Es gibt was Besseres als den Kapita­­­lis­mus­

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Für einen verkrachten Essayisten, wie Euer MAC einer ist (warum immer dieses schlechte Selbstbild?) ist es fast unmöglich, „Geist und Müll“ von Guillaume Paoli zu besprechen, des 1959  in Frankreich geborenen Mitgründers der Glücklichen Arbeitslosen, Demotivationstrainers und zeitweiligen Hausphilosophen am Schauspiel Leipzig. Das liegt sowohl an seinem Inhalt  – wie lassen sich frühere, vielleicht schon verdrängte Einsichten von geistigem Müll trennen und welche Denkbilder können helfen, um die Tragik der Gegenwart anschaulich zu machen – wie  an seiner Form, nämlich einer Aneinanderreihung einzelner solcher „Denkbilder“ wie an einer Perlenkette, von denen keines länger als zwei, drei Seiten ist. Schon für diese Form ist Paoli zu beglückwünschen. Erstens hat sie ihn, unterstelle ich mal, von der Last befreit, in einem langen Text alles irgendwie zusammenzudenken. Und zweitens ist sie spielerisch offen und freundlich (Perlenkette!) und lädt nachgerade dazu ein, jedenfalls solche Heinis wie Euren MAC, keine normale Besprechung zu schreiben, sonder gleich eine weitere „Perle“ hinzuzufügen. Ob diese dann so brillant ist (… funkelt, wenn wir schon das Perlen-Bild haben) wie jede einzelne der 123 im Buch von Paoli, sei dahingestellt. Los geht´s.

Gestern war der MAC auf einer Eröffnung der Kreativgesellschaft der Stadt Hamburg, nextMEDIA gehört auch dazu, die in einem ehemaligen Speicher der Hafencity mit dem „Space“ einen Ort geschaffen hat, an dem Hamburger „Content- und Technologiebranche“ ein Angebot findet für kollaboratives Arbeiten, Events, Workshops, Content Creation, Entwicklung von Technologiewissen und informelles Zusammenkommen, um „gemeinsam sinnvolle Zukunftslösungen“ zu finden. Gemeinsam und sinnvoll  und dann noch Lösungen findet der MAC gut und ihm ist alles recht, solange es nicht das verhasste „Homeoffice“ ist. Übrigens hat sich der MAC entschlossen, das Wort Homeoffice aus seinem Schreibwortschatz zu streichen, zum einen, weil die dauernde Verwendung des Begriffs für das vereinzelte, entsolidarisierende Zuhausehocken Werbung macht, zum anderen, weil der schicke englische Begriff das Elend und die Ausbeutung, die dahinter stecken, verschleiert und verklärt. Stattdessen verwendet der MAC seit letzter Woche das altbackene Wort „Heimarbeit“, das gerade aus seinen historischen Anklängen heraus die Minderwertigkeit (und geringere Bezahlung) der zu Hause erbrachten, aber fremdbestimmten Arbeit zum Ausdruck bringt. Oder nicht? Finde schon.

Content-Müll zu Content-Müll – kein Entkommen

Vor Ort im „Space“ hat sich der MAC mit seinen jetzt 68 Jahren dann unendlich alt gefühlt, aber auch auf eine befreiende Art distanziert … Er kann nicht mehr gezwungenen werden, daran zu scheitern, die Welt der seelenlosen Content-Legebatterien auszusöhnen mit all dem, das bevor der Begriff „Content“ in der Welt war, „Inhalte“ , „Redaktion“ oder „Journalismus“ genannt wurde – und sich inzwischen den Luxus gönnen (leisten leider nicht so richtig!), anders, freier  und radikaler zu denken, als es im „Space“ möglich sein wird, der unter den Bedingungen der kapitalistischen Verwertung (die er als Einrichtung der Stadt Hamburg nicht in Frage stellen wird) gar nicht anders kann, als die Leute dazu anzuleiten, dem Content-Müll (von dem es jetzt schon eine massive Überproduktion gibt) immer weiteren Content-Müll hinzuzufügen. Aus dem Hamsterrad gibt es kein Entkommen, wirtschaftlich nicht, aber auch nicht im Kopf. Womit wir wieder bei Guillaume Paoli sind.

Noch nicht ganz, bleiben wir noch einen Augenblick im „Space“, denn hier geschah noch ungewöhnliches, als der Geschäftsführer der Einrichtung, Egbert Rühl, in der Eröffnungsrede bemerkte, die Finanzierung des „Space“ sei für fünf Jahre gesichert, was aber total okay sein, weil über einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren hinausohnehin kein Mensch vorhersehen könne, wie es mit der Branche weitergehe. Das ist ein kurzer Horizont! Der MAC vermeinte in den Räumen des „Space“ auch zu spüren, dass all die jungen Menschen, eher am Beginn ihrer „Karrieren“, verduzt (gibt´s das Wort noch?) reagierten auf die ängstliche Prognose des Vertreters einer Institution (Stadt Hamburg), wo wir doch, bei allem Kritisch-tun, Institutionen doch mehr Überblick zubilligen, als ihn der einzelne vielleicht hat.

