Ein Schritt aus der rechten Ecke

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“Einige Monate in meinem Leben” von Michel Houellebecq ist ein gutes Buch, lesenswert, inspirierend. Vorweg schon mal die  gute Nachricht: Es gibt keinen Grund zur Sorge. Michel Houellebecq wird weiter wirken als einer der ganz großen Schriftsteller unserer Zeit. Warum überhaupt die Sorge? Nun, zuletzt war viel von Skandalen zu lesen, das Pornovideo, Äusserungen zum Islam … ein Getöse, das den Blick auf den großen Autoren Michel Houellebecq zu vernebeln drohte. In dem schmalen Band (der kein Roman ist!), nimmt er nun Stellung dazu.

„Einige Momente in meinem Leben zwischen Oktober 2022 und März 2023“ hebt an mit der Affäre um sein Mitwirken in einem „Pornofilm“ (es ist kein Pornofilm) des niederländischen Künstlerkollektivs KIRAC (Keeping it Real Art Critics), um den sich inzwischen eine gerichtliche Auseinandersetzung dreht. Houellebecq hatte sich verlocken lassen, vor der Kamera und unter Beisein seiner Frau Qianyum Lysis Li,  mit einem angeblichen, weiblichen Fan (und Nutzerin der “Only Fans”-Plattform) so was wie Sex zu haben. Danach bezeichnete Houellebecq die Sache als „Dummheit“, er fühle sich „hereingelegt“. Den Vertrag, dem ihm die Künstler vorgelegt hatten, habe er in depressiver Stimmung unterschrieben, benebelt von Weißwein und Tabletten. Zuvor hatte das Künstlerkollektiv schon Sid Lukassen auf ähnliche Weise bloßgestellt, einen rechten französischen Philosophen.

Es wirkt durchaus wehleidig, wie Houellebecq im Buch seine Sicht der Affäre darstellt. Er sieht sich als „Vergewaltigungsopfer“, gibt sich wütend und unbeherrscht aggressiv. Regisseur Stefan Ruitenbeek wird durchgehend als „Kakerlake“ bezeichnet, eines der Mädchen, die mitgemacht hatten, als „Sau“, ein anderes als „Pute“. Houellebecq spart nicht mit obszönen, entwertenden Beschimpfungen der  involvierten Frauen („unterdurchschnittliche Bläserin“, „hässlich“) und des Regisseurs („menschlicher Scheißhaufen“). Als Leser*in muss man nicht besonders sensibel sein, um das als unangenehm zu empfinden, auch der deutsche Übersetzer wird hier gelitten haben.

Viele wird der ganze Sexkram abstossen. Schliesslich lesen wir hier keinen Roman, sondern die mehr oder weniger belegte und jetzt durch ihn selbst bestätigte Geschichte eines Mannes, der sich in seiner kaputten Sexualität offenbart, Sex mit anderen Frauen von seiner Ehefrau  organisieren lässt, sich beim Gruppensex filmen lassen will und von der Welt von „Gangbangs“ fasziniert ist – und sich dies offenbar nur unter Einfluss von Medikamenten und Alkohol annähernd auszuleben traut. Dazu kommt, indem er sich gegenüber allen Mitwirkenden des Videos zum „Vergewaltigungsopfer“ der Inszenierung macht, zeigt er kein Mitgefühl für jene, die sich für ihn prostituieren, im Gegenteil, erniedrigt sie noch.

Pardon für Michel Houellebecq

Als älterer weißer Mann kann ich Houellebecqs sexuelle Wünsche nachvollziehen und will mich hier nicht als Richter aufspielen. Als Schriftsteller habe ich ihn immer auch deshalb geschätzt, weil er eine Sprache gefunden hat für die weniger schöne, traurige Seite der männlichen Sexualität. Und ich glaube ihm, wenn er in einigen Absätzen den Verdacht entkärftigt, er tue Frauen Gewalt an, in dem er ausführt, Vergewaltigung sei nicht etwas, das für ihn denkbar oder irgendwie wünschenswert wäre. Michel Houellebecq, das war aus seinen früheren Büchern schon herauszulesen, ist weniger von sexuellen Gewaltverhältnissen, als von der promiskuitiven Welt der „Swinger—Clubs“ fasziniert, die eher von einem Ethos der Freiwilligkeit geprägt ist – eine Welt von Erwachsenen, die sich frei und einvernehmlich auf ungewöhnliche Sexpraktiken einlassen. Die Szene wirkt wie ein Wurmfortsatz der 60erJahre mit ihrem Anspruch auf freie, geteilte Sexualität, ohne mit der Zeit darüber hinaus kulturell verbunden zu sein.

