Zwei Arten von Unmenschlichkeit

Offener Brief an die taz

Liebe Redaktion der taz!

Die taz war seit 1978, dem Jahr, als sie bei TUNIX in Berlin vorgestellt wurde, „meine“ Tageszeitung. In den letzten Wochen bin ich nicht mehr sicher, dass das so bleiben wird. Zunächst mal habe ich ein Probe-Abo der „Jungen Welt“ bestellt.  Wahrscheinlich auch nicht die ideale Zeitung, sie ist aber frei von pauschalen Beschimpfungen „der Linken“ als antisemitisch, wie ich sie in der taz jetzt zu oft finde.
Die kampagnenhafte Intensität, in der dies erfolgt, kann ich mir nur aus dem bekannten linken Selbsthass erklären. Eher sollte die taz ein Medium sein, dass „uns“ davor bewahrt, uns selbst zu schwächen. Wie die ungleiche Allianz aus „Spiegel“, Grünen und Sahra Wagenknecht bewegt sich nun auch die taz in die Mitte und scheint sich ihrer Herkunft zu schämen. Warum nur? In der aktuellen politischen Situation, in der die radikale Rechte immer mehr an Akzeptanz gewinnt, wäre die Aufgabe der taz eher, die Linke entschlossen zu unterstützen und in ihrer Vielfalt abzubilden.
Darum scheint es in der taz aber gar nicht mehr zu gehen. Ihre Agenda ist plötzlich deckungsgleich mit der „Staatsräson“. Gedruckt wird, was in die Linie passt, den „Antisemitismus der Progressiven“ anzuklagen. Da die Zeitung inzwischen dem Beispiel bürgerlicher Qualitätszeitungen folgt und fast durchgängig feuilletonistisch geschrieben ist, kommen Beiträge oft mit wenigen Fakten aus, sind persönlich gehalten, emotional und suggestiv.
„Schmerzensschreie können von uns gehört und beantwortet werden, nur können sie keine höhere Autorität für sich beanspruchen als durchdachte Argumente“, schreibt Susan Neiman in ihrem Buch „Links ist nicht woke“.  Dies zu bedenken, würde ich manchen taz-Autoren empfehlen.

In der Wochen-taz  vom letzten Samstag (4.11.) sind gleich zwei Beiträge erschienen, die verdeutlichen, was ich meine. Im ersten Text, „Der Antisemitismus der Progressiven“ (Seite 03 von Ulrich Gutmair),  wird zunächst ein „Teil der deutschen Jugend“, die „Annikas, Thorbens, Sophies und Finns“ (was ist mit der Wahl der Namen gemeint?) beschimpft, weil sie „krakeelen“ (!), „Palästina müssen von deutscher Schuld befreit werden“.
Daraufhin wird Slavoj Zizek als Beispiel für den antisemitischen „Progressiven“ vorgeführt und zunächst zitiert: „Die Deutschen versuchen sich von ihrer Schuld zu entlasten, in dem sie israelisches Unrecht an einer anderen Gruppe befürworten. Die deutsche Besessenheit auf der richtigen Seite zu stehen, bekommt eine dunkle Seite“.
Direkt an das Zitat hängt Gutmair die kraftmeierische Behauptung: „Nichts an diesen zwei Sätzen ist richtig.“  Das macht natürlich was her – und würde noch mehr hermachen, wenn es im folgenden auch nur halbwegs nachvollziehbar begründet würde. Wird es aber nicht. Sondern es geht im Stil der Beschimpfung unter Unterstellung weiter – mit der polemischen Frage: „Interessieren sich diejenigen unter den globalen Progressiven, die das Progrom der Hamas als Akt der Befreiung feiern, für das Leben realer Palästinenserinnen und Palästinenser? Nein.“  HALT! 
Wird nachvollziehbar, was an diesem Stil so unerträglich ist? Ich kann für mich, und ich denke für alle meine linken Freunde, sagen: Nein, wir feiern die Anschläge vom 7. Oktober NICHT als Befreiung. Und Ja, wir interessieren uns für das Leben realer Palästinenserinnen und Palästinenser.  Wir fragen aber die taz:  Was soll das? Wir wollen uns von unserer Zeitung nicht beschimpfen lassen. Was soll damit bewirkt werden?

