Ist der Mann auf der Couch ein Monster?

Lesungen sind für mich der reinste Stress. Weniger, wenn ich selber lese, aber wenn ich Zuhörer, Publikum bin. Ich gehe lieber ins Kino oder ins Theater, wo ich im Dunklen verschwinde, bei den meisten Lesungen dagegen ist es hell, zu hell für mich. Ich sage zwar immer wieder, wäre schön, mal wieder auf eine Lesung zu gehen, vor allem jetzt, wo ich mit „Mann auf der Couch“ irgendwie, mehr oder weniger,  in diese Welt der Lesungen gehöre oder gehören sollte oder gehören könnte „gehören könnte“ hört sich resigniert oder traurig an, warum nicht einfach: gehöre! Yesss!  Aus, Ende mit der Unsicherheit ausstellenden Wortklauberei, ich wollte es heute nicht zu lang und zu kompliziert machen, eher ein kurzes, stimmungsvolles Stück abliefern, das man sich vorm Adventskranz vorlesen kann … Ja, theoretisch ist es schön auf Lesungen zu gehen (nachher ist man übrigens fast immer begeistert vom Autor oder der Autorin und vom Buch und der Buchin, warum ist das so?), doch am Tag der Lesung dann, wenn es auf den Abend zugeht, entsteht doch ein mulmiges Gefühl, muss ich mir das antun, ich kann das Buch auch daheim lesen, wenn es mich schon interessiert … Ja nun, es ist wohl ein Sozial- und Egostress, um es mal streng wissenschaftlich zu sagen, der hier befürchtet wird … wer ist sonst noch da, kenn ich wen, wen grüße ich (wen nicht), was sage ich, wenn mich wer fragt, wie´s mir geht, dazu noch – verstärkt seit „Mann auf der Couch“, die quälende Frage, werde ich erkannt, ah, ist das nicht der vom  „Mann auf der Couch“-Cover, eine, klar, erkenne ich selbst: lächerliche Paranoia, wenn man auf die reale Verbreitung von „Mann auf der Couch“ guckt, realistisch guckt auf die reale Verbreitung, denn dann müsste  man (?) zu dem Schluss kommen, nee,  am Titel von „Mann auf der Couch“ zu erscheinen hat noch nicht ganz den Effekt wie auf Seite eins der „Bild“ zu sein – wobei, dass das „Erscheinen“ auf gedruckten Medienerzeugnissen überhaupt irgendeine Wirkung hat, ist eine Annahme aus dem letzten Jahrtausend, eine obsolete Idee, die niemand unter 50 heute noch teilt. Damit ich natürlich schon, teile, diese Idee, obwohl – es fiel ja schon der „Bild“-Vergleich eher gezwungen aus, denn wer kümmert sich heute noch um die „Bild“ – in dem Fall, nicht mal ich.

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Vor der Lesung: Sven Pfizenmaier (rechts) mit Moderator und dem Buch “Draußen feiern die Leute”

