Drei große Kleine – von Männern

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1. Für Minderheiten, die nicht diskriminiert werden wollen

Das ist ein inspirierendes kleines Buch, absolut lesenswert. Erschienen ist „Transformation“ in der Reihe „Kleiner Stimmungsatlas in Einzelbänden“ im Hamburger Textem Verlag*), die schon seit einiger Zeit aus der Flut der miniaturisierten Bücher (hat das mit den  hohen Papierpreisen zu tun?) hervorsticht. Titel wie „Backlash“ (Kilian Jörg über die Resilienz der Moderne“) oder „Digitalschatten“ (Christian Huck über Digitalisierung und wieviel Welt und Materie sie braucht) tänzeln auf eleganten Tangenten an den großen Themen vorbei – und treffen dann doch ins Zentrum. Die kleinen „Atlanten“ sind nie langweilig, sorgfältig gearbeitet und redigiert, erstklassig typographiert und gestaltet.- Ende des Werbeblocks.
In „Transformation“ zeigt Stefan Moos, nach welchen Dynamiken die Integration von Minderheiten in die Mehrheitsgesellschaft gelingt – und wie sehr sich jeweilige Minderheiten, mögen es Juden sein oder Homosexuelle, in ihren Strategien darin ähneln. Moos bezieht sich u.a. auf das „Doppelte Bewusstsein“ nach W.E.B. Du Bois (1868 – 1963), dem „Erfinder“ der modernen Soziologie am Beispiel der US-Bürgerrechtsbewegung. Gemeint ist die Ambivalenz gesellschaftlicher Sichtbarkeit, aber auch die Konflikte innerhalb von Minderheiten über den richtigen Kurs zwischen Anpassung und Abgrenzung. Mit einer Menge spannender Details geht Moos dabei auf Planung und Bau einer Synagoge in Paris um 1850 ein und zeigt dabei das Schwanken zwischen dem Zwang und dem Willen zu Repräsentation.
Um seine These von der Vergleichbarkeit der Assimilationsdynamiken deutlich zu machen, macht Moos recht scharf abgegrenzte Minderheits- und Mehrheits-Cluster auf, die im Laufe der Lektüre etwas unterkomplex wirken können – etwa  bei Sätzen wie „Die Mehrheit ist der unsichtbare Akteur in der Gesellschaft“ (Seite 147). Notwendige Differenzierungen wie die naheliegendste, daß diese Mehrheit nicht homogen ist (und sich, wie aktuell, mitunter von „Minderheits“-Stimmen dominieren lässt), finden jedoch an anderen Stellen des Textes durchaus statt, auch dann, wenn Moos in einem im Buch enthaltenen Interview mit der Kunsthistorikerin Sabeth Buchmann sagt, sich selbst als Teil einer Minderheit innerhalb der Mehrheit zu fühlen.
Im letzten Drittel des Buchs, wenn es darum geht, dass die „Aufnahme von zuvor Ausgeschlossenen“ ein essentielles Element des Nation Building des 19. Jahrhunderts gewesen sei und bis heute Voraussetzung für die Modernisierung von Gesellschaften, wird Hannah Arendt zitiert: „Dem geschärften Gewissen der Aufklärung ist es unerträglich geworden, Rechtlose unter sich zu finden.“
Der Begriff „Rechtlosigkeit“ bringt etwas Schärfe in den Text von Moos, der in seiner Argumentation auf eine Analyse von Klasse oder sozialer Zugehörigkeit innerhalb der Gruppen verzichtet, dies aber, wie er bei einer Lesung in Hamburg sagte, in seiner weiteren Beschäftigung mit dem Thema nachholen will. Wahrscheinlich, dass sich dabei herausstellen wird, dass Integration in der Regel dann gelingt, wenn sie den Verwertungsinteressen des Kapitals entspricht. Ein Beispiel dafür sind die Homosexuellen, die es binnen weniger Jahrzehnte vom Status der KZ-Häftlinge zu dem einer der begehrtesten Konsumentengruppen gebracht haben und die damit vorerst vor Verfolgung geschützt sind.

