PorYES

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Pornografie ist ein großes Thema, gewiss, aber was genau daran eigentlich? Die Literaturwissenschafterin Madita Oeming bereichert das seit Ende der 80er Jahre bestehende Genre der Porn Studies um eine toll gemachte Übersicht, die mit großer Gründlichkeit so gut wie alle Aspekte um die „Alltagskultur“ der Pornographie abhandelt. Oeming ist im großen und ganzen eine Befürworterin der Pornografie und ein wenig wirkt ihr Buch, als wolle sie ihre LeserInnen mit nur allen denkbaren Argumenten ausstatten, um in PorNO-Debatten zu bestehen. Um Alice Schwarzers Kampagne für Verbote um die Pornografie  ist es zwar ruhig geworden, bei Instagram, Facebook und TikTok ist P-O-R-N-O aber eine Buchstabenfolge, die der der Logarithmus sofort rausfiltert.
„Nicht etwa wegen Bildern oder Nacktheit“, schreibt Oeming, sondern wegen fünf Buchstaben, die aneinandergereiht gesellschaftlich dermaßen aufgeladen sind, dass sie wie ein ungezähmtes Tier eingesperrt werden müssen.“

Ist das so? Ist Pornografie noch von einem Tabu umgeben, gegen das Oeming glaubt, angehen zu müssen? Oder kämpft sie mit allem Aufwand an Quellen und Recherche einen Kampf gegen Windmühlen, weil Pornografie etwas ist, das sich nicht so richtig greifen lässt. Für ihre Nutzer selbst am wenigsten, die gar nicht erklären können, was an Pornos so verführerisch ist, dass es schwer ist, davon zu lassen. Die Pornografie selbst kann schwer zum „rationalen“ Thema gemacht werden und ähnlich schwer aufklären lassen sich die Fragen des gesellschaftlichen Umgangs mit den Pornos (Markt, Vertrieb, Verbote …), die im Nebel der Ideologie liegen. Am Ende mutet ein PorYES doch ähnlich lächerlich an wie ein PorNO, oder täusche ich mich?

Omas als Pornostars

Pornografie schade der Jungend, hieß es seit ewiger Zeit, aufwendige und fast immer wirkunglose Massnahmen des Jugendschutzes wurden etabliert, die obsolet geworden sind in Zeiten des Internet. Doch bis heute lässt sich nicht schlüssig nachweisen, worin dieser Schaden bestünde. Pornografie beute ihre Darsteller aus, hieß es ebenso lange – heute sehen wir einen Produzentenmarkt, der zu immer größeren Anteilen von Amateuren und Privaten definiert ist, die sich (viele sicher gerne) zu Schau stellen, um damit ein Zubrot zu verdienen. Pornografie verbreite schreckliche Rollen- und Frauenbilder, ist eine weitere Vorstellung – dagegen spricht das schnell wachsendes Genre des „Granny Porn“, in dem sich oft weit über 60jährige beim Sex zusehen lassen, und Zuseher finden in einer gleich alten Altersgruppe, die mit den Silikonbrüsten in der Hollywood-Pornografie nichts anfangen können.
Auch dass Pornografie schmuddeliger Kram schmuddeliger Männer sei, stimmt nicht mehr so ganz.  Der Anteil an Frauen (fitten, attraktiven!), die Pornografie nutzen, steigt, unter dem Begriff „Fem Porn“ entwickelt sich ein spezifisch „weiblicher“ Porno-Stil (ja, softer, ästhetischer …an die Dove Werbung erinnernd) – sicher noch kein Massenmarkt, aber doch ein Zeichen, dass Pornografie kein Getto des oft harschen und menschenverachtenden männlichen Blicks bleiben muss.

Immer mehr masturbierende Männer

Mit viel Schwung entmystifiziert Oeming die Sagenwelt um die Pornographie, um am Ende – ein wenig mit leeren Händen dazustehen. Es kann ja gar kein Zweifel bestehen, dass unter Menschen eine grosse Nachfrage nach Pornografie besteht, im Buch finden sich auch all die eindrucksvollen Zahlen wie die der Plattform pornhub mit 100.000 Nutzern pro MINUTE weltweit – aber wozu genau brauchen Menschen eigentlich Pornos? Und wieso ist der Bedarf noch weiterhin wachsend, so dass jede noch so dubiose Video-Klitsche ihre Kunden findet.