Dieses woke Immer-freundlich-sein

Letzten Donnerstag hab ich´s dann doch gewagt, auf Einladung meines „Mann auf der Couch“-Verlags (Textem), ins BARBONCINO zwölphi zu kommen, am Dach des Pudel-Clubs, einer glamourösen, große Hamburger Popgeschichte ausschwitzenden Location , die man (ich jedenfalls) mit einer bestimmten Ehrfucht und damit schon erhöhtem Puls betritt. Ich war mit dem Rad aus St. Georg an den Hafen runter gefahren und schloss es umständlich an einem gebührlich entfernten Ständer an, um noch etwas Zeit zu gewinnen und unauffällig zu luschern, ob sich schon erste Gäste auf den Club zu bewegen, denn der erste will ich auf keinen Fall sein. Jetzt aber Schluss mit dem Kinderkram, ich hab das dann schon alles ganz okay und nicht komplexlerisch gemacht, freundlich und „offen“ meine Verlegerin Nora begrüßt, förmlich zugestürzt auf sie, offensiv, * und mich dann in dem kleinen, sehr stimmungsvollen, sehr kuscheligen Raum auf einer der hinteren der wenigen Reihen lose zusammengestellter Stühle untergebracht, die dicke Jacke und den Capuccino auf den Knien balancierend, nachdem ich zwei Mal vertrieben wurde aus undurchsichtigen Gründen und darauf,  wie es sich in Zeiten von Achtsamkeit, Respekt etc. und, wie ich annehme, gerade auch im Kreise von Literaturlesungsbesuchern geziemt, übertrieben freundlich reagiert – „Alles gut!“, „Kein Thema“, „Das schaffen wir“, „Easy, klar!“ „Easy piesi“ – obwohl ich innerlich den Ansatz, Plätze mit unübersichtlich hingelegten Jacken „besetzt“ zu halten (der eine Fall) oder Einzelgäste herum zu scheuchen, damit sich Gruppen nebeneinander hinsetzen können (der andere) schon auch zweifelhaft finde – aber als alter, weißer Mann (okay, von heller Haut waren hier viele), habe ich mir längst angewöhnt, bei sowas den allgemeinen Freundlichkeits-Konsens zu bemühen, im Zweifel noch ein Stück weit zu übertreffen und nur nicht auffällig zu werden. 

Jemand übergibt sich. Jemand hält die Haare

Gelesen hat übrigens der fantastische Sven Pfizenmaier aus seinem tollen Buch „Draußen feiern die Leute“, einem Roman aus der deutschen Provinz, einem namenlosen, niedersächsischen Dorf (oder heisst es Uetze?), der sich nicht in Versöhnungsprosa oder dekorativem Realismus verliert, sondern eher die Genres Teenage-Angst  und Kriminalroman mit anarchischem Witz und hinreißender Psychedelik aufmischt, Rezensentensprech von der Art war zu lesen über das Buch, mit vier jugendlichen Helden, einer Zweckgemeinschaft von Außenseitern mit absurden, lustigen, poetischen Superkräften, die das plötzliche Verschwinden von anderen Jugendlichen aus dem Dorf aufzuklären versucht und am Schluss eine überraschende Entdeckung macht. Kulturell geprägt ist das Dorf durch jahrzehntelange Zuwanderung. Wie gesagt, soviel konnte man vor der Lesung googeln und mit der Erwartung saß ich da. Als Pfizenmaier zu lesen beginnt und sich durch das ganz wunderbar filmisch geschriebene erste Kapitel kämpft, denke ich mir, ob es für das Lesepublikum nicht prinzipiell attraktiver wäre, nicht die Dichter selber, sondern prinzipiell (nicht nur bei den „grossen“ Lesungen im Literaturhaus) Schauspieler lesen zu lassen, oder auch singen, wie es mir bei zwei MAC-Lesungen mit Verena Gerjets  gelungen war. Aber dann ist dieser Pfizenmaier mit dem Jungengsicht, das ein martialischer Vollbart auch nicht viel älter macht, so überzeugend und sympathisch und sein Text so klug und so verdammt gut gemacht, dass ich mich in einer Mischung aus Ehrfrucht und Neid hinter meiner Vorderreihe versteckt halte. 

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In der Gartenlaube: Der jüngere Mann auf der Couch, hier im Plastikliegestuhl, ca. 2000, Hamburg-Schnelsen

