Als die Aussichten noch schön waren

20231108 hamburg release party buchpräsentation uriz von oertzen

Das „Schöne Aussichten“, das Park-Café im Park Planten & Blomen, den damaligen Veranstaltungsort und die heutige Event-Location, kennen wir, die wir damals dabei waren, aus den 80er Jahren. Heute, Jahrzehnte später, sind wir die anvisierte Käufergruppe eines großen Buchs, das Mitgründer Uriz von Oertzen zum 40. Jahrestag der Gründung (eigentlich zum 41.) herausgegeben hat und das uns auf eine „Zeitreise“ einlädt.

„Wir leben in sehr schwierigen Zeiten, ich wollte was Positives machen, etwas Optimistisches“, sagt Uriz, „das Buch erzählt von einer Zeit, an die man sich vielleicht gerne erinnert, in der viel bewegt wurde, es kamen die privaten Medien auf, es kam Musikfernsehen auf – es hat viel Veränderung gegeben, die Zeitschrift Tempo kam, viel Bewegung in unserer Welt  und das spiegelte sich alles ein bisschen in den Schönen Aussichten, das ist so der Punkt.“
Die Idee, aus dem Terrassen-Cafe einen Veranstaltungsort zu machen, entstand damals aus der simplen Absicht, das Lokal auch im Winter und bei Schlechtwetter attraktiv zu machen. „Da musste eine Idee her“, sagt Uriz. Daß sich schon kurz darauf spätere Weltstars wie Lenny Kravitz, Susanne Vega oder die Eurythmics auf der kleinen Bühne des „Schöne Aussichten“ ausprobierten, Mathilde Santing gar hier ihren ersten Auftritt hatte, erklärt Uriz heute mit der Naivität, mit der er als gelernter Schiffsmakler das Geschäft des Veranstaltens angegangen war: „Ich wusste ja gar nicht, dass die Stars werden würden. Ich wusste nur, die hatten gerade einen Plattenvertrag – und das hat mir schon gereicht.“

1992.09.18 otto waalkes credit privat 2
Als Otto einmal rocken wollte, tat er dies im “Schöne Aussichten”, ca. 1989: Mit der auf Bitte von Uriz von Oertzen von Manager Darius Zahir zusammengestellten Band “Boris W. und die doppelten Fehler”

Mehr Medienhype ging nicht

Ich war damals neu in Hamburg, um bei „Tempo“ zu arbeiten, zumindest für einige Tage der Woche, die restliche Zeit verbrachte ich noch in Wien. Im „Schöne Aussichten“ war ich nie Stammgast, weil ich damals immer nur schnell wieder zurück nach Wien wollte, kannte aber einige, die sich da zum berühmten Brunch verabredeten – „Brunch“, das war damals neu und originell. Wirklich heiß begehrt waren die Einladungen zum „Reemtsma Medientreff“, der jährlich stattfand und die damalige Medien- und Promiszene mehr oder weniger vollständig versammelte, bei weitem nicht nur Hamburger Herkunft. “In ist, wer drin ist”, stellte das Hamburger Abendblatt fest.
„Zehn Jahre haben wir den Medientreff gemacht“, erinnert sich Uriz, „er war damals die größte deutsche Medienveranstaltung. Der Manfred Schmidt kam vorbei und wollte das hier machen. Wir haben nicht viel verdient, aber wir hatten die PR. Zu der ersten Veranstaltung hat er den Genscher geholt und mit dem Genscher hat er alle anderen gekriegt, der war ja schlau.“  Medienhype-mässig unüberbietbar war das „Schöne Aussichten“ aber auch deshalb, weil es wenige Woche nach Eröffnung groß angeführt war im „Spiegel“-Titel „Die neue Boheme – Jugend-Stil ´82“, geschrieben von Arnd Schirmer, der jetzt auch im Buch einen kurzen Artikel beisteuert.

Gleich beim ersten Medientreff kam Genscher dann mit Blödler Otto ins Gespräch, was auf bundesweite Beachtung stiess. Auf weiteren Medientreffs liefen einem heute historischen Figuren wie Petra Kelly und Gert Bastian über den Weg, „Spiegel“-Chefredakteur Stefan Aust oder sein Münchner Gegenpart Helmut Markwort, ein Hamburger Medienzar wie Gerd Schulte Hillen von Gruner und Jahr, aber auch Schlagersänger wie Vicky Leandros oder Roberto Blanco. Die Gästelisten aus 40 Jahren “Schöne Aussichten”, am Ende des Buchs komplett abgedruckt,  sind endlos.  Namedropping, belegt mit einer Unmenge von Clippings (Zeitungsauschnitten), ist auch das Prinzip des Buchs, das von „stern“-Redakteur Alf Burchhardt redaktionell begleitet wurde.
Ob ein vergleichbarer Medientreff heute in Hamburg noch möglich wäre, frage ich Uriz: „Jetzt ist es ja anders, jetzt ist Berlin. Hamburg war damals Medienstadt, das ist alles vorbei, auch mit dem Niedergang der gedruckten Medien. Hamburg hat heute noch ein Profil für Musik, das ja, aber nicht mehr für Medien.“

zztop credit privatarchiv gerd gephardt 2
ZZ Top rocken Hamburg: Nach dem Auftritt der drei Texaner in der “Grossen Freiheit” wird in den “Schönen Aussichten” weiter gefeiert: Billy Gibson, Frank Beard und Dusty Hill mit den “Warner Brothers”-Managern Gerd Gebhardt und Bernd Dopp

