Mittel gegen Depression

Der MAC hat eine depressionsfreie Zeit, wenn er in der Nacht mit dem Rad durch Hamburg fährt, zum Beispiel am Heimweg vom Café unter den Linden, über die Alster nach Sankt Georg.  Ganz ohne Alkohol, Drogen oder Medikamente, ohne Schokolade und ohne Sex.
Aus dem Treten der Pedale, das den ganzen Körper erweckt und das Gehirn mit Sauerstoff flutet, und dem wachsamen, geschärften Blick auf die nächtliche Stadt, ergibt sich ein einzigartiges Gefühl. Es verbindet Freiheit, Beweglichkeit, fast Grenzenlosigkeit –  mit Geborgenheit und Geschütztsein unter den Menschen hier, in all den Monumenten aus Stein, die jetzt wie UNSERE gemeinsame Festung wirken.
Es vereint Momente, die sonst unvereinbar scheinen, es bedeutet eine Freiheit, für die mal nicht der Preis der Einsamkeit fällig wird. Alles ist besser in der Nacht, milder, versöhnlicher, abgerechnet wird erst nach Sonnenaufgang.
Obwohl es dunkel ist, ist mehr zu sehen, obwohl ich alleine bin, bin ich nicht einsam – endlich lässt sich dieser Unterschied der Begriffe, dieser abgenudelte Gassenhauer jeder Therapiestunde, mit der Wirklichkeit eines Gefühls belegen.
Die Angst ist weg. Menschen, denen ich begegne, lösen keine Ängste aus, sondern sind flüchtige Geschöpfe der Nacht wie ich, dazu verdammt, ihre Erfahrung für sich zu behalten, weil sie sich nie treffen werden. Dunkle Gesellen sind eigentlich helle. Von Obdachlosen rede ich jetzt nicht, das wäre eine andere Geschichte.

unknown 4
Townes Van Zandt (1944-1997, Ikone der Schwermütigen, auf dem Cover seines dritten Albums “Towns Van Zandt” (1969)

Rumsitzen und aufs Sterben warten

Der folgende Text ist vor drei Jahren auf die Bitte von Walter Gröbchen in Wien entstanden, der ihn für ein Radioformat bestellt hatte, in der Autoren die Cover von Schallplatten vorstellen. Die Wahl des MAC fiel auf „Townes van Zandt“, das dritte Album des texanischen Songwriters, der nicht nur wegen seines frühen Todes eine Ikone der schwermütigen Menschen ist

Auf dem Cover sehen wir einen jungen Mann, wie er da sitzt,  schwarze, glänzende, längere Haare, aber nicht mit  Beatles-Pony, wie es in der Zeit aktuell war, sondern akkurat auf die Seite gekämmt, eher straight. Auch sauber rasiert.  Ein Hemd aus grobem Denim, die Ärmel hochgekrämpelt, der eine Unterarm liegt am Tisch auf, in die Hand des anderen ist der Kopf gestützt.
So sitzt der hübsche junge Mann an einem Holztisch, in absoluter Unschuld, banal, ohne eine Bedeutung, um die man sich groß kümmern müsste – wenn da nicht ein spannendes Detail wäre: Die Augen unter den schwarzen Augenbrauen hält der junge Mann geschlossen. Die sind zu. Es kann kein Schlaf sein, dazu sitzt er zu aufrecht – eher ein leichtes Dösen, vielleicht eine Meditation, ein nach innen Hören …

Das Foto auf dem Cover hat über die geschlossenen Augen hinaus nichts Innerliches, nichts Gefühliges. Der Künstler sitzt hier sinnierend in einer Art Küche, von der man nicht den Eindruck hat, dass es seine ist, denn sie ist auf eine ganz und gar künstliche Art aufgeräumt, eher Kulisse ist als wirklich bewohnter Raum. Jeder Gegenstand wird hier in den Rang der Dekoration erhoben, selbst die kleine Schale auf der Tischplatte, in der eine halb gerauchte, erloschene Zigarette liegt. Von der Decke des Raums hängen Siebe, Töpfe, Porzellanschalen, Kuchenformen, Pfannen, ein Bräter für Spiegeleier und ein edel wirkende Nudelwalker mit der Rolle aus Porzellan.