Wir sind vermutlich wie die Tiere **

Ist dieser 32jährige der bessere Schriftsteller als ich? Müssen solche Fragen jetzt kommen? Mit 32 stand ich knietief im Magazin-Journalismus zwischen „Wiener“, „Tempo“ und „Männer Vogue“ und verdiente viel Geld und gab viel aus und hatte schon drei Kinder. Ans „Dichten“, wie als 18jähriger, als ich wie Peter Handke sein wollte, dachte ich nicht mehr, ich war auf einem ganz anderen Trip. Sowas denke ich, wie ich da sitze, oder denke ich erst jetzt, wo ich das schreibe, muss mir ja was denken, wenn ich schreibe, egal. Die KACKE ist (heute sagt man ständig Kacke, wir sagten noch Scheiße, wie kam es dazu?), also dasjenige ist, dass es diese Gedanken, egal ob live vor Ort oder in der Reflexion nachher, überhaupt GIBT.  Also dieses Vergleichen. Also dieser Wettbewerb. Oder die homosexuelle Identifikation. Oder, wenn sie scheitert, die Missgunst, der Neid, der Hass. Die tiefe Traurigkeit, dass mann (in dem Fall wirklich!?) so denkt, wie ist das bei Frauen? Fickt er mich? Oder ich ihn? Kann denn das wirklich die Grundfrage sein, die Endfrage, die einzige, mit der sich ein männliches Verhältnis klären lässt? Oft fürchte ich, ich bin der einzige im Raum, der überhaupt auf solche Ideen kommt! Oder bin ich nur besser verdrahtet mit den dunkleren Kontinenten der „Männerseele“, die man vielleicht aber auch besser unentdeckt lässt, weil die zu häufige Kontaktname auch zu bösen Kurzschlüssen führen kann. Oder ist nur der Mann auf der Couch so, ich gar nicht?

Beim Auslöffeln der Kiwi schwer verletzt – Frührente

Offen, freundlich und gelassen lief die weitere Lesung ab, der Interviewer vom Hamburger Online Magazin „Untiefen“ stellte sehr mitfühlende, määandernd wortreiche Fragen, die Pfizenmaier umso kürzer beantwortete. Gegen Ende des Abends fokussierte der „Untiefen“-Interviewer auf den mittelgrossen Literaturskandal um das „Harbour Front Festival“, den Pfizenmaier im Sommer losgetreten hatte und der dem Erscheinen von „Draußen feiern die Leute“ auch auf der Buchmesse einigen Schwung verliehen hatte. ***  Der Mann auf der Couch (oder ich? Jedenfalls einer von uns beiden) in der vorletzten Reihe zuckte immer zusammen, wenn Qualitäten an Pfizenmaiers Text (übrigens: müde 334 Seiten, MAC: 656)  gelobt wurden, von denen zu denken wäre, dass sie im „Mann auf der Couch“ weniger ausgeprägt sind. Also z.B.: Die liebevolle Einstellung zu den Protagonisten des Romans als schreiberische Grundhaltung, die verblüffend überzeugend gelingende Einfühlung in Migranten-Schicksale (eine Bemerkung des Interviewers, die Pfizenmaier aber relativierte, weil er aus seiner Herkunft, die im deutschen Namen Pfizenmaier versteckt ist, sozusagen über authentische „migrantische Erfahrung“ verfügt, die er hier verarbeitet habe) – aber, so und so, hier macht Pfizenmaier einen Pluspunkt, den für die österreichisch-deutsche Mono-Nachkriegskultur, in der MAC vorwiegend spielt, nicht beansprucht werden kann. Naja, so dachte ich vor mich hin. Bis ich aufschreckte, als der Mann auf der Couch in „Draußen feiern die anderen“ einen unerwarteten Auftritt hatte, fünf, sechs Mal hintereinander, mit einer bestimmten, in der Wirkung witzigen Redundanz, nannte der Autor in seiner Lesung die Figur eines „Mannes auf der Couch“ und weil ich beim ersten Mal nicht richtig aufgepasst hatte konnte ich erst danach den Kontext rekonstruieren: Der Pfizenmaier´sche Mann auf der Couch ist ein aus Kasachstan in das Dorf eingewanderter russischer Einwanderer, Frührentner, der jeden Morgen, wenn Protagonist Sascha daran vorbeifährt, auf einer geschmacklosen Couch in einer offenen Garage sitzt. „Manchmal denkt Sascha, dass es ein Fehler war, dem Mann auf der Couch zu helfen. Vielleicht hat er ein Monster erschaffen.“, heißt´s im Buch im Original. Frührentner, der Mann auf der Couch, Protagonist Sascha, selbst eingewandert, aber gut im Ausfüllen deutscher Formulare, hatte ihm zu dem Status dazu verholfen: „Der Mann auf der Couch musste Antrag auf Frührente stellen, nachdem er während seiner Mittagspause in einer Schweißerei beim Auslöffeln einer nicht ganz reifen Kiwi abrutschte und sich den Teelöffel in den Handballen rammte.“  Hahaha. Immer diese Männer auf der Couch!

