Was bedeutet es heute, linksradikal zu sein?

Rumms. Gleich mal mit der Tür ins Haus gefallen. Das letzte Mal, der unterwürfige, irgendwie verlogene „Brief“ an den toten Günther Nenning, das war ja wohl nichts. Es wird auch keinen zweiten Teil geben, wie angekündigt. Eine Vaterfigur ausgraben, muss das sein? Davon war das MAC-Buch doch schon voll. Und schon im zweiten Absatz lande ich mit dem „Günther“ auf der Toilette (immerhin einer der KPÖ, Kommunistische Partei Österreichs) und erzähle heute nochaufgeregt nach, wenn´s stimmt überhaupt, wie ich  damals auf dem KPÖ-Klo Pinkeln UND Reden konnte, ohne Hemmung, ganz entspannt, auf Penishöhe.

Was sich das Körpergedächtnis merkt

Was sind das für Erinnerungen, mit denen mein Gehirn, meine Seele ja auch, zugemüllt sind? Und die brachialanalytischen Deutungen: Schwanzvergleich. Schlau! Um es irgendwie literarisch hinzudrehen: Ev. interessant (for whom?) ist, dass meinen Erinnerungen sehr oft etwas Körperliches anhaftet. Ein Körpergedächtnis. Es gibt eine esoterische Physiotherapie mit dem Namen Kinesiologie, die darauf aufbaut, wenn ich es richtig verstanden habe, dass sich jedes Trauma in einer Muskelverspannung abbildet – und dass sich umgekehrt aus diesen Muskelverspannungen und ihrer Behandlung die vorangegangenen Traumata lösen ließen. Meine Münchner Freundin Eloise (MAC Name) war eine Zeit lang bei einem kinesiologischen Therapeuten und hat erzählt, dass viele Patienten, nachdem an ihnen kinesiologisch herummassiert worden war, Phantasien von Kindesmissbrauch entwickelt hätten und darin auch von den Therapeuten unterstützt wurden. Danach gingen sie wie Zombies rum, stiegen aus aus ihren Jobs und der sozialen Existenz, hörten auf, für ihr Leben Verantwortung zu übernehmen, gründeten ihre ganzes Dasein nur noch auf eine passive Identität als Opfer und entwickelten eine Meisterschaft darin, anderen Schuldgefühle zu wecken. Kurz gesagt. So redeten Eloise und ich wenigstens darüber, ob diese Eindrücke auch so stimmen, kann ich jetzt nicht sagen. Jedenfalls, daran erinnere ich mich deutlich, hatte ich dann einen solchen Bruder bei mir in der Redaktion der „Männer Vogue“ sitzen. Er wollte, dass seine Erinnerungen gedruckt werden, nicht einmalig, sondern als Serie. Er hatte eine dm-Tüte dabei, vollgepackt mit Zetteln, Mappen, Zeitungsausschnitten, das komplette Material, wie er sagte – daraus müsse doch was zu machen sein! Das würde auch sein Verein sehr begrüßen, eine Gruppe von Missbrauchsopfern, für die er stellvertretend da sitze. Ich bin ohnehin kein Meister im NEIN sagen aber der Typ machte es mir absolut unmöglich. Ich wand mich in meinem Dreh-Chefbürosessel wie ein Embryo im Uterus, das noch keinen Bock auf Geburt hat und einen umheimlichen Bammel vor den Wehen und spürte, je jämmerlicher ich wurde, desto unverschämter (desto?) und fordernder wurde das Missbrauchsopfer …. Ich weiß nicht mehr, wie ich da rauskam, ich hatte öfters sowas, meine sogenannte Karriere ist voll von Begegnungen, bei denen ich den Ausgang nicht fand.

Was ist denn das für eine Quatschbude hier? Ein Blog okay, aber ist „Blog“ denn eine Ausrede für komplett planlose Texte? Okay, lass uns etwas Sinn reinbringen hier, in der Überschrift ist ja eine konkrete Fragestellung formuliert.  Was bedeutet es heute, linksradikal zu sein. Ja, was? Und wieso fühlen ich oder der MAC sich berufen, eine Antwort zu finden?

unknown 1
Flyer des Bündnisses “100 Jahre Krise”

Und was geht jetzt ab?

