Oma, Dein Bauch ist ein Luftballon

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Kaum war „Mann auf der Couch“ erschienen, brach Corona aus, oder war es andersrum, egal. Wer berühmter wurde, ist ja wohl klar. Es war zu der Zeit schwierig, Lesungen zu bekommen. Für mich unerfreulich, denn die Vorstellung, das Geschriebene dann auch vorlesen zu können, ist für mich ein wichtiger Grund, zu schreiben.

Wie im Buch wahrscheinlich richtig steht, hat der Mann auf der Couch als Kind die Erfahrung gemacht, für Geschriebenes viel Aufmerksamkeit, Lob und Zuwendung zu bekommen. Zu den glücklichsten Erinnerungen zählt für ihn, der Großmutter am Küchentisch hochnotpeinliche, selbstbeschämende, unterwürfige Kindergedichte vorzulesen und dafür übermäßiges, fast schon sexuelles Lobgetätschel dafür abzubekommen. Nun, die Erwartung, nach jeder schriftlichen Hervorbringung immer gleich getätschelt zu werden, scheint bis heute zu bestehen, auch wenn die Großmutter seit 40 Jahren tot ist, und der Mann auf der Couch heute in einem Alter, in dem „man“ die Lobsucht schon im Griff haben sollte – „man“, sollte, müsste, könnte, wer, wie, was … funktioniert ja eben nicht, sowas abzustreifen oder überhaupt nur irgendwie ädaquat darüber zu sprechen, zu schreiben, vorzulesen, mit wem, wem, warum, wohin soll es führen? Es ist so lächerlich!

Trotzdem, ich mag es live, bis heute. Das Vorlesen ist die Form, mit der ich einen Text lebendig machen kann, zu etwas Realem, über die Vorstellung hinaus. Auch meine journalistischen Texte lese ich gerne vor und merke an der Reaktion des Gegenübers, was zu verbessern ist. Wenn ich nicht dabei sein kann, wenn gelesen wird, erreicht mich nichts. Ich will den Leser im gleichen Raum haben, will sehen und hören und riechen und mit allen Sinnen wahrnehmen, ob ein Text funktioniert, im Sinne von: berührt, nicht egal ist. Und wenn der Text nicht egal ist, dann bin ich es nicht. Ich will nicht egal sein! Und wenn das Geschriebene funktioniert hat, wie einst bei Omi: jede Menge Lob! Oder Sex! * ** Das ist der Deal. Die Idealvorstellung. Als junger Mann und Schreibender in den 70ern war ich dem schon näher gekommen, als 50 Jahre später zu MAC-Erscheinen in der Seuchenzeit, die für den Mann auf der Couch wirklich eine Seuche war, die Erkrankung noch am wenigsten.

Daily Emphasis

Im Buch „Mann auf der Couch“ war es am Ende unter anderen Passagen die Form eines Gedichts, mit der beschämenden Lobsucht umzugehen, eines Gedichts, das sich nicht schämt, oder vielleicht auch gar nicht anders kann, selbst Schamgefühle zu erzeugen. Ich nannte es „Die Ballade von Sucht und Scham“.  Der Text, hier steht er nochmal, ist nichts viel anderes als ein anders umbrochener Fließtext. Ich hatte das Gefühl, dass das normale Hinschreiben dieses Wahnsinns (komischen Zeugs) nicht reicht, ich das Begriffsgefängnis besser aufgesprengt bekomme, wenn es grösser da steht und damit auch für andere auffällig wird. (Neu entdeckt im MAC habe ich das auch schon fast vergessene VERSAL SCHREIBEN als Form DEN LESER ANZUSCHREIEN,um Hilfe?, ICH LIEBE ES!)

