Wiener Dialekt – muss das sein?

Das Verhältnis des MAC zu seiner Heimatstadt Wien ist von einer bestimmten Entfremdung geprägt. Er hat sie vor mehr als 30 Jahren verlassen und über die Jahre immer weniger besucht, in der letzter Zeit so gut wie gar nicht. Viele Wien-Wochenenden in den 90er, 2000er Jahren waren nach dem  gleichen Muster abgelaufen: große Vorfreude, mit Heißhunger die erste „Haaße hineingestoßen“, wie wir früher gesagt haben – nach drei Tagen aber auch wieder gerne abgefahren.

Markus Peichl wäre Bundeskanzler geworden

Warum ist das so? Warum bin ich, der MAC, so kühl geworden gegenüber der früher angeblich so heiß geliebten und mit dem WIENER zum Programm erhobenen Heimatstadt? Objektiv feststellen lässt sich, dass ich Wien alles zu verdanken habe, jedenfalls in beruflicher Hinsicht. Hätten ich und Markus und Lo und all die anderen nicht mit dem WIENER das Glück gehabt, eine bestimmte Sichtbarkeit zu erreichen, wäre ein Umzug nach Deutschland gar nicht zur Diskussion gestanden, zumal unter uns überzeugten Wienern gegenüber Deutschland mentale Vorbehalte bestanden, die schon oft beschriebene Mischung aus Überheblichkeit („Die Piefkes haben keine Kultur“) und Minderwertigkeitskomplex („Sie können aber Autos bauen“). Übrigens hat es dann doch kaum einer von uns geschafft, nach Wien zurückzukehren, ich bin da keine Ausnahme. Wäre das denn das „Normale“, das Erwartete gewesen, nach einem „Auslandsaufenthalt“ wieder zurückzukehren? Hatten wir uns das anfangs so vorgenommen? Manche vielleicht.

Was wäre eigentlich gewesen, wir wären alle in Wien geblieben? Markus Peichl wäre Generalintendant des ORF geworden, oder Bundeskanzler. Wir wissen es nicht. Ich weiß nur und ich glaube, das steht auch im MAC, wie schrecklich es war, als ich für einen Sommer zurückgekommen war, um in der Wiener SPÖ am Wahlkampf für Franz Vranitzky mitzuarbeiten, aber das lag sicher auch an meiner Verfassung damals und vielleicht auch an der Wiener SPÖ. Benebelt wie ich war, nahm ich dennoch wahr, wie wenig von der „Auslandserfahrung“ anzuwenden war,  „bei uns in Wien“, wo eigene Gesetze herrschen, und wie gering auch das Interesse daran.

Wer das Heilige Wien verlassen hatte, galt doch eher als Nestbeschmutzer oder Verräter, man begegnete ihm mit Neid („Was habt´s ihr eigentlich für Gehälter da oben?”) aber auch Misstrauen – will der zurück kommen und mir meinen Job wegschnappen? Viele hielten es unbewusst mit einer Kolumne des „Staberl“ in der „Kronen Zeitung“. Er verstehe das Theater um das „zehnte Bundesland“ nicht (so waren in einer TV-Dokumentation die Auslandsösterreicher zusammengefasst worden, nach den neuen Bundesländern, die es gibt, das zehnte … haha), denn wären die Leute wirklich so gut, hätten sie auch hierbleiben können.

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„Die Kinder sind immer aus Wien“

Egal, das ist alles langer her, die Rede sollte hier ja eher von der Entfremdung sein, wie sie heute wirkt, was ihr Kern ist, wie sie sich zeigt. Gekränkte Eitelkeiten mögen bei der Flucht aus Wien eine Rolle gespielt haben, allerhand narzisstischer Kram, Grenzen, die spürbar wurden und noch unerträglich waren. Wir waren beim WIENER vergleichsweise behütet aufgewachsen, in Wirklichkeit fehlte es uns an nichts. Wir machten uns unsere Regeln selbst, wenn wer drein reden wollte, gab es Theater. „Die Kinder sind immer aus Wien“ heißt das beste Lied von André Heller und es beschreibt das Spielerische, Unernste an der Wiener Mentalität, das allerdings von einem Augenblick auf den anderen auch ins Ungute, Intolerante, auch Bestialische kippen kann. Aber irgendwann hat jeder die ewig verlängerte Kindheit satt. Für einige  war das Weggehen von Wien ein verspätetes Erwachsenwerden, oder wenigstens ein weiterer Versuch. Ich hatte mit 30 einen großen Besinnungsaufsatz über das Erwachsenwerden geschrieben und dann mit 35 nochmal, weil der erste Anlauf so gar nicht geklappt hatte, trotz Umzugs nach Deutschland übrigens nicht. Mit dem Abschied von der Kindheit und von allem, was man sich da zusammenreimt (die Erinnerung ist grauenhaft  schlecht, so werden die Lücken mit jeder Menge Phantasie gestopft) ist immer auch eine Trauer verbunden. Manche mögen sie nicht zeigen und maskieren sie mit Überheblichkeit. Doch muss das Alte ja irgendwie sterben, damit das Neue irgendwie leben kann.