*) Im Textem Verlag ist auch „Mann auf der Couch“  erschienen, das Buch von Michael Hopp, dem Autoren dieser Rezension

Stefan Moos, Transformation. Wo sind Minderheiten – bei allen Unterschieden – gleich? Textem Verlag, Hamburg 2023, 16 Euro

2. Für Männer mit feministischer Ambition

Das ist ein kleines Meisterwerk! In das 40seitige Mini-Büchlein „Tools for Men with Feminist Ambitions“  (in englischer Sprache) hat der junge Autor Martin Barner ein stupende Sorgfalt investiert. Die Kapitel sind im Stile eines Handbuchs didaktisch strukturiert, die Inhalte von großer Klarheit und sauber hergeleitet. Hier wird nicht dahin-behauptet, wie man es von ähnlichen How To-Titeln kennt, sondern akribisch zitiert, Bezüge werden offengelegt, Quellen konkret angeführt. Ein eigentlich wissenschaftliches Werk – und doch gut und leicht und mit Gewinn zu lesen!
Man könnte sagen, in seiner Machart ist das Büchlein selbst eine „Feminist Ambition“ – denn die Ambition von Männern, eine feministische Seite zu entwickeln, beschreibt Barner vorwiegend als eine offene, klare Kommunikation, die frei ist von Unterstellungen, Manipulation und verdeckter Selbstbezogenheit. Im Kapitel „Radical Listening“ wird am Beispiel des Ausrufs „My bike got stolen. I´m an idiot. I did´nt lock it” und der unbedachten, aber wahrscheinlichen Antwort „No wonder it got stolen then“ anhand von konkreten, auch in Form möglicher Formulierungen angeführten Beispielen gezeigt, wie viel besser (=mehr Nähe, Vertrauen und Symmetrie herstellend) man (Mann in dem Fall) antworten kann, um dem Geist des Feminismus zu entsprechen.
“Radical Listening” bedeutet, in einer anderen Qualität zuzuhören, radikal eben, und mit Reaktionen oder Antworten vorsichtig sein, zurückhaltend, das Gegenüber nicht plattmachend, sondern ihm Möglichkeiten, Sichtweisen eröffnend.
Ein anderer Weg für Männer, mit feministischen Frauen (oder überhaupt) angemessen zu kommunizieren, liegt laut Barner darin, Unsicherheit zuzulassen. Auf die Fragestellung, wie man über das Verlangen sprechen kann, antwortet Barner, das funktioniere nur in einer Kommunikation, in der Gefühle schon ihren richtigen Platz haben. Und Männer neigten dazu, Sex und Romantik als etwas zu überschätzen, das emotionale Defizite füllen kann. Ich erinnere mich an eine Bemerkung in einem anderen Buch, das demnächst hier vorkommt. Da heisst es, gute Sexualität verliefe nach denselben Kriterien wie ein gutes Gespräch.

Martin Barner, Tools for Men with Feminist Ambitions, sabotage L.A. publishing, 3. Auflage 2022, 8,50 Euro

3. Für Freunde der Autorität

“Lob der Autorität” von Sebastian Kleinschmidt, ist zwar klein und kurz (45 Seiten) wie die anderen beiden Bücher, aber grösser und länger hätte man es auch nicht haben wollen. Es erscheint in der – mit den „Stimmungsatlanten“ bei Textem vergleichbaren – Mini-Reihe „Fröhliche Wissenschaft“ bei Matthes & Seitz Berlin, die mit tollen Autoren lockt, wie es Sebastian Kleinschmidt, der frühere Chefredakteur von „Sinn und Form“ sicher auch einer ist – nur hier hat er nicht viel zu bieten. 
Vielleicht wäre das Thema in der „Tempo“-Zeit ein Knaller gewesen, heute, so mein Gefühl, wartet niemand richtig darauf. Entsprechend argumentiert Kleinschmidt mit altbackenen Beispielen (wie dem vom Schiff, das einen Kapitän braucht) und führt Schattengefechte mit Vergangenem, wenn er sich an den 68ern abarbeitet. Kein Wort darüber, welchen Schaden autoritär anmutende Regime oder Politiker heute in der Welt anrichten.
Etwas Schwung kommt durch ein Friedrich Engels-Zitat von 1873 auf (Seite 9) – das an Marx´ Widersacher Michail Bakunin gerichtet ist: „Einige Sozialisten haben in letzter Zeit einen regelrechten Kreuzzug gegen das eröffnet, was sie das Autoritätsprinzip nennen … Sie fordern, dass der erste Akt der Revolution die Abschaffung der Autorität sei. Haben diese Herren nie eine Revolution gesehen? Eine Revolution ist gewiss das autoritärste Ding, das es gibt; sie ist der Akt, durch den einen Teil der Bevölkerung dem anderen Teil seinen Willen mittels Gewehren, Bajonetten und Kanonen, also mit denkbar autoritärsten Mitteln aufzwingt; und die siegreiche Partei muss, wenn sie nicht umsonst gekämpft haben will, dieser Herrschaft Dauer verleihen durch den Schrecken, den ihre Waffen den Reaktionären einflössen.“  Ist es so?

Sebastian Kleinschmidt, Lob der Autorität, Matthes & Seitz Berlin, 2023, 10,00 Euro

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