Was bleibt vom WIENER?

Nach langer Zeit treibt Wien den MAC Wien jetzt wieder um. Es kam eine Einladung zu einer Lesung in Wien, was ihn mit großer Freude erfüllt. Im Rahmen der „Das war Manfred Klimek“-Ausstellung in der Galerie Kolonie 5 in der Hamburger Strasse. Im Haus daneben, Hamburger Straße 7,  wurde mein Vater geboren, an einer Straße, die dann erst den Sohn nach Hamburg führte.  Kapiert? Nicht sooo lustig? Naja, ich muss das immer denken, aber wahrscheinlich nur ich. Bei der Lesung könnte der MAC, dachte er, das WIENER-Tempo-Kapitel zum Vortrag bringen, einige der Fotos, die Klimek zeigen wird, wurden, denke ich, für den WIENER gemacht, in der Zeit der Chefredaktion von Markus Peichl und mir und wir hatten, wie es im Rückblick aussieht, „eine gute Zeit“ miteinander, und „viel Spaß“ sicher auch. Fuck!

Betontes Dialekt-Sprechen ist reaktionär

An Österreich fand ich zuletzt nur die Erfolge der KPÖ in Salzburg („Golfen für alle“) und Graz interessant, ein Interview mit der kommunistischen Bürgermeisterin Elke Kahr stand auch in diesem Blog. Klasse findet der MAC auch das in Deutschland erwachte Interesse am Roten Wien, dem „Sehnsuchtsort der Sozialdemokratie bis heute“, wie die linke Tageszeitung „Junge Welt“ groß berichtet, angeregt durch die tolle Arbeit des tollen Georg Spitaler und seines „Vereins für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung (VGA). Auch davon soll in diesem Blog demnächst die Rede sein. In dem Zusammenhang fiel dem MAC auch auf, dass der neue SPÖ-Vorsitzende Andreas Babler hier in Deutschland als „linker Sozialdemokrat“ gesehen wird – und ich war froh, nichts Doofes geschrieben zu haben, etwa in der Art, dass ich seinen Dialekt schon mühsam fand, denn das wäre doppelt ungerecht gewesen, Babler gegenüber und dem Dialekt, und womöglich von eigenen Abgrenzungs-Komplexen getrieben. Okay, der MAC hat den Eindruck, dass das betonte Nutzen des Dialekts was Reaktionäres hat, es ist ein Bayern gerade ganz deutlich zu sehen, wo im Namen der „Wurscht“ und des „Bratls“ unguteste Politik gemacht wird. Denke, Leute, die „Wurst“ und „Braten“ sagen, sind nie so reaktionär, aber vielleicht täusche ich mich.

Überlegt hatte ich auch, das Volksstimme-Fest am 3. September zu besuchen (da war ich zuletzt in den 80er Jahren), weil da der japanische Philosoph Kohei Sato auftritt, der versucht, den Marxismus mit einem Degrowth-Ansatz zusammenzubringen, was nicht einfach ist, weil die marxistische Ökonomie ihrem Prinzip nach auch dem Wachstum anhängt, gerne auch auf Kosten der Ressourcen, denen kein „Wert“ zu erkannt wird (erst, nachdem sie durch die Hände des Menschen gegangen sind). Ob ich jetzt zum Volksstimme-Fest komme oder nicht, Sato kommt demnächst in diesem Blog zumindest im „Buch der Woche“ vor.

Aber wir sprachen von Wien -und vom WIENER … bei Facebook erreichte mich ein Post, in dem der Auszug (Umzug?) des WIENER mit ein paar Fotos gezeigt wird. Eines davon zeigt ein schwarzes Ikea-Regal in all seiner Traurigkeit, in dem WIENER-Jahresbände und einzelne Ausgaben Rücken an Rücken stehen, sieht aus wie das Redaktions- oder Verlagsarchiv. Die schwarzen Bände, das sind die, dachte ich, in denen meine, unsereHefte in den 80er drin sind, einige davon habe ich auch.