Man könnte sagen, dass es auf der Welt ein extremes Überangebot an männlicher Potenz oder zumindest männlicher Erektions- und Ejakulationsfähigkeit gibt, befördert zum einen durch die immer längere Lebenserwartung und zum anderen durch Medikamente wie Viagra, die eine sexuelle Aktivität bis ins hohe Alter ermöglichen und damit auch den Wunsch danach stimulieren. Wer „kann“, der will auch, getragen auf den Schwingen der Altersgeilheit.
Da all diese überschüssige Potenz keine natürlichen Abnehmer findet – kulturell haben wir hier das Phänomen des älteren Mannes, nach dem keine sexuelle Nachfrage mehr besteht – wird sie mit Masturbation abgeführt, der heute sicher häufigsten Art der sexuellen Betätigung – bei der pornografisches Material zur Simulation genutzt wird. Der Gedanke ist durchaus unheimlich, wieviele Männer rund um den Erdball jede Minute des Tages onanieren (und wieviele Hektoliter Sperma dabei produzieren; solche Daten fehlen noch!). Bei älteren Frauen könnte der Bedarf ganz ähnlich aussehen, denn auch sie sind schwer vermittelbar am Markt der Partner.

Mehr als ein Drittel der gesamten Internet Kapazität wird für Pornogucken genutzt, mit entsprechendem Strombedarf auch auf den Servern – zuletzt gab es eine Initiative, die aus Klimagründen einen „pornofreien Tag“  forderte.  Die extrem hohen Nutzungszahlen kommen durch das vom Überangebot an Videos angeregte Surfen von Plattform zu Plattform zustande und die immer bessere Verschlagwortung der Videos nach sexuellen Details. Die Suche, nach – Erlösung? – wird immer besser und genauer, braucht aber auch immer mehr Nutzungszeit vor dem Bildschirm, die von den Anbietern und Plattformen vermarket wird.

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Autorin Madita Oeming will die Debatte um Pornografie versachlichen. Geht das?

Ist es überhaupt wünschenswert, dass Pornos „normal“ werden?

Über die, die den Markt erst möglich machen, die Nutzer und ihre Motive hätte ich gerne mehr erfahren. Gibt es andere, als die Masturbation?  Was bedeutet die ruhelos „Jagd“ durchs Internet nach irgendwelchen Einstellungen, die am Ende zur Erleichterung führen sollen? Wodurch genau stimulieren Videos? Ist der Reiz, der von einem Video ausgehen kann, überhaupt stark genug, um einen Mann zur Ejakulation zu bringen – oder sind zur Masturbation nicht längst Online-Formate mit realer Beteiligung wie Videochats wichtige geworden. Welche Funktion bleibt dann der darstellenden Pornografie?
Oeming plädiert stark für eine Enttabuisierung, für eine Normalisierung der Pornografie, will sie zum Beispiel in die Partnerschaft integrieren zur gemeinsamen Simulation – und den Mann aus seiner Heimlichkeit befreien, wenn er spätabends alleine vor dem Rechner hockt und beim Ausschalten die benutzen Links sorgfältig aus dem Verlauf löscht.

Es könnte aber auch sein, dass Pornografie ihren Reiz verliert, wenn sie so harmlos wird wie Physiotherapie. Ich denke, eine bestimmter Verbotsgrad, eine Aura der Grenzüberschreitung und der Heimlichkeit müssen erhalten bleiben, wenn Pornografie interessant bleiben soll. Auch Scham- und Schuldgefühle gehören zur Sexualität und lassen sich nicht per „Erlaubnis“ abschaffen. Schließlich konfrontiert sich der Mensch mithilfe der Pornografie mit unbewussten, fremden Seiten – und will während dieser Entdeckungen vielleicht lieber alleine sein. Oeming erklärt das selbst sehr schön, wenn sie das Gefühl beim Zuklappen des Computers nach dem Orgasmus beschreibt: es ist nichts fremder und weiter weg, als das, wozu gerade masturbiert wurde.

Madita Oeming, Porno – Eine unverschämte Analyse, Rowohlt Polaris, Hamburg, 2023, 252 Seiten, € 20,00

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