„Medienkritik muss wieder ein zentrales Thema der Linken werden“

Das darf ja nicht wahr sein! Die Rechte hat uns die Medienkritik aus der Hand genommen, die als Ausdruck von Medienkompetenz ein wichtiges Werkzeug ist, wenn man Politik machen will. Ein GROSSES Thema für den MAC-Blog und ev. auch den ROTEN SALON HAMBURG. Lasst Euch überraschen!

MAC: Michael, ich stehe ja eher für Deine nach innen gewandte Seite, schon mit dem Titel Deines Buchs, „Mann auf der Couch“. Von der Couch bist Du jetzt aufgestanden.

Michael Hopp: Naja, im Buch steht viel über meine frühe, linksradikale Zeit in Wien, auch über meine Sozialisierung und Ausbildung als linker Journalist im Neuen Forvm bei Günther Nenning, der mich mit all seinen Stärken und Schwächen geprägt hat. Auch in seiner Unruhe, der Sexsucht – und dem ständigen Schwanken zwischen radikal und opportunistisch. Ich sage heute immer, ich war das, was man heue „Autonomer“ nennt, allerdings der Hasenfuß unter den Autonomen …

Ein „Autonomer“, der später in vollkapitalistischen Verlagen Karriere gemacht hat, wie Condé Nast, Bauer Verlag …

Es stimmt, dass ich mit dem Vaterwerden und dem Gründen einer Familie in den späten 80er Jahren eine Art Rückzug angetreten habe, das kann man auch in meinen Texten aus der Zeit nachlesen, in denen ich von Sanfter Geburt und Schmerzerfahrung schwärme und sogar vertrete, Frauen sollen lieber zu Hause bleiben bei den Kindern. Allerdings leicht links verbrämt, mit der Idee, die Reproduktionsarbeit der Mütter müsse anerkannt und der Produktionsarbeit gleichgestellt werden. Damit verbunden war meine Begeisterung für eine konventionelle „Karriere“, von der ich mir Anerkennung erhoffte – und vielleicht auch die Verwandlung in einen Zustand, der auf meinen Vater respekteinflößend wirkt. Das war natürlich Illusion. Was blieb, war der Leistungsdruck, den ich mit Alkohol bekämpfte. Um diese Karrierephase halbwegs durchzustehen, brauchte ich den Rückzug in die familiäre Geborgenheit, die dann auch zerbrach.

Bereust Du heute Deine psychoanalytische Phase, die sich doch über fast zwei Jahrzehnte hinzieht?

Ja und nein. Ich bin erwachsener und verlässlicher geworden, habe zu trinken aufgehört, ein regelmäßiges Leben geführt. Es war sicher zu viel Zeit, Energie, Geld. Vor allem mit C.G. Jung, von dem ich lange Zeit sehr fasziniert war, bin ich eine mythisch geprägte, irrationale und anti-aufklärerische Innerlichkeit abgerutscht, die mich auch davon abgebracht hat, Psychoanalyse und „links sein“ zusammen zu denken und zu leben, was mein ursprüngliches Interesse war.  Ich kam über den Kommunisten Wilhelm Reich zur Psychoanalyse, der sich allerdings dann auch verrannt hat. Heute sehe ich in der Linken interessantere Ansätze, wie Klaus Holzkamp, den Vater der „Kritischen Psychologie“ aus den 70er Jahren, die sich aber nicht fortschreiben haben lassen. Holzkamp habe ich erst letztes Jahr auf einer Veranstaltung der MASCH kenngelernt. https://www.masch-hamburg.de/
Psychoanalyse ist in der heutigen Linken kein Thema mehr, schade. Generell sind alle kulturellen, „Überbau“-Themen verloren gegangen. Vor kurzem bin ich auf die österreichische Philosophin Barbara Eder gestossen, die sich mit Themen wie „Der Sex der Linken“ beschäftigt. Eine Ausnahme.