Huch! Kein Bock mehr auf Wiener Dialekt

Eine Ebene, auf der sich die Entfremdung zeigt, ist die Sprache. Das mag jetzt wie ein Schock wirken und ich weiß, in Wien ist das heikel – aber ich mag den Wiener Dialekt nicht mehr. Er geht mir sogar ziemlich auf den Geist, wie man hier sagen würde. Das Gefühl entstand über eine längere Zeit. Zuerst fiel mir auf, wenn ich mit dem Auto von Hamburg nach Wien fuhr, was ich früher öfter tat, daß ich im Radio bayerische Sender nicht mehr von österreichischen unterscheiden konnte. Immer wenn der erste bayerische Sender hörbar wurde, dachte ich, ah, wie toll, dass hier Ö3 schon geht! Das zweite war – so sehr ich den österreichischen Zeitungen verbunden war, irgendwann mochte ich sie nicht mehr lesen. Mir war aufgefallen, wieviel Umgangssprache und Mundart in der Sprache steckt und damit wieviel Schrott und Ungenauigkeit. Das dritte war, ich war vielleicht einer der ersten, die das trotzige Einsetzen unseres Dialekts hier in Deutschland (nach dem Motto, sollen die anderen doch „Deutsch“ lernen) aufgab, zugunsten einer höheren Verständlichkeit unter Kollegen. Ich empfand es auf Dauer unpassend und unfreundlich, anderen Leuten Nachfragen zuzumuten oder sie in Missverständnisse laufen zu lassen.  Auch im Umgang mit Menschen aus anderen Ländern finde ich die angenehmer, die sich mit einer möglichst weit verständlichen Sprache begnügen, wie einem schlechten Englisch, ohne anderen erst abgrenzend und überheblich zu demonstrieren, dass die Verständigung in Französisch zB ohnehin nicht klappt. Das Bestehen auf einem Dialekt und der Versuch, ihn anderen aufzudrängen – das finde ich supernervig. Umso mehr beunruhigt mich, dass in Wien, so weit ich das wahrnehmen kann, der Dialekt wieder eine sehr große Rolle spielt.

Der WIENER war auf Hochdeutsch geschrieben

Der WIENER war eine Zeitschrift, die wir in recht gutem Hochdeutsch schrieben, obwohl der Titel anderes verheißen mochte. Es war nie beschlossene Sache, aber intuitiv wollte der WIENER eher cool und international wirken und aus der Heurigen- und Beisl-Beschaulichkeit ausbrechen. Auch die damals mächtige Dialektwelle in der Musik schien gerade dem Ende zuzugehen. In einem Artikel im „profil“ schickte ich zu der Zeit Wolfgang Ambros in Pension (es gab viel Ärger, aber am Ende hatte ich recht) und jemand wie Falco setzte das Wienerische nur mehr als Akzent ein und achtetet von vornherein darauf, dass seine Songs über Österreich hinaus funktionierten.

In der Literatur waren Ernst Jandl, H.C. Artmann und Gerhard Rühm daran gegangen, die österreichische Sprache von der „Barbarisierung durch die Nationalsozialisten zu reinigen“ (Rühm) und dekonstruierten dabei den Dialekt eher, als ihn zu nutzen. Der Unterschied zu reaktionären, aber das Bild von Wien bis heute prägenden  Dialektdichtern wie Josef Weinheber („Wien wörtlich“) könnte grösser nicht sein. Auch die wirklichen Superhelden der Literatur wie Peter Handke, Thomas Bernhard oder Elfriede Jelinek mieden den Dialekt und machten überhaupt erst so Österreichs Ruhm als deutschsprachige Literaturnation möglich. Mit Weinheber wäre das schwer gegangen und mit Wolfgang Ambros auch nicht. Mit dem in Österreich beklagten Wechsel von Peter Handke vom Salzburger Residenz Verlag zu Suhrkamp und seinem Umzug nach Paris fand sein Werk, wie es heute da steht, erst seine Voraussetzung.  Denke, das lässt sich alles so sagen und es würde auch in Österreich so gesehen, dass der Dialekt in der Literatur, im Journalismus, aber auch im Umgang mit Menschen eine, nun ja, recht begrenzte Sache ist, oder, sagen wir, eine begrenzende. In der Haltung haben wir jedenfalls damals den WIENER gemacht und das stand ausser Streit.

