Ich bin das Endlager

Wer den MAC kennt, weiß, er ist ein News-Junkie. In seiner Branche, dem Journalismus, war es, zu seiner Zeit, auch ganz normal und eigentlich Eignungsvoraussetzung, News Junkie zu sein. Man saß morgens im Café und wühlte sich durch die in  bambushölzernen (?) Zeitungshaltern aufgehängten Zeitungen, gerne auch international

(Thomas Bernhard las in der Art die geliebte und in der Zwischenzeit leider total reaktionär gewordene „Neue Zürcher Zeitung“ im Café Bräunerhof)

(in Hamburg gibt es gut bespannte Zeitungshalter heute noch einzig und allein im „Café unter den Linden“ auf der Schanze),

bevor man in die Redaktion kam, wo ein weiterer Packen gedruckter Medien auf dem Tisch lag und auf Durchsicht wartete. Gespräche mit Kollegen mied man, bevor man durch war, denn worum sollten sie sich drehen, als um das eben gelesene? Es war auch nicht ratsam, eine Redaktionskonferenz zu besuchen, ohne zumindest zu wissen, mit welchem Thema „die anderen“ (die Konkurrenz) „aufmachen“.

((Wie ist es eigentlich mit dem „man“ („bevor man in die Redaktion kam“, wie soeben), ich versuche es zu vermeiden, aber es fliegt mir doch immer wieder rein.  Ein Textchef in einem Projekt schrieb mir gestern:  „Grundsätzlich ist „man“ aber stilistisch unschön und auch aus Gendergründen suboptimal.“ Ist das so? Ist „man“ eine Kurzform von „Mann“?))

Heute ist das anders, sehr anders.  Zeitungsleser gibt es in meinem Umkreis so gut wie keine mehr, auch unter Journalisten nicht, was mich immer wieder erstaunt, frustriert, empört. In der Agentur des MAC ist er selbst seit Jahren der einzige, der noch Zeitungen kauft, und auch das stark reduziert, weil das Geld nicht mehr da ist. Seit ich nicht mehr sicher sein kann, dass auch andere Zeitungen lesen (eigentlich kann ich mich aufs Gegenteil verlassen), bin ich dazu übergegangen, sozusagen für andere mitzulesen, die Zeitungen immer systematischer und gründlicher durchzugehen, sie richtig auszuwerten – in der Absicht, ausgewählte Inhalte Kollegen zugänglich zu machen, zum eigenen Gebrauch, oder auch als Material oder Anregung in gemeinsamen Projekten. 

Clippings nenne ich diese von mir, oft schon frühmorgens im Bett, herausgerissenen Seiten, die ich erst auf einen Stapel werfe, dann aber nochmal ordne, nach Personen oder Themenbereichen und sie dann am oberen Rand entsprechend beschrifte.

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Gut gemeint, wirkt aber nicht immer: Zeitungsausschnitte (Clippings) in der Redaktion des MAC

Jetzt bekommt Verena alles ab

Als die Zahl der Mitarbeiter noch grösser war, konnte ich ein richtiges Verteilernetz (Heinz—Jürgen, Sabrina, Isabel) bespielen, jetzt wo sie viel kleiner ist, wird der Stapel für die einzelnen immer höher, ist klar. In Wirklichkeit bekommt Verena jetzt alles ab, und da sie nur alle paar Wochen ins Büro kommt, wartet immer ein Riesenpacken in ihrem Postfach, den sie auch gerne mal vergisst …. Wie soll ich denn damit umgehen? Inzwischen teile ich die Clippings auch digital, fotografiere sie mit dem Handy ab und schicke sie herum, etwa auch an die Kinder.

Es deutet sich schon an, ja, ich bin oft frustriert, über diesen Wandel (nehmen wir mal das schreckliche Null-Wort, um niemandem zu nahe zu treten), nicht nur, weil ich überzeugt bin, dass man als Journalist (aber eigentlich auch als Privatmensch)  eben NICHT alles im Internet findet (sondern nur, wonach man sucht und auch da nicht alles)

(und ich das Internet für eine viel zu kommerzielle, interessensabhängige und chaotische Einrichtung halte, um als Kanal  für eine Demokratie-zuträgliche Verbreitung von halbwegs verlässlichen, wahren und recherchierten Nachrichten in Frage zu kommen),

sondern auch in einer persönlichen Hinsicht:  Ich lese das ganze Zeug weiterhin – aber mein Kopf ist das Endlager geworden.  Das ist schrecklich! Ich werde verrückt davon. Früher war ich vielleicht sowas wie ein Trichter und unten ist noch was rausgekommen, aber jetzt läuft der Trichter schon oben über, weil unten nichts durchgeht oder niemand fängt das auf, das durchkäme, Scheiße, das Bild funktioniert nicht so, wie ich dachte, vielleicht reicht es für die Überschrift: ICH WAR EIN TRICHTER. Jetzt bin ich verstopft. Naja.

(Trichter trichtern ein …)

Ach, es ist so TRAGISCH!

