Der Zuckerguß, aus dem dies kroch

André Heller hat das  Talent, sein Publikum in eine Art Trance zu versetzen.  Die in Trance Versetzten sind zu erkennen am häufigen Gebrauch der Worte „fantastisch“, „einmalig“, „berührend“, „begeisternd“ … sie verlieren die eigene Sprachfähigkeit, sind ja auch „sprachlos“ (vor Begeisterung“) und wohl auch die Denkfähigkeit. 
Wie sonst wäre zu erklären, dass ein absolut freier und kritischer Geist wie der Wiener Fotograf Manfred Klimek, sinngemäß schreibt, bei Hellers Elbphilharmonie-Inszenierung „Die Besten aus Wien“, habe er ein Wien gesehen, wie er es liebe.
Ich muss zugeben, ich habe mich auch für ein, zwei Tage hypnotisieren lassen, wie auch im letzten Blog zum Ausdruck gebracht, was aber eher mit meiner Selbstverliebtheit in den MAC der 70er-Jahre und seinem angeblich so subversiven Lifestyle damals zu verdanken war, in dem die  Ö3-Sendung „Musicbox“ (in ihr der damalige „Andreas“ Heller) eine große Rolle spielte. Und klar, dem erhofften „Gruppensex in der Hegelgasse“.  https://michael-hopp-texte.de/gruppensex-in-der-hegelgasse/

Heller ist ein Meister des Autofiktionalen

Also Hardcore-Retro von zweifelhafter Wahrhaftigkeit, wobei dieser Stil dieser Tage eine Bestätigung fand in mehreren Studien an Trauma-Patienten, die ergaben, dass es für deren Entwicklung überhaupt keine Rolle spiele, ob ihre Erinnerung „wahr“ (nachweisbar) oder „falsch“ (nicht nachweisbar) ist.
Die Psychoanalyse sagt das schon immer, jetzt zieht auch die empirische Wissenschaft nach – und teil damit eine Sichtweise, die sich gut auch für das autofiktionalen Schreiben eignet, das der einfachen Regel folgt, erlebt ist erlebt, erinnert ist erinnert, geschrieben ist geschrieben und wir lassen endlich die Finger davon, eine Illusion der Wirklichkeit  herstellen zu wollen.
In seiner eigenen autofiktionalen Literatur mit ihrem reichen Schatz an Anekdoten geht André Heller übrigens nicht anders vor, ich habe das Gefühl, seine Mutter ist schon auf 10 verschiedene Arten gestorben, zuletzt bei einem der zahlreichen Zwischenauftritte beim Konzert in Hamburg.

Als ich das „Beste aus Wien“ in zwei ermüdenden Sitzungen auf Youtube guckte, bin ich auch erst so nach und nach aus der Heller-Hypnose erwacht. Ich fand die dominierende Schrammel-Musik in ihrer penetranten Süßlichkeit, von mir aus auch Bitterkeit (irgendwelche Scheißworte halt), von Beginn der Show an schrecklich und auch das Gesinge dazu, dachte aber zunächst, ich gewöhne mich daran, es gelang mir aber nicht. Ich guckte dann mit Ton ganz leise und machte nur bei den Moderationen lauter.
Richtig aufgefallen ist mir der ganze Wahnsinn beim Auftritt von Michael Marco Wanda, des einzigen übrigens, der auf Hochdeutsch ansagte, was ihm sogleich kritische Blicke des versammelten Schrammel-Establishments einbrachte. Wanda wurde von Ernst Molden als „Rockstar“ (im Unterschied zu Schrammel-Star)  angekündigt und seine Interpretationen von jüdischen Nachkriegstexten, die den Faschismus attackieren (gibt´s das auch bald als Platte, finde gar nichts dazu) – wow, das war klasse, das hatte Kraft, der  vitale, kämpferische Rockröhren-Gesang Wandas ließ einen für ein paar Minuten das Geseire und Gejammere und Geraune (Heller) der anderen Darbietungen vergessen – machte die darauf folgenden aber komplett unerträglich.
Vor allem Hellers „Rotunden“-Lied in einem Vortrag von absoluter Selbst-Ergriffenheit, das war schwer zu ertragen und das Wort „Kitsch“ lässt sich kaum vermeiden. Kitsch bedeutet ja, falsche Gefühle herzustellen, eigentlich noch mehr, falsche Gefühle auf eine falsche Weise herzustellen und das trifft hier zu.

