Vom psychologischen Mehrwert, Marxist zu sein

Warum heute Marxist sein? Sein wollen? Die Frage muss sich der MAC in letzter Zeit oft anhören und natürlich stellt er sie sich auch selbst. D.h., so oft wird auch nicht gefragt, denn viele im Arbeitsumfeld trauen sich nicht. Sie haben das neue große Thema des MAC vielleicht hier im Blog mitbekommen, sprechen es aber nicht an. In Zeiten, in denen das Reden über Politik heikel geworden ist, ist das auch beim Marxismus so. Dazu kommt, der Marxismus wirkt „weit weg“, steht für etwas Vergangenes. Wie soll mit dem Marxismus die digitale Zeit erklärt werden? Der Klimawandel? Das kannte man doch damals alles nicht. Und sind das nicht nur alte Männer, diese Marxisten?

Der Kommunismus ist gescheitert, der Marxismus mit ihm untergegangen, glauben viele

Auf der großen Bühne ist für viele der Marxismus untergegangen mit dem Scheitern der politischen Idee des Kommunismus. Frühere kommunistische Bollwerke wie die Volksrepublik China oder die Sowjetunion bieten auch heute keine attraktive Alternative zum Kapitalismus, der ja nicht nur mit Wohlstand, sondern auch mit Demokratie lockt. Inzwischen wachsen in unseren Breiten schon mehrere Generationen in Gesellschaften auf, die mit der „Marktwirtschaft“ identifiziert sind und sie mit „Freiheit“ in Verbindung bringen („freie Marktwirtschaft“). Damit hat der Kapitalismus leichtes Spiel, den Anschein immer weiter auszubauen, er sei ein „naturhafter Gesamtprozess“, so sagt es Marx, zu dem es keine Alternative gäbe. So lange jeder sein Smartphone hat, ist doch alles okay. Und auch für die, die noch zwischen politischen Parteien unterscheiden und sich vielleicht im rot-grünen Umfeld bewegen, hat sich der Marxismus verflüchtigt, seit die Klassenkämpfe domestiziert und die lohnabhängige Bevölkerung fest in den “Interessensausgleich” eingebunden ist, den der moderne Kapitalismus anbietet.

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Eröffnung der MASch (Marxistische Arbeiterschule) Wedding, 27. Oktober 1970. Damals war die MaSCH noch eine Bildungseinrichtung der KPD, 1925 gegründet, 1933 von den Nationalsozialisten aufgelöst. Die heutige MASCH in Hamburg ist parteiunabhängig. Quelle: Henschel-Fotobestand, Friedrichshain-KreuzbergMuseum

Wer also braucht noch Marx? Was ist heute noch anziehend an seiner Lehre? Für wen? Genossen aus der MASCH (Marxistische Abendschule Hamburg) bereiten gerade ein Buch zu dem Thema vor, mit den verschiedene Blickwinkeln von mehreren Autoren. Wenn sich der MAC die Frage stellt, muss er dies auch mit Blick auf seine diversen Wandlungen und „Trips“ und Lebensphasen tun, die er zwar im Buch „Mann auf der Couch“ breit dargelegt hat, die womöglich aber immer noch unübersichtlich, verwirrend anmuten, in Teilen auch unglaubwürdig. Im Klappentext des Buchs wird stolz die Frankfurter Allgemeine Zeitung zitiert, die dem MAC eine „wundersame journalistische Biografie“ zuschreibt – „wundersam“, nicht wunderbar, mithin aus FAZ-Sicht eher dubios und skurril, ein am Ende doch unbekömmlicher Zeitgeist -Cocktail aus Marxismus und Christentum in den Anfängen, Politik und Porno, Schwulenbewegung und Sanfte Geburt, Psychoanalyse, Männerparfums und TV-Programm, Luxus-Hifi und Fix und Foxi und Firmenzeitschriften– und jetzt, am Ende der „Karriere“, wieder „Marxismus“. Warum? Wie das? https://www.masch-hamburg.de/

„Jetzt, wo du alt ist und kein Geld hast, wirst du plötzlich Marxist“, sagte Eva

„Jetzt, wo Du alt bist und kein Geld hast“, sagte Eva vor kurzem in ihrer kritischen Art, „wirst Du wieder Marxist. So lange du gut verdient hast, hast du alles mitgespielt.“  Auf eine Art hat sie sicher recht. Auf eine Art hat sie immer recht. Darüber soll die Geschichte entscheiden. Oder die Geschichten. Je nachdem, welche am längsten in Erinnerung bleiben.