(Jetzt geht das los mit den VERSALIEN – NEIN, DIE HAT NICHT STUCKI ERFUNDEN, WIE JEDER UNBELESENE DUMMLATZ JETZT GLAUBT !!!),

in Wirklichkeit clippinge ich jetzt fast nur noch für mich selbst, für Eva lege ich auch mal noch was raus, sie tut es aber oft auch nur auf einen weiteren Stapel, der aber nur so eine Art Vorprodukt zum Altpapier ist, ich hoffe, ich bin jetzt nicht ungerecht.

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Wohin mit all den tollen Themen? Die Linke ist auch nur eine Redaktion, die Linke, nicht die Partei, die so heisst

Linke lesen auch keine Zeitungen

Seit ich mich in der MASCH und damit wieder in „der Linken“ rumtreibe (sagt man das noch so) ist das alles auf eine Weise noch schlimmer geworden, denn die Linken lesen zwar mit Sicherheit immer noch mehr als alle anderen, aber eben auch keine Zeitungen (oder sind keine News-Junkies im meiner Tradition), mit der Folge, dass ihren Diskussionen oft der aktuelle Bezug etwas fehlt

((die marxistische Diskussion (macht als Pauschalbegriff keinen Sinn) wird oft, so nehme ich es wahr, auf einem historisierend-akademischen Niveau geführt und nicht politisch, POLITISCH würde für mich heißen, mit aktuellem Bezug),

für den ich aber sozusagen „stehe“, und der für mich das Fundament des Denkens ist. Wenn man hier in einer absoluten Minderzahl ist (> 1), kann das eine undankbare Rolle sein, weil es was Besserwisserisches hat (man weiss was, was andere nicht wissen), aber auch was Schlechterwisserisches (man hat die Quellen nicht parat oder sie gelten unter Linken ohnehin als unseriös oder irrelevant). Und ein wenig bin ich geneigt anzunehmen, dass bestimmte Theoriedefizite  (Ökologie, Klima, digitaler Kapitalismus, ev. auch Gender) daher rühren, dass Wissenschaftlichkeit oft einher geht mit einer bestimmten Abwehr des Aktuellen, das sich zunächst mal der Einordnung entzieht. 

KARL MARX HAT UNS DAS ÜRBIGENS GANZ ANDERS VORGELEBT. ER WAR IM KOPF ÖKONOM. PHILOSOPH UND WISSENSCHAFTER – IM HERZEN ABER JOURNALIST.

Na egal. Am liebsten wäre ich eh Chefredakteur des „konkret“ oder einer linken Tageszeitung. Aber auch nicht egal. Im letzten MASCH Kapital-Lesekreis hatten wir eine Diskussion, ob die Definition der Arbeiterklasse als eine Klasse, die kein Kapital akkumuliere, noch stimme.  Klar stimmt die noch. Wüsste nicht, wieso nicht. Was das jetzt mit den Clippings zu tun hat?

Ich lese jeden Tag in meinen Clippings, wie die Ungleichheit wächst und wie ungleich die Chancen verteilt sind. Ich lese nicht, dass sich die Arbeiter Villen im Tessin bauen, wie es Klaus Staeck auf Plakaten witzelte und wie es einer im „Kapital“ Lesekreis zumindest so ein bisschen meinte. 

Ich lese, dass die SPD ein Problem bekommen wird, weil sie als einzige sozialdemokratische Partei in Deutschland nicht einmal auf die Idee kommt, die steigenden Lebensmittelpreise und ihre Wirkung auf die, die kein Kapital akkumulieren, auch nur anzusprechen. 

Ich lese, dass der Hunger auf der Welt steigt, nachdem er 30 Jahre auf dem Rückzug war – seit 2019 stieg die Zahl der Hungernden um 150 Millionen auf insgesamt 828 Millionen an. Ursache sind Kriege, Schuldenfalle, Klima, man kann fast sagen, der Kapitalismus selbst.

Ich lese jeden Tag 1000 Gründe, links zu sein – und mit denen möchte ich nicht alleine bleiben. Davon nächstes Mal mehr.

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Die Zukunft der Arbeit, toll! Zum Klo ist es nicht weit …

Stirbt das Home-Office?

Übrigens lese ich auch, dass das vom MAC auch aus eigener Betroffenheit abgrundtief gehasste Home-Office vielleicht schon bald dem Ende zu geht: „Bingo, Kostümpartys, Backwettbewerbe: US-Firmen locken ihre Mitarbeiter aus dem Home-Office wieder zurück ins Büro, wer nicht will, wird gezwungen. Und die Konzerne haben Mitarbeiter als Verbündete, die sich um ihre Städte sorgen.“

(Ups, fand ich online, war am 22.06.23 in Spiegel Online S +, taucht also im gedruckten Heft wieder auf, wobei das gedruckte Heft schrecklich ist!)

Jetzt ist die Gewerbesteuer vielleicht nicht der edelste aller Beweggründe (aber warum eigentlich nicht?), aber die Richtung stimmt – und da alle nachmachen, was Google und Amazon machen (die sind sicher gemeint), wird es auch die Diskussion hier beeinflussen.

Der MAC jubiliert.  Die depressiv-machende, entsolidarisierende, Arbeitsschutz-auflösende, verdummende, trägemachende und Neue-Mitarbeiter-feindliche (weil diese sich über Video nicht integrieren lassen) Küchen- und Bettkanten-Arbeit muss wieder aufhören oder weniger werden. Hugh, der MAC hat gesprochen.

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