Wir haben es schon gefeiert, den Blog des MAC gibt es jetzt seit mehr als einem Jahr. Er hat in diesem Jahr einige LeserInnen eingesammelt, es könnten mehr sein – aber es sind genug, um weiterzumachen. In der Ein-Jahr-Blog-Ausgabe am 10. November 2023 war ganz treffend beschrieben, was den Blog so in etwa ausmacht:
„Ursprünglich als lebensverlängernde Maßnahme für das Michael-Hopp-Buch Mann auf der Couch (2021) gedacht, hat sich der Blog inzwischen vom eher retro-und introspektiven MAC-Kern etwas entfernt und begleitet den MAC auf seinem manchmal steinigen, immer aber auch irgendwie komischen Weg in die Zukunft, auf dem die neu entdeckte Liebe zum Marxismus eine große Rolle spielt.“
Der steinige, aber immer auch irgendwie komische Weg des MAC in die Zukunft, auf dem die neu entdeckte Liebe zum Marxismus eine große Rolle spielt – ja, das ist es, das sollte und könnte es sein, was die Storyline des Blog ist, wenn ein Blog sowas benötigt.
Der Blog hat Leser und Leserinnen, ja, aber was er fast gar nicht hat, sind KOMMENTARE. Deshalb ist schwer zu erkennen, was von den Inhalten dieses Blogs überhaupt rüber kommt. Ein Dichter fragt seine Leser nicht, was er dichten soll, schon klar. Aber … der Blog ist im Moment wie jeden Freitag eine Lesung, nur ohne den Gesprächsteil danach. Es gibt das Wort Feedback, man könnte auch sagen Resonanz. Dem MAC fehlt es etwas an Resonanz, um … um … um … naja, NOCH besser zu werden, um seine Leser NOCH mehr zu inspirieren, als er dies eh schon tut … Oder ist das zu kommerziell gedacht, der Blog ist ja keine TV-Programm-Zeitschrift, bei der genau gemacht wird, was die zahlenden Leser wollen. Und wer dem Leser hinterherläuft, sieht nur seinen Hintern, sagt Brecht. Natürlich möchte ich von meinen Lesern und Leserinnen GELIEBT werden, um mal mit der Tür ins Haus zu fallen. Auch gerne ein bisschen gehasst.
Aber ist etwas davon der Fall? Oder bin ich so ein bisschen EGAL, das wäre das Schlimmste. Jedesmal, wenn der MAC die ENTER-Taste drückt und den Blog hochlädt (warum eigentlich hoch, in den Himmel?) – ist es so ein ZISCH, als würde der Text im Nirvana verschwinden, oder eben auf diesem monströsen Textfriedhof, der das Internet ist.
Warum kommen so wenige Kommentare? Eva hat die Vermutung, der Grund könne sein, dass sich Menschen, bei den vielen persönliche Themen, die hier auch angesprochen werden, sich nicht so gerne öffentlich äußern. Oder, anders gesagt, sich – anders als in Social Media, das vielleicht eine unverbindlichere Atmosphäre hat – in der strengeren Kammer des MAC nicht so recht aus der Reserve locken lassen. Ich kenne das, ich traue mich nach Lesungen auch immer nichts zu sagen.
Deshalb … schreibt doch bitte, wenn Euch an diesem Blog oder an einzelnen Beiträgen etwas gefällt oder mißfällt, wenn Ihr etwas ganz toll, halb toll oder einfach nur nervig findet, eine diskrete E-Mail, die nicht veröffentlicht wird, aber sicher beantwortet! An: info@michael-hopp-texte.de
So. Ihr seid dran. Und weil wir hier so ein bisschen auf Pausetaste sind, gibt´s heute eine noch nie in den Blog gestellte und noch nie vorgelesene Passage aus dem MAC – nämlich den Schluss, das Ende – DAS LETZTE KAPITEL. Der Text ist wahrscheinlich 2020 entstanden, und was seither geschah, nun, davon stand einiges (nicht alles!) in diesem Blog.
