Bed-In: Marx und ChatGPT

Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung. Die älteren unter meinen Millionen jüngerer Leser werden den Titel des Jugendbuchs von Eric Malpass vielleicht noch kennen. Der MAC lebt heute noch danach.  Morgens um sieben finden wir ihn schon seit einer Stunde halb aufrecht im Bett liegend, halb vergraben von Zeitungsseiten, die fast schon eine zweite Decke bilden. In einem für ihn selbst nicht immer überschaubaren  (auch schon mal als „zwanghaft“ bezeichneten) System des Nachlesens und Nacharbeitens gewinnt der MAC aus dem Altpapier auf diese Weise seine „Clippings“, Zeitungsausrisse, die erst auf einen Stapel kommen und dann nach einem inzwischen fiktiven System zugeteilt werden. Das hatten wir schon vor zwei Blogs, in “Ich bin das Endlager”, vom23.06.23. Die Welt mag zwar in Aufruhr sein und gar nicht in Ordnung, aber hier, jeden Morgen auf seiner Bettdecke, bewahrt der MAC den Überblick und erstmal auch noch die Nerven.

Ein News-Junkie, der keine Satisfaction kriegt

Die Methode stammt aus einer Zeit, in der der MAC Chefredakteur großer Redaktionen war und so seine Mitarbeiter, die er seit jeher im Verdacht hatte, sie läsen zu wenig, seien zu wenig informiert, mit Anregungen für Themen versorgte. Analoge Zeiten! Heute, wo der MAC weitgehend alleine arbeitet, ist das ganze für ihn zu einer eher monomanischen Angelegenheit geworden, zu einem sich selbst verzehrenden Stoffwechselvorgang, der ihn zu dem macht, was er ist (was ist er?), ihn aber auch in einen Zustand permanenter Überforderung treibt, weil die Menge an Ausschnitten und Informationen für einen Menschen alleine nicht weiterzuverarbeiten ist. Naja, sagen wir so: Im gleichen Maß, in dem die Schnitzeljagd Stress macht, stiftet sie für den MAC auch ein Gefühl von zumindest annäherungsweisem Überblick und Kontrolle, das er, was die eigene Situation und den eigenen Alltag betrifft, eine Stunde später schon verloren haben wird.

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Zeitunglesen im Café Unter den Linden, Hamburg. Das Café ist leider nicht mir drauf am Foto. Nächstes Mal

Exkurs: Eine aussterbene Art, die Zeitung zu lesen

Ein viel schöneres Bild wäre das entspannte Flanieren durch Zeitungen, wie wir es aus der Kaffeehaus-Kultur kennen, ohne Verwertungszwang, eher zur freien Inspiration oder zum Entdecken von interessanten Kleinigkeiten, die sich dann in einer ebenso entspannten Konversation platzieren lassen. Wehmütig erinnert sich der MAC an Zeiten im Café Sperl in Wien, 80er Jahre, als er vom Herrn Ober (wienerisch für Kellner) als „Herr Chefredakteur“ angesprochen und zum Tisch geleitet wurde und auch gleich mit einem Stapel Zeitungen versorgt. So ließ es sich arbeiten! Mit dem Verschwinden der Zeitungen (vielleicht auch der mit dieser Rezeptionsart verbundenen Muße?) ist diese Kultur heute auf dem Rückzug, obwohl sie so viele offensichtliche Vorteile hat. Zum Beispiel ist man als Zeitungsleser in einem Kaffeehaus nicht allein, was einen großen Unterschied ausmacht, selbst wenn jeder was anderes liest. In Hamburg geht diese Art des Zeitunglesens noch in dem hier schon öfter genannten „Café Unter den Linden“ auf der Schanze. Die Menschen, die hier dieser Leidenschaft nachgehen, sind ziemlich alt und ausschließlich Männer mit schlohweissem Haar – eine Gruppe, zu der der MAC sich wohl zählen muss, wobei er sich in diesen Fällen doch mit einem Altersunterschied von 10, 12 Jahren (nach unten!) trösten kann. Dennoch, hier wird auf eine traurige Art konkret, dass das Zeitunglesen heute undwiderruflich mit der Aura des Absterbens verbunden ist.

Muss die Rettung gerufen werden?

Einer der lesenden Männer im “Unter den Linden” kritzelt Bemerkungen in die Zeitungen, bevor er sie weitergibt, in klitzekleiner Krakelschrift, die er nur hinbekommt, wenn er mit dem Kopf nur mehr wenige Zentimeter von der Zeitungsseite entfernt ist. Manchmal nimmt er noch eine Lupe zu Hilfe, und zuletzt ist er öfter mit dem Kopf auf die Seite gesunken und eingenickt, wie tot. Das war unheimlich, die jungen Kellner:Innen taten so, als wäre alles ganz normal, aufgeregt war nur der MAC und dachte, muss man die Rettung rufen? Nach diesem Erlebnis ging der MAC seltener ins UdL, als er dann doch wiederkam (es gibt nicht so viele Cafés mit Zeitungen in Hamburg) war der Mann einmal nicht da und das nächste Mal saß er wieder am gleichen Platz, war wohl beim Haareschneiden gewesen und wirkte viel frischer. Trotzdem möchte sich der MAC diesen Blick in die Zukunft, diesen “Anblick”, naja, eher nicht zumuten, auch wenn das feige ist und eventuell unschöne, unsolidarische und unempathische Gefühle offenbart.

