Der MAC geht in den Plattenladen und hört ein Konzert

Was hier steht, ist dem MAC widerfahren, keinesfalls Michael Hopp! Um das Artifizielle des Konstrukts zu unterstreichen, hat der in Hamburg lebende Autor die Form des Dramoletts gewählt. Ein Dramolett ist ein Einakter, ein großartiges Dramolett ist Thomas Bernhards „Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mir mir essen.“   Der österreichische Dramatiker Wolfgang Bauer („Magic Afternoon“) hat die Form als „Mikrodrama“ variiert, gemeint ist einfach ein kurzes Theaterstück, nicht länger als 20 Minuten. Beiden Formen ist gemeinsam, daß sie nach einer hohen Verdichtung verlangen, tragische oder komische Aspekte des Gezeigten kommen damit deutlicher zum Ausdruck. 
Das folgende “MAC Dramolett” ist um das Stilmittel des „inneren Monologs“ erweitert. Grund ist, dass bei der Figur des MAC das Gesagte und das Gedachte in in einem Missverhältnis stehen. Der österreichische Regisseur Manfred Kaufmann grieff diese Differenz auf in der Zeichung “Die gedachten Gefühle”.

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Zeichnung von Manfred Kaufmann, alias Tony Stillos, Wien, ca. 1976. Kaufmann war ein österreichischer Autor und Filmregisseur (1950-1987). Einer seiner Filme war “Gefischte Gefühle” (1979), der in “Mann auf der Couch” breite Erwähnung findet

Gertrudenkirchhof am späten Nachmittag, es ist gerade dunkel geworden. Der MAC fährt mit dem Fahrrad auf den Plattenladen „Michelle Records“ zu. Durch das Schaufenster ist zu sehen, dass einige Personen, hpstl. Männer, bereits im Laden sind. Hinter dem Schaufenster stehen Schlagzeug und Verstärker. Während der MAC sein Fahrrad an der Stange eines Verkehrsschilds fest macht, erkennt er den Geschäfstführer Christof, der vor dem Laden steht und Zigarettenrauch in die dunkle Luft pafft.

MAC: Hej. Danke für die Einladung. Heute mal keine Schaufenster-Lesung, sondern ein Schaufenster-Konzert! Der MAC betont den Begriff Lesung, in Anspielung an die Lesung, die er bei Michelle in der Corona-Zeit 2021 gegeben hat.

CRISTOF: So sieht´s aus!  Und? Bei Dir?

MAC: Naja. Weitermachen. WEITERMACHEN. Untergehen ist ja auch keine Alternative. Was wäre denn Untergehen?

CRISTOF: Genau.

Der MAC betritt den hell erleuchteten Plattenladen. Zwischen den Plattenregalen drängen sich Männer und diggen unkonzentriert. Innen vor dem Schaufenster hat die Band „Lazy Giants“ aufgebaut und spricht mit einzelnen der Männer, die nahe an der Bühne stehen, auf englisch. Der MAC stößt an einen anderen Mann an.

MAC: Sorry! Drückt sich an an dem anderen vorbei, ohne ihn zu berühren. Das kriegen wir doch hin!

Der MAC blättert das Bob Dylan Fach kurz durch, geht dann zu den Neuerscheinungen auf Vinyl, dann zu den Wiederveröffentlichungen. Er wirkt fahrig, unsicher, unkonzentriert.

MAC INNERER MONOLOG: Der MAC blättert das Bob Dylan Fach kurz durch, geht dann zu den Neuerscheinungen auf Vinyl, dann zu den Wiederveröffentlichungen. Er wirkt fahrig, unsicher, unkonzentriert. Das tut mir nicht gut hier! Gar nicht gut! Ich bin noch nicht so weit, hier cool darüber hinwegsehen zu können, nicht mehr das Geld für Platten zu haben. Die Gier ist da. Der ?. Und die Wut. Auch auf all die Arschlöcher hier, die sich solche Gedanken nicht machen müssen. Die Arschlöcher in ihren 1.000-Euro-Anoraks. Die drei Mal am Tag essen gehen. Und abends Platten kaufen.  Welche Gedanken machen die sich überhaupt? Bin ich wie die? Bin ich irgendwie wie die? WAR ich wie die. WÄRE ich wie die, wenn ich Geld hätte? Nein, ich bin eh nicht wie die. Ich bin Revolutionär. Ich bin linksradikal. Ich höre zu Hause die Platten, die ich habe. Sind ja genug. Kinderkram. Kinderkram. UUUHHH, es fühl sich gar nicht gut an. Warum setze ich mich dem aus? Die Band stimmt die Instrumente, die Aufmerksamkeit der Leute konzentriert sich auf sie.

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“Lazy Giants” aus San Francisco und überallwo her, geben ein “Schaufensterkonzert” bei “Michelle Records” in Hamburg. Das Publikum spiegelt sich – im Schaufenster

DIE BAND: We are the “Lazy Giants”. Die Musik geht mächtig los. Das Schlagzeug ist toll laut in dem kleinen Raum. Zwei Gitarren, Bass. Später singt noch einer, mit dem Rücken zum Publikum. In Vorformen („Toiling Midgets“) gibt es die Band seit 1980. Gegründet in der Punskzene von San Francsisco, sind die Wohnorte heute Seattel, Toronto und Berlin.

