In „Rauhnächte“ beschreibt der Journalist Arno Luik sein Leben, seit er im letzten Sommer von seiner Darmkrebs-Erkrankung erfuhr, zieht aber auch Bilanz über die Politik der letzten Jahre. Warum ich mir das Buch zur Besprechung ausgesucht habe? Nun, ich bin auch Journalist in Hamburg. Genauso alt wie Arno Luik. Damit auch von Krankheit bis zum Tod bedroht. Und jetzt sitze ich in der Falle. Ich habe dem Verlag die Besprechung versprochen. Und jetzt gefällt mir das Buch nicht. Lässt sich das Buch eines Sterbenskranken schlecht besprechen? Maxim Biller hat vor kurzem in seinen „100 Zeilen Hass“ (so hiess eine „Tempo“-Kolumne) zum Tod von Martin Walser, den Weg gewählt nicht den soeben Verstorbenen, sondern seine Fans und die Nachrufschreiber anzusprechen. Naja. Ist ein Trick. Und Luik ist, anders als Walser, am Leben, zumindest finde ich nichts anderes im Internet. Vielleicht nimmt er eine kritische Kritik ja sportlich – eine Art „Blattkritik“, wie er es in seiner Zeit bei stern, GEO oder taz gewohnt war? Die bisher erschienen Rezension sind durchweg positiv. Es muss aber für den Autor auch ein doofes Gefühl sein, wenn sie von Pietät geprägt wären und nicht ehrlich.
Okay, dann sag ich´s ganz offen: Ich musste mich zwingen, die 186 Seiten durchzulesen. Aber nicht, weil ich so erschüttert war, sondern so gelangweilt. Um zu überprüfen, ob ich einer Männerkonkurrenz unterliege (Wer war der tollere Journalist? Natürlich, er, Luik) bitte ich meine Partnerin mitzulesen, die „Eva“ aus meinem Buch „Mann auf der Couch“. Sie findet das Buch besser als ich, vor allem die politischen Passagen. Was er über die Grünen und ihre Haltung im Ukraine-Krieg sagt, fand sie gut und richtig und habe sie noch nie so gelesen. An den Beschreibungen des Lebens mit dem Krebs fand sie „nichts Neues“, aber gut, was solle es da schon Neues geben? Ich hielt dagegen, dass Wolfgang Herrndorf in „Arbeit und Struktur“ der Erkrankung an einem Hirntumor doch einiges mehr abgewinnen konnte, Herrndorf ein viel „radikaleres“ Buch gemacht habe – aber was soll´s, der freundliche Arno Luik würde dem Eindruck wahrscheinlich sogar teilen.
Der freundliche Arno Luik – ich denke, das ist er wirklich. Ohne Zweifel ein toller Mann, privat, superinteger als linksliberaler Journalist – und nicht nur das, sondern politisch auch konkret aktiv, etwas bewirkend in der „Stuttgart 21“-Auseinandersetzung. Im Buch listet er geschickt, ohne dass es aufdringlich wäre, seine großen journalistischen Erfolge auf, vom Boris Becker Interview 1989 im stern, das ihn „journalistisch auf eine ganz andere Umlaufbahn geschossen“ habe, wie er im Buch schreibt, bis zu seinen akribischen Aufarbeitungen von großen Themen wie Deutsche Bahn (das Buch „Schaden in der Oberleitung“), für das ihn Bahnchef Mehdorn, am liebsten geohrfeigt hätte. Daneben finden sich auch eher eitle Dokumente wie eine unverlangt gesandte Solidaritäts-Erklärung an die „Letzte Generation“ oder ein Abschiedsbrief anlässlich seines Abschieds beim „stern“ , in dem er „dem ganzen Haus G+J alles erdenkliche Glück“ wünscht – ein frommer Wunsch und vielleicht auch schon zu fromm formuliert.
Alles gut, mit Arno Luik, bis auf die Krankheit jetzt. Das Buch zum jetzigen Zeitpunkt ist legitim – wer wäre ich, das zu bezweifeln? -, meine Partnerin sagt: „Wenn Du mal in so eine Lage kommst, wirst Du auch sowas schreiben.“ – und schreiberisch auch sicher gut gemacht. Aber es ist so langweilig, sterbenslangweilig zu sagen, ist wohl geschmacklos! Es enthält nichts, was man nicht schon weiß (oder zumindest gewusst haben könnte) oder sich selber vorstellen kann. Eventuell trifft diese Kritik nur für Leser:Innen zu, die in Hamburg als Journalist:In leben und für die der Tod von Henri-Nannen-Schule-Chef Wolf Schneider eine grosse Sache ist – aber ist für andere diese absterbende Medienwelt überhaupt interessant? Und zum Thema Leben im Angesicht des Todes steht für mich auch nichts drin, das nicht genauso ist, wie ich mir das selber denke.
Ich hegte beim Lesen die schmutzige Hoffnung, wenigstens in der Beziehung zu seiner Frau Barbara könne irgendwas ungewöhnlich sein … ihr widmet er zwar eine der berührenderen Szenen, aber ansonsten kommt sie immer nur friedlich vom Einkauf am Isemarkt zurück, sie haben eine wunderbare Beziehung.
Zu allem, was Arno Luik in seinem Leben gemacht hat und sicher auch dazu, wie er jetzt mit der Krankheit umgeht, möchte man dauernd nur Ja, Ja, Ja, sagen – das ist alles tadellos. Und wie bei jedem Menschen ist es unerträglich, wenn es jetzt dem Ende zu geht. Nur ob es jetzt so ein Buch gibt, das ändert weder im Positiven noch im Negativen was. Muß und kann und braucht es vielleicht auch nicht.
Nur eines hätte uns Luik ersparen können: Auf der letzten Seite verabschiedet er den Leser – wie in einer Radiosendung, Regler auf – mit zwei Zeilen aus „Imagine“, dem schrecklichsten Lied von John Lennon. Schluchz. Aber ich wollte nicht zynisch werden.
Arno Luik, Rauhnächte, Westend Verlag, Frankfurt am Main 2023, 187 Seiten, 22 Euro