Keine Heilung, nirgends

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MACBook ist nicht gegründet, um Autoren und ihre Bücher runterzumachen, eher im Gegenteil, er soll auf Interessantes und Lesenswertes verweisen und bisher ist das immer recht gut gelungen. Heikel wird es eventuell, wenn es um Bücher geht, die den Erfahrungshorizont und die Gedankenwelt des MAC unmittelbar berühren. 
Das war vor ein paar Monaten mit „Toxic Man“ von Frederic Schwilden der Fall, einem Buch, das dem „Mann auf der Couch“ auf den ersten Blick nicht unverwandt ist, auf den zweiten Blick dann allerdings dann doch sehr, unverwandt.
Im Blog wurde es unter dem Titel „Brothers In Arms“ dem „Mann auf der Couch“ direkt gegenübergestellt – als Bücher zweier „toxischer Männer“ (der MAC hat den Begriff nie verwendet, mag aber von manchen dazugezählt werden, oder lebt in der Angst, es könnte so sein), zweier Brüder in Waffen, doch die Waffen sind stumpf geworden oder richten sich gegen ihre Träger selbst. https://michael-hopp-texte.de/brothers-in-arms/

Bei Timon Karl Kaleytas „Heilung“ ist es ähnlich, denn mit „Heilung“ ist immerhin das zentrale Thema des „Mann auf der Couch“ angesprochen, denn die suchte der MAC ja auch, 20 Jahre lange auf den Couchen seiner beiden Analytikerinnen. Auch andere Formen der Psycho- und Physiotherapie sind dem MAC vertraut und bis heute findet er jeden Tag etwas an ihm oder in seiner Umgebung, das nach einer „Heilung“ verlangt, bis hin zur Gesellschaft als ganzes.

Titel und Thema  sind also gut gewählt, zusätzlich angetörnt (finde ich besser als „getriggert“)  wurde der MAC durch eine fast ganzseitige Besprechung in der Süddeutschen Zeitung, in der die Rezensentin Christiane Lutz „Heilung“ als „phänomenalen Roman“ feiert, den Autoren als zweiten Thomas Mann, wäre er nicht auch Sänger und Texter der Elektropopband Susanne Blech, wo er eine Humorbegabung zeigt (im Buch allerdings nicht).
Dass sich  Pop-Sänger, seit mit der Musik immer schwerer Geld zu verdienen ist, mit Romanen um ein zusätzliches Einkommen bemühen, ist übrigens ein unübersehbar starker Trend, crossmedial wenn man will, Content auf allen Kanälen. Ich kenne von Schorsch Kamerun, über Dirk von Lützow bis zu Timo Blunck eigentlich keinen, der das nicht getan hätte in letzter Zeit.
Am Stapel des MAC liegt auch das zeitgleich mit Kalyeta erschienene „Irre Wolken“, des „Erdmöbel“-Sängers und Autoren Markus Berges.

timon karl kaleyta ging es
Autor Kaleyta humorbegabt als Sänger Band Susanne Blech. Hier der lustige Song „Stéphanie von Monaco“ von 2021: https://www.youtube.com/watch?v=QHth7IwJbC0

In „Heilung“ geht es um einen nicht näher charakterisierten Unsympathen (der MAC starrte auf das Autorenfoto auf der hinteren Umschlagklappe und dachte, hoffentlich ist der Ich-Erzähler nicht das Alter Ego des  Autoren, wie es bei ihm der Fall ist), der an einer rätselhaften Schlaflosigkeit leidet. 
Seine Frau, Imogen, eine, auch nicht näher erklärte, schnell zu Ansehen und Wohlstand gelangte Künstlerin, drängt ihn, der eine, wieder nicht näher erklärte, Antipathie gegen Therapien jeder Art hegt, eine Auszeit in der Luxus-Reha, „San Vita“ in den Dolomiten zu nehmen, mit dem unvermeidlichen „ganzheitlichen Ansatz“, um wieder in Ordnung zu kommen.
Das Set Up ist gut, leidet aber von der ersten Seite an daran, dass der Autor keine Mühe darauf verwendet, seine Protagonisten und ihre Motive zu beschreiben, ihre Herkunft und Entwicklung zu zeigen oder sie sozial einzubetten.
Was könnte es sein, das den Erzähler krank gemacht hat? Was für ein Mensch ist seine Partnerin? Das Konzept der „Identifikationsfigur“ mag altmodisch sein, aber ohne Figuren auf dem Schachbrett kommt keine rechte Spannung in das Spiel. Bis zum Schluss entsteht beim Leser (zumindest beim MAC) kein innere Ahnung von dieser Figur, keine Anteilnahme.