MAC INNERER MONOLOG: Lass dich in die Musik fallen, lass dich in die Musik fallen, das kannst du doch. Der MAC beginnt mit leichtem Kopfnicken- und schütteln den Takt der Drums aufzunehmen, auch ein wenig in der Hüfte. Von allen im Raum bewegt er sich am meisten. Ich und laut, liebe laut, heilt mich das, macht Schmerzen weg, ja. Ich erinnere mich an Geburtstagsfeiern. Meinen Sohn hatte ich immer eingeladen. Am Ende sass ich da, betrunken, und machte die Musik immer lauter. Da kam mein Sohn und machte sie leiser. Er mochte das nicht, er mochte das alles nicht. Vor dem MAC steht eine Frau, eine der drei oder vier die da sind. In der Vinylszene gibt es auch nicht mehr Frauen als bei den Marxisten. Ich bin heute eigentlich nur noch in Männerwelten. Finde ich auch gut. Aber es ist jeder ein Vollidiot, ein kompletter Vollidiot, der das Wort von den „alten, weißen Männern“ in den Mund nimmt. DAS IST SOWAS VON DURCH! Der MAC schaut auf die Frau, sie ist nicht groß gewachsen. Ihr Körper ist in einem schwarzen Parka verhüllt. Ich kenne nur eine Frau, die Platten sammelt. Oder Platten hört. Stimmt nicht, meine erste Frau Pia hatte eine Plattensammlung, als ich sie kennenlernte. Wie wäre es, wenn eine Frau abends Platten nach Hause bringt? Von der Axel-Springer-Tageszeitung „Welt“ gibt es einen Podcast „Wie gelingt gesunder und schmerzfreier Analsex?“ Glaubt ihr nicht?  https://www.welt.de/podcasts/peinlich-gibts-nicht/article246808040/Peinlich-gibt-s-nicht-Experte-erklaert-wie-schmerzfreier-Analsex-gelingen-kann-Podcast.html Warum fällt mir das jetzt ein.  Wenn die Verzweiflung steigt, kommt immer auch die Geilheit. Aber sie rettet mich nicht. Ich muss mit Cristof wieder einen Deal machen. Ich hatte einen, dann bin ich rausgeflogen oder habe mich selbst rausgeschmissen, weiß ich nicht mehr. Der Deal war, er nahm alte Platten von mir in den Laden und um das Geld kann ich neue kaufen. Dann habe ich auch eine gleichgroß bleibende, sorgfältig kuratierte Sammlung und bin nicht mehr der Vinyl-Messie, der ich ja eigentlich bin. Eva sagt, ich bin nicht arm. Ich mache mich dazu. Wie meint sie das? Das Konzert geht zu Ende. Die Männer im Raum murren rum, imitieren irgendwie ironisch und irgendwie nicht ironisch die Zugabe-Rituale aus grossen Konzerten.

DIE BAND, DER SUPERGUT AUSSEHENDE DRUMMER DANIEL BENYAMIN: Hey, hey – has anybody got any friends in Bremen, we are in Bremen tomorrow. Keine Meldungen aus dem Publikum. So we play a last song from our new album “Toiling Days Are Over” … in this free concert. You know what a free concert is about? Everybody in this room is going to buy a record! Nobody leaves the room without buying a record!”

MANN, KONZERTBESUCHER tastet seinen Körper pseudomässig nach der Brieftasche ab: Soviel hab´ ich gar nicht dabei!

MAC INNERER MONOLOG: Kauf sie dir, das hast du dir verdient! Das bist du dir SCHULDIG. Nein, lerne Nein zu sagen. Das macht dich stark, auch für die Zukunft, wo du immer NEIN sagen wirst müssen. IMMER? KANN NICHT SEIN! Katholiken sind nicht gut im Verzichten, Marxisten auch nicht.  Protestanten schon, es ist für sie eine wichtige Tugend. Eva ist protestantisch. Sie sagt zwar sie ist nicht religiös, aber sie kann es nicht abschütteln, es sind Prägungen aus der Kindheit. In meiner Familie waren immer alle, fast alle Hochstapler, Zuvielgeldsausgeber, Trinker, Depressive. Ich kann es nicht abschütteln, es sind Prägungen aus der Kindheit. Von der Arschlöchern haben sich inzwischen die streberhaftesten Arschlöcher vorne vor der Band versammelt und wacheln mit ihren verschissenen Geldscheinen herum. Alle, die Band und die Arschlöcher, lachen künstlich und verlogen. Nein, ich nehme keine Platte. Ist eh Scheiße. Fast alle Platten von heute sind Scheiße. Ehrlich, was legt man denn öfter als zwei Mal auf, WAS? Um das Geld, das ich hier „spare“, spare unter Anführungszeichen, wo lässt sich denn überhaupt was „sparen“, kaufe ich mir lieber jeden Tag ein Nico Vanille, das tröstet auch, macht aber sicher dick, und damit auch wieder unglücklich, denn DICK will ich auf keinen Fall sein. Aber, verdammt, wie komme ich hier raus?  Der MAC tut auffällig unauffällig und während Cristof gerade nicht zu sehen ist und die hübsche neue Mitarbeiterin eine Rechnung macht und die Band mit einkassieren beschäftigt ist und die Arschlöcher den MAC eh nicht bemerken, weil er für die UNSICHTBAR ist, UNSICHTBAR – während also usw – STIEHLT sich der MAC raus, wie ein, naja, HUND? Draussen läuft er zu seinem Rad, macht es los, knipst das Licht an und fährt schnell, fast gefährlich schnell, über das nassglänzende Kopfsteinpflaster des Gertrudenkirchhof. Den Geschäftsführer Cristof sieht er aus dem Augenwinkel, er steht wieder vor seinem Laden und raucht. Der MAC hat es eilig, biegt rechts ab und verschwindet in der Lichtern Hamburgs.

Vorhang

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