Karl, Du hast recht – Raus zum 1. Mai

Der MAC ist immer ganz gut beschäftigt und sei es nur, der Depression davon zulaufen, davon zu radeln, davon zu arbeiten. Und wenn er es mal nicht ist, gut beschäftigt, guckt er, als Ausdruck höchster Langeweile und tiefster Verzweiflung, am Laptop, na ja, kann schon vorkommen, Maischberger. Eine dazu selbst gereichte Gulaschsuppe aus der Dose (Inzersdorfer, gibt´s jetzt auch in Hamburg!), alternativ ein in den Backofen geschobenes Schlemmerfilet (Bordoläs) machen das Suhlen im Elend perfekt. Heissa! Schauder, Schluchz, vor allem aber: Igitt!
Der MAC kennt viele, die Maischberger gucken und dauernd irgendwas erzählen daraus, auch solche, Intellektuelle, von denen er es nicht gedacht hätte – aber zu denen will er auf keinen Fall gehören. Ältlich!
Und so war es gekommen, der MAC sieht in der Sendung vom Vortag die wunderbare Svenja Apphuhn, Bundesprecherin der Grünen Jugend, die sich als offensichtliche Linke unter den Grünen schön langsam unwohl fühlen muss, in einem von Maischberger angeleiteten Talk mit Wolfgang Kubicki von der FDP.

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Svenja Apphuhn, Sprecherin der Grünen Jugend, für die heutigen Grünen zu links, oder?

Augenbrauen hoch, Daumen runter

Es geht um die durchgeknallten FDP-Vorschläge zur Sozialpolitik und Apphuhn macht es wirklich toll, das Thema UNGLEICHHEIT anzusprechen, in kurzen, klaren, pfeilschnellen Sätzen, ein paar Zahlen parat, die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer …  „Das Problem, an dem die Ampel ja eklatant scheitert, ist es, die Ungerechtigkeit in diesem Land zu beseitigen“, trägt sie vor. „Im Krisenjahr 2022 sind die reichsten 100 Deutschen 58 Milliarden Euro reicher geworden – und auf der anderen Seite erlebt die breite, arbeitende Masse in diesem Land die ärgsten Reallohn-Einbußen seit dem Zweiten Weltkrieg.“
Wenn wir (wer ist jetzt wieder „wir“?)  jetzt noch nacherzählen, wie Moderatorin Maischberger auf die Attacke der Grünen reagiert, nähern wir uns auch schon dem, was hier gesagt werden soll: „Gut, das bezieht sich jetzt auf den Inhalt, ich meinte jetzt mehr die Art und Weise, in der Ampel miteinander umzugehen“, unterbricht Maischberger und nimmt damit das Thema aus dem Talk, in einer herrschaftsidentifizierten, „Augenbrauen-hoch-Daumen-runter“-Arroganz, wie man sie am Thalia Theater nicht banaler zeigen könnte.
Die ganze abscheuliche Brutalität des Neoliberalismus (gibt immer noch keinen besseren Begriff) blitzt hier auf, in diesem Moment, in diesem pretty face der Moderatorin – oder ist der MAC da überempfindlich?
Klapp ZU, machte der MAC. Das ist der Vorteil am Laptop-Gucken, den Bildschirm runterklappen ist ein haptischeres, demonstrativeres, irgendwie auch plötzlicheres, emotionaleres Ausschalten als die träge Aus-Taste auf der Fernbedienung, wenn man die überhaupt findet.

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Sandra Maischberger, das pretty face des Neoliberalismus, der diskrete Charme der Herrschaft

Ungleichheit, Mann, das törnt so ab!

Die Behauptung der Ungleichheit will in Deutschland niemand hören, seltsamerweise auch nicht die, die davon betroffen sind – der Eindruck kann schon mal entstehen, wenn man sieht, wie auch Linke nicht unbedingt damit weiterkommen, wenn sie den Kampf gegen die Ungleichheit (selbst wenn sie nicht „Klassenkampf“ sagen) in den Vordergrund stellen. Unwahrscheinlich, dass sich Svenja Apphuhn bei den Grünen mit ihrer Haltung lange wird halten können.  Der Kampf gegen Ungleichheit bringt keine Mehrheiten, heißt es, und die SPD ist in den letzten Jahrzehnten mit einem wirtschaftsfreundlichen Kurs immer besser gefahren. Die Ungleichheit, die fasst man besser nicht an, daran sind schon viele gescheitert. Alle, um genauer zu sein. Warum wohl?
Der MAC hätte da einen Verdacht.
Klar gab es in den letzten Jahrzehnten eine Umverteilung zugunsten der abhängig arbeitenden Bevölkerung, als Ergebnis geführter Klassenkämpfe durch die Gewerkschaften. Aber der sind Grenzen gesetzt. Die amerikanische “Kuznet-Kurve”, die seit den 50er Jahren eine bestimmende wirtschaftspolitische Grundlegung des westlichen Kapitalismus war („Wachstum ist eine Flut, die alle Boote nach oben trägt“) greift nicht mehr in Zeiten geringen Wachstums, wo es weniger umzuverteilen gibt – und in Zeiten, in der das Wachstum in seiner lebensgrundlagenzerstörenden Dimension ganz allgemein in Frage steht. 