„Grillchallenge“ beim WIENER – wem fällt sowas ein?

Das ist also vom WIENER geblieben, dachte ich, und machte von dem Foto einen Screenshot.  Ja, was? Ich hatte zur Geschichte von WIENER und Tempo vor ein paar Jahren ein kleines Booklet herausgebracht, der Text daraus tauchte danach im„Mann auf der Couch“ wieder auf, mit einigem Geschreibe noch drumherum. Das kann ich in Wien vielleicht dann vorlesen, oder doch ganz was anderes – ich könnte auch die Schallplattensammlung meiner Psychoanalytikerin Doktor Von Platte für Platte herunterbeten, die auch im Buch enthalten ist. Wäre ev. interessanter, als nochmal über den WIENER … eigentlich ist über den WIENER in seiner Anfangszeit und in der ersten Phase danach, nur die kann ich bezeugen, von meiner Seite alles gesagt … nur dieses Facebook-Foto berührte mich dann doch und der „Was blieb“-Gedanke geht mir dann nicht mehr aus dem Kopf, weil das Regal auf dem Bild so sehr nach „das war´s“ aussah – ohne dass ich jetzt wüsste, ob es mit dem WIENER weitergeht oder nicht oder wie lange noch, im Internet lässt sich das nicht erkennen, da ist nur von der „WIENER Grillchallenge“ die Rede und von „Tieren, die Sportevents crashen“ (aber so ist das Internet eben!) , und ich habe auch kein aktuelles Heft gesehen und das hier ist keine Blattkritik sondern ein sicher ungerechter (wie Gefühlsausbrüche so sind) GEFÜHLSAUSBRUCH, naja, jetzt kommen mir die Buchstaben wieder zu groß vor.

Ist auch egal. Wen juckt´s … Seit „unserer“ Zeit sind 40 Jahre vergangen. Dem WIENER, wie er damals gemeint war (War er „gemeint“? Auf eine intuitive Weise, ja), geht es  doch gut! Er lebt fort in den Herzen derer, die dabei waren, ich mache jetzt keine Liste, jeder wird wissen, ob er gemeint ist. Klar, wir waren jung damals, das hat viel ausgemacht. Unerfahren, das war auch gut. Noch nicht abgewichst, das war das Beste. Eine in keiner Planung plan- und darstellbare, glückliche Konstellation aus Talenten, Interessen … und einem Zeitgeist (egal das Wort in der jetzigen Verwendung, uns half es damals), der es noch aussichtsreich scheinen ließ, dem Reaktionären etwas entgegenzusetzen (Blümchen Blau, Hainburg, Gründung der Grünen). Wir waren Kinder Kreiskys, obwohl der in den beiden genannten Punkten geirrt hatte, wie er Blümchen Blau fand, weiß ich nicht. Es ging um Haltungen, um Kunst und Kultur, nicht so sehr um Politik selbst. (Das stimmt nicht ganz – so hätte es sein sollen. Auch in unserem WIENER gab es jede Menge politische Wichtigtuerei (“Aufdeckungen” über den Raiffeisenverband, zB.) und  übrigens auch schrecklichsten Scheißdreck, wie die Geschichte „Nackt durch Österreich“, die in meine Chefredakteurs-Zeit fällt, eine Art Flitzer-Story mit einem Mädchen, das manche in der Redaktion anziehend fanden, es ging hier mehr um die „Produktion“ als um das Ergebnis, das dann auch schrecklich spießig und verklemmt daher kam und für das ich mich heute noch schäme.

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Links: Der erste WIENER, 1979, sozusagen die Vision. Rechts: Dokument des Niedergangs, 1986 – aus der Zeit von Michael Hopp als Chefredakteur

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“Nackflitzen” durch Österreich – dafür wurde der WIENER nicht gegründet

Hätte Peichl die Fellner-Mafia aufhalten können?