Nach der Lesung folgten die Besucher zahlreich dem Aufruf Noras zum Büchertisch, um „Draußen feiern die Leute““ um schlappe 24 Euro zu erwerben, die Ausrede, kein Geld dabei zu haben, zähle nicht, weil auch Kartenzahlung möglich wäre. Ich verdrückte mich auf die Toilette, fand von da direkt den Weg zum Ausgang und konnte die Lesung unbemerkt verlassen.  Draußen war es neblig, unheimlich neblig, nasskalt, das Kopfsteinpflaster in der Hafenstrasse glänzte eisig. Da war kein anderer Mensch, keine(r), bis ich vorne an der Holstenbrauerei die Davidstrasse  bei roter Ampel überquerte, es gab auch keine Autos hier. Auf der Hinterseite der Brauerei wurde es plötzlich komplett dunkel. Ich war froh, am Fahrrad mein anklemmbares LED-Licht zu haben. Es schickte, etwas zittrig, aus meiner Wackelei mit dem Lenker, einen scharf abgegrenzten Lichtstrahl durch die Nacht von St. Pauli, immer nach vorne, aber eigentlich sah ich nichts.

* Nähe und Distanz:  Einspruch, so gelungen war die Begrüßung nicht. Vom Klimaschock der Kälte draußen im Kontrast zu plötzlichen Wärme drinnen begann die Nase des schön älteren Mann auf der Couch unkontrolliert zu tröpfeln und so stürzte er mit der Frage „Hast Du vielleicht ein Taschentuch“ auf die Verlegerin zu, die, gerade damit beschäftigt, den Büchertisch aufzubauen, eher reserviert reagierte, „Nein hab ich nicht.“   Warum hat der MAC die Frage nach dem Taschentuch gestellt? Nun, er brauchte tatsächlich ein Taschentuch, vielleicht aber auch, um eine bestimmte Nähe herzustellen, zu erzwingen, zu testen, ob eine Nähe da ist, die sowas vergleichsweise Persönliches zulässt – eventuell auch im Reflex auf eine unbewusste Vorstellung, dass eine Verlegerin ihrem männlichen Autoren (egal welchen Alters) auch eine Mutterfigur sein müsse – eine Rolle, die Nora während der aufwendigen Produktion von „Mann auf der Couch“ konsequent verweigerte, wie sehr das Riesen-Autorenbaby auch danach schrie, nach Trost & Lob & Aufmerksamkeit, sowas, in dem Stil, you know. 

** Aus: „Wie die Tiere“, Song von Blümchen Blau, 1982, Amadeo Österreich. Schallplatten GmbH

*** Un- und Tiefen: Ankündigung der Lesung im Online Magazin „Untiefen“: Im September entfachte Sven Pfizenmaier mit seinem Rückzug vom Harbour Front Literaturfestival eine Debatte um die Verstrickung von Kühne+Nagel in NS-Verbrechen und um den Umgang Klaus-Michael Kühnes und seiner Kühne-Stiftung mit diesem Erbe. Pfizenmaiers Rückzug hatte aber auch zur Folge, dass seine Lesung in Hamburg im Rahmen des »Debütantensalons« ausfiel. Am Donnerstag kommt er nun ins BARBONCINO zwölphi, um aus seinem Debütroman »Draußen feiern die Leute« zu lesen und um über das Schreiben und die Widersprüche, in denen es sich bewegt, zu sprechen. Kommt da hin, es wird mindestens so denkwürdig wie das jährliche Zwiebelfest in Uetze!

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