Doch selbst wenn ihre den Zusammenhalt und damit die Entwicklung der Gesellschaft zersetzenden Effekte bekannt sind und auch nicht bestritten werden, ist Ungleichheit in Deutschland kein Thema  – in der MASCH jedoch sehr wohl, kann der MAC berichten. In der Abendschule sagt man sich, die ökonomische Analyse ist nicht alles, aber ohne die ökonomische Analyse ist alles nichts, hugh, wir haben gesprochen. https://www.masch-hamburg.de/

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Retter des Marxismus, selber eher linker Sozialdemokrat: Thomas Piketty, Ökonom, Professor an der Pariser Elitehochschule École des Hautes Études en Sciences Sociales, hat “Das Kapital” nachgerechnet

Raus zum Frühlingslüftlein

Die soeben genannte Kuznet-Kurve wird in Thomas Piketty´s  großem Werk „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ besprochen, zu dem die MASCH gerade einen Lesekurs abhält. Piketty hat, eingebettet in ein internationales wissenschaftliches Netzwerk, für die inzwischen zwei Bände seiner Untersuchungen die große Aufgabe vollbracht, Marx sozusagen nachzurechnen, mit modernen Mitteln der Datenerfassung, die Marx in den 1860er Jahren, als er am „Kapital“ schrieb noch nicht zur Verfügung standen, wenn er in Bibliotheken sass und Ziffern händisch übertrug.

Obwohl auf schmaler Datenbasis erstellt, so Pikettys Befund, ist Marx´ Erkenntnis richtig, daß wachsendes Kapital nicht proportional zu einem wachsenden Einkommen der arbeitenden Bevölkerung führt, sondern nur zu höherer Ungleichheit. Es gibt in der Geschichte temporäre Ausnahmen, aber grundsätzlich ist es so.  Ungleichheit und damit Ungerechtigkeit ist ein kapitalistisches Prinzip, das nun schon mehr als 200 Jahre überdauert.

Piketty benutzt die Formel r > g, wenn er nachweist, daß die in dem von ihm untersuchten Ländern dauerhaft und bis zum heutigen Tag die Kapitalrendite (das r) über der Wachstumrate g liegt, die das jährliche Wachstum von Einkommen und Produktion bezeichnet. Mit ein Faktor, den Marx noch nicht sehen konnte, ist, daß sich die ererbten Vermögen schneller vergrößern als Produktion und Einkommen, so dass die Erben nur einen kleinen Teil ihrer Kapitaleinkommen sparen müssen, damit ihr Kapital schneller wächst als die Gesamtwirtschaft.

Raus zum 1. Mai! Das wirkt jetzt etwas billig. Der MAC will damit nur sagen, dass er sich aus der allgemein guten Kenntnislage heraus auf das Frühlingslüftlein um die Nase freut, angesichts toller grüner Genossinnen wie Svenja Apphuhn fast seinen Frieden mit den Grünen macht (naja FAST) – und seit kurzem wieder von der taz begeistert ist, die einen SUPERGEILEN Kommentar zum Thema Ungleichheit gedruckt hat – und damit ein klein wenig auf den Pfad der Tugend zurückkehrt.

Thomas Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert, C.H. Beck Verlag, 815 Seiten, 20,00 Euro

Wir sollten mal wieder über die Klassenfrage reden

Von Gunnar Hinck *)

Zwei Meldungen schafften es diese Woche nicht in die „Tagesschau” und blieben auch sonst ziemlich unbeachtet: Die DAX-Unternehmen schütten an ihre Aktionäre eine Rekordsumme von 54 Milliarden Euro an Dividende aus. Und die Bundesbank berichtet in ihrer neuen Vermögensbilanz, dass die Ungleichheit in Deutschland wieder angestiegen ist. Trocken notiert die Bundesbank: „Insgesamt bleibt die Vermögensungleichheit in „Deutschland […] recht hoch – auch im internationalen Vergleich.”