Unser Künstler jedenfalls verschließt vor all dem die Augen, und weil er die Augen geschlossen hält und damit etwas unlebendig wirkt, macht er sich ganz und gar zum Teil dieses Dekors. Es ist eine Gleichgültigkeit, die hier spürbar ist, jedenfalls aber etwas Passives, das Gegenteil von Rockmusik, das Gegenteil von Auftrumpfen, eher das Teilen von Wehrlosigkeit und Ratlosigkeit.
In den Liner Notes der auf dieses Album folgenden Platte, steht zu lesen: „Am Ende ist das Leben eine private Sache. Wir können nicht wissen, was der andere fühlt. Das Erklären endet schon sehr früh. Okay, wir sehen, was wir sehen, wir hören, was wir hören und wir lesen, was wir lesen. Aber über den Rest sind wir völlig ahnungslos.“

Nein, ich hatte das Album nicht wegen des Covers erworben, damals, vor 25 Jahren,  sondern war gerade dabei, mir ein paar Platten von dem Künstler zusammenzukaufen. In einem Hamburger Laden fand ich eine kleine Kollektion aus einer offenbar sehr gut gepflegten Sammlung, keine Erstauflagen, aber nur 10 Jahre jüngere Nachpressungen, nach einem Wechsel des Labels.
Das hier besprochene Cover sagte mir zunächst gar nichts, ich fand es irgendwie uncool und machte mir zunächst auch nicht die Mühe, es zu entschlüsseln. Wenn die Musik darauf nicht so großartig wäre und ich es deshalb über die Jahre nicht immer wieder aus dem Regal gezogen hätte, hätte ich das Cover gar nicht mehr angeschaut.

Doch mit den Dutzenden, vielleicht hundert Malen, die ich es in die Hand nahm und dem Foto darauf immer mehr Beachtung schenkte, begann sich das Bild zu entfalten und auf meiner Seele Schatten zu werfen. Heute würde ich sagen, dass das Cover-Foto die nach innen gerichtete Grundhaltung des Künstlers zeigt, das In-sich-hineinhören, nicht das Erobern der Welt, sondern das Versinken in ihr. Was er dabei findet, steht im größtmöglichen Kontrast zu der aufdringlichen Harmlosigkeit und Putzigkeit der seltsamen Küche. Denn die Songs dieses Künstlers sind nicht symbolisch, mystisch oder introvertiert, sondern im amerikanischen Stil immer auf das Storytelling aus, in Musik und Text so konkret wie möglich, so knapp wie möglich – es ist das einfache Erzählen über Menschen, über andere Menschen, zu denen sie in Beziehung sind, über die Landschaften in denen sie leben und über die Dinge, die ihnen wichtig sind.
Eine Art der Realitätsverarbeitung, die einem das besprochene Cover praktisch aufzwingt, will man es lesen lernen. Auch ich musste mich für die kurze Beschreibung hier beschreibend  durch eine ganze Menge an konkreten Gegenständen wühlen – Siebe, Töpfe, Porzellanschalen, Kuchenformen, Pfannen, ein Bräter für Spiegeleier – bevor ich mich dem Menschen nähern konnte, der sich aber dann ganz anders verhielt oer eben nicht verhielt, als aus seiner Umgebung zu erwarten wäre … und schon habe auch ich eine ganze Geschichte – oder bin ich einer falschen Spur gefolgt? Unter dem Foto steht nur recht klein der Name des Künstlers, Townes Van Zandt.

