meinung. Da liegt die Grenze.
Es ist deshalb schlecht, dass die linke Tageszeitung Junge Welt vom Verfassungsschutz beobachtet wird. „Beobachten“ ist genau genommen sogar ein falsches Wort. Eine Zeitung muss man ja gar nicht geheimdienstlich ausforschen; sie veröffentlicht, was sie zu sagen hat, von selbst. Treffender wäre „anprangern“.
Der Verfassungsschutz prangert die Junge Welt als „extremistisch“ an. Darum geht es ihm. „Potenzielle Leser können davon abgehalten werden, die Zeitung zu
Das Karlsruher Gericht befreite mit seiner damaligen Entscheidung, im Jahr 2005, die rechtsradikale Wochenzeitung Junge Freiheit von der Stigmatisierung durch den Verfassungsschutz. Denn: Gewalt angedroht oder zu Gewalt aufgestachelt hatte diese Zeitung nicht. Genauso wenig wie auch die linke Junge Welt, die nun am Donnerstag ebenfalls von dieser Stigmatisierung hätte befreit werden müssen. Bloß, dass das Verwaltungsgericht Berlin als erstinstanzliches Gericht dazu den Mut nicht aufgebracht hat.
Dann wird es eben Karlsruhe richten müssen.
Aus: Süddeutsche Zeitung, 19.07.24

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Die Verwendung des Begriffs „Klassengesellschaft“ soll der Menschenwürde widersprechen?? Dann müssten ja tausende Sozialwissenschaftler Verfassungsfeinde sein. Es ist in der Tat beängstigend, dass eine Behörde mit solcher Macht so dumm und willkürlich argumentiert. Der VS trägt in meinen wenig zum Schutz der Verfassung bei. Er betätigt sich als Gehilfe der Politik, um politische Gegner auszugrenzen.