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Ernst Molden, André Heller, Vodoo Jürgens zelebrieren „Wean, Du bist a Burenhäutl“, das Heller einst für Helmut Qualtinger geschrieben hat

Giftiger Zuckerguss

Okay, Heller hat auch bessere Lieder gemacht und das wäre nicht das Problem. Das Problem ist das Rückwärtsgewandte, das im Wortsinn Reaktionäre der Veranstaltung – eine Wirkung, die aus der katastrophalen Fehlentscheidung resultiert, das Schrammel-Begleitorchester durchgängig über alle Auftritte einzusetzen und diese damit mit einer Zuckerglasur zu überziehen, die durchaus giftig ist.
Ich habe auch einen tollen Nino im Konzert gesehen, und auch Vodoo Jürgens ist in Hamburg schon völlig unkitschig aufgetreten … aber in dieser Inszenierung haben sie keine Chance, erstarren zur Postkarten-Aufnahme.

Ähnlich wie die Gesänge in Bierzelten hat die Schrammel-Musik die Wirkung, dass jeder, der nicht mitmacht, als Spielverderber gilt. In Wien scheint man wieder der Auffassung zu sein, dass die optimale künstlerische Selbstdarstellung im „Ausland“ in der Brauchtumspflege liegt, in der Dialektkultur, in der Heurigenmusik – in der Fremdenverkehrswerbung war das immer ein bewährtes Mittel, vielleicht ein besonders erfolgreiches. (Ev. kann man der Show noch zugute halten, dass sie im Kontext des auch ansonsten aus regionalen Musikstilen zusammengesetzten Reflektor-Festivals steht.)

Schrammel-Musik ist eben nicht der Blues

Ist es ein falsches, oder ein richtiges Bild von Wien, das hier vermittelt wird? MAC´s Partnerin Eva meinte, der MAC solle nicht schimpfen, es gäbe doch auch so viel anderes in der Wiener Musikszene. Und es sei doch besser, die Linken seien kitschig, als die Rechten, Das stimmt, naja. Trotzdem lässt sich beobachten, dass sich mit wichtigen Künstlern wie Ernst Molden, Voodoo Jürgens oder Nino das Dialektsingen wieder sehr breit macht – und mit der Schrammel-Inszenierung Hellers in Hamburg nun etwas fast schockierend Rückwärtsgewandtes bekommen hat bzw. das Rückwärtsgewandte offensichtlich geworden ist.
Klar sind die Leute auch schon alle älter oder alt– aber Altwerden ist zwar ein häufiger, aber kein triftiger Grund, reaktionär zu werden.

Um wieder auf Manfred Klimek zu kommen, der das Schrammel-Dialekt-Wien liebt – ich nicht so, das ist schon offensichtlich geworden. Ich war froh, zu Hause alleine vorm Bildschirm zu sitzen und würde in Hamburg auch niemanden kennen, der mir gerne Gesellschaft geleistet hätte und das lag in dem Fall nicht an mir.
Das ganze war ja, als würde man umgekehrt in Hamburg Gästen aus Wien nur Hans Albers und Shanty-Lieder vorführen.

