“Go to the mirror, boy”

Michael Hopp spricht mit dem Mann auf der Couch, zum zweiten Mal *

Michael Hopp: Wir sind letztes Mal so unschlüssig auseinandergegangen. Hast Du denn noch Lust, mit mir zu sprechen?

Mann auf der Couch: Du willst ja was erfahren über mich. Und findest offenbar keinen anderen Weg.

Weihnachten, Neujahr, das ist eine sentimentale, nachdenklich Zeit. Wenn man Glück hat, gewinnt man etwas Abstand.

Und? Hast Du Abstand gewonnen?

Nö. Ich fühle mich mehr wie Major Tom. Tausend Meilen von zu Hause. Sitze in einer Blechbüchse. Die kennt den Weg. Oder hat längst den Kontakt verloren. Und da ist nicht viel, das ich tun kann.

So schlimm?

Es ist, wie es ist. Mir gefällt die Idee mit dem Weltraum. Nur noch ein Punkt sein. Dann Plopp & Blitz – nicht mal mehr ein Punkt. Who cares, sagt die Ewigkeit. Mann auf der Couch? Ha! Aber auch auf der Erde haben sie andere Sorgen. Eine neue Weltordnung, wird gesagt. Die Menschen kommen nicht mehr nach, sich anzupassen. Haben wir hier irgendeinen Beitrag zu leisten? Eine Idee? Wozu sind wir gut? Wofür gebraucht?

War „Mann auf der Couch“ von einer Mischung von Größenwahn und Selbsthass durchtränkt, willst Du Dich jetzt im Universum in Nichts auflösen. Geht´s nicht auch realistisch? Der Mann auf der Couch trompetete wie eine Elefant, jetzt hast Du nur noch die Stimme eines Piepsmäuschens. Was ist los?

Vielleicht habe ich zu viel Realität erfahren müssen in letzte Zeit. Bin überdosiert damit. Erst ist die Agentur abgebrannt, sozusagen, die Rauchschwaden sind noch nicht verzogen, sie brennen in meinen Augen, ich sehe unscharf. Wenn die Luft wieder rein ist, wird etwas Neues sichtbar. Vielleicht. Wahrscheinlich. Sicher. Sagen alle.

Bereust Du es denn, Dich mit mir eingelassen zu haben? Ein Jahr Schreiben, dann das Jahr des Erscheinens, der Versuch, das ganze irgendwie bekannt zu machen, jetzt mit diesem Blog die Nachbearbeitung, die Suche, wie kann es weitergehen. Drei Jahre. Fragst Du Dich manchmal, was hättest Du mit all der Zeit und Energie alles machen können? Geld verdienen? Die Pleite der Agentur verhindern? Deine Familie absichern? Aber Du kannst ja jetzt noch aussteigen. Um mich brauchst Du Dir keine Sorgen zu machen.

Ich will nicht aussteigen, aber was ich schon will – mich befreien von Dir. Seit einiger Zeit kann ich den Text nicht mehr lesen. Oder ich erkenne ihn nicht wieder. Oder ich mag ihn nicht. Bei einer der letzten Lesungen habe ich das Kapitel „Doktor Von“, aus dem ich gelesen habe, vor der Lesung mit dem Bleistift  gekürzt und teilweise umgeschrieben, weil ich es nicht mehr gut fand. Dabei hasste ich, dass das Buch so dick ist, weil es sich so schwer aufblättern lässt und man darin nicht arbeiten kann. Als müsste es ein lebendiger Text sein, an dem man immer weiter arbeiten kann, wie das Internet. Worauf ich stolz war, hatte ich zu hassen begonnen. In der Zwischenzeit habe ich meine Stimme verloren.  Wenn ich den Kindern oder den Enkeln was vorlese, merke ich, dass ich meine Lesestimme verloren habe, schnell außer Atem komme, viel zu viel Energie brauche.Irgendwas stimmt nicht.

unknown 13
Living MAC: Das Kapitel “Doktor Von” vor der Lesung noch schnell umgeschrieben. Seltsam! Was sagt das aus?

