Gruppensex in der Hegelgasse

André Heller kennt der MAC seit den 70erJahren. Der MAC war damals ein aufgeregter junger Mann in Wien, der alles gut fand und bei allem dabei sein wollte, das anders war als das in der Familie. Und André Heller, damals noch „Andreas“ war anders, als er mit raunziger Stimme die Ö 3- Sendung „Musicbox“ moderierte und es wagte, die Beatles-Single „Get Back“ mit einer „Zitrone“ zu bedenken, als schlechteste Platte der Woche. (Heute betrachtet, hat er damit eigentlich nicht recht behalten, denn „Get Back“ ist doch ein toller Song, den man heute noch gut hören kann, oder?).
Als echter Fan suchte der 16jährige MAC auch die physische Nähe zu seinem Idol und wagte sich bis in den verruchten „Club Vanilla“, der mit einem interessant gemachten Plakat für eine Lesung von André Heller (erstmals André) warb, die er gemeinsam mit seiner soeben geheirateten, schönen Frau geben sollte, der Burgschauspielerin Erika Pluhar.

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Womit für den MAC alles anfing, alles: Heller-Pluhar-Lesung im „Club Vanilla“ 1972, aufgenommen in der Hofbäckerei „Demel“

In den „Club Vanilla“ in einem Souterrainlokal in der Wiener Hegelgasse kam man nur rein über 18 und als Mitglied (dann mit Schlüssel!), beides kriegte der MAC irgendwie hin und saß dann mitunter viel zu früh am Abend da, vor einem Kännchen eines stark aromatisierten Tees, der im damals obligaten braunen Tongeschirr vor sich hin dampfte.
Es gab Gerüchte, dass das als unkonventionell geltende Betreiber-Pärchen des „Club Vanilla“ frühmorgens, für alle, die so lange ausharrten,  im Club zu Gruppensex-Parties einluden … Das beschäftigte die Fantasie des jungen MAC (wäre da auch Erika Pluhar dabei? Sicher!), der dann, unruhig geworden, bei seinem Kännchen Tee doch nicht so lange durchhielt und morgens in die Schule musste.
Später, der MAC war Journalist geworden, oder wollte es werden, kam es wirklich zu Begegnungen zwischen dem MAC und Heller. Der junge MAC wurde eingeladen in Hellers Hietzinger Villa, André Heller mischte auch mit bei der Neuen Freien Presse, bei der der MAC damals arbeitete, und einmal finanzierte er, auf Bitten des MAC, ein Plakat mit einem Motiv von Roland Topor (das er beigestellt hatte – denn er kannte schon damals praktisch alle Künstler der Welt persönlich), das ein schwules „Pfingsttreffen“ in Wien bekannt machen sollte.
Die Platten, die Heller zu der Zeit machte, fand der MAC großteils klasse, vor allem die berühmte erste („André Heller, Nr.1“, mit dem „Lied an eine Schauspielerin“) und dann „Das war A.H.“, eine wienerisch morbide und supereitle Selbstinszenierung, allerdings mit einem sehr sicheren Empfinden, was  in Medium „Pop“ alles steckt.

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Jimi Hendrix, mit Kathi Fiscus, im „Cluab Vanilla“. Aufnahmen aus: Vanilla, ein Lokal und seine Zeit, Picus Verlag, Wien, 1994

Kurz darauf begann sich Heller, zuerst mit dem Circus Roncalli und dann mit Shows wie „Flic Flac“ oder „Begnadete Körper“ international zu profilieren als Impressario eines neuen, breitenwirksamen Varietés, mit viel Sinn für das Schräge und das Fantastische und immer sehr international besetzt mit Künstlern, die vielleicht nicht so bekannt, aber auf ihrem Gebiet Weltklasse waren – etwa dem Sesselfurzen, dem „“Windmachen“ oder „Kunstfurzen“, wie es Heller nannte.
Die Botschaft dieser Shows war über Jahrzehnte die immer gleiche, oft etwas zuckersüß vorgebracht: Habt Euch lieb, in all Eurer Verschiedenheit – etwas, das wahrscheinlich immer passt, aber, sehen wir gleich, in die heutige Zeit ganz besonders.
Der MAC hat nur wenig gesehen von diesen Shows, las aber Hellers oft beachtliche Romane und besuchte vor ein paar Jahren Hellers „Anima“-Garten in Marrakesch, der Gärtner war aber gerade persönlich nicht zugegen.