Vom MASCH-Lesekreis war hier schon die Rede, den ich seit einigen Wochen besuche. Inzwischen sind wir in unserem „Das Kapital“-Lesekreis bei Kapitel 5 des ersten Bandes angelangt. Unter den Leuten fühle ich mich sehr wohl, obwohl die Begegnung nur per Video stattfindet, jede Woche  dienstags, jetzt haben wir gerade Semester-Ferien. Am weiteren Dienstag Abend  scheinen etwaige Depressionen wie weg geblasen. Und weil ich das Gefühl habe, hier sinnvolles und erfüllendes zu tun, bin ich dem Verein beigetreten, zu einem ganz kleinen, freiwillig gewählten Mitgliedsbeitrag, und fühle mich seither noch besser aufgehoben. Leider gibt es keinen Ausweis! Eine Genossin (ja!) bei MASCH arbeitet mit an einem  „Bündnis“ (Partei- und Gruppen-übergreifende Initiative) mit dem Namen „100 Jahre Krise – Wo bleibt der Aufstand“, das an den Hamburger Aufstand vom Oktober 1923 erinnert und manche Parallelen zur Gegenwart zieht. Der Aufstand bestand darin, daß Ernst Thälmann mit Hamburger Arbeitern in einem bewaffneten Kampf für drei Tage Polizei und Reichswehr widerstand und Teile von Barmbek besetzt hielt.* Zur Auftakt-Veranstaltung lädt das Bündnis an einem verregneten Mittwoch Nachmittag ins Hamburger 3001 Kino und zeigt den Film „Ernst Thälmann – Sohn seiner Klasse“, der als Meisterstück stalinistischer Propaganda gilt. Der Filmtitel steckt in der Überschrift des letzten Blog-Eintrags („Sohn meiner Klasse“, haha), was ich im Text aber gar nicht aufgelöst gekriegt habe, sorry. Das Kino ist mehr als voll, sogar auf den Stufen des Seitengangs hockt ein sehr junges, studentisches Publikum und folgt gebannt dem in seinem Pathos heute teils unfreiwillig komischen, aber spannenden und sehr wirksamen Film. Wie schon bei meiner ersten Begegnung mit MASCH an dem Wochenend-Lesekreis im November im Centro Sociale an der Rindermarkt-Halle, als ich so erstaunt war, wie weiblich, vielfältig und jung die Kapital-Leseschar sich zeigte, staune ich auch hier, wie zahlreich und jung das Publikum ist – und vor allem, wie interessiert und engagiert bei der Sache.

212458
Was hat er uns heute noch zu sagen?

„Ich fühlte mich wie bei TUNIX 1978 in der Berliner TU“, erzählte ich Eva begeistert, „nur dass ich damals selber noch so jung war und gar nicht richtig einschätzen konnte, was da abgeht.“ **

„Und was geht da jetzt ab?“, fragte Eva mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Die Linke ist wieder da“, sagte ich. „Marxismus und Ökologie kommen zusammen. Die ökologische Klasse entsteht, wie sie Bruno Latour vorhergesehen hat.“

„Oder viel mehr“, setze ich nach. „Die Linke war vielleicht nie weg. Nur ich, ich war weg – und dich dachte, sie, die Linke sei weg.“

„Und du? Bist du jetzt wieder da?“  Eva giesst die Nudeln ab, es zischt und dampft.

Genosse auf der Couch

Eine weitere Veranstaltung, die sich für mich über den Lesekreis ergab, war die Lesung des Historikers Heiner Karuscheit im Cafe Knallhart am Uni-Campus. In seinem Buch „Sozialismus ohne Basis“ *** weist er toll dokumentiert nach, wie die DDR von Anfang an zum Scheitern verurteilt war – das Ernst Thälmann-Rührstück zur Bündnis-Gründung hätte Karuscheit vermutlich weniger amüsant gefunden. Und vor ein paar Tagen folgte ich im Magda Thürey-Zentrum, der Parteizentrale der DKP in Hamburg, eine Einladung der „Gesellschaft für Dialektische Philosophie“, bei der über das Einführungskapitel von „Weltentwurf und Reflexion“ diskutiert wurde, eines Standardwerks des Philosophen Hans Heinz Holz, das sich mit der Weiterentwicklung des dialektischen Denkens befasst. ****  So lerne und erfahre ich sehr viel, und das in hoher Frequenz.

Nun? Hhhmm. Ihr vermisst den schmissigen, oft schmuddeligen aber immer schwungvollen MAC-Stil, dem ihr euch hier immer zum Wochenende hingeben konntet? Den MAC-Sound, dem Ober-Psychoanalytiker Tilman Moser die „Wucht eines Tsunamis“  zugestand, allerdings bei „fehlender Ernsthaftigkeit“?  Es ist schon so, immer wenn ich über meine neue Affäre, meine neue Verliebtheit (in den Marxismus und alles was dazu gehört, gesternheutemorgen) schreibe, werde ich sozusagen rot im Gesicht, schwankt meine Sprache zwischen einer kindischen, aber nicht besonders eloquenten Ergriffenheit – wie mit offenem Mund gesprochen – und einer Verfassungsschutzberichtsmässigen Dürre, die was Verfängliches hat in einem Umfeld, das tatsächlich unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht. Dem seit 20 Jahren bestehenden Verein MASCH wurde vor kurzem die Gemeinnützigkeit aberkannt, weil er auf der Liste des Verfassungsschutzes steht – und hat Widerspruch eingelegt, was u.U. zu einem interessanten politischen Prozess führen kann. Vielleicht denken die Genossen, ich bin der BND Spitzel, der neue da, immer so freundlich, so interessiert, bei allem dabei … Oje.