Pardon für Michel Houellebecq! Form und Inhalt sind nicht so ohne weiteres trennen, dennoch möchte ich all jenen, die kein Interesse haben an der peinlichen Affäre, wünschen, es möge ihnen gelingen, sich die Wahrnehmung dafür zu bewahren, dass sowohl die Beschreibung der unbeholfenen Inszenierung in einem Hotel in Amsterdam wie die zwischendurch aufblitzenden, kurzen Exkurse über  Sexualität und Pornographie, von gewohnter Brillanz sind und Houellebecq in guter Form zeigen. „Es ist nicht so, dass es in logischer Hinsicht an sich absurd wäre, eine Verbindung zwischen Sexualität und Moral zu ziehen; sie sind eher wie zwei geometrische Figuren, die man in alle Richtungen drehen und wenden kann, ohne sie je zur Deckung zu bringen.“  Ich meine, wer sonst schenkt und solche Sätze?

Für deutsche Verhältnisse ist es ungewohnt, Sexualität und Sexualität in ihren Grenzbereichen über Literatur (oder Nebenprodukte wie diesen Band) zu verhandeln. Der Schriftsteller Bodo Kirchhoff erzählte gerade in einem Interview, es habe 30 Jahre gedauert, bis man ihm die pornographischen Stellen aus seinen frühen Romanen verziehen habe, inzwischen lasse er die Finger davon. In Frankreich dagegen ist mit Kultfiguren wie de Sade, Artaud, Baudelaire oder Genet der Dichter und Philosoph als Wüstling, Irrer, Trinker oder Verbrecher ein gängiger Archetyp und das Übertreiben in diese Richtung eine literarische Technik. Houellebecq distanziert sich im Buch übrigens von de Sade als „widerlich“ und „literarisch lächerlich“.

Neben den Frauen, wird Michel Houellebecq seit Jahren vorgeworfen, habe er auch ein Problem mit dem Islam. Die Diskussion besteht, seit er mit dem Roman „Unterwerfung“ (2015), eine paranoide Vision ausbuchstabierte, in der Frankreich vom Islam mehr oder weniger übernommen wird. Die Debatte wird seither von  Houellebecq stetig neu befeuert, mit immer radikaleren, unbedacht wirkenden  Äußerungen in Interviews. Manche seine Äußerungen bezeichnet Michel Houellebecq inzwischen – ähnlich wie sein Hereinfallen auf die Videofilmer – als „Dummheit“, geschuldet auch Banalitäten, wie einem schlampigen Umgang mit lästigen Dingen, wie dem Lesen von Verträgen oder dem Gegenlesen von Interviews. „Einige Monate …“ nutzt er nun dazu, auch hier seine Sicht darzulegen oder zu korrigieren, allerdings, wie ihm schon vorgeworfen wurde, auf viel weniger Seiten (ca. 20) als die Porno-Affäre (ca. 100) – weil er auch ein „genau kalkulierender Schriftsteller“ sei, der genau wisse, was ankomme.

Während sich Houellebecq in der Videogeschichte eher offensiv nach vorne verteidigt, gibt er sich beim Thema Islam einsichtig und fast schon reuig. Einige besonders unangnehme Passagen des Interviews mit dem „Figaro“ im letzten Dezember, bietet er im Buch in einer stark überarbeiteten, eigentlich revidierten Form an, nach einem Treffen mit dem Rektor der großen Moschee von Paris. Im Buch erklärt er, er habe erkannt, dass „die Kriminalität“ und nicht „der Islam“ Ursache für Verwerfungen sei. Die „Kriminalität“ anzuführen, ist zumindest ein Schritt raus aus der rechten Ecke, diese dann noch als Folge sozialer Verhältnisse zu sehen, wäre der Realität noch ein Stück näher gekommen.