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Es ist so schlimm, wenn alles Wienerisch sein muss …

„I schau, dass I aa kumm …”

Was ist nun davon zu halten, wenn der von mir als Fotograf total geschätzte Manfred Klimek, ohne den ich in Wien gar keine Lesung abhalten könnte, denn ich tue es im Rahmen seiner Ausstellung, in einem Facebook-Post zu meiner Lesung sein Kommen mit der phonetisch perfekt und liebe- und mühevoll wiedergegeben Wienerischen Version von „Ich schaue, dass ich auch komme“ ankündigt? Was soll damit bedeutet werden? Es ist ein Spaß in Wien, ich weiß. Ich habe mich früher auch daran beteiligt. Ich liebe André Hellers “Tat-i-di-don-bei-di-Hoa-zien“ für „Würde ich dich dann an den Haaren ziehen“ in „Es war nur Liebelei“ und führte es jedem Deutschen als Beweis für den Klangreichtum des Wienerischen vor. Und auch beim WIENER übertrumpften wir uns im Gespräch damit, wer die härteste (?) Wiener Formulierung parat hatte, es war wie ein Sport.

Aber heute? Heute ist mir das Heraushängenlassen des Wienerischen eher unsympathisch geworden, weil es etwas Selbstverzwergendes hat, etwas Rückwärtsgewandtes, etwas Reaktionäres. Der Dialekt ist immer künstlich, aber was für eine Kunst, was will er uns zeigen? In Bayern, das politisch eine ähnliche Entwicklung nimmt wie Österreich, gibt es unter den jungen Leuten eine starke Rückbesinnung auf Tradition, Dialekt, Dirndl, Lederhose. Das diesjährige Oktoberfest was das größte aller Zeiten. Eine Mandatsträgerin der Grünen, die es wagte, ein Dirndl zu tragen, wurde vor kurzem auf einer Veranstaltung mit Steinen beschossen. Brachialer kann gar nicht zum Ausdruck gebracht werden, mit welchen Werten sich Brauchtum heute verbindet. Jedenfalls nicht mit Grün, soviel muß klar sein.

Dialekt pflegen ist woke

Der Dialekt ist übrigens auch gefährlich, denn er ist immer der Bruder des Kitsches. Der in seinen Anfängen tolle Künstler Vodoo Jürgens hat sich zum Beispiel im Dialekt und seiner Begrenzung verrannt – was sein Kinderfilm „Rickerl“ auf traurige Art beweist. Und SPÖ-Chef Andreas Babler muss im Moment die bittere Erfahrung machen, dass sein Dialekt, der geeignet war, den Traiskirchnern Vertrauen einzuflößen, bundesweit nicht funktioniert. So entsteht das schreckliche, von einzelnen Fremdworten durchsetzte, zungengelähmte, aber – schon aus Gründen der Aussprache – auch nicht hochdeutsche Gestammel, das kaum durch einen Satz findet, wie es für die österreichische Politikerkaste typisch geworden ist und wie es Österreich so furchtbar schlecht da stehen lässt. Das sind Schäden des Dialekts. Man sollte das Hochdeutsch zumindest als Möglichkeit parat haben.

Auch politisch scheint in der Zeit des weltweiten Bemühens um einen anderen Umgang miteinander, das ständige Herumreiten auf einer ethnisch begründeten und in der Sprache abgrenzend gezeigten Andersartigkeit (verbunden mit der Klage, irgendwie benachteiligt zu sein) nicht mehr so das Wahre zu sein. Immer mehr kommen drauf, dass uns Stammesdenken doch nicht weiterbringt und wir zu einem Universalismus zurückfinden müssen, der die Möglichkeit des Fortschritts überhaupt erst wieder ins Auge nimmt. Ob der Wiener Dialekt in solchen Prozessen eine grosse Rolle spielen wird, weiß ich nicht.

Die These zum Schluss ist stark beeinflusst von
Susan Neiman, Links ist nicht woke, Hanser Berlin, 2023
Die US-amerikanische Philosophin ist auch der erste Gast in der neuen Reihe Roter Salon Hamburg, in der Autoren ihre Bücher live vor Publikum vorstellen
roter-salon-hamburg.de/

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