Look, what they´ve done to my song … They? Wer? Die? Es ist was Neues in mein Leben gekommen (in das des MAC auch), das gleichzeitig was Altes ist. Wenn ich mich wieder mit dem Marxismus beschäftige, schaue ich zurück in meine Vergangenheit und Jugend – ich schaue aber gleichzeitig nach VORNE, weil der Sozialismus immer ZUKUNFT ist, immer, auch deshalb, weil er bisher nur Versprechen ist, allerdings das größte und wunderbarste, das wir Menschen uns je geben können, das kann ja niemand ernsthaft bestreiten … naja, ein ziemlich großes jedenfalls. Amen. Sprache weg. Was bedeutet es heute, linksradikal zu sein? Warum reicht eigentlich nicht “links”? Bilde ich mir da was ein? Romantik? Nostalgie? Was sagt eigentlich mein Körper? Das will ich herausfinden und ich halte euch am laufenden. Genosse auf der Couch.

*Im Rahmen des Hamburger Aufstands wurden sechs Polizeireviere gestürmt, vor allem in den stormarnischen Gemeinden Bramfeld und Schiffbeck, um ca. 250 Gewehre zu erbeuten.  In Bad Oldesloe, Ahrensburg und Rahlstedt wurden Eisenbahn- und Straßenblockaden errichtet und in Bargetheide setzte man den Gemeindevorsteher fest und rief die „Sowjetrepublik Stormarn“ aus. Teile von Barmbek in Hamburg konnten drei Tage vor dem Ansturm von Reichswehr und Polizei gehalten werden. Der Aufstand scheiterte, am Ende hatten sich nur 300 der damals 14.000 Mitglieder Hamburger KPD beteiligt. Während des Aufstands starben 88 Zivilisten und Hamburger Polizisten und acht kommunistische Aktivisten.  Obwohl Ernst Thälmann mit seinem Aufstand das Verhältnis zwischen Sozialisten und Kommunisten über Jahrzehnte vergiftet hatte, machte er danach in der KPD und unter dem Schutz Stalins Karriere, bevor er am 3. März 1933 von den Nazis verhaftet und 1944 auf persönlichen Befehl Hitlers hingerichtet wurde.

**„Uns langt’s jetzt hier! Der Winter ist uns zu trist, der Frühling zu verseucht und im Sommer ersticken wir hier. Uns stinkt schon lange der Mief aus den Amtsstuben, den Reaktoren und Fabriken, von den Stadtautobahnen. Die Maulkörbe schmecken uns nicht mehr und auch nicht mehr die plastikverschnürte Wurst. Das Bier ist uns zu schal und auch die spießige Moral. Wir woll’n nicht mehr immer dieselbe Arbeit tun, immer die gleichen Gesichter zieh’n. Sie haben uns genug kommandiert, die Gedanken kontrolliert, die Ideen, die Wohnung, die Pässe, die Fresse poliert. Wir lassen uns nicht mehr einmachen und kleinmachen und gleichmachen. Wir hauen alle ab! … zum Strand von Tunix“. So stand es auf der Einladung des TUNIX Kongresses vom 27. bis 28. Januar 1978 in der Technischen Universiät in West-Berlin. Es war der kurzfristige anberaumte Versuch einiger Initiativen von „Unorganisierten“, die noch zerstreute neue Generation nach der  68er-Bewegung zu versammeln, die einen Gegenpol zum Politikverständnis der maoistischen K-Gruppen und der DDR-orientierten Organisationen bildeten. Die Teilnehmer, deren Zahl von den Veranstaltern auf 15.000 geschätzt wurde nutzten ein vielfältiges Programm zur Vorstellung ihrer Aktivitäten, zu Diskussion, Austausch und Vergnügen. In der Folge kam es zu einer Vielzahl von Gruppen- und Projekte-Gründungen in Stadt und Land und deshalb gilt das Treffen als „Geburtsstunde“ der Alternativbewegung. Die taz (tageszeitung) wurde als Projekt vorgestellt und erschien zum ersten Mal an den TUNIX Tagen. Prominente Teilnehmer sind u.a. die Philosoph Michel Foucault und Gilles Deleuze, der Psychoanalytiker Félix Guattari und Filmemacher und Autor Alexander Kluge.

***Heiner Karuscheit, Sozialismus ohne Basis, Arbeiterschaft und Sozialismus in der DDR, verlag am park, Berlin, 2021

****Hans Heinz Holz, Weltentwurf und Reflexion, Versuch einer Grundlegung der Dialektik, Jb. Metzler, Springer Verlag GmbH Deutschland, 2005

Kommentar verfassen

Scroll to Top
Scroll to Top