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Wer ist M.H.? “Einige Monate in meinem Leben” verrät einiges – ev. auch Dinge, die man gar nicht wissen will

The Making Of Michel Houellebecq

Von „Einige Monate …“ wurde auch gesagt, Michel Houellebecq habe es geschrieben, um sich als Person, als  viel beachteter Intellektueller und als Medienfigur neu zu konstruieren, um wieder Kontrolle über sein Image zu gewinnen, denn obwohl er oft reichlich benebelt wirkt, sei er einer, der nichts dem Zufall überlasse. Darauf gibt es auch im Buch Hinweise, Houellebecq zeigt sich teilweise als gewiefter Netzwerker in der Pariser Kultur- und Medienbranche, der vor allem die Motive seines Gegenüber immer genau einzuschätzen vermag.

Aber ist das alles so wichtig? Wir hier in Deutschland sind vielleicht besonders erstaunt über die schräge, schillernde Figur, weil es bei uns keine streitbaren Intellektuellen gibt, oder sagen wir, keine unangepassten. Schon nach seiner äußeren Erscheinung hätte Michel Houellebecq hierzulande Probleme, bei einer Literaturpreisverleihung Einlass zu finden.

Doch am Ende bleiben Affären und Skandale Nebenschauplätze, weil Schriftsteller im Laufe der Jahre nicht nach ihren Sexerlebnissen, nicht nach ihren Interviews und eigentlich auch nicht nach ihren politischen Äußerungen beurteilt werden, sondern nach ihrer Literatur. Bei politisch relevanten Schriftstellern gilt das ganz besonders. Übrigens hat Michel Houellebecq in der ganzen Welt auch Leser, die ihn wegen seiner Romane schätzen, denen seine Romane „etwas geben“, die sie trösten vielleicht, und die von den Skandalen gar nichts wissen, die auch nicht interessiert sind daran.

Am Anfang dieser Rezension steht, „Einige Monate …“ sei ein gutes Buch. Warum eigentlich?  Aus den bisher beschriebenen Inhalten wird das nicht spürbar. Rekonstruktionen, Korrekturen, Richtigstellungen von Skandalen und Affären, was ist das eigentlich für ein Stoff?  Natürlich ist „Einige Monate …“  kein großer, großartiger Houellebecq, wie zuletzt „Serotonin“ oder „Vernichten“, sondern ein Ergänzungsband, ein Nebenprodukt, ein „Zwischenbuch“, vielleicht auch in der Wirkung auf das weitere Werk eine Art Kurskorrektur, die auf das wirkt, was noch kommt.

Aber wie das geschrieben ist! Von der ersten Seite an spinnt uns Michel Houellebecq ein in ein dichtes, kleinteiliges  Netz aus großen thematischen Akzenten (25 Zeilen zum Verhältnis zum Christentum), Bezugnahmen, Zitierungen – und abrupten Sprüngen ins Banale, in Beobachtungen, Empfindungen, überfallsartige  Resümees oder Thesenbildungen, dreist  wie die eines Boulevardjournalisten.

Als Leser*in ist man ab der ersten Zeile hinein verwickelt in den Text, wird auf den rasend schnellen Diskurs mitgenommen,  mitgeschleift, manchmal auch zurückgelassen (kommt auf den eigenen Bildungsgrad an und das Wissen über französischer Kultur) – und ein paar Zeilen später mit einer kurz, leicht hingeworfenen Bemerkung  von allerhand Gewicht – wieder aufgelesen und natürlich auch amüsiert: „Meine Beziehungen zum Christentum waren also nie schlechter gewesen“ – was für ein Jammer! Für mich gibt es sonst niemanden, der in dieser Art schreiben kann.

Am Ende des Buches berichtet Michel Houellebecq von tröstenden Gesprächen mit Bernard-Henri Levy und Gerard Depardieu, die ihm beide, fast wortgleich, versichert hätten, die Literatur am gewinne am Ende immer.  So möge es sein. Zum Beispiel mit dem nächsten “richtigen“ Houellebecq.

Michel Houellebecq, Einige Momente in meinem Leben. Oktober 2022 – März 2023, 105 Seiten, DuMont Buchverlag Köln 2023, Euro 20,00

Interessanter Link: https://www.keepingitrealartcritics.com/wordpress/

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