Der MAC fragte sich auch, wie er reagiert hätte auf eine solche Ankündigung, als er im Beruf des Journalisten begonnen hatte (es war das Gegenteil damals – ich hatte das Gefühl, ALLE Zukunft zu haben, journalistisch und politisch) – und er fragte sich noch dazu, ob er als junger Mensch in der heutigen „Content und Technologiebranche“ (interessant, dass das so zusammengedacht wird, aber stimmt ja auch) so gut Fuß fassen hätte können wie in der „Linkssein und Zeitschriftenbranche“, die sich ihm glücklicherweise angeboten hatte – und die Antwort ist wahrscheinlich NEIN, die Content-Welt, in der man Geld verdienen kann, wäre dem jungen MAC viel zu kleinteilig und technisch und bürokratisch und entfremdet (Persönlichkeit zählt Null) gewesen.

Womit wir jetzt wirklich bei Paoli sind. Da geht es ja darum, wie kriegen wir die schwer überschaubare Gegenwart im Kopf so in den Griff, daß auch sowas wie Zukunft wieder denkbarer wird, denn ohne Vorstellung von Zukunft kann der Mensch nicht leben, das stresst ihn – andererseits kann sich diese Vorstellung nur selbst machen, und um das zu tun, fehlen ihm zur Zeit die Mittel. Das offen proklamierte „No Future“ des Punk hat damals zwar einiges bewegt (was eigentlich), stand aber in einem sozialen Kontext, ein anders geartetes Desaster wie den Klimawandel hatte Punk nicht im Blick. Heute bezeichnet „No Future“ eher ein kollektives Unbewusstes, das allenfalls in Albträumen oder Versprechern zum Ausdruck kommt, oder in brutaler Projektion auf die, die es aussprechen, die Aktivisten der „Letzten Generation“, gewaltsam entsorgt werden soll. Für die absolute Mehrheit der Menschen erzeugen die absehbaren Folgen des Klimawandels so viel Angst, dass sie nur verdrängt werden können.

Warum können wir nicht mehr in Alternativen denken?

Paoli benennt die Differenz zwischen dem immer höheren Grad der Erforschung und der Evidenz des Klimadesasters – und der Passivität und Wehrlosigkeit der Menschen: „Was die Reflexion über das Desaster angeht (und das heißt auch, über den Anteil des Denkens in der Entstehung des Desasters) hat man nicht den Eindruck, viel weiter gekommen zu sein.“ Nichts schienen die meisten Anthropozän-Theoretiker mehr zu fürchten, als den Vorwurf, sie ließen die großen Fragen der Menschheit auf altbekannte Kapitalismuskritik schrumpfen. Und obwohl unumstritten sei,  weiter bei Paoli, dass die Ursache der Umweltzerstörung auf Fosillwirtschaft und industrielle Ausbeutung zurückzuführen sei, gälte der Hinweis als „reduktionistisch“, dies hänge wohl an der Dynamik des Kapitals. Der Hang, die Kritik der politischen Ökonomie auszuklammern, käme daher, schreibt Paoli, dass die älteren der Autoren „ihre Jugend in dummen K-Gruppen vergeudet hatten und die jüngeren nicht als Altachtundsechziger gemustert werden möchten.“

Also … wenn es darum geht, das Denken wieder zu belüften und übers Denken die erstarrten Verhältnisse zu Tanzen zu bringen, wird an Marx kein Weg vorbeiführen. Das Ende des Denkens und das Keine-Idee-von-Zukunft-mehr-haben von Zukunft kommt ja am Ende daher, dass wir uns keine Alternative zum Kapitalismus und damit seiner Produktionsweise vorstellen können. Man sieht zum Beispiel am Verhalten der Grünen, die irgendwann irgendwie anti-kapitalistisch angetreten waren, wie der Kapitalismus seine unheimliche „Naturhaftigkeit“ immer wieder behauptet und damit die Menschen wehrlos macht. Paoli schreibt, dass die Menschen die totalitäre Dimension des Internet nicht erkennen können – eine Tyrannei, die darin besteht, dass uns „permanent irgendjemand irgendwas verkaufen will.“  Und erkennt den Zusammenhang, dass „in dem Maße, wie alle Sektoren der Gesellschaft, Gesundheit wie Bildung, Information wie Politik, der Marktlogik unterzogen werden, die Zerstörung der Vernunft fortschreitet.“  Keine Frage, der Kapitalismus sitzt auf der Anlagebank – und die Klimakrise zeigt, dass wir uns alle ein Stück weit selbst anklagen müssen, vielleicht ist das die Schwierigkeit. Tolles Buch!

Guillaume Paoli, Geist und Müll – Von Denkweisen in postnormalen Zeiten, Matthes & Seitz Berlin, 2023, 268 Seiten, 22,00 €

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