Brothers in Arms

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Irgendwie wird mir das zu viel. Warum nehme ich mir immer so viel vor? Wem will/muss ich gefallen?  Welches Scheiss-Über-Ich gibt mir all die Befehle? Warum kann ich nicht NEIN sagen? Aber, wem könnte ich das sagen? Wer ist überhaupt mein Gegenüber? Ich selbst? Nö, ich höre doch nicht zu. Das klingt so verzweifelt.  Dabei ist es nur Text. TEXT. 4 Zeilen schon mal. Und nicht so schlecht. Ich versuche mal, in dem Modus zu bleiben, so halb auf Autopilot.

Nehmen wir das Buch „Toxic Man“ von Frédéric Schwilden, über das ich am Mittwoch bei Facebook so eine Art vergleichende Besprechung angekündigt habe, vergleichend mit meinem „Mann auf der Couch“, dem es in vielem ähnlich ist. Großkotzig schrieb ich im Post: „Eineiige Zwillinge, bei der Geburt mehr als 30 Jahre getrennt: Der Autor Frédéric Schwilden (geb. 1988) hat ein meinem „Mann auf der Couch“ eng verwandtes Buch geschrieben – aus der Perspektive eines mehr als 30 Jahre jüngeren Mannes. Die Grundfrage ist gleich: Warum kann ein beschädigter Selbstwert mit einer Karriere in den Medien nicht geheilt werden?“

Potzblitz. Vergleichende Besprechung,  gibt´s das überhaupt? Eventuell ist es sogar eine Idee für ein neues „Format“? In Social Media kommt es jedenfalls gut, am Foto zwei Bücher nebeneinander zu legen – und es kommen gleich eine Menge Ideen: Karl May mit Karl Marx („Winnetou I“ vs. „Das Kapital Erster Band“), Thomas Mann mit Heinz Strunk („Zauberberg vs. „Zauberberg II.”). Aber das muss natürlich auch mit INHALT gefüllt werden, droht mein Über-Ich, jetzt schon ziemlich gereizt.

Also, der eine schreibt ein Buch und sieht dann ein Buch, von dem er meint, dass es seinem ähnlich sei .. und schreibt darüber. Ist das normal? Warum tut er das? Um sein eigenes, vor drei Jahren erschienenes, wieder ins Gespräch zu bringen? Eleganter wäre, er überließe einen solchen Vergleich jemand anderem – aber jemand anderer ist eben nicht auf die Idee gekommen. Kann so ein Vergleich überhaupt gelingen, oder läuft er, zumal im Milieu „toxischer“ Männer, doch nur auf besser oder schlechter verdeckte Konkurrenz hinaus? Wer hat das bessere Buch geschrieben (Ich!). Wer hat den längeren Schwanz (Ich! – zumal Schwilden schreibt, er habe, zumindest unter dem Einfluss von Alkohol und Drogen, einen sehr kleinen).

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Frédéric Schwilden ist der “Toxic Man” – wirklich?

Ich-krank sind wir beide, sieht so aus. Wir beide haben das Problem, das wir uns zu wichtig nehmen. Könnte sein. Bekommen wir auch mal zu hören. Andererseits ist das fallweise Aufplustern-Können (und danach sofort wieder zusammenfallen) unsere Art, Geld zu verdienen, mal mehr, mal weniger. Das Set Up ist im “Toxic Man” im Prinzip dasselbe wie in “Mann auf der Couch”, nur dass Frédéric Schwilden 30 Jahre jünger ist, die 68er doof findet (während der MAC sie anhimmelt) und die 80er kaum wahrgenommen hat (während der MAC in ihnen Karriere gemacht hat). Und noch ein kleiner Unterschied (mit großen Folgen?): Frédéric Schwilden geht nicht in Psychoanalyse, was beim MAC ja das halbe Buch ausmacht, aber es geht ja auch in der Analyse um sein Leben.

Schwildens Eltern sind sozial besser aufgestellt als die des MAC, aber auch nicht frei von Nachkriegs-Schäden. Wie der MAC geht der junge Frédéric in die Medien, als Fotograf, um seiner Herkunft zu entkommen. Das gelingt nur bedingt, weil er beim Tod seines – irgendwie auch „toxischen“, oft gewalttätigen  Vaters erkennt, dass er ihm ähnlicher ist, als ihm lieb sein kann. Das heisst, er erkennt es nicht richtig, empfindet den Tod des Vaters zunächst noch als Befreiung, nun könne er sein „Leben als Mann“  (Untertitel: „Von einem der auszog, ein Mann zu sein“) in Angriff nehmen. Doch das gelingt nicht. Obwohl er Karriere macht, Billie Eilish und Jens Spahn fotografiert, alles was Beachtung, Anerkennung und Geld bringt, eine große Ausstellung in Köln bekommt (unter dem späteren Buchtitel „Toxic Man“ – im Internet ist, wir bewegen uns hier im Genre „Autofiktion“, ist über eine solche Ausstellung nichts zu finden) und eine wunderbare Frau findet, die ihn sehr liebt und mit der er ein Kind bekommt, ist er innerlich unter Druck und jederzeit bereit, alles zu vermasseln, preiszugeben, kurz und klein zu schlagen. Drogen machen diese Spannung für ihn erträglich, führen ihn aber auch in gefährliche Grenzsituationen, wenn er zum Beispiel seinen angeblich so geliebten neugeborenen Sohn in den Swimmingpool wirft.