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Seit den 60er-Jahren war Medienkritik ein zentrales linkes Thema, das Massen bewegte. Heute mobilisiert die Rechte damit

Ein weiteres Thema, das die Linke verloren hat, scheint das Thema Medienkritik zu sein, ein Thema, das dir in der früheren linken Zeit aber auch vor ein paar Jahren noch mit der Veranstaltungsreihe  „Blattkritik Salon“ immer sehr wichtig war.

Dass die Medienkritik heute fest in den Händen der Rechten ist, ist eine Katastrophe. Ich bin allerdings nicht der einzige, der das bemerkt hat. Es gibt den tollen Lukas Meisner mit seinem Buch „Medienkritik ist links“, ein Autor der jungen Generation, der es auch nicht dabei belässt, ein Buch geschrieben zu haben. Und weiter unten im Blog veröffentliche ich einen großartigen Artikel aus LeMondeDiplomatique in der gekürzten Version der taz, der sich um, man könnte sagen, dialektisch-materialistische Ansätze bemüht, zu erklären, was heute die Situation ist. In meinem Umfeld, wie den Marxisten bei der MASCH, wird das Thema eher ignoriert, ich habe es vor kurzem mal vorgetragen. Ich bin da auch der einzige linke Journalist.

Im MAC ist ausführlich zu lesen, wie sehr in Deiner Jungend Journalismus und links sein sozusagen eins waren …

Ich kannte gar nichts anderes, ich war in einer linken Redaktion aufgewachsen und mein erstes Schülerpraktikum habe ich in der „Arbeiter Zeitung“ gemacht. Ich wollte damals „Politik“ machen – und Medien war nur ein Mittel dazu. Ich war zum Beispiel als 16jähriger in der „Sektion 6“ des „Spartakus Bund Wien“ – und wollte unbedingt in deren Zeitung Nachrichten für Unzufriedene schreiben. In der Reihenfolge. Später hat sich die Medienarbeit verselbstständigt, professionalisiert, dachte ich.

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„Spiegel“-Gründer Rudolf Augstein, 1967 im Verdacht, die Kampagne gegen den Springer-Verlag mitfinanziert zu haben

Inwiefern war Medienkritik links damals?

Ich meine, die halbe Linke war „Medienkritik“.  Benjamin, Negt/Kluge, Enzensberger, Fassbinder, bei den Filmemachern Fassbinder, Sander, Straub/Huilett … die Zeitschrift „Filmkritik“, das war ja alles „Medienkritik“.  Aber auch jahrelange, Massen mobilisierende Kampagnen wie „Enteignet Springer“, die identitätsbildend für die Linke waren, schließlich Aufdecker wie Günter Wallraff mit Auflagen von hunderttausenden Büchern.  Auch Figuren wie Rudolf Augstein – wer wäre das heute – , der sozusagen Subjekt und Objekt von Medienkritik war? Es war praktisch jeder Linke damals medienkritisch, mit Ausnahme vielleicht der K-Gruppen und der ML-Szene.  Bleibendes Resultat des tunix-Kongresses 1978, der Geburtsstunde der undogmatischen Linken, war übrigens die Gründung einer Zeitung, der taz …

Was denkst Du, wie ist diese linke Hegemonie über die Medienpolitik verloren gegangen?

