Nochmal mit Gefühl

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Biermann. Klar. Zumindest für die politischeren unter uns, die ansprechbar waren für Lieder und Konzerte, in die Wolf Biermann seit den frühen 60er-Jahren sein politisches Lebensdrama zwischen West-Bundesrepublik und Ost-DDR gepackt hatte. „Warte nicht auf bess´re Zeiten”, Biermanns bekanntestes Lied von 1974, rührte uns zu Tränen, weil es die viele Arbeit, die es in Ost und West bedeuten würde, den „Sozialismus aufzubauen“ in blühender Einvernehmlichkeit preist, eine Art „All You Need Is Love“ für die politischen Stände.

„Deutschland ist das faule Loch“

In Biermanns Leben selbst herrscht von Anfang an weniger Einvernehmlichkeit, wie ein Tagebuch-Eintrag vom 14. Oktober 1957 zeigt, den er im Internat Gadebusch bei Schwerin verfasst. Der Sohn einer kommunistischen Mutter und eines im im KZ umgebrachten Juden und Widerstandskämpfers, war 1953, als 17jähriger, aus Hamburg in die DDR übersiedelt, um da beim Aufbau des Sozialismus zu helfen und beobachtete von Anfang an, wie er vom Staatssicherheitsdienst observiert wird: „Ich stehe stundenlang am Fenster und starre auf meine Aufpasser, geschickt von der Partei gegen einen Kommunisten. Es scheint, sie wollen mich … in Furcht versetzen. Ich habe Angst davor, dass sie sich hinreißen lassen, mich abzuholen, ich habe Angst, dass sich die Partei noch ein weiteres Auge ausreißt und fürchte mich vor der Schlammflut von geheucheltem Beileid und Empörung in der Westpresse. Deutschland ist ein Schandfleck auf dem Erdapfel, es ist das faule Loch, in das die Würmer kriechen, es soll verflucht sein. Ich bin Jude.“ *   Es lebe die radikale Sprache der Jugend, die intuitiv erfasst, was später wirklich eintrifft.

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Ab 1965 überzog die SED Biermann mit Verboten und Ausschlüssen (Abb.), ab Anfang der 70er versuchte sie, ihn ganz loszuwerden

Fast 70 Jahre später würdigt das Deutsche Historische Museum in Berlin in einer großen Ausstellung den bekanntesten, eigentlich archetypischen Liedermacher Deutschlands, als Lyriker übrigens einer der auflagenstärksten Autoren, vor allem aber die öffentliche Person „zwischen Ost und West, deutsch und jüdisch, Kommunismus und Demokratie, Politik und Kunst“, wie es im lesenswerten Katalog der Ausstellung heißt, der in sechs Autoren-Beiträgen Biermann aus klar unterschiedenen Perspektiven zeigt. Ja, der Besuch der Ausstellung interessiert mich sofort und ich plane ihn zusammen mit meiner Tochter, die in Berlin deutsche Literatur studiert. Sie hört sich bei You Tube schnell rein und nimmt die Einladung interessiert und ohne Vorbehalte an. Am Abend davor treffe ich in Hamburg einen Freund aus der Marxistischen Abendschule, der weniger positiv reagiert. Für ihn, der DKP-nahe ist, sind allenfalls Biermanns „frühe Sachen“ akzeptabel, seine in den 80ern, nach seiner Rückkehr nach Westdeutschland, vollzogene vollkommene Abkehr vom Kommunismus, will er ihm nicht verzeihen – etwa die Anbiederung an die CDU und einen unverhältnismäßig aggressiven Angriff auf die Partei „Die Linke“ vor dem Bundestag in Berlin zum 25 Jahrestag des Mauerfalls im November 2014. Auch das dokumentieren Ausstellung und Katalog.

Die finale Kränkung

Die Ausstellung ist toll gemacht, mühelos lässt sie uns eintauchen in die Geschichte dieser historischen Persönlichkeit, macht ihre Ängste, Unsicherheiten, aber auch die Eitelkeiten unmittelbar nachvollziehbar.  Amüsant das Tondokument, das den Auftritt  des jungen, begeisterten Kommunisten vor einer DDR-Kulturjury im Jahr 1957 mithören lässt, auf den 1957 seine Beschäftigung als Regieassistenz an Bertolt Brechts „Berliner Ensemble“ folgt; immer noch involvierend das Kino-groß mitzuerlebende Kölner Konzert von Wolf Biermann am 13. November 1976, das auf Einladung der IG Metall stattgefunden hatte, nachdem er schon 11 Jahre in der DDR nicht mehr auftreten durfte. Drei Tage später wird die Rückreise in die DDR verboten, obwohl sich Biermann im Konzert noch mit Tränen in den Augen zur DDR bekennt. Mit Tränen in den Augen, die in der kinogroßen Projektion deutlich sichtbar sind. An diesem Punkt erlitt Biermann, bekommt man das Gefühl, die finale Kränkung – von da an war das Band zerschnitten, bis heute.

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Biermann 1977 mit Stieftochter Nina Hagen, der Tochter der Schauspielerin Eva Maria Hagen, im Video zum gemeinsamen “Stillepenn Schlufflied”

Kommunismus mit Gefühl

Ich überlege, ob solche Tränen, also diese besondere Rührung, die ich auch ich kenne, wenn  in einer bestimmten Tonlage vom „Sozialismus“ die Rede ist, für die Generation meiner Tochter irgendwie noch nachvollziehbar ist. Sie sagt, wenn es um Politik gehe in Songs von heute, sei dies immer kühl, nicht emotional. Für Ältere befreit die Ausstellung Biermann von dem in den letzten Jahrzehnten in manchen Momenten entstandenen Image des politischen Schaumschlägers, der aus einer selbst behaupteten Wichtigkeit agiert („Die DDR hat ihn ja damals nicht eingeladen, beim Aufbau des Sozialismus zu helfen“) und dabei jeden jeden Applaus akzeptiert, auch von der falschen Seite.

Und jetzt, heute? Was hat uns Biermann noch zu sagen, als einer, der zwischen zwei großen politischen Systemen zerrieben wurde? So eine Ausstellung ist kein TikTok – und doch wird sie einige Menschen erreichen und ihnen deutlich machen, wieviel es bedeutet, wenn es etwas anderes gibt – das „andere Deutschland“ wurde die DDR manchmal genannt.

Heute gibt es kein anderes Deutschland mehr und es gibt nur mehr den einen Kapitalismus, der „naturgesetzlich“ (so sagt es Marx) auftritt, auch da, wo er die Menschen immer weiter ins Unglück stürzt. Im „Systemvergleich“, der sich heute nicht mehr ziehen lässt, wäre auch interessant zu sehen, wie eine kommunistische Gesellschaft in unseren Breiten mit dem Klimawandel umgegangen wäre. So warten wir nur auf bess´re Zeiten.

* Zit. nach Ilko-Sascha Kowalczuk: „Die Stasi ist mein Henkersmann“ – Das Ministerium für Staatssicherheit observiert Wolf Biermann“, aus: Wolf Biermann – Ein Lyriker und Liedermacher in Deutschland, Katalog zu Ausstellung im Deutschen Historischen Museum, Ch. Links Verlag, Berlin 2023

Wolf Biermann – Ein Lyriker und Liedermacher in Deutschland, Katalog zur Ausstellung Deutsches Historisches Museum, Ch. Links Verlag, Berlin 2023, 223 Seiten

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