Das Genieren, Scheniieren, wie man in Wien sagte, mit der zugehörigen Errötung also höheren Durchblutung, ist natürlich auch sexy, um mal was Positives zu sagen, wie auch gesagt werden könnte, dass die Tätschelsucht (uff, jetzt haben wir schon viele Sorten „Sucht“ hier), sozusagen die LIBIDO der Journalisten-Karriere des MAC war, das pubertäre Geilsein auf diesen früher geilen Beruf (warum früher, heute auch noch, warum nicht), eine Energie, eine Gabe,  die  sich als so was wie „echte Begeisterung“ runtergedimmt über 50 Jahre und auch heute noch irgendwie vermarkten lässt. Als der jetzt bald 70jährige ewige Jungjournalist vor kurzem noch wider alle Wahrscheinlichkeit von einer englischsprechenden, voll digitalen Content-Agentur einen fetten Auftrag bekam und im Laufe des Projekts die Nachfrage stellte:

„May I ask you something, can you tell me, honestly, why did you choose our agency among others, why?“

Bekam er die Antwort: „In the end, Michael, in the end it was, how should I say, it was your – emphasis, your daily emphasis.“  Yesss, Sir, You Can Boogie, Boogie Woogie!

Wir sprachen vom Thema Lesungen. Hatte ich für „Mann auf der Couch“ eher wenige und wenn, dann eher geruchlos und ohne Publikum, nur zu dem Zweck, sie auf Video aufzuzeichnen und auf Social Media abzuspielen. Eine in der Buchhandlung „Schwarz auf Weiß“ in Buxtehude, vielen Dank nochmal, war supercool, und um das ganze ein bisschen aufregender und interessanter zu gestalten, hatte ich die Hamburger Schauspielerin Verena Gerjets gebeten, die gerade erwähnte „Ballade von Sucht und Scham“ nicht nur vorzulesen, sondern vorzusingen mit der Musik von Gigolo Tears.

Vortrag: Verena Gerjets

Musik: Gigolo Tears

Produktion Video: IsoluxX, Buxtehude

Jan Iso Jürgens, Jan Sauerwein

Buchhandlung: Schwarz auf Weiß, Buxtehude

Zum Mitlesen:

Die Ballade von Sucht und Scham

Reden wir jetzt von meiner Sucht nach Lob und

Scham,

woher sie rührt.

Unnützes Wissen,

Meine Großmutter,

Die Frau, die mich erzog,

Die Frau, die mir immer als Erstes einfällt,

wenn ich an meine Kindheit denke,

Vielleicht auch,

Wenn ich an Frauen denke,

Meine Oma. Große Liebe.

Affenliebe,

Wie Äffchen lieben.

Sagte sie.

War schnell mit Lob bei der Hand,

wenn ich etwas „Kreatives“ tat,

Meine Großmutter,

Meine geliebte

Und bis heute

Sogenannte Oma,

Super-Oma,

Ohne die, man muss es sagen,

es dieses Buch nicht gäbe,

Ohne die es mich nicht gäbe, yeah.

Aber

Ich lernte bei Oma auch etwas

Übles

Und süchtig Machendes,

Mit geringem Einsatz

Hohe Wirkung zu erzielen,

An Lob und Belohnungen zu kommen,

Wenn ich es nur geschickt anstellte.

Sie zu ergaunern.

Oft reichten

Schon ein paar Zeilen,

Oder etwas

Mit der Reiseschreibmaschine

Getipptes,

Abgetipptes, aus

Fix & Foxi

Abgetipptes,

Das schon toll war, nur weil es getippt war.

Tippen war damals noch toll.

Tipp, Tipp

Super, Michi!

Auch die abgetippten ersten Seiten

Von Winnetou I

Für Cornelia

Als Geschenk

Weckten Omas Begeisterung.

„1. Ein Greenhorn. Lieber Leser,

Weißt Du, was das Wort Greenhorn bedeutet?

Eine höchst ärgerliche und geringschätzige

Bezeichnung für jeden,

Auf den sie angewendet wird.“

Tipp, tipp, so wie hier jetzt.

Super, Michi!

Michi war mein Übergangsname,

Zwischen Würmchen und Michael,

Zum Michael wurde ich erst,

Als ich zu arbeiten begann, yeah!