Es sind große politisch-kulturelle Verschiebungen, das linke und linksliberale Spektrum ist kleiner geworden. Die Hoffnung, was an der Linken verloren geht, könne durch die Grünen aufgefangen werden, hat sich zerschlagen. Ich meine das nicht wahlarithmetisch, sondern politisch und kulturell. Die Grünen haben kein Interesse an Kultur, es gibt keine grüne Kultur, keine grünen Medien, grüne Kunst wäre lächerlich. Das war bei uns natürlich anders, inzwischen ist es auch nicht viel besser bestellt. Leider hat auch die Linke keine Kultur mehr. Weil ich mich oft über die taz ärgere, habe ich die „Junge Welt“ abonniert, der Kulturteil da ist armselig. Viel mehr als Kai Degenhardt, den ich toll finde, findet nicht statt. Aber auch heutige Marxisten gehen nicht ins Kino, sondern gucken „Kulturzeit“ auf 3sat.  Karl Marx war übrigens auch Theater-Kritiker, er hat sich nie eine Ignoranz erlaubt. Man blättere dazu in den beiden wunderbaren Bänden „Marx und Engels über Kultur“. Die Linke hat nicht nur die Medienkritik verloren, sondern die kulturelle Kompetenz insgesamt.  Es gibt zwar linke Künstler, wie den gerade verstorbenen René Pollesch, aber es gibt keine Verbindung zu linker Organisation oder Politik. Das schwächt die Linke enorm. Es kamen in der Geschichte mehr Menschen über die Songs von Bob Dylan in die Linke als durch Flugblätter.

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Günter Wallfraff macht mit seinem „Bild“-Buch „Der Aufmacher“ Medienkritik zum populären Thema

Hat sich auch das journalistische Milieu verändert?

Total. „Wir“ waren viele Quereinsteiger, Freaks, Unangepasste.  Heute gibt es nur studierte Journalisten, bürgerliche Existenzen. Sie identifizieren sich nach oben, wollen selber mächtig und wichtig sein. Jetzt, wo Internet und KI die Situation der Journalisten verschlechtern, umso mehr. Journalisten sind heute Establishment, nicht die, die dagegen sind. Der „Spiegel“, der doch über Jahrzehnte das Leitmedium einer kritischen Einstellung war, hat diese Bastion geräumt. Das wirkt auf die Mentalität der ganzen Branche.

Welche Rolle spielt das Internet?

Auch das haben die Rechten gekapert, eindeutig.  Auf einer politischen Plattform wie x spielt die Linke praktisch keine Rolle, auch der junge Kanal tiktok is fest in der Hand der Rechten. Immerhin wird das schon thematisiert.  Die Linke hat nicht verstanden, wer auf Social Media als Kontaktfläche verzichtet, verzichtet darauf, von jungen Menschen wahrgenommen zu werden. Die Linke pflegt heute noch eine Distanz zu den sozialen Medien, die sie im Prinzip als Teufelszeug ansehen. Die Rechten lieben sie. Wertvoll in dem Zusammenhang ist der Band „Die Digitalisierung von Gegenmacht“ über die Digitalisierung von Arbeitskämpfen, dazu möchte ich gerne im ROTEN SALON HAMBURG eine Veranstaltung machen.

Hast Du denn auch eine Idee, wie sich die Linke  die Medienkritik zuückholen könnte?

Nehmen wir das Beispiel der von rechts behaupteten Differenz zwischen „öffentlicher und veröffentlichter Meinung“.  Das ist ein klassisches medienkritisches Argument, und am Beispiel des Ukraine-Krieges sieht man auch, dass da was dran ist. Mehr als die Hälfte der deutschen ist gegen Waffenlieferungen, aber 100 Prozent der Qualitätsmedien dafür.  Also kann man diese Kritik äußern, ohne in die Gesellschaft von Corona-Leugnern zu kommen, obwohl man jetzt im Nachhinein sieht,, daß das Corona-Leugnen auch was für sich sich hatte, nicht das Leugnen der Seuche natürlich, aber das Kritisieren wahnsinnig überzogener Massnahmen. Man muß deshalb auch nicht Wagenknecht wählen. Was man machen kann – die Analyse, warum das so ist, warum Medienhäuser und Journalisten heute so agieren, wie sie agieren, mit einem linken Instrumentarium anstellen und das dann als Kritik Geäusserte, links „codieren“.  Wir müssen so formulieren, daß es klar ist, dass da Linke sprechen. Rechte arbeiten mit den „Phänomenen“, Linke mit deren Ursachen.

