Ein Tagebuch zum Mitlesen

Der Mann auf der Couch. Das alte Lied. Lassen sich noch Strophen hinzufügen? Oder kann sich der Autor gekränkt zurückziehen, mit dem Song im Kopf: „Oh, they’re only putting in a nickel to win a dollar song.“  Ich gucke manchmal noch rein, in das jetzt schon über zwei Jahre alte Buch, etwa wenn ich Auszüge suche für den Blog hier. Bis auf ein paar Schlampereien und Umständlichkeiten, die mir übrigens beim Vorbereiten von Lesungen auffielen,  finde ich immer: ja, kann so bleiben. Ist eigentlich alles gesagt. Ich schäme mich nicht, oder doch nur im beabsichtigten Maß. Den Schluss finde ich unüberwindlich gut. Unüberwindlich? Unüberwindlich in dem Sinn, dass er heute noch „stimmt“, obwohl er eine Situation vor drei, vier Jahren beschreibt. Und unüberwindlich, als er wirklich ein SCHLUSS ist, ein Ende,  zwar gibt es ein weiteres Leben gibt, das sich aber einstweilen nicht als Material anbietet. Warum nicht? Ich bin mir da selbst noch nicht ganz verständlich, arbeite daran. Was ich aber sagen kann, der Mann auf der Couch, wir Ihr in kennt, ist auf Seite 578, der letzten Seite des Buches, gestorben. In gedruckter Form. Weitere Verwandlungen des Michael  Hopp, der ich bin und der der Mann auf der Couch war, lassen sich in diesem Blog beobachten, von Woche zu Woche. Hintertürchen … immer offen! “Whoah, baby, I´m a backdoor man!”

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Es ist nie zu spät! Alles kann so bleiben? Naja. So lebt der MAC immer weiter, wird selber zum Blog

Manche LeserInnen klagen, es fehlen ihnen die „privaten Sachen“, der Sex, die Drogen, die Lügen, seit sich der Blog stärker an der durch die „Marxistische Abendschule“ (MASCH) inspirierte Re-Politisierung seines Autors ausrichtet, andere finden gerade gut, dass die Ich-Form etwas zurückgedrängt, oder zumindest in einen interessanten, neuen Kontext gestellt wird. Die neuen Leser, die ich so gewinne, können vielleicht mit dem MAC-Zeug nicht so viel anfangen. Meine vielen Leben und „Trips“ mögen auf sie unübersichtlich, überfordernd, unglaubwürdig wirken … der wilde junge Mann, der biedere Familienmensch, der Fan von Psychoanalyse und Fix & Foxi, der Frauenversteher und der Frauenbenutzer, der Linksradikale und der Kapitalisten-Anhimmler, der „Dichter“ und der TV-Programmhefte-Macher, der Bob Dylan-, HiFi- und Karl-Marx-Experte, der für und gegen den Kapitalismus arbeitende … ach, was noch alles, es ist schon stinklangweilig und eitel ohnehin, die Brüche, die Widersprüche, dir Ungereimtheiten, vielleicht nur Zufälligkeiten meines Lebens ein weiteres Mal auszustellen, irgendwann ist das Bonbon gelutscht. Sind wir nicht alle irgendwie gaga, eben keine Roboter, oder falsch programmiert, unlogisch und chaotisch und total inkohärent, ich vielleicht ein bisschen mehr, wenn ich drauf gucke, in welche Lebensumstände ich mich damit (damit? Ist die Frage) immer wieder bringe, oder schon zum zweiten Mal. Stop.

Was ist ein Blog? Keine Ahnung!

Was ist überhaupt ein Blog? Keine Ahnung. Ich muss auch zugeben, dass ich keine anderen Blogs lese. Ich finde gut an meinem Blog das selbstgewählte wöchentliche Erscheinen, weil es zu einer bestimmten Arbeitsweise führt. Ich finde schlecht die geringe Resonanz, weil die Möglichkeiten des Internet damit eigentlich nicht genutzt werden. Ich könnte die Texte genauso gedruckt herausgeben, es würde nur Geld kosten und ich hätte ein größeres Vertriebsproblem. Und irgendwie sind sie auch keine Texte für den Druck. Wichtiger Punkt: Einen Blog machen kostet so gut wie NICHTS, ist GRATIS, nicht schlecht und sehr demokratisch! Sind die Texte deshalb auch nichts wert? Gut finde ich auch, es gibt einem das Gefühl, „zu veröffentlichen“, obwohl ich auch spüre, dass „Veröffentlichungen“ in einem Blog kaum Gewicht haben, nie zitiert werden und sich am Ende doch im „Self Publishing“-Getto abspielen (obwohl das kein Getto mehr ist, ich weiß, für mich aber irgendwie schon. Ich will bei Suhrkamp veröffentlichen). Text ist schlampiger im Blog, kein Lektorat, kein Vier-Augen-Prinzip, ich schreibe schneller im Blog, weniger bedacht, haue schneller was raus, vielleicht hat das auch Vorteile … Vielleicht sollte ich den Blog so nutzen: Als eine Art Tagebuch, bei dem ein paar andere mitlesen … Leider kann man die Blog-Texte nicht einfach nehmen und ein Buch draus machen … Blog-Bücher sind doof, sogar bei Rainald Goetz, der einmal seine Internet-Einträge zum Buch gemacht hat, als „Netztagebuch“, den Begriff Blog gab es damals noch nicht. Der Titel war allerdings genial: „Abfall für alle“.

