Politischer Wunsch zum Neuen Jahr

Zum Jahresende wurde der Blog-Eintrag „Zwei Arten der Unmenschlichkeit“ vom 8. November 2023, in dem es um einen universalistischen Ansatz ging, die Situation um Gaza zu bewerten, wie folgt kommentiert. Es  war in dem Text von „wir Linke“ die Rede, wie die der MAC überhaupt oft die erste Person Plural benutzt, wenn von der (auch nicht besser) Linken die Rede ist.

„Wenn jemand “wir” sagt, frage ich meistens: “wer ist wir?”. Wer also waere “wir Linke”? Zwei Erinnerungen fallen mir dazu ein: Ernst Jandl mir rinks und lechts, und der Scherz mit zwei Linken, die einander treffen. Was tun sie? Sie spalten sich.
Und so wird aus dem “wir” du und ich. Ungenaue Begriffe helfen nicht.“
Anonymus

Der Kommentar wurde leider von „Anonymus“ abgesandt, ich denke aber, mit der Bezugnahme auf den Dichter Ernst Jandl, kommt er wohl aus Österreich. Als Schöpfer der „konkreten Poesie“ hat Jandl viel Grossartiges geleistet. Der Gag mit „rinks“ und lechts, wie ihn Anonymus zitiert, gehört aber eher nicht dazu, weil damit ziemlich reaktionär angedeutet wird, links und rechts seien verwechselbar, was noch in keinem Moment der Geschichte der Fall war und auch in Zukunft nicht der Fall sein wird. Ich vermute hinter solchen Witzen ein sich klug wähnendes Spießertum, dass ohnehin längst ins „Unpolitische“ abgezweigt ist.

Die etwas schnell hingetippte Antwort des MAC an den Anonymus lautete:

„Danke für den Kommentar.
Das “wir” dürfen wir trotzdem nie verlieren, denn es ist das einzig denkbare Ziel.
Nur “wir” werden etwas schaffen.
Deshalb verwende ich das Wort auch, wohl wissend, dass es die meisten wahrscheinlich so sehen wie Sie.“

Hinzuzufügen wäre vielleicht noch, dass es sich bei dem Wort  „wir“ keineswegs um einen ungenauen Begriff handelt. In der Politik ist damit meist das Schmieden von Allianzen gemeint, so wie in der Neujahrsausgabe der taz zu lesen war, „die Linke“ (aus Sicht von Anonymus ist das „die“ nicht besser als das „wir“, denke ich) solle sich nicht über die Einschätzung des Gaza-Konflikts zerfleischen, sondern lieber hierzulande „solide Allianzen“ bilden, um dem katastrophalen Rechtsruck vorzubeugen.

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ANIKA UND SOLISTENENSEMBLE KALEIDOSKOP präsentierten am 5. November 2023 in den Münchener Kammerspielen Nicos “Desertshore” Video: https://www.muenchner-kammerspiele.de/en/programm/25066-musik-solistenensemble-kaleidoskop-anika-present-nico-desertshore

Das mit dem „wir“ meine ich ernst. Es ist mein Bekenntnis, sozusagen. Und taugt damit heute auch zum Neujahreswunsch, ein unbscheidener Wunsch, nämlich, daß wir wieder „wir“ (und damit wer) werden. Was wären wir denn, wenn nicht WIR? Jede Solidarität und jede Veränderung basiert auf einem „wir“, das muss ich doch nicht erklären. Oder ist die Individualisierung und Vereinzelungskrankheit schon so weit fortgeschritten, dass es doch wieder erklärt werden muss? Susan Neiman, eingeladen für den „Roten Salon Hamburg“, erklärt in „Links ist nicht woke“ ganz wunderbar, warum Stammesdenken und Identitätspolitik, die Überbetonung von Geschlecht, Herkunft und Religion, in die politische Agonie führen. Lasst den ganzen Identitäsquatsch doch bitte den Rechten (da hat man übrigens die „Identitären“), da gehört das hin, auf den Müllhaufen der Geschichte.

“Scheiss auf Selflove, gib mir Klassenkampf” *

Ja, vielleicht müssen wir, wenn wir Klimagerechtigkeit haben wollen, mit ICHICHICH, Selbstliebe und „Individualität“ etwas zurückschrauben, auch mit dem Überkonsum. Die Instagram-Like-taugliche „Individualität“ ist ohnehin ein Betrug, weil sie „Persönlichkeit“ an den schrecklichsten Äusserlichkeiten festmacht (20 Mio. im Jahr geben Teenager für künstliche Fingernägel aus) – um den Preis der totalen Anpassung. Auch die Frage, ob die Wohnzimmer-Tapete genau den richtigen Farbton hat, wird vermutlich an Bedeutung verlieren, wenn die Immigranten vor der Tür stehen, weil es in ihren Ländern zu heiss geworden ist.

Ja, lass uns mehr Kommunismus wagen. Individuelle Luxusautos in Elektro zu bauen, wird den Ressourcenverbrauch nicht senken, was wir brauchen ist ein günstig herzustellendes, kleines E-Einheitsauto für die Massen, vergleichbar dem Nachkriegs-Käfer oder Trabi, im Mix mit kommunalen Angeboten. Und auch beim Wohnen wird andere Architektur als bisher gefragt sein: Der Plattenbau kommt zurück, weil sich die energieeffizienten Materialien nur im Formenbau wirtschaftlich gestalten lassen.

Aber am wichtigsten, lasst uns endlich dem Kapitalismus abschwören (und sei´s zunächst nur rhetorisch), der sich in letzter Zeit soviele nicht mehr wegzuleugnende oder schönzuredende Desaster erlaubt hat, dass es nur mehr eine durch und durch toxische Beziehung sein kann, die uns an ihn kettet.  Schaut doch mal, Freunde des Konsums, wie er gerade die Innenstädte schleift und nur Ruinen zurücklässt. Lasst sie uns wieder zu Stätten der Begegnung machen!

Voraussetzung ist aber immer das WIR. Dass wir einen Konsens erstreiten, wohin WIR wollen. Als Linke, als Gesellschaft. Dass wir in die Richtung zu gehen beginnen, das ist mein Neujahrswunsch. Und jetzt will ich noch – 1.000 ätzende Zuschriften, wie naiv ich bin!

* Buch von Jean Phillipe Kindler, eine Satirikers und Slam-Poeten aus Duisburg, bei Rowohlt. Hier eventuell satirisch gemeint, beim MAC hier superernst

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