„Ich kann dir sagen, warum ich mich wieder mehr zum Marxismus bekenne“, sagte der MAC erst diese Woche, zu Besuch bei einem MASCH-Genossen, „um meine Verwirrung zu beenden. Ich war jetzt über Jahrzehnte irgendwie verwirrt, immer auf der Suche, dieses und jenes. Jetzt merke ich, dass ich wieder klarer werde.“  Auf der Heimfahrt kam mir der Gedanke, dass Verwirrung heute etwas sein könnte, dass man aushalten muss, es sogar eine Qualität sein könnte, Verwirrung auszuhalten, diesen Zustand, in dem es keine festen Balken gibt.

In den letzten Wochen beschäftigt sich mit der MAC damit, wie in seiner Zeit bei HuF (Hopp und Frenz Content House) wieder Veranstaltungen zu organisieren, nach „Blattkritik Salon“ und „Content House Salon“  jetzt ein linkes Format mit dem Titel „Roter Salon“, in Zusammenarbeit mit der MASCH Hamburg.

„Vielleicht ist es besser“, sagte er vor ein paar Tagen bei einem Treffen dazu, „den Marxismus nicht so raushängen zu lassen, nicht so offensiv damit umzugehen.“  Er blickte sein Gegenüber an, einen anderen MASCH-Genossen: „Das kannst Du besser beurteilen. Ich komme ja noch aus einer Zeit, in der es ein Adelsprädikat war, Marxist zu sein. Jeder wollte sein wie Rudi Dutschke. Man war stolz, Marxist zu sein, man war was Besonderes. Es war cool, damals.“  Da lachte der jüngere Freund. „Die Zeit habe ich leider nicht erlebt“, sagte er, „man soll damals sogar Mädchen bekommen haben, wenn man gesagt hat, man ist Marxist.“  Ja, das stimmt sagte ich, es sei sogar eine bessere Anmache gewesen als sowas wie „Wollen wir zu mir gehen und Abbey Road anhören?“. 

Es folgte die Anekdote, dass ich im Sommer, wenn mein Chef Günther Nenning auf der Insel Ischia weilte, um ein neues Buch zu schreiben, bei ihm in der Bibliothek (die gleichzeitig sein Büro und sein Wohn- und Schlafzimmer war) einziehen durfte, wenn ich neue, übers Jahr dazu gekommene Bücher einsortierte, vor allem aber auch alles abstaubte, auch die damals noch unter 30 Bände der MEW (Marx Engels Werke)-Gesamtausgabe, die blau und stolz da standen.

 „Ja, das waren andere Zeiten“, trumpfte ich gegenüber dem Freund auf, „ich konnte sogar Mädchen locken mit der Einladung, willst Du hochkommen zu mir, ich zeige die die Marx-Engels-Ausgabe oben in der Bibliothek. Und es klappte!“  Bevor ich weiter ins Detail gehen konnte, war mein Freund gegangen.

Ein paar Gründe, warum es gut tut, Marxist zu sein

Man ist anders. Man hat vielleicht ein Geheimnis. Man hat sich für etwas entschieden.

Man-o-man … Ja, ja, es sind auch fast nur Männer, die das tun

Man hat etwas zu tun (Lesen, Diskutieren). Man verblödet nicht. Man lernt immer was dazu.

Man ist auf der richtigen Seite der Geschichte (ja, doch!)

„Ohne Marx säßen wir noch auf den Bäumen. Ohne Marx und die auf ihn folgende Arbeiterbewegung hätten wir heute alles nicht, was wir haben, ein bestimmtes Ausmaß an sozialer Sicherheit, man muss das nicht aufzählen. Alles musste mit Klassenkämpfen erkämpft werden, dem Kapitalismus entrissen, kein Millimeter wurde verschenkt.“  So ähnlich sage ich es immer // und das sollte jeder wissen // und wenn man das Handy aufmacht // und ins Internet geht // sollte nichts anderes zu lesen sein // nein, nichts anderes!

Ohne Marx würden auch Schwule noch ins Gefängnis geworfen und Abtreibung wäre verboten, auch das muss man nicht alles aufzählen. Denn erst der eindeutig marxistisch, links und rot begonnene kulturelle Umbruch in Folge der 68er Jahre machte die Gesellschaft möglich, in der wir heute leben und deren Freiheiten und  Errungenschaften viele wie selbstverständlich annehmen. Auch sie wurden erkämpft. Haben denn die Rechten und die Konservativen auf der Welt je, zu irgendeinem Zeitpunkt in irgendeinem Land, irgendeinen sozialen oder kulturellen Fortschritt gebracht? Nein, nie. Wird auch nie so kommen.

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Kinder von Coca Cola – und Karl Marx: 60er-Ikonen Rainer Langhans und Uschi Obermaier

Man verliert die Angst vor Digital und Künstlicher Intelligenz – denn diese sind nicht vom Himmel gefallen und außerhalb jeder Logik, sondern für die Kapitalisten nichts anderes als Produktions- und Automatisierungsmittel und unterliegen wie jedes andere Produktionsmittel dem Kampf um die Verfügbarkeit. Software schafft auch keinen Werte, sondern die Werte schaffen die, die die Software schreiben. Danke, Kapital I-Lesekreis.

