Links ist nicht woke

Am Montag, dem 5. Februar, um 18 Uhr 30, kommt Susan Neiman in den ROTEN SALON HAMBURG, um über ihren Bestseller „Links ist nicht woke“ zu diskutieren.*  Die Fragen stellen werden Michael “MAC” Hopp und der Sozialwissenschafter Tobias Reichhardt, wie der MAC Mitglied der MASCH („Marxistische Abendschule Hamburg“).
Der ROTE SALON HAMBURG ist eine Gründung von Michael Hopp, der damit eine Plattform schaffen will für Live-Veranstaltungen mit Autoren politischer Bücher in Hamburg. https://roter-salon-hamburg.de/ Zwei weitere Veranstaltungen sind bereits in Vorbereitung: Mit den Autoren Achim Szepanksi („Die Ekstase der Spekulation“) und Ilko-Sascha Kowalczuk („Walter Ulbricht – Der Deutsche Kommunist“). Begleitet werden die Veranstaltungen inhaltlich auf den Medienkanälen von Michael Hopp, dem MAC Blog, dem Blog MACBook und der Homepage des ROTEN SALON HAMBURG, sowie auf Facebook und X.
Susan Neiman ist ein programmatisch idealer Auftakt für die neue Reihe, weil sich die Autorin als bekennende Linke und mit fundiertem historischen und philsophischen Hintergrund zu den neuen Trends wie Identitätspolitik und Wokeness positioniert. „Mich … beschäftigt, warum sich sogenannte linke Stimmen der Gegenwart von philosophischen Ideen verabschiedet haben, die für den linken Standpunkt von zentraler Bedeutung sind: ein Bekenntnis zum Universalismus statt zum Stammesdenken, eine klare Unterscheidung zwischen Gerechtigkeit und Macht und die Überzeugung, dass Fortschritt möglich ist“, begründet Susan Neiman ihre Ablehnung der neuen Trends, die gerade an Universitäten viel Beachtung finden.
In einer Reihe von Beiträgen soll auf den Seiten hier begleitendes Material zum ROTEN SALON am 5. Februar angeboten werden.  Als Auftakt ein sehr gelungener Text aus der „Neuen Zürcher Zeitung“, der die Persönlichkeit der international renommierten Philosophin etwas beleuchtet und einige Aufschlüsse gibt über ihre unermüdliche Aktivität, die sie, mit „Links ist nicht woke“ im Gepäck, über den halben Erdball reisen lässt. Wir freuen uns auf den Zwischenstopp in Hamburg!

* Universität Hamburg, Von-Melle-Park 9 (FB Sozialökonomie, ex HWP), EG, Großer Hörsaal

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„Links ist nicht woke“ – die Philosophin Susan Neiman sagt, die Linke habe ihre eigenen Anspruche verraten

Von Thomas Ribi *

Die amerikanische Philosophin erkennt die Linke nicht mehr als links an: „Sie hat sich in idenditätspolitischen Debatten verzettelt.“

Wenn Susan Neiman den Deutschen Deutschland erklärt, sagt sie oft «Ich als Jüdin». Manchmal auch «Ich als Amerikanerin». Es ist ihr wichtig, ihren Standpunkt zu bezeichnen: einen Standpunkt, der ausserhalb, manchmal vielleicht auch über den Dingen liegt. Sie will deutlich machen, dass sie die Sache so sieht, wie sie andere nicht sehen können. Weil sie blind sind für das, was vor ihren Füssen liegt. Und dafür, dass sie sich selbst die Sicht versperren. Durch Vorurteile, die sie sich nicht bewusst machen wollen. Oder nicht bewusst machen können.

Zum Beispiel die Debatte um den Journalisten Fabian Wolff, der unter dem Deckmantel einer falschen jüdischen Identität scharfe Kritik an Israel übte, bis er entlarvt wurde. Neiman findet sie «irre». Es sei identitäres Denken, sagte sie kürzlich in einem Interview, wenn man glaube, nur Jüdinnen und Juden dürften Israel kritisieren. Natürlich hätten die Deutschen eine unglaubliche Angst, auch nur einen kritischen Satz über Israel zu sagen. Daraus spreche aber nicht die Vernunft, sondern «das schlechte Gewissen wegen des Nazi-Opas».

Die Deutschen hätten eine tiefe Angst, dass die Eltern oder Großeltern aus ihnen redeten, wenn sie etwas «gegen die Juden» sagten. In der Diskussion über Israel zähle allerdings nicht das Blut, sondern Vernunft und Argumente, findet die Philosophin. Jeder demokratisch gesinnte Mensch, der die Verhältnisse in Israel auch nur ein bisschen kenne, werde seine Vernunft dazu gebrauchen, diesen Staat zu kritisieren.