Literaturhinweise:

Barbara Eder, Felix Wemheuer, Die Linken und der Sex – Klassische Texte zum wichtigsten Thema, Prodmedia Druck- und Verlagsanstalt, 2011, als Buch 14,90 €
Michael Hopp, „Ein bürgerlicher Traum“,  Blogbeitrag über eine MASCH-Veranstaltung zur „Kritischen Psychologie“ des Klaus Holzkamp  https://michael-hopp-texte.de/ein-buergerlicher-traum/
Lukas Meisner, Medienkritik ist links, Eulenspiegel Verlagsgruppe, 2023, 16 €
Karl Marx, Friedrich Engels, Über Kunst und Kultur, 2 Bände, Dietz Verlag Berlin, 1967, antiquarisch
Martin Oppelt, Falko Blumenthal (Hg.), Digitalisierung von Gegenmacht, transcript Verlag, 2023, 35 €

Einbettung in Elitenetzwerke, aber das ist nicht alles

Immer weniger Eigentümer, immer weniger Meinungsvielfalt: Der deutsche Journalismus hat ein Problem. Doch Kritik kommt vor allem von rechts. Da muss sich ändern. Ein Debattenbeitrag

Von Fabian Scheidler

„Die Medienkritik verhält sich zu den Medien wie die Ornithologie zu den Vögeln: Die Vögel wollen davon nichts wissen.“ Das sagt der Soziologe Harald Welzer, der zusammen mit dem Philosophen Richard David Precht 2022 einen Bestseller mit dem Titel „Die vierte Gewalt. Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist“ veröffentlicht hat. Tatsächlich reagieren viele Medienvertreter dünnhäutig auf Kritik, vor allem wenn sie grundlegender Art ist. Strukturelle Kritik, die über einzelne Skandale hinausgeht, wird schnell in die Nähe rechter Verschwörungsideologien gerückt, selbst wenn sie wie im Fall von Welzer von linksliberaler Seite kommt.

Dabei gäbe es durchaus Anlass zu einer kritischen Selbstreflexion. Es sei nicht von der Hand zu weisen, dass es eine Repräsentationslücke zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung gebe, so der Kommunikationsforscher Uwe Krüger von der Universität Leipzig. Eine Auswertung der Beiträge von deutschen Leitmedien zum Ukrainekrieg habe gezeigt, dass Stimmen, die sich für die Lieferung schwerer Waffen und gegen diplomatische Initiativen aussprachen, mit Abstand die größte Präsenz in den führenden Medien hatten. Dagegen lehnte im selben Zeitraum laut Umfragen etwa die Hälfte der deutschen Bevölkerung solche Waffenlieferungen ab, mehr als die Hälfte wünscht sich mehr Diplomatie.

Eine militaristische Schlagseite der deutschen Medienlandschaft sei kein neues Phänomen, so Krüger. Ob Krieg gegen Serbien oder in Afghanistan, stets war die große Mehrheit der Leitartikel in den führenden deutschen Medien dafür, während sich die Bevölkerung mehrheitlich ablehnend äußerte.

Krüger war 2013 mit einer Dissertation bekannt geworden, in der er die Einbettung führender deutscher Journalisten in transatlantische Thinktanks untersucht hatte. Dabei zeigte er, dass Topjournalisten von der Süddeutschen ZeitungZeitFAZ bis zur Bild in transatlantischen Denkfabriken wie der Atlantik-Brücke oder der Trilateralen Kommission Mitglied waren, ohne dies in ihren Publikationen offenzulegen.

Eine Frame- und Inhaltsanalyse als Teil der Dissertation ergab, dass die Texte dieser einflussreichen Journalisten durchgängig den US- und Nato-freundlichen Positionen dieser Organisationen entsprachen. Selbst der stellvertretende Chefredakteur der Zeit, Bernd Ulrich, räumte ein, dass die transatlantischen Netzwerke ein „Transmissionsriemen für die amerikanische Denkart in der Außenpolitik“ seien.