Schrammel-Musik ist eben nicht der Blues, das wussten wir doch früher! Schrammel, so artifiziell das auch gemacht sein mag, ist nie progressiv. Seine Haltung ist das Bedauern, das Vergessen (das sich Benebeln), das Wegschauen, vielleicht das Versöhnen – aber immer im Sinne von Aussöhnen mit den Verhältnissen, die unveränderbar erscheinen. Betäubung, nicht  Ermunterung. Man konn eh nix mochn … das ist der ewige Refrain des Schrammel-Lieds. Daraus wird kein Punk und auch nie im Leben was Zeitgemäßes.
Früher wussten wir das – und wusste auch Heller das. Wir waren für Frank Zappa – und gegen Heurigenmusik. Irre, das jetzt so umzuwerten! Heller hat zwar zwei sehr schöne Wienerlieder-Platten gemacht, eine mit Helmut Qualtinger, eine alleine, die eventuell den Ansatz hatten, das Wienerlied vom Kitsch zu befreien – aber als es dann befreit war, schien die Sache auch durch zu sein, lass uns wieder nach vorne schauen. Mit Toni Stricker an der Geige klang das ganze damals auch interessanter als mit den Traditionalisten, die da in der Elphi aufmarschierten.

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Prägten gnadenlos den Sound des Abends: Die „Neuen Wiener Concert Schrammeln“

Forellen, die schielend im Urin schwimmen

Und der Dialekt!  Der Wiener Dialekt sei eine „wunderschöne Sprache“ sagte Heller und brachte skurrile Beispiele, die schon eher befremdlich wirken, Forellen, die schielend im Urin schwimmen, usw. Das soll lustig sein? Oder wie ist das gemeint?
Denke auch nicht, dass man in Wien so spricht. Was hier zelebriert wird, ist eine Kunstsprache, eine Sprache aus dem Museum, genauso wie die Musik. Eine Sprache übrigens die sehr gerne schimpft, krass erniedrigt und auch eine Nische geworden ist für brutalen Sexismus.

Was sind die Motive, all das Vergangene wieder aufzugreifen? Die Angst vor allem, was droht, auf uns zuzukommen? Eine Bequemlichkeit im Kopf? Oder sind es einfach kommerzielle Beweggründe? Das letzte wäre mir noch am liebsten, dann wäre es egal, ist es auch wahrscheinlich auch, egal.
Ich meine damit nicht jeden einzelnen Auftritt und Künstler von „Das Beste aus Wien“, ich meine damit die Ausstrahlung der ganzen Veranstaltung.

Schrammel + Dialekt – das hat aus heutiger Sicht auch was identitätspolitisches.  Warum soll die Herkunft, die angeblich „eigene“ Kultur so betont werden? Nur auf den eigenen Stamm zu achten hat auch immer etwas, das sich blitzschnell gegen andere richten kann. Das die Anteilnahme am Schicksal anderer senkt. Im Stamm degeneriert alles, vor allem der Wille zur Veränderung.
Am Ende, das ist meine Überzeugung, werden wir nicht danach beurteilt, ob wir Frauen oder Männer,  gute Wiener oder Hamburger oder Österreicher oder Deutsche (mein Gott, in was für einem kleinen Spektrum bewege ich mich selbst) sind, sondern ob wir genug getan haben für die Veränderung der Gesellschaft. Auf die „Besten aus Wien“ mit ihren tollen Talenten sollten wir bei dieser grossen Aufgabe zählen können, das wäre toll. Sie müssten sich bloss wieder befreien vom Zuckerguß. Frohe Ostern!

André Heller & Die Besten aus Wien, mit Voodo Jürgens, Der Nino aus Wien, Anna Mabo, Ursula Straus, Tini Kanraht, Ernst Molden und das Frauenorchster, Michael Marco Wandd, Neue Wiener Contert Schrammeln u.a., Reflektor-Festival, Elbphiharmonie Hamburg, 24.03.2024

4 Kommentare zu „Der Zuckerguß, aus dem dies kroch“

  1. Eine Empfehlung zur Erweiterung Ihres Schrammelhorizonts, der mir doch etwas klein geraten scheint: Roland Neuwirth & Extremschrammeln. Es gibt sie nämlich doch, anders als von Ihnen proklamiert, die zeitgemäße Schrammelmusik.

  2. Höre gerade „All this or nothing“. Von den Psycholdelic Furs (wieder mal).

    Und freilich bin ich da mehr daheim als beim Schrammeln. Ich gönnte mir einfach zwei Stunden das wehleidige Wien, das ich machmal halt auch mag. Sonst kann mich Wien aba am Oasch leckn.

    gruß m

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