RE-EDIT: DAS LETZTE KAPITEL
Aus: Mann auf der Couch, Textem Verlag Hamburg, 2021, ab Seite 575
Wenn die Vergangenheit nichts mehr erkennen lässt und die Zukunft noch im Dunkel liegt, dann zählt nur der heutige Tag, mit seinem Licht. Lebe jeden Tag, als wäre es dein letzter. Ich werde verrückt von den Kalendersprüchen, die mir durch den Kopf rasen. Jeder Tag, jede Stunde, jede Minute ist eine Chance. Erkenne sie, die Chance! Auf neues Geschäft, das mit der Mail reinbimmelt. Dass mich Eva wieder mag. Dass ich aus der Depression rauskomme. Ich freue mich auf meine neue Hüfte!
Ich muss aufhören, mich um alles zu sorgen, mich für alles zuständig zu fühlen. Ob die Kinder glücklich sind. Glück, diese Scheiße. Bob Dylan sagte auf die Frage, ob er glücklich sei: »Das habe ich mich schon lange nicht mehr gefragt.« Zum Geburtstag bekam ich ein knallrotes Buch, ein knalloranges lifestyliges Dekobuch, das bei Urban Outfitters neben den Pullis liegt. Es heißt: The Subtle Art of not Giving a Fuck – die subtile Kunst, sich nichts zu scheißen. Ein Buch, das aus dem Internet geboren ist, von einem Blogger, Mark Manson. Drei Millionen Copies wurden davon angeblich schon verkauft. Ich lese rein, nachdem ich meine Schlaftropfen genommen habe, drei, vier Seiten gehen dann noch, dann kann ich mir nichts mehr merken. Es gefällt mir, spricht mich an, im Unterschied zu meinem hier hat dieses Buch eine klare Aussage, die der Leserschaft – sofern das jemand liest, es reicht eigentlich schon, es wo hinzulegen – auf die amerikanische Verkäufer-Art eingehämmert wird.
Ich sage Nora, meiner Verlegerin, das müsst ihr auf Deutsch machen, das ist gut, habt ihr überhaupt Geld für Lizenzen. Das lässt sich wahrscheinlich nicht übersetzen, sagt sie. Not Giving a Fuck, das ist gut, – aber was wäre es auf Deutsch, keinen Fick auf etwas geben, das geht doch nicht. Meine Version, »sich nichts zu scheißen«, ist wieder zu österreichisch, skurril.
Die Arbeit, wie soll es weitergehen, keine Orientierung, mein Gott, wer hat die schon? Mein Leid speist sich aus einem narzisstischen Größenwahn, der mich die normalen Herausforderungen des Lebens als gegen mich persönlich gerichtete Zumutung erleben lässt. Das kam schon irgendwie raus in den Analysen. Warum kann ich das nicht abstellen? Ich habe Angst vor der Zukunft, weil ich denke, sie entgleitet mir, Eva läuft mir davon, die Agentur fliegt mir um die Ohren, wie soll das gehen, wenn Eva nicht mehr alles macht? Ich meine alles, wofür ich Königskind mir zu gut bin. Wie es halt mit Omi war. Doch jetzt bin ich kein kleiner Prinz mehr, sondern ein alter Prinz, mit Hinkebein, der seinen Vater immer noch nicht überwinden kann, oder hat er das längst, aber nur nicht bemerkt?
