Wollte wieder mal Platten verkaufen. Also ich, der MAC. Geld. Naja. Vielleicht auch nur, um anzupacken. Was Reales zu bewegen, zu verändern. Oder sagen wir, was Physisches. 5.000 Platten, das ist schon eine Tonne, wenn ich 200 Gramm und mehr für eine Platte annehme, oder habe ich mich verrechnet. Die Regale stehen da, statisch, fest, wie Mauern. Die mich einmauern. Aber auch schützen. Kein „beides“, kein „einerseits, anderseits“, keine Symbole. Lass uns real sein heute, bei diesem irrealen Thema. Klar ziehe ich aus den Regalen oft was raus, aber was?
Meine Entfremdung von all der Musik aus 50 Jahren habe ich im MAC beschrieben. Mal ist sie da, total. Dann wieder weg. Was ist real an so einer Sammlung? Das eingegossene CO2? Der Platz, den sie braucht? Ihr Gewicht? Oder ihr Wert? Welcher Wert, für wen? Woran was festmachen? Lt. Discogs (ich hasse diese Listen + habe auch 0 Bock, verlorenen DHL-Paketen nachzuforschen, was aber tagaus, tagein machen muss, wer bei Discogs verkaufen will) – jdfs., lt. Discogs ist mein „Schwarzes Album“ von Prince 37.000 Euro wert, oder 17.000 jedenfalls. Auch die Pressung gecheckt, yes! Aber wer soll die bezahlen? discogs hilft mir auch nicht, weil meine Platten nicht besonders „mint“ sind, also nicht in einem 1 A-Zustand. Ich komme aus der Zeit, als Platten Gebrauchsgegegenstände waren, es war lässig, sie auch mal offen liegen zu lassen. Nicht das anale Getue von heute, mit klinisch sauberen, zweiten inneren Hüllen, für den eigenen Gebrauch, bevor die Platten dann mit dem Original Inner Sleeve verkauft wird, damit alles „Original“ ist und clean und eben „mint“.
„Du wirst dich immer über den Tisch gezogen fühlen“, sagte der weise Plattenhändler
„Du wirst immer unzufrieden sein, wenn du verkaufst“, hat mir mal ein weiser alter Plattenhändlermann gesagt, „du wirst dich auch immer über den Tisch gezogen fühlen.“ Mit Michelle Records hatte ich mal einen Deal. Gab Platten in Kommission ab. Immer wenn ich in den Laden kam, sah ich noch welche von den meinen im Second Hand-Regal stehen. In der neuen Plastikhülle wirkten sie fast schon fremd, fein gemacht für den Verkauf. Das war ein schöner, langsamer Abschied. Und einmal hatte ich einen anderen Händler zu mir nach Hause eingeladen, weil ich schneller vorankommen wollte mit dem Verkauf, nicht so tröpfchenweise wie bei Michelle. Ich glaube, das war die Zeit mit den Schmerzmitteln. Wie von Sinnen stand ich vor den Regalen auf die ich ein grelles Licht gerichtet hatte wie bei einem Polizeiverhör und riss Platten aus dem Regal und packte sie auf den Tisch, wo der Händler sie begutachten sollte.
Hauptsächlich riss ich aus der Abteilung „Frauen“ raus, fast nur Joni Mitchell sollte bleiben. Hatte ich einen Hass auf Frauen? Bei der Gelegenheit fällt immer auf, wie skurril es ist, dass ich ein „Frauen“-Regal führe, „natürlich“ weniger als ein Zehntel der ganzen Sammlung. Ich war auf Geld aus, das ist immer schlecht, wenn ich das bin. Bzw. klappt NIE. Ich spürte eine Gier in mir, eine Skrupellosigkeit, eine Brutalität, auch gegen mich selbst. Der Händler hatte mich mit einer Summer im „fünfstelligen Bereich“ gelockt. Das ist über 10.000, oder? Um das Angebot noch attraktiver zu machen, wollte ich
Alles-Pakete machen, also alles von einer Band. Alle von The Cure zB. So verlor ich sie dann, meine Cure-Platten. Der Händler drückte den Preis, weil er meinte, es verkauften nie alle Platten von einer Band, sondern nur einzelne. Vier Wochen später war Robert Smith in Hamburg und meine Platten sicher schnell ausverkauft mit gutem Gewinn. Das ist das schlechte Gefühl. In meiner selbstzerstörerischen Raserei gab ich dem Händler sogar die Gangster-Rap und HipHop-Sammlung meines Sohnes noch oben drauf, die bei mir nur zwischengelagert war. Ich hatte ihn noch manipulativ angewhatsappt, um eine Art Einverständnis zu erreichen. Um vier Uhr morgens im nassgeschwitzten Laken fand ich wieder zu mir. Am nächsten Morgen holte ich die Platten meines Sohnes zurück. Seither stehen sie da, ohne dass er nachgefragt hätte.