Damit ist man im Kern von Susan Neimans Denken. Und auch schon im Thema ihres neuen Buchs. Um Israel geht es darin zwar nur in einem einzigen Satz – ihren Abscheu vor Netanyahus Politik muss Neiman irgendwo kurz loswerden, genauso wie den Ekel, den Donald Trump in ihr auslöst. Aber eigentlich geht es in dem Buch um die Vernunft, um die Aufklärung, um die Linke. Und um die, denen Neiman vorwirft, die aufklärerischen Ideale der Linken verraten zu haben.

Mit Sartre gegen Vietnam

«Links ist nicht woke» lautet der Titel des Traktats, und man darf ihn als Kampfansage verstehen. Susan Neiman, die in den sechziger Jahren in einer jüdischen Familie im Süden der USA aufgewachsen ist, versteht sich als dezidiert links. Ihre Mutter kämpfte in der Bürgerrechtsbewegung, die Familie wurde dafür vom Ku-Klux-Klan bedroht. Susan zog für sich den Schluss, dass man für eine gerechtere Gesellschaft einstehen muss. Und dass es sich lohnt zu kämpfen. Niemand, sagte sie nach der Wahl von Barack Obama, hätte damals auch nur zu träumen gewagt, dass die USA einmal einen schwarzen Präsidenten haben würden.

Susan kämpfte. Mit vierzehn ging sie von der Schule. Ohne Abschluss. Zog nach Kalifornien, lebte in Kommunen, engagierte sich gegen den Vietnamkrieg, las Sartre, Nietzsche und Simone de Beauvoir. Nach ein paar Jahren zog sie weiter. Nach New York, wo sie ein College fand, an dem man ohne Abschluss Philosophie studieren konnte. Den Schulabschluss holte sie schliesslich nach, studierte in Harvard und schloss das Studium mit Bestnoten ab. Bei John Rawls, dem liberalen Philosophen, der die Frage nach dem Wesen der Gerechtigkeit in den Mittelpunkt seiner Arbeit stellte.

Dann folgte eine steile Karriere. Professuren in Yale und Tel Aviv. Seit 2000 leitet sie das Einstein-Forum in Potsdam, das sich gesellschaftlichen und politischen Fragen widmet. Ihren Idealen ist Neiman bis heute treu geblieben. Dass die Verdienste der Achtundsechziger oft geleugnet werden, ärgert sie. Schließlich sei es ihnen zu verdanken, dass Deutschland seine Nazi-Vergangenheit aufgearbeitet habe. Aufs Ganze gesehen erfolgreich, wie Neiman immer wieder betont. Auch wenn Deutschland nicht alles richtig gemacht habe: Im Vergleich zu anderen Ländern, hielt sie vor zwei Jahren in einem Interview fest, habe Deutschland «eine Meisterleistung» vollbracht.

Mit der Linken allerdings hadert Susan Neiman. Sie versteht sich nach wie vor als dezidiert links. Und nimmt mit Unmut zur Kenntnis, dass die, die sich früher als links bezeichneten, sich heute lieber «progressiv» nennen, weil links zu sehr nach Sozialismus klinge. Im neuen Buch will sie eine Linke zur Ordnung rufen, die sie nicht mehr als links anerkennt. Weil sie sich in identitätspolitischen Debatten verzettle, statt für soziale Gerechtigkeit zu kämpfen. Weil sie ihre eigenen Ansprüche verrate.

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Social Media Auftritt in USA: Neimans philsophischer Essay ist einer der meistdiskutierten Texte unserer Zeit

«Wokeness gibt es nicht»

Was sie damit meint? Zum Beispiel, dass Fragen wie die, ob eine deutsche Musikerin Rastalocken tragen darf oder ob Weisse berechtigt sind, sich für Anliegen Schwarzer einzusetzen, wichtiger werden als das Bemühen um faire Arbeitsbedingungen, gute Gesundheitsfürsorge und bezahlbare Wohnungen. Linke, die nur noch über Rasse und Gender redeten, statt sich den tatsächlich entscheidenden wirtschaftlichen Ungleichheiten zu widmen, hätten sich, so Neimans Vorwurf, von den Zielen linker Politik verabschiedet.

Und nicht nur das. Sie verrieten auch die philosophischen Ideen, die für das Selbstverständnis der Linken von zentraler Bedeutung seien: das Bekenntnis zum Universalismus, die Unterscheidung zwischen Gerechtigkeit und Macht und die Überzeugung, dass Fortschritt möglich sei. Eine Linke, die woke ist, ist für Neiman nicht mehr links. Und Woke dürfen nicht beanspruchen, für die Linke zu sprechen.

Wer die Linken sind, gegen die Neiman zu Felde zieht, sagt sie nirgends genau. Und wen sie meint, wenn sie von den Woken spricht, auch nicht. Linke Kritiker werfen ihr das genüsslich vor. Susan Neiman habe ein «Buch ohne Gegenstand» geschrieben, meckerte die Berliner «Tageszeitung». Damit übernahm sie die Strategie derer, die Neiman als woke bezeichnet: Anstatt den Vorwurf zu widerlegen, wird das Problem geleugnet. Wokeness, eine ins Totalitäre gesteigerte Aufmerksamkeit gegenüber allen tatsächlichen und vermeintlichen Formen von Diskriminierung, gebe es nicht, sagen die Woken. Genauso wenig, wie es Cancel-Culture gibt, das Bestreben also, Positionen, die nicht dem Mainstream entsprechen, aus der Debatte auszuschliessen.