Der WIENER Gründer Gert Winkler (ja, hier fehlt das Wort legendär) hatte ein feines Gespür dafür, was der WIENER sein sollte – und er litt zeitweilig unter dem zu eng gedachten, auf Relevanz und Beachtung ausgerichteten teils-„Aufdecker“-Journalismus, den junge Ehrgeizlinge wie Markus Peichl und ich einbrachten … und damit den WIENER auf eine Spur brachten, auf der er mit unseren Nachfolgern scheitern sollte.

Naja. Stimmt und stimmt nicht, wie alles, was man sagt. Dieser Gerd Leitgeb (darf man das sagen über einen Toten?), unser Nachfolger als Chefredakteur, ein sogenannter „Profi“, der von der Tageszeitung „Kurier“ gekommen war, um in der Redaktion aufzuräumen – dieser Leitgeb, ein Zwangscharakter und Militarist, hat viel kaputt gemacht. All die guten Leute vertrieben (sofern sie nicht schon bei „Tempo“ waren), das Heft stramm nach rechts getrieben, alles was nach Avantgarde und Underground aussah, den Lebensfermenten des alten WIENER, ausgemerzt.  Und wenn ich schon was sagen soll: Davon hat sich der WIENER nie erholt. Es kam auch zu einem Aderlass, zu einem Abgang eigentlich aller guter Leute, die die Redaktion des WIENER hervorgebracht hatte, wo sie sich entwickelt hatten.  Wäre einer vom Kaliber eines Markus Peichl in Wien geblieben (und nicht nach Hamburg gegangen, um „Tempo“ zu machen) – wer weiß, vielleicht hätte er die Ausbreitung der Fellner-Mafia aufhalten können, die dann in Österreich so viel kaputt gemacht hat.

Nachdem Leitgeb weg war, war das Widerliche zwar wieder weg – der verbliebene „Lifestyle“ aber seiner Haltung beraubt und so dünn und erbärmlich, dass damit kein Magazin mehr zu machen war. Mit der Fokussierung auf Männer wurde das noch verschlimmert, weil es dann nur noch um Autos ging und die Art von Frauen, die sich von Autos beeindrucken lassen. Sonst war nichts im WIENER, nichts. In all den Jahrzehnten keine einzige Idee, die irgendwas bewegt hätte. Schon schlimm. Daß mit einer linksliberalen Kulturzeitschrift auf hohem Niveau in Österreich sehr wohl etwas zu erreichen war, hat der „Falter“ bewiesen und der erfolgreiche Verlag, der mit ihm entstanden ist – was ist eigentlich beim WIENER passiert all die Jahre ??? Es ist einfach zu traurig, deshalb wollte ich das ja nicht schreiben.

Es soll aber auch keiner kommen und sagen, er hätte es besser gemacht. Wir hatten damals schon kommerziellen Druck und haben uns verbogen – und durch das Internet ist der Druck so groß geworden, dass so ein popeliges Printmagazin nicht mehr standhalten kann. “Tempo” hat noch rechtzeitig vor dem Internet die Biege gemacht. Sicher hat beim WIENER jeder immer sein Bestes gegeben. Ich und der MAC finden nur doof, dass der WIENER so reaktionär geworden ist, so auf die andere Seite gewechselt ist. Jetzt nicht die FPÖ, aber reaktionär in dem Sinn, den Leuten nur Unsinn und Quatsch und Ablenkung vorzusetzen, um sie von der Realität abzulenken.