Das ist eine destruktive Energie, wenn ich mir das Urteil erlauben kannst.  Schaffst Du es, sie zu nutzen? Wie ich das damals empfunden habe, war das Schreiben der 600 Seiten „Mann auf der Couch“ eine Methode, mit Deiner Depression umzugehen, vielleicht wäre das Weiterschreiben eine mit Deiner Wut, der Selbstdestruktion umzugehen? Go to the mirror, boy! **

Das Spiegelbild, das Du bist, den mirror, smashen? Töte alles, was Du liebst … Aber wirst Du dann verschwunden sein?

Nein, Du kannst mich nicht ungeschehen machen. Du kannst alle Bücher, die es noch gibt, aufkaufen und eine Bücherverbrennung machen, am Elbufer. Aber wie ich Dich kenne, drehst Du damit ein Video für Social Media und alles ist nur ein PR-Gag.

Wärst Du ein Bild, würde ich Dich nochmal malen. Die erste Version waren 100.000 Pinselstriche. Jetzt sollen es nur zwei, drei sein.

Die Essenz, den Kern rausarbeiten? Nicht nur nacherzählen was war, naiv das Leben abschreiben?

Nein, ich möchte Dich nicht töten, wir können gerne eins bleiben. Ich liebe Dein Cover. Allein deshalb muss es Dich geben.  Aber Du darfst mich nicht einsperren in der dauernden Selbstwiederholung. Du darfst nicht das Drehbuch sein für sich wiederholende Desaster. MAC muss weitergehen. Aber in eine andere Richtung.

Die wäre?

Ich habe gerade nochmal in die letzten Seiten geschaut, auf die letzte Seite des Textes, Seite 578. Da steht: „Ich weiß nicht, was kommt. Der Mensch weiß nicht, was kommt. Das heißt nicht, nichts zu tun. Aber dass man kein Anrecht hat, dass es klappt. Tilmann Moser schreibt, mein Text sei von Größenwahn durchtränkt, was ich aus der Analyse wiedergebe, sei unernstes Gerede, und Von (meine zweite Analytikerin, Anm.) habe verabsäumt, es zu stoppen. Von gibt es nicht mehr. Und Zu (die erste Analytikerin, Anm.) hat auf mein letztes Schreiben, ob sie einen Analytiker in Hamburg wisse, der mich noch nehme, nicht mehr reagiert. Niemand stoppt mich mehr.“

NIEMAND STOPPT MICH MEHR.  NIEMAND STOPPT MICH MEHR. NIEMAND STOPPT MICH MEHR.  Wie habe ich das gemeint damals, was habe ich mir gedacht dabei?

Vielleicht … Dass Du jetzt frei bist von der Analyse? Moser hat in seiner strengen Art eher gemeint, man hätte Dich stoppen müssen – Du hast es aber ins Positive umgedeutet, im Sinne von niemand könne Dich mehr aufhalten, jetzt, nach der Analyse, Dein Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Optimist! Und wenn wir hier zum Jahreswechsel schon so gut drauf sind, habe ich hier noch eine Stelle, eigentlich nur ein Wort, das letzte Wort des ganzen Textes.  Es ist: Hey.

Hey?

Hey. Eigentlich ein Wort für den Anfang. Lass es uns so verwenden. Für den Anfang. Den neuen Anfang. Den Neuanfang.  Das erste Wort – des neuen Buches …

Hey?

Hey!

*Das erste Interview mit dem Mann auf der Couch führte Michael Hopp im Blog-Eintrag am 19. Dezember 2022

** Die Zeile ist entnommen dem Song  „Smash The Mirror“ aus dem Musical „Tommy“ von The Who (1969, geschrieben von Pete Townshend. Tommy wird darin aufgefordert, den Spiegel zu zertrümmern, um zu erfahren, daß er nicht blind und taub ist

Kommentar verfassen

Scroll to Top
Scroll to Top