Und jetzt wieder ein Anlauf. Am Isestrassen-Flohmarkt hatte ich gesehen, wie hoch die Preise sind – was vor ein, zwei Jahren noch Schrott war, ist jetzt alles über 10 Euro. Es gibt kaum noch private Anbieter, die einen Stapel vom Dachboden holen und gar nicht wissen, was er wert ist. Und wenn Private frühmorgens kommen und Platten dabei haben, stehen schon die Händler da und kaufen sie direkt aus dem Kofferraum ab. Um hoch wirkende Pauschalbeträge. Und dann machen sie die hohen Einzelpreise. Da muss ich gar nicht in den „Kapital“-Lektürekurs gehen um zu verstehen, was da passiert. Naja, so wollte ich es nicht, keine Händler, denn da gibt es welche, die können die Vornamen der Beatles nicht aufsagen sind aber „leidenschaftliche Sammler“.
Je höher der Druck wurde, desto weniger wusste ich, WAS ich überhaupt verkaufen will
Die Idee war, privater Flohmarkt bei mir zu Hause, und digital insofern, als bei ebay-Kleinanzeigen angekündigt. Die Resonanz war hoch, zu hoch. Was hatte ich hier losgetreten? Viele schrieben, sie würden gerne schon vorher kommen (ich hatte am Mittwoch die Anzeige für Sonntag reingesetzt). Als ich nicht gleich antwortete, kamen gereizte Nachfragen – „he, kein Bock auf Antworten?“ Es kamen Terminausreden, am Sonntag ginge es nicht – aber vielleicht heute nachmittag? Je höher der Druck wurde, desto weniger wusste ich, WAS ich überhaupt verkaufen will – und natürlich (in dem Fall ohne Häkchen) hatte ich keine Vorstellung von Preisen oder eine sonst wie ERWACHSENE, SELBSTBEWUSSTE Herangehensweise. Ich hatte nur – meine Regale, meine Sammlung, meine Scheissplatten – und draußen gierige Menschen, die sie mir wegnehmen wollten. Als private Sammler getarnte Händler. Aber keine Idee, wie diese beiden Welten zusammen kommen könnten.
Klar brauche ich Geld und ich bin auch käuflich. Aber ich weiß auch, das Geld ist schnell wieder weg – und dann sind auch die Platten weg. Und dann? Der Verkauf, der Tausch gegen Geld ist irreal – real ist der Schmerz, der zurückbleibt und für den dann weder Geld noch Platten da sind, um ihn zu lindern. So gesehen gibt es keinen angemessenen Preis. „Am Ende ist das etwas“, hatte der weise Plattenhändler gesagt, „das Du mit Dir selber ausmachen musst.“ Da kommt meist nichts raus dabei. (Eine Qualität dieses Textes könnte darin liegen, dass gar nicht klar wird, worum es mir geht. Dann könnte ich dieses Gefühl zumindest teilen.)
So kam der Sonntag heran, ein Tag nach meinem Geburtstag, an dem ich auch eine Platte bekommen hatte (sollte ich die gleich mit verkaufen?). Um 12 begann ich wieder an die Regale zu gehen, um Platten für den Verkauf rauszuziehen, nach Kriterien wie „lange nicht gehört“, „hat mich damals schon nicht begeistert“, „sagt mir heute nichts“, „immer schon nervig“ u.ä. Betroffen von der Drohung, aus der Sammlung zu fliegen, waren hptsl. Sachen aus den 2010er Jahren, für die ich vielleicht damals schon zu alt war und die nie zu Heiligtümern geworden waren wie die Dylan-Miles Davis-Lou Reed-Sammlung u.ä. Der Gedanke war, diese Auswahl als Einzelstücke zum Verkauf anzubieten und die Leute nur auf Nachfrage und dann in Begleitung durch mich an die Regale ran zu lassen.
Doch je plastischer die Vorstellung wurde, die Bude gleich mit einer Horde verrückter Vinylfreaks (echt oder nicht) voll zu haben, umso weniger fühlte ich mich der Situation gewachsen. Vor allem waren die Kernfragen weiterhin unbeantwortet. Was wollte ich überhaupt verkaufen? Um wieviel? Warum? Lief ich nicht Gefahr, nach zwei Stunden mit leeren Regalen dazustehen, mit irgendeinem lächerlichen Schandlohn in der Brieftasche, der die Niederlage, mir selbst (?) untreu geworden zu sein, nie und nimmer aufwiegt?