Die alte Frage „Wer besitzt?” spielt auch in linken Kreisen großenteils nur noch eine untergeordnete Rolle. Identitäts- und Gesellschaftsthemen stehen oben. Wenn es was Neues zum Genderverbot an bayerischen oder hessischen Schulen gibt, weiß ich um 9 Uhr als Meinungsredakteur: Gleich kommen die empörten Kommentarangebote. Bei Verteilungsthemen ist es viel schwieriger, einen Kommentarwilligen oder einen freien Platz zu finden.

„Links” befindet sich in einer Pendelbewegung: In den 1970er Jahren haben westdeutsche Linke alles durch die marxistische Brille gesehen; Themen wie der Feminismus wurden als „Nebenwiderspruch” abgetan. Das war zu einseitig. Inzwischen ist das Pendel in das andere Extrem ausgeschlagen: Der Kulturkampf hat den Verteilungskampf abgelöst. Ersterer ist zweifellos wichtig, er beschäftigt die Leute – aber stimmen die Proportionen noch?

Die Frage, wer besitzt und wer nicht, entscheidet über Einfluss, Lebenschancen und Lebensqualität. Und sie ist eine massive Gerechtigkeitsfrage. Es wäre schon viel gewonnen, wenn nur 20 Prozent der Energie der Erregung über irgendwelche Ausladungen und offene Briefe im Gazakontext in eine Empörung über materielle Skandale fließen würde, die, anders als die Erregung über Nancy Fraser und andere, ganz sicher noch in einem halben Jahr existieren: dass Kapital in Deutschland so extrem ungleich verteilt ist; dass man durch Vermögen anstrengungslos noch reicher wird, während die Lohnabhängigen im Hamsterrad hängen; dass Kapitalerträge oder Erbschaften viel weniger besteuert werden als das, was man durch eigener Hände Arbeit verdient.

Was Karl Marx nicht ahnen konnte: die Größe und die ambivalente Rolle der Mittelschicht. Die Angehörigen der Mittelschicht sind meist lohnabhängig, aber oftmals zu „Komplizen” des Anlegerkapitalismus geworden, wie der Soziologe Oliver Nachtwey das mal nannte. Wer sein bürgerliches Leben zu erheblichen Teilen auf Kapitaleinkünften oder einem zu erwartenden Erbe aufbaut, wird eine Vermögen- und eine vernünftige Erbschaftsteuer eher nicht so gut finden. Oder als erbender Linksbürgerlicher in der Verteilungsfrage mit schlechtem Gewissen stillhalten und sich stattdessen auf Gesellschafts- oder Identitätsthemen verlegen.

Natürlich ist es schwieriger, die Bedeutung von wirtschaftlichen Zahlen zu erkennen, als sich über die erwartbare Bemerkung einer CSU-Politikerin zum Paragrafen 218 aufzuregen.

Wahrscheinlich ist das Ungleichheitsberichterstattungsbusiness auch einfach zu routiniert. Es reicht nicht, Jahresberichte nachzuerzählen und als kritische Stimme den Sozialverbandschef Ulrich Schneider (den mit den großen Koteletten) zu interviewen. Wie wäre es, nur so als Beispiel, eine Reise von Mietern des Wohnungskonzerns Vonovia/ Deutsche Wohnen nach Oslo zu organisieren und auf dem Rathausplatz eine zünftige Demo zu organisieren? Euren Wohlstand bezahlen wir!

Warum Oslo? Der norwegische Pensions- und Staatsfonds, in dem die gewaltigen Öleinnahmen des Landes stecken, ist der größte Einzelaktionär von, genau, Vonovia. Norwegische Rentner, denen es ohnehin schon ziemlich gut geht, können also ihre Edelstahleinbauküche in ihrem Ferienhaus dank der Vonovia-Mieterhöhungen finanzieren – es ist nicht immer nur der böse Kapitalist, der von der großen globalen Umverteilung von unten nach oben profitiert. Aufmerksamkeit wäre garantiert, im reichen Norwegen ist man Sozialdemos nicht so gewöhnt. Ich wäre auf der Demo dabei, ich male auch die Plakate.

*) Der Beitrag erschien in der Rubrik „Durch die Woche“ in der wochentaz am 20. April, Seite 14

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