Was Sie bisher schon immer von Karl Marx wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten – Folge II

DIE DREI versuchen mit jeweils drei kurzen Beiträgen zu einer Fragestellung, den Marxismus auf Themen anzuwenden, die es in der Zeit von Karl Marx noch nicht gab. Oder klassische marxistische Thesen mit aktuellen Bedingungen zu konfrontieren.
Folge II: Steht der Kapitalismus vor dem Zusammenbruch?
DIE DREI sind Karsten, Michael und Tobias, Mitglieder der Marxistischen Abendschule Hamburg (MASCH), hier seht Ihr das Programm und könnt Euch über Kurse informierenhttps://www.masch-hamburg.de/  Und freuen sich auf Diskussionsbeiträge! Hier im Blog als Kommentare oder bei “Michael Hopp” auf Facebook

Steht der Kapitalismus vor dem Zusammenbruch?

Ob der Sozialismus mit einer Revolution kommt, oder sich eher auf evolutionärem Wege durchzusetzen wird, das ist eine Frage, die so alt ist wie die Menschheit. Die Revolutions-Variante wird im Marxismus oft mit der Idee verknüpft, dass eine revolutionäre Situation erst dann entstünde, wenn die Produktivkräfte maximal entwickelt seien, „Überakkumulation“ herrsche und die Unternehmensgewinne zyklischen Schwankungen sowie dem„tendenziell Fall der Profitrate“ unterliegen.
Ob heute eine solche Situation erreicht ist oder der Kapitalismus sich darauf zu bewegt,  dazu kann man unterschiedlicher Meinung sein. Die Profite mögen zwar noch nicht fallen, allerdings ist der Kapitalismus Bedrohungen ausgesetzt, die zu Marx´ Zeiten noch nicht zu erkennen waren.  Lest, was die Einschätzungen DER DREI sind – und schreibt Eure eigenen unten in die „Kommentare“ oder schickt sie uns über Social Media – bei „Michael Hopp“ auf Facebook, wo die Beiträge auch nach und nach einzeln erscheinen

Zuviel Friede, Freude, Eierkuchen

Beitrag von Karsten

Nein, der Kapitalismus steht nicht vor dem Zusammenbruch.
Das wär’s eigentlich schon.
Marx‘ historische Entwicklungstheorie war bis zu seinen Lebzeiten richtig.
Richtig war die Analyse, wie das Privateigentum entstanden ist und damit die Klassen.
Richtig ist, dass Klassen sich über ihre Stellung zu den Produktivkräften definieren – dieTeilung in Besitzer und Habenichtse.
Richtig ist, dass der Stand der Produktivkraftentwicklung auch die Produktionsverhältnisse bestimmt.
Denn Produktion – Arbeit – ist die Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur.

ABER – muss es zwangsläufig so sein, dass die Produktivkräfte so in Widerspruch zu den Produktionsverhältnissen geraten, dass die bestehenden Produktionsverhältnisse so in die Krise geraten, dass sie revolutionär überwunden werden müssen?
Und ist es ferner so, dass – nachdem die kapitalistischen Produktions- und Eigentumsverhältnisse überwunden wurden, also der  Kapitalismus selbst überwunden ist, eine klassenlose Gesellschaft herrscht, also eine ohne privates Produktiveigentum?
Stirbt der Staat dann ab und endet damit die Vorgeschichte der Menschheit?
Kann man also aus der Vergangenheit – Urkommunismus – Sklavenhaltergesellschaft – Feudalismus – Kapitalismus – auf den Kommunismus schließen, die Gesellschaft der freien Individuen? Vielleicht noch mit der Diktatur des Proletariats als Übergang?
Das ist mir zu viel Hegel mit dem Weltgeist, der zu sich kommt. Dann aus? Friede, Freude, Eierkuchen?
Ich bezweifle das. Warum?
Zunächst einmal gibt es den Antagonisten nicht – es gibt nicht das historische Subjekt als Klasse, mit der Macht, die Ketten zu sprengen und die Verhältnisse umzuwerfen, denn heute ist die Stellung zu den Produktivkräften deutlich differenzierter als noch zu Marx‘ Zeiten, als der Kapitalismus ein industrieller war.
Darüber hinaus hat der Kapitalismus beweisen, dass er äußerst flexibel ist, sich an neue Situationen anpassen kann, sich Krisen immer neu und anders stellen kann. Im Gegensatz zu allen vorkapitalistischen Gesellschaften ist er nicht statisch, sondern dynamisch. 
Der Kapitalismus kann den autoritären Staat zur Hilfe rufen, um die sozialen Beziehungen neu zu ordnen – wie geschehen (Faschismus).
Der Kapitalismus kann auf den Sozialstaat setzten und die breiten Massen befrieden – wie geschehen (Soziale Marktwirtschaft)
Der Kapitalismus kann sich gesellschaftlich-gemeinschaftliche Räume wieder aneignen, um seine Verwertungsinteressen und -notwendigkeiten zu verbessern – wie geschehen (Neoliberalismus).

