Tag der Pressefreiheit – welche Freiheit, wieso Presse?

In großen Teilen der Erde ist Pressefreiheit eine Frage von Leben und Tod. Das aktuelle Ranking von „Reporter ohne Grenzen“ listet die 12 „tödlichsten Länder für JournalistInnnen 2023“ auf. Die Ukraine, Israel und Mexico sind auf den ersten drei Plätzen. Deutschland hat sich in seiner Pressefreiheit verbessert, ist von Platz 21 auf Platz 10 vorgerückt, was auch der Verschlechterung vieler anderer Länder zu verdanken ist. Es ist hier aber auch zu weniger Übergriffen als im Jahr davor gekommen.
Es lässt sich wohl sagen, dass man sich um die Pressefreiheit in Deutschland keine akuten Sorgen machen muss. Die Frage ist hier eher: Wird sie sie richtig genutzt?

Wir sprechen bei der Pressefreiheit von einem historischen Recht, das am Ende des Absolutismus und im Geiste der Aufklärung entstand. In Englands Bill of Rights von 1689 wurden zunächst die freie Rede und der Meinungsaustausch ausschließlich für Parlamentarier garantiert. Erst, als dieser Licence Act 1695 vom Parlament nicht mehr erneuert wurde, war defacto die Zensur abgeschafft und die Pressefreiheit als allgemeines bürgerliches Recht gewährt. Das Recht brach sich Bahn aus der Nicht-Verlängerung eines anderen.
In Deutschland war die Pressefreiheit eine schwere Geburt, die sich über viele Jahrzehnte hinzog. Der ursprünglich von der Französischen Revolution angeregte Prozess, die Presse-und Meinungsfreiheit auch in Deutschland als Teil der Menschen- und Bürgerrechte zu sehen, gipfelte in der Märzrevolution 1848, als sich das Deutsche Reich zu liberaleren Pressegesetzen entschloss – bei einer Sitzung des Paulskirchen-Parlaments in Frankfurt. Die Paulskirche und Frankfurt gelten daher heute noch als Wiege der inzwischen 175 Jahre alten Pressefreiheit in Deutschland.

Die Pressefreiheit ist identisch mit Demokratie und dem Recht auf freie Meinungsäußerung

In ihrer Geschichte ist die Pressefreiheit ein Freiheitsrechts des Volkes, und liegt an den „Wurzeln der Mitbestimmung und des freien Wortes“, wie es bei einer Veranstaltung zum Jubiläum in der Paulskirche hieß. Journalisten sind dazu da, die Meinungsfreiheit wirksam zu machen, sie mit ihrer täglichen Arbeit zu entwickeln und ihr einen geregelten, geschützten Raum anzubieten. Auf der anderen Seite haben Journalisten ein Anrecht auf Schutz durch den Staat, um dieser Aufgabe nachkommen zu können. Immer wenn es um die Freiheit schlecht bestellt war, ging es auch der Pressefreiheit schlecht.

Nach dem Ersten Weltkrieg verabschiedeten Deutschlands Demokraten die Weimarer Verfassung und mit ihr ein liberales Pressegesetz ohne Zensur. Das aber wurde nach der NS-Machtergreifung schon 1933 durch das Schriftleitergesetz kassiert. Die Presse und Rundfunk wurden gleichgeschaltet und mittels zahlreicher Vorschriften gegängelt. Propaganda-Minister Joseph Goebbels entschied bis ins Detail, welche Themen die Medien wie aufzugreifen und darzustellen hatten. In ihrer Entfaltung, wie in ihrer Perversion oder Unterdrückung, steht die Presse für etwas, ohne das die Gemeinschaft nicht auskommt.

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Die Lage der Pressefreiheit bei „Reporter ohne Grenzen“: Blau – gute Lage, Hellblau – zufriedenstellend, Orange – erkennbare Probleme, Rot – schwierige Lage, Dunkelrot – sehr ernste Lage. Am freiesten können Journalisten in Norwegen, Dänemark und Schweden arbeiten, am unfreiesten in Afghanistan, Syrien und Eritrea

Ging im kommerziellen Aufstieg der Zeitschriften der staatsbürgerliche Auftrag unter?

Als der junge MAC Journalist wurde, zu seinen Anfängen in der „Arbeiterzeitung“, in der linken und Underground-Presse im Wien der 70er Jahre, war es für ihn noch ein spürbares Privileg, in einem Beruf zu arbeiten, der so hervorgehoben ist und so essentiell wichtig im Staat – wenn er dieses Privileg zunächst auch nur von seiner angenehmsten Seite nutzte, dem Beharren auf „Pressekarten“ für Popkonzerte. Das Ansehen des Berufs, nur knapp über dem der Prostitution, korrelierte auch damals schon nicht so richtig mit seinem hehren Verfassungsauftrag – ev. ein Hinweis darauf, dass die Verknüpfung von Demokratie und Presse nicht immer für alle gegenwärtig war. Sicher war sie das auch nicht in der Blütezeiten der Zeitungen und Zeitschriften, als wir viel Geld verdienten mit TV-Programmzeitschriften in Millionen-Auflagen, Sex-, Mode-, Auto- und Lifestyle-zeitschriften. Demokratie? Naja. Es kann niemand behindert werden, solche Hefte herzustellen – und niemand hindern, sie zu kaufen. Mehr war oder ist es eigentlich nicht mehr.