Der großartigste Song auf dem Album ist übrigens „Waiting Around To Die“. Abhängen und auf Sterben warten. Nun stellen Sie sich vor, welche Wirkung das Foto entfaltet hätte, wenn der Titel des Songs darauf gestanden hätte … Dann wäre der hübsche junge Mann, wie es im Text des Songs heißt,  gerade aus dem Gefängnis gekommen und knapp davor, sich aufzuhängen. In der Puppenküche. So kann´s kommen.

„Townes Van Zandt“ ist das dritte Studioalbum des US-amerikanischen Songwriters Townes Van Zandt, erschienen 1969 bei Fat Possum Records. Das Cover des hier beschriebenen Reissue von 1978 trägt das Label The Tomato Musik Company.  „Townes Van Zandt“ ist das erste „richtige“  TvZ-Album, das den Vorstellungen des Künstlers entsprach. Er nahm dafür vier Songs von seinem Debutalbum von 1968 neu auf, darunter den ersten Song, den er je geschrieben hatte: „Waitin´Around To Die“.  Der Texaner starb 1997 im Alter von 42 Jahren nach einer Hüftoperation und einem Herzinfarkt, vor allem aber den Folgen eines selbstzerstörerischen Lebensstils.

Aufstand der von sich selbst Entfremdeten

unknown 8
Disney-Film “Wish”: Die Revolutionärin Sasha organisiert einen Aufstand gegen den König des magischen Königreichs Rosa, der dem Volk seine Träume stiehlt

Der MAC hat ein besondere Liebe zur Welt der Comics, Cartoons und Animationsfilme, kein Zufall, dass er in der Mitte seines Lebenswegs in die auch für ihn selbst unerwartete, erfreuliche Situation gekommen war, den deutschen Comic-Klassiker „Fix und Foxi“ neu aufzulegen. In der eigenen Kindheit und später als Vater von Kindern verfolgte er über Jahrzehnte mit anhaltender Begeisterung die Filme aus der Disney-Produktion, die seit den 70er Jahren verlässlich jedes Jahr mit einem neuen Werk herauskamen und immer neue Rekorde brachen. Die Geschichten waren gut, die Innovationskraft ehrfurchtgebietend, mit der das Genre immer weiterentwickelt wurde und für eine Zeit den Abstand zu den anderen Studios immer vergrösserte. Höhepunkte dieser „Meisterwerke“-Reihe war „König der Löwen“ (der 32. Film, von 1994), der dann auch in der ersten Psychoanalyse des MAC ausführlich besprochen wurde (auch die Analytikerin war ein Fan), mit gutem Ertrag.

Das ist alles lange her. In den 2000er Jahren begannen, zunächst schleichend, Qualität und Erfolg nachzulassen, der Versuch, Klassiker wie „101 Dalmatiner“ oder „Arielle“ als Realfilme wieder aufleben zu lassen, scheiterte. In den 2020ern nun, wenn der MAC schon Großvater ist und seine Enkeln die nachwachsende Zielgruppe wären, haben sowohl das Thema „Kinoevent“ aber auch die Marke Disney bei den ganz Kleinen, die in den Jahrzehnten davor Generation für Generation immer wieder gewonnen wurden, noch weiter an Strahlkraft verloren. Zum 100. Jubiläum von Disney sollte das nun anders werden – und der Film, der es richten sollte, kam vor Weihnachten ins Kino und heißt „Wish“, Wunsch – eigentlich kein spannender Titel für einen Kinofilm, traurig, dass man sowas bei Disney nicht mehr weiß.

