Lass dich heute Nacht nicht davon abbringen (mich zu verlassen)

In letzten Blog versprochen, heute schon eingehalten: Hier die ist erste Ausgabe der neuen MUSIKKOLUMNE im MACBlog – wie vorige Woche angekündigt:

Im Grunde. Im Grunde alles scheisse. Nö. Das kann nicht sein. Welche Platten sind es denn, die der MAC dann somnabul aus der Sammlung fischt? Wie wäre es, hier ein paar Beispiele zu präsentieren – und damit vielleicht den Anfang  zu machen für eine wirklich abgefuckte, abgedrehte, irgendwie sinnlose, sich jedem Verwertungs- oder Einordnungsinteresse widersetzenden MUSIKKOLUMNE, die niemandem etwas beweisen muss, die nicht gut und für nichts gut sein muss, sondern einfach herzhaft egal, oder scheisse, oder  großartig (eher nicht), wie immer das gefunden wird, oder auch komplett ignoriert: „Ein paar Platten, einfach so, also einfach nicht“, so könnte sie heißen.

Ein paar Platten, einfach so, also einfach nicht“, Folge I.

Bob Dylan: Springtime in New York, The Bootleg Series Vol. 16, 1980-1985, Columbia Records, 2021 (Vinyl Box)

Bettye Lavette: Things Have Changed, Verve Label Group, 2018 (Vinyl)

Diese Kassetten! Diese Angeber-Boxen! Boxsets! Da stehen sie rum, Bob Dylans „Bootleg Series“, bis auf „Budokan“ alle – und wann macht man sich schon die Mühe, eine rauszuholen und sich dabei fast die Finger zu brechen, weil sie im Regal so eng an eng stehen, dann unter den  in der Box enthaltenen Schallplatten anhand unübersichtlicher Beschriftungen die „richtige“ rauszufischen …
Die Boxen enthalten manchmal nur zwei Platten, also eigentlich ein Doppelalbum, trotzdem als Box verpackt (Verpackung !!! Wollen wir doch nicht!) , manchmal sind auch mehr Platten drin, viel mehr. Und  beim Aufräumen das ganze dann wieder retour … nachdem man sich auf der Vinylplatte, wenn sie dann am Plattenteller gelegen hatte, den Song (Cut) gesucht hatte, was dadurch erschwert wird, dass die Labels die Songs nicht immer aufführen und man sich den Hinweis („LP 2, Side B“) aus der meist schlecht lesbaren Tracklist auf der Rückseite der Kassette oder aus dem meist sinnlos aufwendigen  Booklet (die Fotos kennt man schon, hier nur auf Pornoglanz-Papier gedruckt) heraussuchen muss, mit den halbblinden Augen, die man (ich) hat.
Man (= immer ich) kann die Platte natürlich auch irgendwie so durchlaufen lassen, aber aus dylanologischer  Sicht, denke ich, gehört es schon dazu, auch in der Lage zu sein, einzelne Songs abhören zu können. Zur ANALEN Sammelwut gehört auch die die Liebe zu funktionierenden Ordnungen.

Bin ich schon digital verdorben, wenn ich sage, das dies die mühseligste Art des Musikhörens ist? Verbunden auch immer mit dem Schmerz, so viel Geld ausgegeben zu haben für das Zeug, das sich jetzt als so ressourcenverschwendend und dekadent und anstrengend erweist, aus heutiger Sicht, aber nein, das ist zu streng, zu deprimiert …
Warum ich´s doch wieder getan habe: Ich hatte auf YouTube eine fantastisch gesungene und gespielte Version von „Don´t Fall Apart On Me Tonight”  (Version II) gefunden – eines wirklich tollen Songs, der im Original auf “Infidels” von 1983 etwas untergeht und in einer anderen Version auf den Bootleg Series Vol. 16 “Springtime in New York”) zu finden ist. Meine Hoffnung, für das Herausfummeln der Bootleg Series-Box mit eine ähnlich tollen, wenn nicht noch tolleren Fassung entlohnt zu werden, wurde jedoch bitter enttäuscht – das trashige, gratis zugängliche You Tube-Video der (“Version II.) hat 100x mal mehr Dub und Drive hat als die auf der „Springtime in New York“-Kassette veröffentlichte Version I, ist auch viel besser gesungen. In beiden Versionen sind Mark Knopfler, Mick Taylor, Alan Clark, Robbie Shakespeare und Sly Dunbar in der Band, was irgendwie was hermacht und Mark Knopfler hat zwar auch viele grueenhafte Sachen gemacht, aber so pointiert und vor allem rhytmisch spielt fast nur er die Gitarre, vielleicht noch Robert Cray, wenn wir bei den älteren Herren sind. Hier gleich reinhören – wow! https://www.youtube.com/watch?v=di6wU11_4Wg

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Bob Dylans unendliche “Bootleg Series …” im Hauptquartier des MAC: Dekadent, luxuriös, ressourcenverschwenderisch?