Zwei Punkte, die heute anders sind

Es ist verrückt mit diesem Text. Der MAC könnte hier endlos herumquatschen über die Grundlegungen des Berufs, in dem er seit 50 Jahren arbeitet. Warum? Muss er sich selbst erinnern (an etwas, das eigentlich jeder weiß). Will er es sich neu erarbeiten, neu aneignen? Oder möchte er nochmal nachdenken darüber, warum er in diesem Beruf ist? Wenn Menschen im Extremfall ihr Leben für den Journalismus geben, dann haben sie einen Grund, dann führen sie einen Kampf mit klarem Ziel, nämlich den Kampf um Freiheit, wie oben beschrieben, nutzen die Pressefreiheit als politisches Instrument, als Kampfmittel, das übrigens selbst über Kämpfe durchgesetzt werden musste. Wie die mexikanische Investigativ-Journalistin Maria Teresa Montano Delgado, die gegen Korrruption schreibt auf einem eigenen Investigativportal. Nachdem ihre Rechercheergebnisse von Entführern vernichtet wurden, begann sie mit ihrer Arbeit von vorne. Lest das Interview in der taz: https://taz.de/!6005605/

Wie ist das „bei uns“ heute, wo der MAC seit 40 Jahren in der Stadt Hamburg lebt, in die er gezogen war, weil sie sich damals rühmte, Europas größte Medienstadt zu sein und die Verleger, wie es MACs zeitweiliger Chefredakteur Franz Josef Wagner formulierte, „Gelddruckmaschinen im Keller“ stehen hatten. Der „Spiegel“ sah sich damals als „Sturmgeschütz der Demokratie“, heute tut er das nicht mehr. Es erscheinen zwar routinierte Artikel gegen (?) die AfD, aber sie sind völlig egal und am Ende nur Unterhaltung.

Heute ist den Medien die Demokratie egal

Es ist zu leicht, mit dem hier schon gewohnten Der Spiegel-Bashing eine Hintertür raus aus diesem Text zu finden, aber leider stimmt es ja. Ein früheres Leitmedium wie Der Spiegel kommt dem Auftrag, sich als Teil der Demokratie zu sehen, nicht mehr nach – zumindest nicht in der Form, dass er seine Leser zur Identifikation und Teilnahme an der Demokratie anregt. Der Spiegel nimmt zwar die Rechte der Demokratie in Anspruch, benimmt sich aber nicht wie ein verantwortungsbewusster Demokrat. Gekämpft wird hier für gar nichts, vielleicht um die Pensionsabsicherung der Mitarbeiter. „Demokratie wird eingeschätzt nach Erfolg oder Mißerfolg, an dem dann auch die einzelnen Interessen partizipieren, aber nicht als Einheit des Interesses mit dem Gesamtinteresses“, sagte Adorno in einem Vortrag von 1959 über die Mentalität der Nachkriegsgesellschaft in Deutschland, heute trifft das recht gut auf die Mentalität der meisten Medien zu. Die Öffentlich-Rechtlichen haben noch einen besseren Auftritt als die unabhängig verlegten. Auch Genossenschafts-oder Stiftungsmedien machen eine bessere demokratische Figur als die Titel der Verlage.

In kompletter Verleugnung ihrer Herkunft aus politischen Kämpfen (darauf Bezug genommen wird nur, wenn es um Vergünstigungen nd Privilegien geht), vernachlässigen Medien heute ihre angestammte Verantwortung bei der Festigung und Entwicklung der Demokratie, machen also zu wenig aus der Pressefreiheit, die zu einer Art „Skandalfreiheit“ geworden ist. Zum Beispiel zeigen sie keine Alternativen zum Kapitalismus, sondern machen sich eins mit ihm. 24 Stunden am Tag reproduzieren sie das Bild, es gäbe keine Alternative zum Kapitalismus – und tragen damit bei zur Depression der jungen Generation, die nicht darin unterstützt wird, Bilder von Zukunft zu entwickeln. Das ist das eine.

Warum reden wir immer noch von Presse?

Und das zweite: Warum reden wir eigentlich noch von Presse? 80 Prozent des politischen relevanten Journalismus, um dem es beim Ranking der Journalisten ohne Grenzen geht, findet online statt. Viele Entwicklungs- und Schwellenländer haben die Ära des Printjournalismus nicht in dem Ausmaß wie wir erlebt, sie kennen nichts anderes als den Online-Journalismus. Dieser ist kleinteilig, oft anlassbezogen, folgt keinen überschaubaren Trends wie früher die Verlagshäuser. Reine Recherchekollektive – wie „Correctiv“ in Deutschland – präsentieren tolle Ergebnisse von Investigativ-Recherchen, die dann ohne Kontext durch Internet irrlichtern oder in den gedruckten Medien aufbereitet werden und kaum politische Wirkung entfalten, weil sie in keinen Zusammenhang eingebettet sind.

Das ist, weltweit, eine völlig neue „Pressewelt“, die sich nicht nur in ihren Distributionsformaten entscheidet, sondern auch in den Geschäftsmodellen, soweit vorhanden, vor allem aber in der Haltung ihrer Macher, über die sich nichts einheitliches sagen lässt.
Die Frage nach den Herstellungsbedingungen von Journalismus hat sich damit völlig neu gestellt. Klar ist, die  fest dotierten Anstellungsverträge, die geschützten Räume, die mühseligen Produktionsstadien von Check und Gegencheck, über Dokumentaion, Korrektur, Schlußredaktion,  die notwendig sind, um Qualität herzustellen – das geht alles zurück, niemand will mehr bezahlen dafür.  Die Online-Qualität ist eine andere, lässt sich nicht an Printmaßstäben messen.  Vielleicht sogar eher an Demokratie-Maßstäben. Wir wissen es nicht, der MAC schon gar nicht.

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