Transatlantische Netzwerke

Doch trotz der Wellen, die Krügers Studie und die Kabarettsendung „Die Anstalt“, die das Thema verarbeitet, damals schlugen, wurde die Forschung an diesem Thema nicht fortgeführt. Auch die großen Medien verfolgten es nicht weiter.

Dabei ist die Frage, ob und wie transatlantische Netzwerke die Berichterstattung beeinflussen, angesichts der Eskalationsgefahren vom Ukrainekrieg über den Nahen Osten bis China von höchster Aktualität und nicht weniger brisant als die Frage nach Einflüssen der russischen Propaganda.

Die Einbettung in Elitenetzwerke ist jedoch bei Weitem nicht die einzige Ursache für potenzielle Verzerrungen in der Berichterstattung. Sinkende Auflagen, wegbrechende Anzeigenkunden und die Konkurrenz durch schnelle Umsonst-Infos aus dem Internet haben die Medienbranche in den letzten Jahrzehnten tiefgreifend verändert. Sabine Schiffer, Gründerin des Instituts für Medienverantwortung in Erlangen, weist darauf hin, dass für viele Journalisten ihre Arbeit deutlich prekärer geworden ist. Mutiges Anschwimmen gegen den Strom sei heute wesentlich schwieriger, Karriere würden vor allem Opportunisten machen.

Eine weitere problematische Entwicklung verschärft die Zeitungskrise: die zunehmende Eigentumskonzentration. Im Bereich der Tagespresse werden 57 Prozent der Marktanteile von den zehn größten Medienkonzernen gehalten, bei den Boulevardzeitungen liegt die Konzentration sogar bei über 98 Prozent.

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Fabian Scheidler, preisgekrönter Autor und Dramaturg

Monopole bei Tageszeitungen

In über zwei Dritteln aller Landkreise und Städte hat ein einzelner Konzern sogar ein Monopol bei Tageszeitungen, so etwa in Köln, Stuttgart, Hannover, Nürnberg, Freiburg, Magdeburg, Kiel, Mainz, Wiesbaden, Erfurt, Leipzig und dem größten Teil des Ruhrgebiets.

Im Bereich der Wochenzeitungen sieht es ähnlich aus, bei Publikumszeitschriften etwa sind sogar knapp 63 Prozent in der Hand von fünf Konzernen. Der Großteil dieser marktbeherrschenden Konzerne gehört wiederum in Teilen oder ganz einer kleinen Schar von Milliardären oder Fast-Milliardären, darunter die Familien Mohn (Bertelsmann/RTL/Gruner und Jahr), Springer/Döpfner (Bild, Welt u. a.), Holtzbrinck (Die Zeit, Tagesspiegel u. a.), Schaub (Medien-Union/Süddeutsche Zeitung u.a.), Burda (Focus u. a.) und Becker/Marx/Wilcke (Funke-Gruppe).

Zwar mischen sich Eigentümer selten in die tägliche redaktionelle Arbeit ein, aber sie bestimmen Chefredakteure und Budgets und üben so erheblichen Einfluss auf die redaktionelle Linie aus. Dass man in einem Land, in dem die meisten Medien Milliardären gehören, wenig darüber liest, wie man deren übermäßigen Reichtum durch Steuern oder Vergesellschaftung lindern könnte, um die öffentlichen Haushalte zu sanieren, ist kaum erstaunlich.

Die Eigentumsverhältnisse sind allerdings nicht der einzige Faktor, der Meinungsvielfalt und kritische Selbstreflexion einschränkt. Die tonangebenden Medien würden, so Harald Welzer, bei bestimmten Themen immer näher zusammenrücken und eine Art Korpsgeist entwickeln, auch wenn sie konkurrierenden Unternehmen angehören.