Man ist nicht mehr einsam. Gerade, weil es uncool ist heute, Marxist zu sein, ist es auf eine menschliche Art supercool. Marxismus stiftet seit jeher Gemeinschaft (siehe: Arbeiterbewegung), allerdings auch oft Gemeinschaften der untereinander Misstrauischen, oft auch eine Kultur des Rechthabens. Da muß man durch!

Man lernt besser zu denken!  Das ist vielleicht das wichtigste. Im Kapital-Kurs:  Erstmal am Text dran bleiben. Erst mal Klappe halten. Erst mal nachdenken und verstehen, ev. nachfragen. Den Unterschied zwischen „Bedeuten“ und „Erkennen“ erkennen.  Der MAC als Autor, schiebt viel mit Bedeutungen rum, auch in diesem Text, nicht mit Erkenntnis.  Die Politik ist vielfach nur auf der Bedeutungs-Ebene unterwegs, versucht nur noch, die richtigen Reizworte im richtigen Moment zu setzen, um sich in den Suchmaschinen nach oben zu arbeiten. Im Extrem steigen Elon Musk und Mark Zuckerberg um Abermillionen Dollar in einen echten, für Social Media inszenierten Cage Fight, bei dem niemand weiß, worum es geht, ausser „Kampf“ und „Sieg“ – und da auch egal ist, wer gewinnt, bleibt es bei sich selbstbegründendem „Kampf“ mit dem einzigen Ziel, die Langeweile zu besiegen. Der Kampf selbst BEDEUTET – nichts.

Das besser Denken ist am Ende doch immer der Versuch, wissenschaftlich zu denken. Daher das viele Lesen, fast Studieren.  Denn nur das wissenschaftliche Denken macht und stark gegen Irrationales, Mythisches, Religiöses, Finsteres, Reaktionäres.

Klar ist Marx selbst ein Mythos und eine Ikone.  Das ist auch schön so. Der Vorteil des Marxismus: Man ist immer in guter Gesellschaft, bewegt sich in einer ungeheuer grossen und reichen Tradition, einer einzigartig wirkmächtigen und vielfältigen intellektuellen Strömung der Geschichte.

Und er ist eine mächtige Vaterfigur. Oft komme ich mir in den meist rein männlichen MASCH-Runden vor wie unter vaterlosen Gesellen.

Für den MAC ist Marx auch ein wichtiges Role Model. Archetyp der Analytiker, Inbegriff des Intelelktuellen, aber auch des Journalisten, des Chefredakteurs, des Zerrissenen, des immer unter Druck (Geld, Lebenszeit) stehenden, seiner Familie nicht gerecht werdenden Workaholics, der die Anerkennung immer nur im Außen findet …. 

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Unten links, unter Mitstreitern, Frankfurt 1968: Rudi Dutschke (1940-1979) war “bekennender” Marxist und der wichtigste Lautsprecher der Bewegung – aber er hatte auch immer Zweifel. Schon als 20jähriger schrieb er: “Nur durch das ununterbrochene Streben nach der Wahrheit können wir Freiheit und Ordnung erreichen. Die Wahrheit ist die gerechtere Ordnung überhaupt. Die absolute Wahrheit, die absolute Freiheit, die absolute Ordnung können wir nicht erreichen. Alles ist auf dem Weg.”

Es tut gut, sich zu bekennen. Sicher gibt es einen Unterschied zwischen wissenschaftlichen Marxisten und eher bekennenden, der MAC ist eher ein bekennender (damit aber auch furchtloser und extrovertierter) Marxist, der sich dafür mit der Wert-Theorie recht abplagen muss, mit bescheidenen Ergebnissen.  Rudi Dutschke war auch so ein Bekenner, und ein eher schwacher Theoretiker. Die „Bewegung“ (wäre schön, wir hätten eine!) braucht beide Typen, würde ich sagen.

Macht man Politik, wenn man Marxist ist?

Klar könnte man vor den Fabriktoren stehen (und … die Arbeiter vom Verzicht überzeugen? Das ist nicht so einfach heute) oder in der Flüchtlingshilfe arbeiten oder sozial richtig was MACHEN – und nicht nur dasitzen, und 150 Jahre alte Bücher lesen. Den Marxismus am Leben zu erhalten und weiter zu entwickeln bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als das Werk von Karl Marx verfügbar zu halten, als unverändert wichtiges und einzigartiges Rüstzeug für eine Gesellschaft, die gerade erkennt, dass sie sich aus vielen und drängenden Gründen um Alternativen zum Kapitalismus umschauen muss. Das ist am Ende der Sinn von „Marxismus heute“- Initiativen wie MASCH und demnächst ROTER SALON.

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