Wie wär´s wieder mal mit einem Traum? Das ist eine Text-Sorte (ist es eine Text-Sorte?), diedazwischen liegt – und in der ALLES möglich ist, alles ineinander übergeht, verrinnt. In der MASCH Runde zur „Kritischen Psychoanalyse“ nach Klaus Holzkamp, mit dem wunderbaren Stefan Eckstein als Vortragenden, wurde in der Mittagspause gesagt, nachdem ich meine Analyse erwähnt hatte und von der Bedeutung von Träumen darin, Träume seien doch nur „Ablagerungen“, „Restbestände“ des täglichen Erlebens und taugten nicht zur Orientierung … das finde ich gar nicht, ich finde das Gegenteil, sie orientieren oft mehr als alles andere. Hier nun, von heute Nacht:

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Im wirklichen Leben sieht das auf andere Art gefährlich aus

Traum Nr. 26

Ich liege in der Badewanne, sie läuft fast über. Ich bekomme den Wasserhahn nicht abgedreht. Oder war es so, dass ich gar nicht auf die Idee kam, ihn abzudrehen? Jedenfalls läuft es voll, nur mehr wenige Millimeter, bis der Rand erreicht ist. Es gibt eine Frau, die gerade noch da war, sie kommt mir bekannt vor, aber ich erkenne sie nicht.Ich kann sie auch nicht rufen, weil ich ihren Namen nicht weiss. Sie geht an meiner Wanne vorbei und verlässt das Badezimmer durch eine Tür, die ganze nahe am Fußende meiner Wanne ist und direkt ins Freie führt, vielleicht in einen Garten. Sie schließt die Tür von außen. Das Wasser steigt, läuft über. Ich rufe „Hallo, ist da jemand?“. Die Frau will wieder rein kommen, aber die Tür lässt sich nach innen nicht öffnen, stößt an der Badewanne an. Muss ich hier ertrinken? Es geht alles so schnell, dass ich nicht richtig Angst habe. Ich bin im Traum wie im Traum, mehr Zuseher, passiv. Das Badezimmer hat noch eine andere Tür, die mir bisher nicht aufgefallen war. Eva kommt rein. „Wie sieht´s denn hier aus, dreh doch das Wasser ab.“ Es ist zwar alles nass, aber nicht so schlimm wie gerade noch. „Günther Nenning steht vor der Tür“, sagt Eva, „er will dir sein neues Buch bringen.“ 

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Opus Magnum von G.N., 1973. Im selben Jahr fing der Mann auf der Couch im Nenning-Verlag (Verlag Schriften zur Zeit) zu arbeiten an

Günther Nenning? Der ist seit 15 Jahren tot. Ich will ihn aber sprechen, ihm von MASCH erzählen, er hat mich ja damals, vor 50 Jahren, für all das linke Zeug begeistert. Ich ziehe meinen blauen Bademantel über, setze mich auf eine weiss gestrichene Holzbank vor dem Badezimmer, um in mein Clogs schlüpfen. Ich sehe einen Mann im Flur stehen, der Flur ist nochmal mit einer Tür von mir abgetrennt, die jedoch im oberen Teil ein Glasfenster hat, durch das sich durchsehen lässt. Der Mann wendet sich ab, scheint wieder gehen zu wollen. Ja, es könnte der Hinterkopf von Günther Nenning sein. Kurzes graues Haar, wie nicht sorfältig geschoren, den Kopf gebückt, die Haltung der alten Männer, damit kleiner, als er mal war. Er bleibt abgewandt, sieht mich nicht, scheint wieder zu gehen. Das Buch „Rot und Realistisch“ liegt neben mir auf der Bank. Ich sitze da, nass, im Bademantel, die Beine breit, bequem, als würde ich länger sitzen bleiben wollen. Ein Kind läuft auf mich zu: „Papi, Du machst ja alles ganz nass!“. Es klettert auf meinen Oberschenkel um rittlings drauf zu sitzen. Mit einem Arm umschließe ich seinen Oberkörper, als wäre ich sein Sicherheitsgurt.

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