Diesen Korpsgeist hat der Sozial­psychologe Irving Janis einst als groupthink bezeichnet. Janis hatte in den frühen 1970er Jahren erforscht, wie Anpassungsdruck in Eliten zu fatalen Fehlentscheidungen führen konnte, von der gescheitertem US-Invasion in der kubanischen Schweinebucht über die Eskalation des Vietnamkrieges bis zum Watergate-Skandal. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmen in-group wird in Entscheidungssituationen höher gewichtet als klares Denken und ethische Maßstäbe. Abweichende Sichtweisen und alternative Lösungsstrategien werden als gruppengefährdend ausgeblendet und sogar bekämpft.

Diese Tendenz zum groupthink war nicht nur im Ukrainekrieg, sondern auch schon in der Coronapandemie in deutschen Medien zu beobachten. Zwar gab es einen gewissen Spielraum für Debatten, doch wurden Kritiker bestimmter Regierungsmaßnahmen wie Lockdowns, Schulschließungen und 2G-Maßnahmen von einigen führenden Medien pauschalisierend als „Schwurbler“ oder „Covidioten“ abgetan, selbst wenn sie ernsthafte Argumente ins Feld führten.

Für Heribert Prantl, bis 2019 Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung, stellten diese Abwertungen von Kritikern einen groben Fehler und einen Missbrauch der Pressefreiheit dar. „Journalisten sollten mit Argumenten streiten, nicht mit Verbalinjurien“, so Prantl.

Auch unverhohlen autoritäre Tendenzen wurden salonfähig. So veröffentlichte etwa die Süddeutsche Zeitung einen großen Essay des Schriftstellers Thomas Brussig mit dem ganz und gar ernst gemeinten Titel „Mehr Diktatur wagen“. Prantl kommt zum Schluss: Gerade in einer Zeit, in der die Staatsgewalten von der Exekutive über die Legislative bis zur Judikative Grundrechtseinschränkungen durchsetzten, hätte die vierte Gewalt als Korrektiv einschreiten müssen.

Der Krieg in Gaza bietet ein weiteres Beispiel für eine beunruhigende Konvergenz von Massenmedien und Staatsmacht. Die eklatante Falschbehauptung des deutschen Kanzlers Olaf Scholz am 14.November 2023, dass sich die Regierung Netanjahu bei ihren Bombardierungen in Gaza an Völkerrecht und Menschenrechte halte und alle anderslautenden Behauptungen „absurd“ seien, hat in den deutschen Leitmedien kaum Kritik erfahren.

Wann aber hat die Tendenz zum Gruppendenken in Deutschland eingesetzt und warum? Uwe Krüger hat um die Jahre 2013 bis 2015 eine deutliche Veränderung in Deutschland wahrgenommen. Medienkritik würde inzwischen leicht von rechten Verschwörungstheoretikern vereinnahmt oder mit ihnen in Verbindung gebracht.

Damals, zwischen 2013 und 2015, entstanden AfD und Pegida-Bewegung, die das Schlagwort „Lügenpresse“ verbreiteten. Diese Entwicklung leistete einer fatalen Polarisierung Vorschub: Während rechte Kreise das Feld der Medien­kritik immer weiter besetzen konnten, bildeten viele Leitmedien eine Art Wagenburgmentalität aus und immunisierten sich gegen Kritik, indem sie sich als Verteidiger der freiheitlichen Ordnung gegen den rechten Mob inszenierten.

Eine grundlegende Kritik an der Funktionsweise von Massenmedien wurde zunehmend zwischen diesen Fronten zerrieben. Dabei ist eine solche Kritik aus emanzipatorischer Sicht heute notwendiger denn je, gerade auch um der Rechtsentwicklung entgegenzuwirken.

Der Beitrag ist zuerst in der wochentaz vom 2. März 2024 erschienen, davor in der Märzausgabe der LeMondeDiplomatique

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