Nachdem der MAC zwei, drei Jahre lang die neuen Disney-Produktionen ausgelassen hatte,  fand er sich jetzt im Weihnachtsurlaub mit der sechsjährigen Enkelin in Münchner Royal Kino wieder, um mit ca. 30 anderen (nicht viel an einem Weihnachtsferien-Nachmittag) „Wish“ anzusehen.
Der Film ist absolut unerheblich und erzeugte weder beim MAC noch bei der Enkelin irgendeinen emotionalen Widerhall, andere Gäste verließen sogar vor Ende den Saal. Für den MAC war das zunächst ein irritierendes Gefühl, weil er über Jahrzehnte für die Gefühligkeit der Filme ansprechbar gewesen war, der aufwändig erzeugten Illusion irgendetwas für sich Wahres oder Tröstendes abgewinnen konnte – so irritierend, dass er es zunächst dem eigenen Zustand zuschrieb, nur er verschließe sich bzw. sei verschlossen, nach der oft gebrauchten Logik, der Depressive werde geliebt, aber er spüre es nicht. Aber auch an dem eher angestrengten Ausdruck der mehr als 60 Jahre jüngeren Enkelin war zu erkennen, dass der Film mit seiner müden Optik, den schwachen Songs, vor allem aber in seiner zugequatschten, planlos hektischen Erzählweise kaum Wirkung entfaltet.

Dabei wäre der Plot durchaus interessant. Denn „Wish“ erzählt im Kern nichts anderes als die Geschichte eines Volksaufstands, in dem die Beherrschten den Herrscher verjagen, um sich ihre „Wünsche“ zurückzuholen und damit ihre Entfremdung zu beenden. Im Königreich Rosa hat der Herrscher ihnen nämlich alle Wünsche abgenommen und in Glaskugeln verschweißt – unter dem Vorwand, nur er könnte für sie diese Wünsche verwirklichen, nach und nach. In einer Art Casting- Leistungs- und Belohnungsprinzip wird in öffentlichen Zeremonien die Anpassungsleistung einiger weniger mit der Erfüllung von Wünschen belohnt – und gleichzeitig wird damit die grosse Mehrheit derer, die leer ausgehen, für die Tretmühle des Wettbewerbs motiviert und mit der Ideologie betäubt, jeder könne es einmal schaffen. Eine schöne Allegorie für den Kapitalismus, der sich als Wunsch-Erfüller gibt, die Menschen damit von sich selbst entfremdet, ausbeutbar und zur Selbstermächtigung unfähig macht.

Doch die Idealistin und spätere Anführerin Sasha durchschaut den Schwindel, und stürmt mit der von der Flamme der Erkenntnis entzündeten Bevölkerung den Palast  (verbündet sich dazu allerdings mit einem alleskönnenden Zauberstern namens „Star“, was das ganze dann doch wieder beliebig macht) jagt den Herrscher vom Thron und gibt den Menschen ihre „Wünsche“ und damit ihr Leben zurück.
Die „Message“ lässt sich so wohl herauslesen – aus dem Film selbst heraus entfaltet sie aber keine Überzeugungskraft, dem stehen langweilige Charaktere und ein am Ende von dem irrationalen „Star“ getriebener Plot entgegen, der in Disney-typischer Zwangsläufigkeit auf ein Happy End zielt, das „happy“ nur als Erleichterung auffasst, dass alles vorbei ist, egal, was gerade geschehen ist.  Hätte der böse Herrscher die Revolutionärin zu Frau genommen, wäre es genauso „gut“ gewesen. Allerdings muss der Fairness wegen angemerkt werde, dass der Herrscher für Disney-Verhältnisse relativ brutal entsorgt wird, nämlich in einen Spiegel eingeschweisst, der im Verlies gelagert werden soll.

Auf die Idee, „Wish“ ein wenig marxistisch zu interpretieren, sind vor dem MAC schon andere gekommen, nämlich der wunderbare Wolfgang M. Schmitt in seiner Filmanalyse, die Ihr Euch hier ansehen könnt. Schmitt führt mit Ole Nymoen den Blog „Wohlstand für alle“, der hier im Blog schon angesprochen wurde.
Hier Schmitts „Wish“-Analyse, die über die des MAC weit hinausgeht:

Kommentar verfassen

Scroll to Top
Scroll to Top