Doch bezahlt man

Für dieses Lob

Einen hohen Preis,

Den Preis eines ständigen Schuldgefühls.

Der Preis ist hoch.

Hat man das Lob

und die Belohnung

Auch wirklich verdient?

Oder ist man nur

Ein aufgeblasener

Nichtskönner?

Wichtigtuer?

Ein „Nachmacher“,

Wie wir als Kinder sagten.

Was passiert,

Wenn man auffliegt?

Die Hosen verliert?

Was passiert,

Wenn man erkannt wird als der,

Der man wirklich ist?

Dann geniert man sich,

Sagten wir Kinder in Wien.

Sich zu Tode genieren,

Das war eine Redewendung.

„Schäme Dich, Michi“,

Sagte meine Mutter oft.

Und wenn ich

Angestrengt

Versuchte,

Selbstbewusst zu wirken,

Schrie sie:

„Und du

Schämst dich

nicht einmal!“

Dieses leichte,

Gefährliche Spiel

Hat mich süchtig gemacht.

Alles klar.

In aller Schrecklichkeit

und Peinlichkeit, yeah.

Damit verbunden

Scham-süchtig.

Die perverse Lust

An dem Risiko aufzufliegen, yeah.

Lob kann mich anspornen,

Ausbleibendes Lob

Bringt mich

Dramatisch

Aus der Spur.

Keine gute Voraussetzung

Wenn man ernsthaft

An einem Text

Arbeiten möchte.

Ernsthaft, naja,

Dieses Buch.

Tipp, tipp,

Super, Michi!

Aber Lob

Kann Mich

Auch traurig machen.

Plötzliche

Gefühlsaufwallung

Schüttelfrost

(leichter)

Schuldgefühl

(gegenüber anderen)

Scham

(gegenüber sich selbst).

Hektische Flecken im Gesicht

Vielleicht,

Ich sehe mich dann ja selbst nicht.

Ja, wieder toll gemacht, Herr Hopp.

Vor einiger Zeit bekam ich Lob

Von einer Frau,

Ich hatte ein Projekt,

Gut vorangebracht.

Sofort entglitten

Mir die Züge,

Ein peinliches Gefühl entstand,

für alle.

Ich fühlte mich nackt,

Beschämt.

Scham = wenn etwas sichtbar wird,

Das man nicht zeigen will.

Das habe ich schon bemerkt,

Sagte die Frau.

Lob, das erträgt er nicht, der gute Mann.

Aber ohne Lob

Kann er auch nicht,

Der gute Mann, yeah!

Aber

Warm

Konnte das Lob,

Oma sparte ja nicht damit,

Nicht positiv

Auf meinen Selbstwert

Wirken?

Warum?

Woher

Kommt

Das Misstrauen

Gegenüber dem Lob?

Die Furcht davor.

Da sind

Menschen,

Denen egal ist,

Welche Art von Lob

Von wem

Sie bekommen,

Sie nutzen es

Auf jeden Fall

Für sich, yeah.

Der Grund,

warum ich das nicht

Kann,

Kann

Nur in einem schon vorher

(Anderswo?)

(von wem?)

Zerstörten Selbstwertgefühl

Liegen,

Weil

Mein

Scham-und Schuld-Konstrukt

Von der unumstößlichen

Voraussetzung ausgeht,

Ich sei eben Und tatsächlich

Ein Nichtskönnner.

Ich

Bin

Ein

Nichtskönner, yeah!

(What have they done to my Selbstwert?)

Zum Betrügen gezwungen,

Daher das Schuldgefühl,

Das die Scham erzeugt,

Die Schande,

Und die Schmach,

Den heißen Stoff,

Mit einem Webfaden Geilheit.

Aber wer hat eigentlich je gesagt,

Wer hat eigentlich je gesagt,

Dass ich ein Nichtskönner bin?

Woher kommt die Idee?

Eigentlich

Hat das noch nie

Jemand

Außerhalb der Familie

Gesagt,

Nur innerhalb.