Für uns als Wiener, im ewigen Schwanken zwischen Größenwahn und Minderwertigkeitskomplex, die wir hierhergekommen waren, um auf Grundlage unseres Erfolgs mit dem „Wiener“ in Wien, hier in Hamburg „Tempo“ zu machen, war eine Einladung zum Medientreff der Beweis, dass wir in der Hamburger (und damals damit in der deutschen) Medienwelt angekommen waren, in einer Welt, in der die Verleger damals „Gelddruckmaschinen im Keller“ stehen hatten, wie es mir der Münchner „Bunte“-Chefredakteur Franz Josef Wagner mal neidisch sagte. „Tempo. Tempo – Wiener rücken an“ ist die Überschrift eines „Morgenpost“-Ausschnitts, der im Buch gezeigt wird.
„Tempo“-Chefredakteur Markus Peichl bewegte sich von Anfang an charmant und souverän in der Szene, während ich unsicher und zögerlich war. Ich wusste damals, zu wenig, wer ich sein wollte, um abschätzen zu können, wie ich wirkte. In meinem Buch „Mann auf der Couch“ heisst es dazu: „Die Tempo-Jahre. Das ist die grosse Erzählung. Und meine Rolle dabei? Warum ist mein Gehirn wie verklebt, wenn ich daran denke …  Ich sehe größere und kleinere Dramen, die mich mal als Gewinner, mal als Verlierer zeigen. Ich frage mich, warum ich damals die Orientierung verloren habe – in einem Projekt, in dem sie andere gefunden haben.“

Von den 80ern in die 90er – die Party!-Dekade bricht an

Uriz von Oertzen, der nach der Zeit mit dem „Schöne Aussichten“, die schon vor 13 Jahren endete, in Hamburg Event-Agenturen betrieb, sieht sich weder als Buchmacher noch als Welterklärer, sondern als „Sammler“, allenfalls als Chronist, als einziger zumindest, der über die Unmengen an Material noch Überblick hat und es für das Buch in eine zeitliche Abfolge bringen konnte.
„Schöne Aussichten“ zerfällt in zwei Teile, von denen der erste, über die 80er Jahre, visuell reichhaltiger und abwechslungsreicher ausfällt, während die 90er Jahre etwas versinken in der schieren Menge der abgedruckten Zeitungsausschnitte.
Uriz bringt diesen Unterschied mit dem Unterschied zwischen den beiden Jahrzehnten in Verbindung: „Du siehst den Unterschied zwischen den 80er und 90er Jahren auch deutlich im Buch. In den 90ern gab es plötzlich das Partybusiness, 87, 88 kamen die ersten Veranstalter kamen und sagten, wir machen jetzt mal eine Party. Wenn Du Party machen wolltest, musstest Du bisher in die Disco gehen.“  Die Ausgeh-Welt veränderte sich. Junge Bergedorfer erfanden die heute noch angesagen Effendee-Parties und kooperierten mit den „Schönen Aussichten“, der „After Work Club“ wurde gegründet, den es heute noch gibt. Der Personen-Kult, die Promikultur der 80er waren in den 90ern rückläufig und damit vielleicht auch der Bedarf an einem Lokal, in dem man auf Promis treffen kann uns sich fühlen wie einer von ihnen.

lenny kravitz
“Let Love Rule”: Lenny Kravitz hatte einen seiner ersten Auftritte im “Schöne Aussichten”

„Egal, in welchem Format“, sagt Uriz, „für die 80er und 90er galt gleichermassen, man wollte sich treffen, wir hatten ja keine Handies damals – man kam zu uns, weil man immer Leute traf, die man kannte, das gibt es ja heute nicht mehr.“ Das Buch lade zu einer „Zeitreise“ ein, kommt Uriz schon zu Beginn des Artikels zu Wort – und es ist eine Reise in eine Zeit, in der das Internet noch keine Rolle spielte. Der Spiegel ist eine Ruine, Gruner und Jahr abgewickelt, Tempo und Spex (auch die Musikzeitschrift mit ihren Gründer Diederichsen und Drechsler war immer präsent im „Schöne Aussichten“) gibt es nicht mehr.

Vieles, das im Buch gross vorkommt, ist im digitalen Wandel (der sich selbst gern „Disruption“ nennt, also Zerstörung) einfach untergegangen.  Aber auch die sozialen Bedürfnisse der Menschen haben sich verändert. Wäre heute ein „Schöne Aussichten“ vorstellbar, ein Lokal, mit diesem Gäste-Mix aus Medien, Show, Kunst, Werbung? Oder wirkt die Fragmentierung durch das Internet, die Blasen-Bildung auch auf die Erwartungen, die gegenüber dem Ausgehen bestehen? “Am Anfang waren wir auch in einer Blase”, sagt Uriz, “ein Popper-Laden. Aber das änderte sich mit den Konzerten, die wir machten. Ich sagte mir immer. warum soll ich einen Laden für nur eine Szene machen. Ich will alle!”

 „Kennst Du denn ein Lokal, das wie die Aussichten ist?“ fragt mich Uriz zurück.
„Eigentlich nicht“, höre ich mich sagen und ich spüre, warum das so ist, darauf kennen wir beide keine Antwort.

Uriz von Oertzen: Schöne Aussichten – Von Tagedieben und Nachgestalten, Junius Verlag, Hamburg 2023, 38 Euro

Kommentar verfassen

Scroll to Top
Scroll to Top