Kurz darauf, 2019, erschien Hellers vom MAC als absolut grauenhaft empfundene Platte „Spätes Leuchten“. Heller schien ihm alt und alterschwach geworden zu sein, ein Zustand, für den der MAC eine sehr feine Wahrnehmung hat, vielleicht, weil er ihn für sich so fürchtet.
Die Ankündigungen von Hellers, gerade beendetem,  Reflektor-Festival in der Hamburg Elbphilharmonie nahm der MAC schon fast nicht mehr wahr, klickte nur kurz das Ankündigungsvideo, in dem der schlohweiß gewordene Heller mit heiserer Stimme und für seine Verhältnisse unsicher in einem leeren Raum der Elbphilharmonie von der Macht der Phantasie und der Imagination spricht, wie immer schon, und wie wichtig das alles (und damit er) sei,  heute, gerade heute.
Business as usual, dachte der MAC.  Karten besorgte er sich nicht, weil er sich nie Elphi-Karten besorgt – der MAC ist dafür einfach zu arm, zu wenig organisiert oder hat auch nicht die Geduld, immer alles entsprechend durchzuarbeiten, selber schuld, wird so sein.
Als der MAC dann frühmorgens Social Media Posts fand, von der mit Worten wie „LIEBE“ groß beschrifteten  Elphi, schrieb er beleidigt an Eva: „André Heller hat sich die Elphi schon zu eigen gemacht mit seinem Hippie-Quatsch“ -naja, gekränkte Leberwurst halt.
Hippie-Quatsch? Hippie-Quatsch kann sooo toll und sooo wichtig sein, das weiß der MAC doch eigentlich. Denn das Reflektor-Festival, muss der MAC später am Tag in der Zeitung lesen, war eine wirklich eindrucksvolle und bedeutend-berührend Sache – alles in allem eine GUTE NACHRICHT.

„André Heller hat das vielfältige Programm zu seinen Ehren selbst kuratieren dürfen und ihm dabei ein Motto mitgegeben das von Karl Valentin stammt: `Fremd ist der Fremde nur in der Fremde.´ In einem Sketch führte der Münchner Satiriker die Bedeutung des Begriffs einst so aus: `Den meisten Münchnern ist das Hofbräuhaus nicht fremd – hingegen ihnen die meisten Museen fremd sind.´“
Im Musikprogramm, schwärmt Till Brigleb in der „Süddeutschen Zeitung“ weiter, sei Heller eine derartige Vielfalt  an Weltmusik gelungen, „dass alle abrahamitischen Religionen mit musikalische Gebeten vereint sind – etwa beim pakistanischen Qawwali, das der 1997 verstorbene Nusrat Fateh Ali Khan unter anderem durch die Zusammenarbeit mit Peter Gabriel und Massive Attack auch im Westen berühmt gemacht hat. Fareed Ayaz, Abu Muhammad Qawwal und ihre musikalische Bruderschaft zelebrierten diese stark rhythmische Call-and-Response-Musik, die im Sitzen mit Harmonium und Perkussion gespielt wird, als eine furiose Predigt der kurzen Melodien, bei dem sie die mehr als 2000 Besucher in der Halle häufiger dazu brachten, vielstimmig Allah zu besingen. Wahrscheinlich ohne, dass sie es bemerkten.“ (SZ vom 18. März 2024)
Ja, passt in die Zeit! Der MAC nimmt all sein Abgefucktsein zurück, falls das möglich ist. Jetzt, wo wir uns ganz und gar unzynisch auf die heilende Kraft eines „radikalen Universalismus“ besinnen wollen (soeben von Omri Boehm zur Eröffnung der Leipiziger Buchmesse beschworen) erscheint ihm der Wiener Impressario  André Heller als … Universal(ismus)genie!

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