Würde der Protagonist in der Hälfte des Buches schon sterben, auch gut, es kann immer so oder so kommen. Sowas kann man sich leisten, wenn man weiß, dass später Bill Murray das spielt, aber nicht in einem kleinen „Roman“, der sonst betont klassisch auftritt und jedem Experiment abgeneigt ist.
Um die innere Leere auszugleichen, betreibt Kalyeta einen hohen Erzählaufwand, bietet viel Grusel und Action, versucht, Tempo zu machen, wenn der Patient vom unheimlichen Klinikchef Dr. Trinkl für Stunden in einen dunklen Raum gesperrt wird, auf nächtliche Jagdausflüge mitgenommen und zu archaischen Ritualen im Wald verdonnert wird, wie dem  Erschiessen eines Wildschweines.
Die Ideenwelt, aus der dieser Klamauk herrührt, liegt wohl in der „Eisenhans“- und „Wild Men“-Männerbewegung, es fehlt nur noch, dass im Wald ein Schwitzhütte aufgebaut wird.

Frauen sind in dieser Welt Außenseiter, der Held unterhält zwei homoerotische Beziehungen, erst zum dubiosen Dr. Trinkl, danach zu einem Jugendfreund, Jesper, der ihm im Traum erscheint und ihm mehr Perspektive zu bieten scheint als das „San Vita“ – obwohl, ist es überhaupt das, was er sucht?
Man weiß es nicht. Das ist ein Buch, in dem prinzipiell nicht nachgedacht wird – aber ohne, dass diese Leerstelle durch einen anderen Reiz ersetzt wird. Es ließe sich ohne Verlust sofort als Comic umsetzen. Dann wüsste man wenigstens, wie die Figuren aussehen, denn auch das vermittelt der Roman nicht.

Die Heldenreise ist durchaus turbulent erzählt, die unheimlichen Abenteuer im „San Vita“, dann eine überstützte, psychotische Flucht aus Trinkls Heilstätte nach Italien und in die Schweiz, um beim unterschätzen Jugendfreund Jesper unterzukommen, der sich in der Zwischenzeit zum ehrfurchtgebietenden  Asketen verwandelt hat (wie?), mit seiner Frau Martha  eine Art Biobauernhof betreibt und alles richtig macht. In ihn will sich unser Held anverwandeln  – vielleicht hätte in dieser Verwandlung das Thema des Romans gelegen.
Dass unser Held am Schluss, wenn Jesper zu Tode gekommen ist, Heilung findet (ist zumindest so angedeutet) würde die Vampir-These stützen. Doch so, wie es erzählt ist, erweist sich die ganze Jesper-Episode als heiße Luft. Heilung finden, mein Gott, schon diese beiden Worte, wo sind wir denn hier gelandet. Es gibt keine Besprechung von „Heilung“, in der diese Wortkombination nicht 100x vorkommt, wahrscheinlich führt sie schon die Google-Listen an. Heilung finden, nicht vergessen!

Für den Leser ist es ein anstrengendes, frustrierendes Gefühl, den Autoren auf einer Reise zu begleiten, deren Ziel dieser um so mehr verliert, je schneller er fährt, je größer die Staubwolke ist, die er hinterlässt. Je höher der erzählerische Aufwand, desto weniger Erkenntnis, vielleicht ist es in dem Satz besser gesagt.
Okay, bei einer Hochschaubahn am Dom ist es nicht anders, man wird ein durchgerüttelt und erschreckt – und am Ende kommt man genau da an, wo man losgefahren ist.
Aber vom „besten Roman des Frühjahrs“, wie die ZEIT, für den MAC unbegreiflich, jubelt, wäre mehr zu verlangen, oder?

Timon Karl Kaleyta: Heilung. Roman. Piper, München 2024, 206 Seiten, 22,00 €

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