“Toxic Man” ist MAC – ohne Psychoanalyse

Und, es ist nichts neues, unter Drogen und Alkohol fallen die Hemmungen, Frédéric fickt herum, lässt sich wenige Tage vor der Geburt seines Sohnes annähernd (es scheitert daran, dass der Schwanz des ebenfalls zugedröhnten Freundes nicht hart genug wir) in den Arsch ficken – mit den entsprechenden Schuld- und Schamgefühlen danach … Aids-Angst, er blutet aus dem Po, am Ende ist es nur eine Hämorrhoide … Frédéric landet in der Klinik, will sich danach mit einer „Auszeit“ in der Familie kurieren, das gelingt nicht, weil das Familienleben zu wenig Abwechslung bietet und zu wenige Anerkennung, wird am Ende auf Psychopharmaka umgestellt.  Da ist gerade mal Mitte 30.

Naja. Wie es eben so ist. „Toxic Man“ ist MAC – ohne Psychoanalyse. Ich weiß nicht, wie groß der Unterschied ist. Auch im Leben. Schwilden hat einen anderen Sound als der MAC, zupackender, journalistischer, „effizienter“ – er schafft es auch, seine Geschichte auf 288 Seiten zu erzählen, während es beim MAC, ähem, etwas mehr ist. Und: Es gibt kaum eine Doppelseite, die nicht zitierfähige Bemerkungen zum Zeitgeist enthält, toll treffend meist, jede eine Insta-Kachel wert. Nur mit dem Spruch zur Vergewaltigung, aus Anlass seiner eigenen analen Entjungferung, vertut er sich ev. etwas, wenn er schreibt, dass es eigentlich keine Vergewaltigung gäbe, weil der Körper am Ende nichts zähle, weil wir geistige Wesen seien. Ganz ähnlich ist er dem MAC in seinem Exhibitionismus, es ist schon lustig, dass auch er, genau wie der MAC, seinen Anus fotografiert und die Leser daran teil haben lässt. Brothers in Arms! 

Das Verhältnis zur „Realität“ ist genauso kompliziert wie im MAC – manche, meist Prominente, erscheinen mit Echtnahmen, das private Umfeld ist, so ergibt es das kurze Nachwort, offenbar mit falschen Namen geschützt. Aber das ist alles Technik und Handwerk – und das autofiktionale Schreiben von Büchern ist inzwischen so unauffällig geworden, dass die Frage nach Richtigkeit gar nicht mehr gestellt wird.

Mit der Wahrheit ist etwas anderes und die läuft beim „Toxic Man“ wie im „Mann auf der Couch“ auf gleiche Lied hinaus, dass äusserer Erfolg nicht mit persönlichem Glück gleichzusetzen ist – und man(n) einen hohen Preis bezahlt dafür. Im MASCH-Kurs zu Sigmund Freuds „Das Unbehagen in der Kultur“ lesen wir, wie wir zwischen Eros und Todestrieb zerrissen sind, wie der Erfolg auf der einen, die Gefährdung auf der anderen Seite mit sich bringt, unvermeidlich. Wie die Befreiung von dem, was uns unterjocht, das „Befreite“ eben nicht ermöglicht, weil auf die Tötung des Vaters, die Schuld, die Reue, die Scham und das lebenslang kontrollierende Über-Ich folgen. Und wie sehr wir, solcherart geschwächt und ohne Selbstvertrauen, auf Lob und Anerkennung von aussen angewiesen sind.

Dafür bietet die Welt der Medien und der Kunst zunächst eine verführerische Bühne. Doch der Beifall währt nicht lange und erfolgt nach undurchsichtigen Regeln. Und weil wir das dicke Ende ahnen, sind wir so leichtsinnig, schon am Weg dahin bereit, alles aufzugeben. Drogen, Alkohol und damit verbundene Beschämungsexzesse, wie Frederic einige beschreibt, bringen uns immer ganz nahe an die inneren Dämonen, die Zerstörung wollen. Dass Frederic Schwilden, glaubt man dem Text im Buch, sein eigenes Kind töten will, ist ein Beleg dafür.

Nachdem der Versuch, nach dem Zusammenbruch in die Familie zur Ruhe zu kommen,  gescheitert ist, reflektiert das Frédéric Schwilden so: “Ich liebe unsere Familie. Aber ich liebe eben auch meinen Beruf. Und die Zeit mit Edward (der Sohn, Anm.) ist schön. Ich liebe ihn. Ich liebe unsere Familie. Aber ich liebe eben auch meinen Beruf. Ich liebe mein Werk. Mein Werk ist meine Daseinsberechtigung. Ich bin nicht auf der Welt, um Vater und Ehemann zu sein. Ich bin auf der Welt, um Bilder zu machen.“ (Seite 256)

Gegen Ende des Buches liest sich das wie eine Reflexion des Geschehenen. Auch der MAC ist daran gescheitert, dass er das nicht viel anders sagen würde. Der Beruf! Das sogenannte Werk! Wer sich davon abhängig macht, ist verloren. Das haben wir beide nicht verstanden.

Frédéric Schwilden, Toxic Man, Piper Verlag, München 2023, 288 Seiten, 22 EUR

Wer mehr über das autofiktionale Schreiben lesen will, kann auch diesen Blogbeitrag vom 15. November 2022 nachlesen:

1 Kommentar zu „Brothers in Arms“

  1. Der Beruf! Das sogenannte Werk!

    „…: der Künstler hat nur die Wahl, ob er als Mensch existieren will oder als Werk; im zweiten Fall besieht man sich den defekten Rest besser nicht : …“ Arno Schmidt, Aus dem Leben eines Fauns, BA I/1.2, 395.

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