Übrigens sehe ich ihm immer ähnlicher. Vor allem das rechte Auge ist exakt das rechte Auge meines Vaters, wie ein Glasauge. Wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich meinen Vater, wie im König der Löwen, wenn Simba in den Teich schaut, und sein Vater, der König, im Spiegelbild erscheint. Aber mein Leben ist anders als das von Simba. Es folgt nicht dem ewigen Kreislauf der Narur, es ist eher Kreislauf ohne Natur. Ich muss noch sehen, wem oder was es folgt. Am Ende ist es ein narzisstischer Größenwahn, sein Leben kontrollieren zu wollen, Herr über Glück und Unglück, Erfolg oder Misserfolg zu sein. Mir fällt auf, ich sage schon zehnmal am Tag, dass ich kämpfe, ich kämpfe um Eva, ich kämpfe um die Agentur, ich kämpfe auch um dieses Buch, dass es fertig wird, dass es erscheint, dass ich dann etwas abgeschlossen habe.
Erwachsenwerden heißt, die Ungewissheiten anzuerkennen, die das Leben durchziehen, und – schlimmer noch – ohne Gewissheit zu leben, aber einzusehen, dass die Suche danach nicht aufhören wird, sagt die Philosophin Susan Neiman – ein schöner Blickwinkel, der einem einiges an, anderes Modewort, »Gelassenheit« abverlangt, die man, das sage ich jetzt, schwerer erlangt, wenn man auf den schwankenden Dielen der nicht vergehen wollenden Vergangenheit steht. Also nie fest. Das war es vielleicht, was ich in der Analyse erwerben wollte: eine in die Kindheit zurückreichende, wiedergutmachende Gewissheit, die für feste Planken sorgt.
Wer macht hier eigentlich die Regeln, die Gesetze? Wer sagt, was fest ist? Niemand will mein Richter sein. Ich stehe immer nur vor meinem inneren Gerichtshof. Nur ich selbst bin so streng zu mit, so Über-Ich-getrieben, behandle mich so schlecht – nur um meinen Dämonen zu genügen, um ihnen Opfer zu bringen, doch, fuck, sie sind unersättlich.
Die bekomme ich nicht satt. Don’t give a fuck! Ignoriere sie einfach, diese innere Geisterbahn. Ich habe vieles versucht, ich habe vieles gemacht, und wenn es nicht gereicht hat, dann hat es nicht gereicht. I dont give a fuck.
Ich weiß nicht, was kommt. Der Mensch weiß nicht, was kommt. Das heißt nicht, nichts zu tun. Aber dass man kein Anrecht darauf hat, dass es klappt. Tillmann Moser schreibt, mein Text sei von Größenwahn durchtränkt, was ich aus der Analyse wiedergebe, sei unernstes Gerede und Von habe verabsäumt, es zu stoppen. Von gibt es nicht mehr. Und Zu hat auf mein letztes Schreiben, ob sie einen Analytiker in Hamburg wisse, der mich noch nehme, nicht mehr reagiert. Niemand stoppt mich mehr.
Ich lasse es jetzt sein. Auch die Gedanken, was soll aus den Büchern werden, was aus den Schallplatten (soll Tom sich doch kümmern), denn erst wenn ich in der Grube liege, wird es mir wirklich egal sein, vorher nicht. Ich lege mein Leben in Gottes Hand, oder in Dylans Hand, irgendwas Größeres halt, wo ich mich entspannen kann, mir’s gemütlich machen, in einer weichen, großen Hand.
Herrlich egal alles. Denn weder Gott noch Dylan geben einen Fuck, ob es mich überhaupt gibt oder nicht. Hey.
Ende
Liebe Nora!
Ich hatte dir erzählt und schreibe es auch im Buch, dass ich nicht davon lassen kann, im Internet nach Dr. Von zu suchen, meiner Analytikerin in Hamburg. Gestern bin ich fündig geworden.
Wenn ich richtig verstehe, ist Frau Dr. Von am 5. November 2019 in White Plains/NY verstorben und wurde am 22. November auf dem Sharon Gardens Cemetery beigesetzt. Sie wurde 97 Jahre alt. Als ich mich ins digitale Kondolenzbuch eintrug, schickte ich den Text offenbar zwei Mal los, denn es kam diese Nachricht:
„Duplicate comment detected; it looks as though you’ve already said that!«
Mein Wiederholungszwang!
Gruß Michael