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In derselben Ausgabe auf Seite 40, gibt es als Aufmacher der „Kultur“ einen weiteren Beitrag („Von der Unmöglichkeit weiterzumachen“, von Deborah Hartmann und Tobias Ebbrecht-Hartmann) praktisch desselben Inhalts.  Hier wird nur psychologischer argumentiert. Es geht darum, lässt sich zusammenfassen, zu begründen, warum das Leid der Israelis höher zu bewerten sei, als das Leid der Palästinenser, wie es die „deutsche Staatsräson“ ja auch vorsieht. Auch der Text schwurbelt vor sich hin, bevor er gegen Ende zu der Aussage kommt: „Den Schmerz anderer zu begreifen, kann nicht bedeuten die schmerzhaften Erfahrungen der einen dadurch auszublenden, dass man im nächsten Atemzug reflexhaft auf das Leiden der anderen umschwenkt.“ Reflexhaft? Unterstellung!
Wieder NEIN. Für uns Linke ist das Leid nicht teilbar und nicht das eine Leid gegen das andere abzuwägen. Wir dürfen davon nicht abrücken, jedes Menschenleben ist gleich viel wert.
Gegen Ende verirrt sich der Text in einer Art Beschwörung, nur die eine Emotion als richtig erscheinen zu lassen: „Diese Form der Kontextualisierung (gemeint ist: „der Hinweis auf die Opfer unter der palästinensischen Zivilbevölkerung“) führt zum glatten Gegenteil eines universellen Humanismus und ist schließlich nicht mehr in der Lage die spezifische Qualität von Unmenschlichkeit“ zu unterscheiden.“   Also, zwei Arten von Unmenschlichkeit, so ist es wohl gemeint.

Wie „unmenschlich“ und fundamental gegen menschliche Grundregungen wie „Trauer“ diese Theorie  gerichtet ist, möchte ich an einem etwas simplen, aber sicher nicht ganz falschen Beispiel zeigen:  Eine Familie im Gespräch. Ein Großeltern-Paar ist bei einem Unfall ums Leben gekommen. Die Kinder sind traurig und zählen auf, was ihnen an den beiden Großeltern jetzt abgehen wird, es sind jeweils unterschiedliche Sachen, von ganz unterschiedlicher Qualität. Darauf werden sie von der Mutter zurecht gewiesen: „Das mag ja alles sein. Aber vergesst bitte nicht, über Omas Tod müsst ihr viel trauriger sein, denn sie hatte ihr ganzes Leben über schon so Schreckliches erlebt. Das müsst ihr immer berücksichtigen.“

Die taz hat schon viele Krisen überstanden, hoffentlich auch diese.

Dies wünscht, in Solidarität, Michael Hopp

Michael Hopp ist Autor und Journalist in Hamburg. Seine journalistische Arbeit begann er im „Neuen Forvm“ in Wien.  Als Chefredakteur betreute er so unterschiedliche Titel wie „Wiener“, „Männer Vogue“, „TV Movie“, „TV Today“ „TV Total“ oder „Fix und Foxi“. Er war Autor bei „Tempo“ und „Spiegel Reporter“. 2021 veröffentlichte er den Roman „Mann auf der Couch“. Hopp ist Mitglied der „Marxistischen Abendschule Hamburg (MASCH)“ und gründete jüngst den „Roten Salon Hamburg“, der am 5. Februar 2024 Susan Neiman („Links ist nicht woke“) in Hamburg begrüßt.

2 Kommentare zu „Zwei Arten von Unmenschlichkeit“

  1. Wenn jemand “wir” sagt, frage ich meistens: “wer ist wir?”. Wer also waere “wir Linke”? Zwei Erinnerungen fallen mir dazu ein: Ernst Jandl mir rinks und lechts, und der Scherz mit zwei Linken, die einander treffen. Was tun sie? Sie spalten sich.
    Und so wird aus dem “wir” du und ich. Ungenaue Begriffe helfen nicht.

    1. Danke für den Kommentar.
      Das „wir“ dürfen wir trotzdem nie verlieren, denn es ist das einzig denkbare Ziel.
      Nur „wir“ werden etwas schaffen.
      Deshalb verwende ich das Wort auch, wohl wissend, dass es die meisten wahrscheinlich so sehen wie Sie.
      Schönen Abend, Michael

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