Die bösen Händler! Der äußere Feind ist identifiziert, damit der innere weiterleben kann
Niederlage, das ist das richtige Wort. Ich steuerte hier unausweichlich auf eine Niederlage zu, gerade noch hatte ich es geahnt, jetzt war es zur Gewissheit geworden. Mach einfach die Tür nicht auf, wenn es läutet, hatte mir meine Tochter empfohlen, nachdem sie mitbekommen hatte, wie nervös ich war. Es war 13 Uhr, für 14 Uhr war die Scheisse angekündigt. Eine Stunde noch … genug Zeit, das ganze abzublasen – und eben nicht das Geklingel von unten zu ertragen und sich würdelos zu verstecken, den Atem anhaltend womöglich noch – sondern noch rechtzeitig mit dem Rad abzuhauen. Jetzt wurde ich wieder zum Kämpfer, oder zumindest, ich konnte eines nach dem anderen machen, reicht ja schon. Schrieb einen Zettel, für unten an die Einfahrt dran. Schrieb alle an, die mich per Mail kontaktiert hatten: „Schallplatten Flohmarkt in der Koppel abgesagt. Der Grund: unerwartet hohes Händlerinteresse.“ Weiß nicht, wie plausibel das war uns es ist ev. auch ein wenig geflunkert, ist ja nur eine Annahme, aber meine Paranoia trifft es ganz gut – dass ich einen äußeren Feind identifiziert habe, um den inneren nicht bezwingen zu müssen.
Als ich runterlief, um den Zettel unten anzubringen, lief ich dem immer sonnigen Hausbesitzer in die Arme. Cool tat ich mit dem Zettel in der Cellophan-Hülle. Alles normal. Schönen Sonntag! In mir kriecht die Scham hoch, er könnte denken, der Herr Hopp muss schon seine André Heller Platten (der Hausherr ist ein André Heller-Fan) verkaufen, um die Miete bezahlen zu können. Entsprechend muss ich mit dem Tesafilm drei Mal rummachen (und auch noch einen anderen von oben holen), bis der superhässliche Anschlagzettel zwischen den Gitterstäben der Hauseinfahrt auch fest hält. Als ich wieder oben bin … läutet es!
Hier rauszukommen, das wird jetzt eine Mission Impossible. Was wird mich unten im Hof erwarten? Ein ganzer Pulk von Internetlingen, wie man sie von den Flash Mobs kennt. Werden sie mich lynchen in ihrer Vinylsucht? Es war auch verkaufsoffener Sonntag, so dass die Mitarbeiter des Einrichtungsladens „Lagerhaus“ im Vorderhaus den Lieferanteneingang fest im Blick hatten – und damit Zeuge meiner Niederlage werden könnten.
Ich war gepackt, mit meinen zwei Taschen, die aufs Fahrrad passen. Vom Fenster im Hausflur sehe ich auf den Hinterhof, alles ruhig. Ich nehme meinen Mut zusammen (eine Phrase, aber beschreibt es gut), laufe runter, öffne die Tür – unten stehen nur die drei „Lagerhaus“-Aufpasser. Sie haben die Einfahrtstore weit geöffnet, so dass sich mein Zettel jetzt nicht mehr lesen lässt. Haben sie ihn gelesen. Riechen sie den Braten? Welchen Braten? Ist doch verdammt nochmal normal, einen Schallplatten-Flohmarkt wegen unerwartet hoher Händlernachfrage abzusagen.
„Müsst Ihr heute arbeiten, ihr Armen“, rufe ich ihnen leutselig zu, „verkaufsoffener Sonntag?“ Ich schwinge mich aufs Rad und rolle schwungvoll auf die Ausfahrt zu. Links raus, oder rechts? Das hatte ich mir nicht überlegt. Da höre ich von links, wie einer ins Handy bellt: „Ich komme hier gerade an … hat der Idiot den Plattenverkauf zehn Minuten vorher abgesagt. Das kann ja nicht sein! So eine Scheisse!“ Also rechts.
PS: Als ich spätabends zurückkam guckte ich die nunmehr geretteten Platten durch – und legte Philip Selway, Familial (das ist der Drummer von Radiohead) auf. Schön! Warum sollte die nochmal weg? Kranke Idee! Und jetzt spiele ich schon die ganze Woche die weggelegten Platten – und sie hören sich an wie … neugeboren!
Anm.: Der Sprung ins Präsens in den letzten beiden Absätzen sollte die Spannung erhöhen.
Die 29 geretteten LPs
Belle and Sebastian, The Life Pursuit
Isobel Campbell, Time Is Just The Same
Philip Selway, Familial
Radiohead, A Moon Shaped Pool. (DoLP)
James Blake, Overgrown
James Blake, The Colour in Anything
Black Country, New Road, For The First Time
Junip, Fields
Steven Wilson, Transcience
Beck, Modern Guilt
Jimi Tenor, Intervision
Saint Etienne, Sound Of Water
Saint Etienne, Good Humor
Minor Majority, Up For You & I
Kings Of Convenience, Quiet Is The New Loud
Turin Brakes, The Optimist LP
Portamento, The Drums
The Pearlfishers, A Sunflower At Christmas
The Pearlfishers, Sky Meadows
James Kirk, You Can Male It If You Boogie
Foy Vance, Signs Of Life
Modern Nature, Island Of Noise
Warhaus, Warhaus
Ed Sheeran, Divide (DoLP)
Jake Bugg, Shangri LA
Jake Bugg, Jake Bugg
The xx, X
Jamie Cullum, Catching Tales
Bombay Bicycle Club, So Long, See You Tomorrow