Im wörtlichen Sinne erwarte ich keinen Zusammenbruch des Kapitalismus. Der Kapitalismus wird sich verändern und mit ihm die wirtschaftlichen Grundlagen, der Staat und die Beziehungen der Gesellschaften zueinander im globalen Maßstab.
Es wird Antikapitalismus im Kapitalismus geben – kleine oder große Inseln gemeinschaftlichen Handelns,  Genossenschaften in Produktion, in der Finanzierung und im Handel. Es kann ein evolutionärer Prozess sein, an dessen Ende die Bedeutungslosigkeit oder gar das Ende des Kapitalismus stehen kann. Es wird vielleicht auch Kämpfe darum geben. Eine Revolution sehe ich nicht – auch Engels hat diese am Ende seines Lebens nicht gesehen.
Externe Katastrophen – vielleicht durch den Kapitalismus verursacht oder befördert – wie die Umweltkatastrophe, können ein „Game-Changer“ sein.
Und noch etwas hat Marx nicht hinreichend berücksichtigt. Er spricht von DEN Kapitalisten, vergisst aber den Unternehmer, den „kreativen Zerstörer“ (Schumpeter), der ein Gesellschaftsentwickler ist und nicht nur ein Parasit. Er glaubte nicht an die Innovationskraft dieses Systems – sowohl technisch, wie auch gesellschaftlich. Das war ein Fehler.

Klima killt Kapitalismus

Beitrag von Michael

Wer schon mal im „Kapital“ gelesen hat, kennt die Marx´schen Begriff der „Überakkumulation“ und der „fallenden Profitrate“, die am Ende der Entwicklung der Produktivkräfte stehen und den Kapitalismus implodieren lassen. Dann könnte sozusagen die Arbeiterklasse übernehmen.
Doch es soll sich niemand zu früh freuen, denn in der Zwangsläufigkeit, wie immer wieder mal dargestellt, war das bei Marx nie gemeint. Fixiert man sich nicht nur auf einzelne Zitate, lässt sich Marx eher so verstehen, dass die Krisen der relativen Überakkumulation nur vorübergehend zur Destabilisierung führen – gleichzeitig aber zu reinigenden Prozesse der Kapitalentwertung führen, bis die Profitrate wiederhergestellt ist. Nach Marx stellt die kapitalistische Krise eine „organische A-Rhythmie“ dar.
Es scheint so, als hätte Marx – anders als manche Marxisten – die Resilienz des kapitalistischen Systems ganz richtig vorhergesehen. Allerdings konnte Karl Marx im 19. Jahrhundert vieles, das dem Kapitalismus heute stark zusetzt, nicht vorhersehen. Die Zyklen von Innovation, Produktion und Verwertung haben sich um ein Vielfaches beschleunigt, Innovationsdruck und Preisverfall gehen einher. Die internationale Abhängigkeit ist höher geworden. China hat sich zum Player entwickelt und tritt mit dem Westen in wirtschaftliche Konkurrenz. Der Klimawandel stellt das Prinzip des Wachstums fundamental in Frage, seine Eindämmung kostet viel Geld.
Die gigantische Überproduktion (teils nur noch von Schrott) lässt den Kapitalismus leben, aber die Welt sterben. Die Menschheit kann nur überleben, wenn sie sich anpasst und mit dem globalen Süden teilt.
Daraus liesse sich schliessen, der Klimawandel würde in der Konsequenz eine quasi-kommunistische Gesellschaft erzwingen, die auf dem Prinzip einer ressourcenschonenden, bedürfnisgerechten Produktion für alle aufbaut und die Ausbeutung von Mensch und Erde beendet.
Unwahrscheinlich? Nun, wir leben in einer Zeit, in der ständig das Undenkbare wahr wird.  Corona, Brexit, Krieg in Europa, Trump und nochmal Trump, parlamentarische Mehrheiten für Nazis – all dies galt Experten als so gut wie unmöglich, und ist doch eingetreten. Die Witterung ist riskant und unberechenbar geworden, in der Erdatmosphäre, aber auch in der Gesellschaft.  Das kann auch der Vernunft eine Chance geben. Das Klima scheinen wir schon mal auf unserer Seite zu haben.

Kein fester Kristall

Beitrag von Tobias

Nein, der Kapitalismus steht nicht vor dem Zusammenbruch. Zweifellos stehen die führenden kapitalistischen Länder vor großen Herausforderungen. 2008 kam es zu einer weltweiten Wirtschaftskrise. Permanent machen neue Technologien alte Jobs überflüssig und setzen Menschen massenweise auf die Straße. Der Kapitalismus ist auf Wachstum angewiesen. Dieses Wachstum wird aber nicht nur durch die Konkurrenz der Großmächte und daraus folgende politische Konflikte behindert, es stößt auch auf natürliche Grenzen. Der Klimawandel  etwa erzwingt wirtschaftliche Anpassungen. Insofern erfährt der Kapitalismus große Herausforderungen und Krisen. Ein Zusammenbruch des Systems folgt daraus allerdings nicht. Aus den Krisen geht der Kapitalismus in immer wieder neuen Formen hervor. Marx hat unterstrichen, dass der Kapitalismus kein „fester Kristall“ ist, sondern sich stets verändert Er ist hervorragend in der Lage, sich veränderten Verhältnissen anzupassen.
Ein Zusammenbruch des Kapitalismus, der mit dessen Überwindung enden würde, ist schwer vorstellbar, wenn es keine bewusste Bewegung für eine höhere Gesellschaftsform gibt. Mir sind weltweit derzeit keine ernstzunehmenden und nennenswerten Bewegungen zu diesem Zweck bekannt. Für die meisten Menschen bleibt ein sozialstaatlich abgefederter Kapitalismus die attraktivste Perspektive. Wenn es ihnen schlecht geht, versuchen sie ihre Situation individuell zu verbessern – oft durch Migration in reichere, entwickeltere Länder.
Solange dies so ist, wird jede Krise des Kapitalismus mit dessen Wiederauferstehung enden – so wie es nach den Weltkriegen oder der Weltwirtschaftskrise der Fall war. Der Kapitalismus verändert sich, seine Grundgesetze und wesentlichen Widersprüche bleiben jedoch erhalten.

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