Was Sie schon immer von Marx wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten

DIE DREI versuchen mit jeweils drei kurzen Beiträgen zu einer Fragestellung, den Marxismus auf Themen anzuwenden, die es in der Zeit von Karl Marx noch nicht gab.
Folge I: Digitale Daten. Welchen Wert haben sie? Sind sie wirklich das neue Erdöl?
DIE DREI sind Karsten, Michael und Tobias, Mitglieder der Marxistischen Abendschule Hamburg (MASCH), hier seht Ihr das Programm und könnt Euch über Kurse informieren: https://www.masch-hamburg.de/  Und freuen sich auf Diskussionsbeiträge! Hier im Blog als Kommentare oder bei „Michael Hopp“ auf Facebook

Welche Rolle spielen digitale Daten in der marxistischen Wirtschaftsanalyse?

„Daten sind das neue Öl“ – so lautete eine berühmte Überschrift in einem US-Wirtschaftsmagazin. Nein stimmt nicht, schrieb ein anderer,  digitale Daten seien „noch wertvoller als Erdöl und Gold zusammen“. Es ist nicht von der Hand zu weisen, der Besitz und das Nutzen digitaler Daten, aber auch deren Schutz, spielen eine wichtige Rolle in der heutigen Gesellschaft.
Die fünf mächtigsten und am höchsten kapitalisierten Unternehmen der Welt, Nvidia, Microsoft, Appel, Alphabet (Google) und Amazon, stützen ihre Macht und ihre Geschäftsmodelle weitgehend auf digitale Daten und daraus entwickelter Software. Aber auch für jeden von uns gilt, eine Teilnahme am Wirtschaftsleben ist ohne einen entsprechenden Umgang mit Daten heute so gut wie unmöglich.
In den Zeiten von Karl Marx waren digitale Daten noch kein Thema (obwohl es – 1842 – schon die erste, auf Logarithmen basierende Rechenmaschine gab). Wenn man die Marx´sche Ökonomie heute auf die Gegenwart beziehen will, braucht es ein entsprechende Interpretation des Begriffs „Daten“. Welche Rolle könnten Daten in der marxistischen Wirtschaftsanalyse spielen?

DATEN SIND SO ALT WIE DIE MENSCHHEIT

Beitrag von Karsten

Daten, Wissen und Wissenschaft begleiten die Menschheitsentwicklung seit Anbeginn. Über die Zeit wurde menschliche Erkenntnis formalisiert und kanonisiert. Wissen ist sicher auch Macht und wer das Wissen hat, hat die Macht und meist haben die Mächtigen auch das Wissen.
Der Kapitalismus hat eine wahre Explosion des Wissens und von Daten ausgelöst und hat damit Herrschaft und Reichtum gesichert und erweitert.
Doch Wissen entsteht zunächst aus den reallen Lebensbedingungen der Menschen und ihrer produktiven Auseinandersetzung mit der Natur – vulgo Arbeit. Es ist also die materielle Basis, die Wissen befördert. Wissen schlägt auf diese zurück indem sie hilft, Produkte zu »verwohlfeilern«, damit Ressourcen geschont und der Reichtum erhöht wird.
An sich schafft Wissen keine Werte, mithin auch keinen Mehrwert. Es schafft aber die Voraussetzung, die wirtschaftlichen Strukturen zu beherrschen – national wie global.
Über Wissen (zum Beispiel Bank- und Kreditwissen) hat es ein deindustrialisiertes Land wie Großbritannien geschafft, sich einen Teil des Mehrwerts, der in anderen Ländern geschaffen wurde, anzueignen. China hat zunächst mit dem Wissen anderer Gesellschaften seinen Reichtum entwickelt, Menschen aus dem Elend zur Armut und dann zu Wohlstand geführt – es wurde zur verlängerten Werkbank der Welt. Chinas Aufstieg begann also mit Produktionsverlagerung. Produkte wurden verwohlfeilert und – Mehrwert zwischen den Gesellschaften geteilt. Mittlerweile hat China die Seiten gewechselt und ist Technologielieferant geworden, beherrscht mit seinem Wissen andere Länder des globalen Südens. Dort entsteht der Mehrwert, den sich China zu einem großen Teil aneignen kann.
Wissen ist kein Rohstoff, aber ein unabdingliches Werkzeug der Herrschaft.