„Tempo“ reißt das Maul auf

VON MARKUS PEICHL

In diesem Editorial für die WIENER-Nachfolgezeitschrift „Tempo“ aus dem Jahr 1990 beschreibt Markus Peichl indirekt das Potential, das der WIENER verschenkt hat. Es war eine gute Zeit für Zeitschriften, warum hat sich der WIENER so verlaufen? Der Niedergang von Print mit dem Internet war zu dem Zeitpunkt, als dieses Editorial geschrieben wurde, noch nicht abzusehen

Ist TEMPO die Bibel für Yuppies oder ein Flugblatt für Grüne und RAF-Sympathisanten?Eine Werbebroschüre des gleichnamigen Taschentuchs oder die Inkarnation des verhaßten»Zeitgeistes«? Ein aufgemotztes Stadtmagazin oder ein neuer Zeitschriftentyp? Als Anfang 1986 die ersten TEMPO-Ausgaben erschienen, herrschte Verwirrung auf dem deutschen Zeitschriftenmarkt. Niemand wusste,  wo er das Heft einordnen sollte. Adelsgeschichten standen neben Dioxin-Enthüllungen, Wehners Abrechnung mit der SPD neben einer Chronik des Punk. In den folgenden Jahren schlug die anfängliche Verwirrung in Hass oder Bewunderung um – aber nie in Gleichgültig-keit. Daran hat sich bis heute nichts geändert:

TEMPOs Erfolg resultiert aus der Spannung des Gegensätzlichen: des Populären und Ernsthaften, des Klugen und Banalen. TEMPO hat bewiesen, dass man eine Zeitschrift machen kann, die Ästhetik mit Inhalt, Lebensgefühl mit Politik, Form mit Geist, Mode mit Intellekt verbindet. TEMPO verkörpert einen neuen Illustriertentyp, wie es ihn im Ausland schon seit Anfang des Jahrzehnts gibt.Das englische »Face«, das französische »actuel« oder der österreichische »Wiener« haben gezeigt, wie man eine junge Zeitschrift für die 80er Jahre macht. Bunt, aggressiv, stilvoll. Die Branche war schnell mit einem Schlagwort zur Hand: »Zeitgeist« urteilten viele, ohne recht zu wissen, was das überhaupt ist.

Wir wissen’s auch nicht. TEMPO hat den schwammigen Begriff nie verwendet. Vielleicht ist das gemeint: Die 80er Jahre waren das Jahrzehnt der Neuen Übersichtlichkeit, des Zitats und der Gleichzeitigkeit von Stilen und Theorien, Moden und Trends. TEMPO ist ihr Produkt und ihr Motor, Die verlässlichen Utopien sind aufgebraucht, der große politische und kulturelle Konsens der späten 60er und frühen 70er Jahre hat sich in Mini-Kosmen verflüchtigt. Um nicht in Orientierungslosigkeit zu enden, muss man sich schneller und schlauer durch die Welt bewegen. Dafür eignet sich nicht mehr der distanzierte, angeblich objektive Ton des klassischen Journalismus.

TEMPO-Redakteure schreiben aus radikal subjektiver Sicht. Kolumnen, investigativer Journalismus und Reportagen in der Tradition des amerikanischen New Journalism sind die typischen TEMPO-Formen. Wir haben sie nicht erfunden, aber wie haben sie wiederentdeckt. TEMPO reißt das Maul auf. Sicher, manchmal zu weit. Aber deutsche Zeitschriften leiden nicht gerade an einem Übermaß an Frechheit und Aufmüpfigkeit, sondern an Lethargie und Altersschwäche. »Stern«, »Spiegel« und »Zeit« sind bis heute der sozialdemokratischen Aufbruchsstimmung der Brandt-Ära verhaftet. Ihre Leserschaft vergreist, das junge Publikum ist längst abgewandert, kulturelle Entwicklungen wurden verschlafen.

TEMPOs Aufstieg zur erfolgreichsten Neugründung der letzten Jahre hat gezeigt, dass die Zeit der generationsübergreifen-den General-Interest-Titel schon bald vorüber ist. In den 90er Jahren wird es viele TEMPOs geben: viele kleine General-Interest-Titel.

2 Kommentare zu „Was bleibt vom WIENER?“

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