Im Gegenteil,

In der Arbeit,

Gelte ich

Über all die Jahre

Als alles andere

Als ein Nichtskönner.

Tipp, tipp,

Super, Michi!

Da gellte ich

Vielleicht eher

Als verpfuschtes Talent.

Als einer,

der ehrgeizig ist,

Der viel gemacht hat,

viel Verschiedenes,

Ohne Zusammenhang,

Sprunghaft,

Unkonzentriert.

Am Ende

Weiß man nicht,

Was es soll, yeah.

Aus: Michael Hopp, Mann auf der Couch, Seite 108

Textem Verlag 2021

 *  Lesung und Liebe: Eine erste Phase als Lesungen-haltender Schriftsteller erlebt der Mann auf der Couch schon im Wien der 70er-Jahre, als er da zusammen mit Roland Hagenberg und Wolfgang Scheuer mit Gruppe „Mundwerk“ selbstgeschriebene Gedichte vorträgt oder mit Robert Menasse die „Literarische Wandzeitung“ (LIWAZ) herausgibt.  Eine der Lesungen dieser Zeit findet eines Samstag Nachmittags statt, auf Einladung eines Heims für schwer erziehbare Mädchen im Süden Wiens. In „Mann auf der Couch“ steht darüber ab Seite 252 im Kapitel „Ablöse“:

„Die Auftritte mir Roland, der nicht nur schrieb sondern auch zur Gitarre sang und dabei klang, als würde David Bowie Bob Dylan singen, kamen gut an. Wir machten es uns leicht und traten auf Vermittlung von zwangsbeglückenden, sozialdemokratischen Kulturvereinen, in sogenannten Jugendzentren oder auch in Heimen für schwer erziehbare Jugendliche auf, einmal in einem für Mädchen. Die Mädchen da konnten es sich nicht aussuchen und fanden unsere Lesung mit Songs allemal interessanter, als in der Zelle zu hocken.

Eines dieser Mädchen rief man Wochen nach der Lesung aus einer Telefonzelle an, sie sei die Elisabeth von der Veranstaltung damals. Ich hatte sie bei der Lesung nicht bewusst wahrgenommen und ließ mich auf das Blind Date ein. Als Elisabeth im verabredeten Café auftauchte, war ich erschrocken, wie dick sie war, das kugelrunde Gesicht, das nach hinten gebundene, fettige Haar.

Trotzdem konnte ich nicht Nein sagen, und als wir uns zwei Stunden später am Boden ihres winzigen Untermietzimmers wälzten, das wir nach einer ewig langen, grossteils schweigend verbrachten Straßenbahnfahrt erreicht hatten, roch ich ganz aus der Nähe starken Achselschweiß.

Mit ein paar routinierten Handgriffen befreite Elisabeth die in der Situation interessanten Körperteile von uns beiden aus den Klamotten und setzte sich mit einem Schwung und ihrem ganzen Gewicht auf mich drauf, ihre Brüste hatte ich ganz nah vor meinem Gesicht. Trotz des strengen Geruchs, oder vielleicht deshalb, kam ich schon im Moment des Schwanzreinzwängens und hatte damit alles vermasselt.

Als ich schon gespritzt hatte, rieb sie sich mit unglaublicher Energie ab auf meinem schmierigen, halb steifen Schwanz, kam mit Geräuschen, als hätte sie gerade 100 Kilo die Treppe hochgeschleppt und begann noch viel stärker zu riechen.

Für mich war´s das dann gewesen mit der Arbeiterliteratur und für Elisabeth wahrscheinlich mit der Literatur überhaupt. Aber alles in allem lief das doch schon gut an. Würmchen hatte erste Fans.“

** Sex und Sexismus: Ist der hier klein gesetzt Buchauszug sexistisch, frauenverachtend, menschenverachtend, ichmichselbstverachtend, sonst irgendwie übel und schlecht? Selbst wenn er erfunden wäre, wären die Fragen berechtigt, ev. lässt der Text dann sogar noch tiefer in die Sichtweisen (oder Wünsche?) des Autoren blicken.

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