MARX WÄRE VON EXCEL BEGEISTERT GEWESEN

Beitrag von Michael

Marxistisch mit dem Thema digitaler Daten und ihrer Bedeutung in der heutigen Gesellschaft umzugehen, heisst  zu allererst, sich damit zu beschäftigen. Karl Marx hat uns heutigen Marxisten viel aufgegeben.  Dazu gehört für mich der umfassende, interdisziplinäre Umgang mit den Strukturen der Gegenwart in ökonomischer,  sozialer und kultureller Hinsicht.
Heute sollten wir Marx vor allem in einem als Vorbild nehmen, in seiner Begeisterung für Innovation und neue Technologien. Wir sollten ihm in seiner Ambition folgen, diese zu überprüfen auf ihr Potential zur Befreiung des Menschen.
Eine der eindrucksvollsten Stellen im ersten Band des „Kapital“ ist die großartig gestaltete Beschreibung der ersten Werkzeugmaschinen im 19. Jahrhundert, also der ersten Maschinen, wie Marx es sofort verstand, die sich selbst reproduzieren. 
Für mich ist es keine Frage, Marx wäre begeistert gewesen von den Möglichkeiten, die digitalen Daten bieten, Pionier gewesen in ihrer Nutzung. Programme wie Word oder Excel wären für ihn ein großes Glück gewesen, er hätte er seine Wissenschaft noch weiter gebracht und schneller verbreitet, als ihm das mit Feder und Papier ohne jede Telekommunikation möglich war. Er hätte viele seiner Streitigkeiten per Handy ausgetragen oder sich vielleicht auch im Dickicht von Social Media verlaufen.
Ob die heutigen Daten im Sinne der Marx´schen Theorie vom Wert selbst „Werte“ darstellen, ist mit diesem kleinen Text nicht beantwortet. Wahrscheinlich eher nicht, weil auch das Erdöl kein Wert ist, so lange es der Mensch nicht hebt. Der Einsatz von Daten hat aber ohne Zweifel – und Marx hätte es als erster gesehen – großen Einfluss auf Wirtschaft und Soziales, kann die Lebensumstände verbessern, aber auch das Gegenteil bewirken.
Der Auftrag, den uns Marx hinterlassen hat, lässt sich noch kürzer formulieren: besser zu sein, als die anderen. Weitsichtiger. Visionärer. Nur wenn wir in der Analyse der mit Daten bewirkten Veränderungen besser sind als die anderen, werden wir unseren Platz auf der richtigen Seite der Geschichte behaupten könnten. Sonst geht sie über uns hinweg.

DATEN SIND NICHT IMMATERIELL

Beitrag von Tobias

Dass Daten „das neue Öl“ seien, ist eine sehr pauschale und sehr kühne Aussage. Da gäbe es viel zu differenzieren. Zweifellos haben wir es mit gewaltigen technischen Umwälzungen zu tun. Auch will ich nicht bestreiten, dass man mit Daten unter Umständen sehr viel Geld verdienen kann. Aus marxistischer Sicht muss man jedoch vor einer Formulierung wie „Daten sind das neue Öl“ warnen. Daten liefern keine Energie für die Produktion. Ganz im Gegenteil, die Produktion von Daten verbraucht Energie. Bitcoin sind berüchtigt für ihren gewaltigen Energieverbrauch. Die produzierten Daten liefern der Gesellschaft jedoch in diesem Fall kaum einen Nutzen. Sie sind also ein abgeleitetes Produkt, das weiterhin auf materieller Produktion beruht und Energieverbrauch voraussetzt. Dass Daten immateriell in einer „Cloud“ hausen würden, ist eine Illusion und Ideologie.
Dann gibt es noch einen zweiten Aspekt: Die Gesetze des Kapitalismus werden durch die digitale Wirtschaft nicht ausgehebelt. Der Gegensatz von Kapital und Arbeit bleibt erhalten, nur dass dieser Arbeitsmarkt heute noch weitgehend unreguliert ist. Clickworker oder Youtuber, die denken, sie seien die Avantgarde einer neuen Gesellschaft und bräuchten keinen Schutz durch Arbeitsrecht und Gewerkschaften, werden die Realitäten zu spüren bekommen. Manchmal gilt das auch für Unternehmer, die sich für etwas ganz anderes halten als herkömmliche Kapitalisten; so ist es Samuel Bankman-Fried geschehen, dem Gründer der Kryptowährungsbörse FTX.

2 Kommentare zu „Was Sie schon immer von Marx wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten“

  1. Die Frage ist ja, inwiefern neue Technologien dazu führen, dass die marxsche Theorie überholt erscheint – oder ob sie unvermindert aktuell ist. Die Bürgerlichen selber denken ja immer, dass sich alles verändert und die klassischen Probleme des Kapitalismus verschwinden.

  2. Moin,
    ein interessanter Versuch, wichtige, aktuelle Themen aus marxistischer Sicht kurz und durch mehrere Personen zu behandeln.

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