Eine weitere hübsche (sagte Friedrich immer, ich verachtete ihn dafür, damals, heute habe ich auch kein besseres Wort) Version von „Don´t Fall Apart …“ gibt es von Bettye Lavette, wenn das eine Frau singt, ist es gendergemäss nochmal was anderes. Im Song geht es  wie manchmal bei Dylan um eine hilflose, etwas kaltschnäuzige Trennung, im Grunde eine Variante von „Dont´Think Twice …“ „Lass dich heute Nacht nicht davon abbringen“ … mich zu verlassen, wenn ich das richtig verstehe.
„Springtime in New York“ versammelt Song aus den Jahren 1980 und 1985, aus der Zeit, als Bob Dylan in einer tiefen Krise war. Warum mich diese Phase den MAC interessiert, und mich in düsteren Stunden heute noch dazu bringt, zu meiner Sammlung zu schleichen, beschrieb ich im „Mann auf der Couch“, damals noch begeisterungsfähiger (was dem Text was kindisches gibt), jedenfalls weniger abgefuckt als heute.

“Wir sind Zwerge”

Auszug aus: Michael Hopp, Mann auf der Couch, Textem Verlag 2021, ab Seite 411 (Kapitel „Die Zeit danach“)

Dafür bewundere ich Bob Dylan, der sich mehrmals am eigenen Schopf emporgezogen hat, die künstlerische Krise in den 80er und 90er Jahren, als er nicht mehr wusste, wie er mit der Figur Bob Dylan weiter umgehen sollte, wie die Musik klingen sollte, alles Albtraum-Themen. Sicher auch Depression, vielleicht Drogen, Alkohol, keine gelingenden Beziehungen zu Menschen, dann mit Ende 50 nochmal alles neu zusammengebaut und heute größer denn je, unangreifbar, wie nicht von dieser Welt. Gigantisch erfolgreich, obwohl er keine Sekunde wirkt wie ein erfolgreicher Mensch. Allein wie er mit dem Nobelpreis umgegangen ist.
Wir sind Zwerge gegen ihn, Wichte, das sage ich immer meinen Freunden und mache mir damit oft keine. Dieser Mann Robert Zimmerman ist frei, in der freiwilligen, selbst auferlegten Fron seiner mörderischen, allein schon gegen den Körper eines bald 80-Jährigen gnaden- und rücksichtslosen »Never Ending Tour«, auf der er seit 1988 jedes Jahr mehr als 100 Konzerte auf der ganzen Welt gibt, obwohl er keinen einzigen Dollar mehr verdienen muss. An den wenigen freien Wochenenden zu Hause in Los Angeles schmiedet er Eisentore. Trotz aller überlebensgroßen Erfolge hat sich Bob Dylan die missmutige, depressive Ausstrahlung bewahrt, die mir so viel Halt gibt. Er ist ein Mensch, dem keine Himmelsmacht was wegnehmen kann, ein autonomer Mensch. Versteht mich wer? Ich wäre gerne Bob Dylan, aber ich fürchte, mir fehlt der Mumm dazu und das Talent. Vor allem, ich hätte schon früher damit beginnen müssen.
Männer wie Bob Dylan (Lou Reed ist auch so einer, Miles Davis, oder Thomas Bernhard, Hunter S. Thompson) sind meine Vorbilder, Männer, die männlich sind und die mit Depressionen und Niederlagen umgehen können (auch mal nicht) und für die der größte Erfolg nicht viel bedeutet, weil sie wissen, dass er nur geliehen ist, oder ihn gar nicht bemerken, weil sie zu zugedröhnt sind. Männer, die jeden Augenblick im Krieg mit sich selbst stehen und gewinnen, wenn man sich darunter was vorstellen kann.
Nachts im Internet recherchiere ich über Bob Dylan, sammle Fotos, die ich kopiere, verschicke oder auf meinen Desktop irgendwie sinnlos ablege, wie ein Teenager. Dylan geht elegant wie kein anderer mit dem Untotsein um, so kann man die aktuelle Phase seiner Karriere auch sehen, er beherrscht also nicht nur das Leben, sondern auch das Untotsein. Aber so weit bin ich noch nicht. Mir fehlt der Erfolg – jedenfalls ein Erfolg, der so groß wäre, dass er meinem unersättlichen Größen-Ich entspräche.

Das unersättliche Größen-Ich, schönes Wort. Psychoanalytiker vermeiden es gegenüber den Patienten, das psychoanalytische Vokabular zu benutzen. Auf Doktor Von traf dies vielleicht noch stärker zu als auf Doktor Zu. Aber einmal machte sie eine Ausnahme, als sie sagte: »Sie scheinen sehr stark von ihrem Über-Ich gesteuert zu sein.« Ja, sieht so aus, hatten wir schon. Nach dem Vorbild der Psychoanalyse folgt auch dieses Buch dem Prinzip des Immer-wieder-darauf-Zurückkommens, Sie haben es sicher schon bemerkt.

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