Zurück ins Bett des MAC, in dem die Welt frühmorgens noch in Ordnung ist. Jetzt kommt doch noch die digitale Technik ins Spiel, nämlich das Smart-Phone, das für den MAC mithilfe von What´s App zu einem weiteren Verteil-Kanal für (dann abfotografierte) Clippings geworden ist, nicht so systematisch wie mit den gedruckten Clippings, eher spontan, intuitiv. Vor allem aber bietet der Chat dem MAC auch die Möglichkeit des Lektüre begleitenden Dialogs, des kurzen Aufblickens aus der Lektüre, um etwas wiederzugeben, wie es Wilhelm Busch so schön gereimt hat: „Bei eines Strumpfes Bereitung/Sitzt sie im Morgenhabit/Er liest in der Kölnischen Zeitung/Und teilt ihr das nötigste mit.“ (Wilhelm Busch, Die Liebe war nicht  geringe, Gedicht, 1874). Zwar nicht mit der „Liebe“, wie bei Wilhelm Busch, aber mit einer Freundin aus Wien, entspann sich kürzlich folgendes. Daß an der Ausrichtung “Dialog” noch gearbeitet werden muss, mag jetzt offensichtlich werden. Nehmt die mutige (uff!) Veröffentlichung hier als den rührenden Exhibitionismus, der auch im Buch “Mann auf der Couch” immer wieder durchbricht. Etwas, mit dem ihr in der Zwischenzeit umzugehen gelernt habt, wohl oder übel.

Chat-Verlauf: Werde Subjekt der Geschichte!

Was machst Du gerade?

Habe schon viel gelesen

???

Bin auf der Spur für einen marxistischen Ansatz zur KI

??? Gähn-Emoji

Bin-erstaunt-Emoji

Interessiert mich alles 2  nicht

Warum machst du das?

Für mich, für Blog, für MASCH, für Roter Salon, für alles

Ah

Daraufhin schickt MAC eine Salve kurzer Einträge:

Die Fabrik hat den Menschen von seinen Fähigkeiten entfremdet

Ist klar

Das gleiche macht die KI – was du kannst, brauchst du nicht mehr

Es ist nicht mehr klar, wofür du gebraucht wirst

Indem du von deinen Fähigkeiten entfremdet wirst

Wirst du von dir selbst entfremdet

Die Folge: Du verlierst Deine Autonomie, die Fähigkeit, dich selbst zu ermächtigen

Aber es geht noch weiter

Digital kann dich auch von Deinen Wünschen entfremden

Dazu habe ich gerade was gefunden am Beispiel Urlaubsplanung

Wenn die KI das macht

Was sie kann

Und immer mehr Leute machen das – guck mal

Es folgt das Foto einer Glosse aus der „Süddeutschen Zeitung“ vom 10. Juli 2023

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Clipping, geplant für KI/MAC, vorab verschickt an eine Freundin aus Wien

Was bedeutet das für dich?

Auf jeden Fall ist das für mich beängstigend. Aber KI kann mir ja auch Sachen abnehmen, die ich nicht kann und unterstützen. Z.B. meine Schreibschwäche

Du gewinnst damit aber nichts für Dich!

Ein Gewinn wäre nur, wenn du sie selbst überwindest!

Was du kannst

Doch, ich fühle mich selbstsicher

Aber, überleg doch mal!

Wenn Du Chat GPT nutzt, was bis du dann?

Du selbst?

Nein.

Kunde von Micrsoft.

Aber hast Du den Deal je gemacht?

?

Bist Du auf Augenhöhe?

Sind Deine Daten DEINE Daten?

Alles nein!

Also bist du nicht Subjekt in der ganzen Sache

Sondern

Objekt

Was ist aber die Idee von Marx?

Das wir Subjekt der Geschichte werden

Das ist der Unterschied

Dh nicht GEGEN KI zu sein – das wäre total reaktionär

Marx war auch nicht gegen Fabriken und Automatisierung –

ganz im Ggenteil, er war total technologiebegeistert

Er hat gesagt

Sinngemäss

Wir nehmen den Zug in die Zukunft

Aber wir übernehmen ihn

Es folgt das Foto eines Interviews mit Slavoj Zizek in der „taz“ vom 8. Juli 2023

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Slavo Zizek im taz-Interview mit Peter Unfried: “Ich bin gegen die woke Linke”

Zizek sagt aber in der taz zu dem Zug

Was wir brauchen, ist die Notbremse. Wir müssen eher aussteigen.

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