Natürlich gibt es beides. Tatsächlich läuft die Linke Gefahr, sich in einer emotionsgeleiteten, um Rasse und Gender kreisenden Symbolpolitik zu verlieren. Und wer dagegenhält, bekommt in vielen Fällen keine Argumente zu hören, sondern wird delegitimiert: Eine Wissenschafterin, die darauf beharrt, dass es in der Biologie zwei Geschlechter gebe, wird nicht angehört, sondern ausgegrenzt.

Die Pflicht, selbst zu denken

Die gehässigen Reaktionen, die das Buch «Links ist nicht woke» auslöst, zeigen, dass Susan Neiman einen Nerv getroffen hat. Der Vorwurf, den sie erhebt, ist nicht neu, aber Neiman begründet ihn auf kluge Art, indem sie darauf hinweist, wo die Grundlagen der Bewegungen geschaffen wurden, die sich die Selbstbefreiung des Menschen auf die Fahnen schreiben. Sie zeigt, wo die Wurzeln des Denkens liegen, das jedem und jeder Einzelnen von uns das Recht und die Pflicht auferlegt, selbst zu denken und über sich zu bestimmen: in der Aufklärung, bei Denkern wie Jean-Jacques Rousseau, Immanuel Kant und andren.

Auch sie stehen heute unter Verdacht. Feministinnen werfen ihnen vor, die Aufklärung nicht weit genug gedacht zu haben. Ohne Frauen nämlich, die fast zweihundert Jahre lang warten mussten, bis ihnen die Männer endlich die Rechte zusprachen, die für sie selbst schon lange selbstverständlich waren. Antirassistische Aktivisten kritisieren die Aufklärung als Denken, das eine von weissen Männern geprägte Vernunft zum Machtinstrument gemacht habe, indem es sie für die ganze Welt als verbindlich erkläre.

Susan Neiman kontert diese Vorwürfe ernsthaft und unaufgeregt. Die Passagen, in denen sie es tut, gehören zu den besten eines Buches, dem man auch argumentative Schwächen und begriffliche Unschärfen vorwerfen kann. Manchmal schiesst Neiman übers Ziel hinaus: Wenn sie den postmodernen französischen Philosophen Michel Foucault zum Ahnherrn woken Denkens und Hexenmeister einer letztlich tief reaktionären Philosophie macht, ist das zwar amüsant zu lesen, aber reichlich verzerrt.

Trotzdem hat Neiman ein Buch geschrieben, das sich zu lesen lohnt. Weniger dort, wo sie die Verirrungen der Linken benennt, sondern vor allem dort, wo sie die Aufklärung verteidigt, ohne sie zu überhöhen. Dass nicht alle Ziele, die Rousseau, Kant und Konsorten formulierten, erreicht wurden, ist so offensichtlich, dass man sich kaum damit aufhalten muss. Dass die Aufklärer ihre blinden Flecken hatten, räumt Neiman ein. Dass aufklärerische Ideen missbraucht wurden, um einen menschenfeindlichen Kolonialismus zu rechtfertigen, sowieso.

Ideal und Wirklichkeit

Trotzdem, sagt Neiman, seien die Ideale, die im 18. Jahrhundert formuliert worden seien, nach wie vor verpflichtend für jedes emanzipatorische Denken. Dass die Linke eine Politik fördert, die Identitätsmerkmale bestimmter Gruppen in den Mittelpunkt stellt und den Begriff «Menschheit» als nicht mehr brauchbar entsorgt hat, ist für sie Ausdruck einer falsch verstandenen Skepsis gegenüber dem Ideal des Universalismus. Dieser aber sei grundlegend für die Vorstellung einer Solidarität, welche die ganze Welt umfasse.

Ideale können gefährlich sein. Aber ob Politik ohne Ideale möglich ist? Auch da ist Susan Neiman wohltuend nüchtern. Sie hält sich an Kant, der darauf pochte, Ideale dürften nicht daran gemessen werden, wie gut sie der Wirklichkeit entsprächen. Vielmehr müsse sich die Wirklichkeit daran messen lassen, wie sehr sie den Idealen gerecht zu werden versuche. Nur wer Ideale habe, setzt Susan Neiman hinzu, könne Fortschritt überhaupt für möglich halten. Wenn die Linke diese Überzeugung aufgebe, gebe sie sich selbst auf. «Nichts», sagt Susan Neiman, «unterscheidet die Linke von der Rechten so sehr wie die Vorstellung, dass Fortschritt möglich ist.»

*Der Beitrag ist zuerst in der „Neuen Zürcher Zeitung“ vom 12.09.2023 erschienen

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