Der Kapitalismus bringt uns um unsere Lebensgrundlagen

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In diesen Tagen erscheint im Kölner PapyRossa-Verlag der von Hans-Georg Bensch, ­Sabine Hollewedde und Ulrich Ruschig herausgegebene Sammelband »Kapital und Natur«. Heute in MACBook zu lest ihr den im Band veröffentlichten Aufsatz »Die Rolle der Technik in der Entwicklung des Widerspruchs zwischen dem Kapital und der Natur« von Peter Röben, wie er auch in der „Jungen Welt“ abgedruckt war. Einer der Herausgeber der Bandes, Hans Georg Bensch, ist am Mittwoch, 13.12.2023, bei der MASCH (Marxistische Abendschule Hamburg) zu Gast. An der Universität Hamburg, Von-Melle-Park 9 (FB Sozialökonomie ex HWP Raum S 28). Das ganze MASCH-Programm, inklusive der Veranstaltungen des ROTEN SALON HAMBURG: https://www.masch-hamburg.de/ Und hier geht´s zum ROTEN SALON: https://roter-salon-hamburg.de/

Von Peter Röben

Karl Marx hat im »Kapital« nicht nur die Ausbeutung der Arbeiter angeprangert, sondern auch die der Natur: »Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.«¹ Der systematische Widerspruch zwischen Kapital und Natur erhält durch die Entwicklung von Technik und Kombination des gesellschaftlichen Arbeitsprozesses eine historische Verlaufsform. Die von Marx angeprangerte »Versiechung der Arbeitskraft« wurde dabei an die Ränder der entwickelten Welt verdrängt.

Untergrabung der Natur

Die Untergrabung der Natur schreitet weiter voran, wie Artensterben und Ozeane voller Plastikmüll zeigen. In keiner noch so entlegenen Ecke der Welt bleibt die Umwelt intakt: Über Nordwinde im Atlantik gelangt beispielsweise mit Schwermetallen, Rußpartikeln und säurebildenden Gasen angereicherte Luft aus Europa binnen weniger Tage in die Arktis. Das Kapital bedient sich der Natur zur Gewinnung von Rohstoffen und Agrarprodukten und benutzt sie als Deponie von Abfall, z. B. die Atmosphäre. Einerseits liefert die Natur Mittel für den Verwertungsprozess und wird dadurch zur Springquelle von Reichtum, andererseits wird sie durch ihn untergraben, indem Rohstoffe oder Tiere bis zur Erschöpfung ausgebeutet oder gejagt werden.

Die Untergrabung der Natur, ist ein Prozess, der durch Technik in einem Ausmaß gesteigert wurde, das heute das Überleben der menschlichen Spezies durch den Klimawandel in Gefahr bringt. Andere Spezies sind schon verschwunden oder sind in ihrem Bestand so bedrohlich reduziert, dass auch sie in ernster Gefahr sind. Die globalisierte Landwirtschaft passt die Äcker in deren Größe den riesigen Bearbeitungsmaschinen an und steigert damit die Erträge pro Arbeitszeit in einem ungeheuren Ausmaß. Was die Produktionszeiten des Werts in den Feldfrüchten optimiert und sich damit als Zwang in der landwirtschaftlichen Produktion geltend macht, untergräbt den Boden: Verdichtung und Erosion sind weltweit ein massives aktuelles Problem. Der Einsatz von Pestiziden und Insektiziden bekämpft unerwünschte Kräuter und Tiere und hinterlässt eine Spur der Verwüstung.

Die Beteiligung der Technik an diesem Desaster liegt für viele Autoren so klar auf der Hand, dass technische Dystopien heutzutage die Regel in fiktionalen Werken sind, die in Gegenwart und Zukunft spielen. Technik erscheint dabei allerdings nicht etwa als Mittel des Kapitals, sondern wird selbst als Subjekt der Naturzerstörung ausgemacht. Urheber dieser Vorstellung sind u. a. Philosophen, wie z. B. Martin Heidegger, Jürgen Habermas oder Hans Jonas, die in ihren Analysen das Kapital als Urheber nicht ausmachen wollen, sondern sich an der Vorstellung einer dystopischen Technik abarbeiten. »Nie hat Marx begriffen, dass diese ›Maschinerie‹ (und das ganze gesellschaftliche System in ihrem Gefolge), dass die Technik selbst, und nicht erst eine bestimmte Wirtschaftsverfassung, unter der sie arbeitet, die Menschen, die arbeitenden wie die konsumierenden, mit ›Entfremdung‹ überzieht.«² Mit Marx haben diese Analysen nichts zu tun: Er entwickelte keine Dystopie, sprach nicht einfach von Zerstörung als Zweck, sondern von Zerstörung als Resultat der kapitalistischen Benutzung von Technik zum Zweck der Erhöhung der Mehrwertrate, also von einem Widerspruch.

peter roeben
Mitautor von „Kapital und Natur“ im PapyRossa Verlag: Peter Röben, promovierter Physiker, Professor für Technik und ihre Didaktik an der Carl von Ossietzky Universität Lüneburg. Forschungsgebiete: Technikdidaktik und Technikgeschichte

Zum Begriff der Technik

Was ist Technik? Formuliert man diese Frage, wird klar, worin das Problem liegt. Auf der einen Seite scheint es trivial zu sein: Das, was unseren Alltag dermaßen beherrscht und so omnipräsent ist, sollte leicht erklärt werden können. Man muss ja nur auf die vielen technischen Artefakte verweisen. Auf der anderen Seite wird schon bei einer oberflächlichen Betrachtung der Vielfalt von technischen Artefakten deutlich, dass man schnell den Wald vor Bäumen nicht mehr sieht. Vom Faustkeil bis zum 3-D-Drucker, vom Lagerfeuer bis zum Atomkraftwerk, vom Zelt bis zum Wolkenkratzer, von der Nadel, mit der Symbole in Knochen geritzt wurden, bis hin zur größten Druckmaschine der Welt bei Print 24: Die Vielfalt von technischen Artefakten ist unübersehbar.

Wenn man zu einem Begriff von Technik kommen will, benötigt man eine Systematik, die aus der verbreiteten rein naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise mit den Begriffen Masse, Energie, Information, Zeit und Raum nicht gewonnen werden kann. Ohne die Beziehung auf den Nutzen sowie die Verwendung von Technik und damit auf die Zwecke, wofür Technik eingesetzt wird, kann man Technik nicht begreifen. In den naturwissenschaftlichen Begriffen kommt aber »Zweck« nicht vor. Alle technischen Artefakte sind im Kapitalismus Waren. Wie alle Waren haben sie einen Gebrauchswert. Sie sind nicht nur für die private Konsumtion bestimmt, sondern insbesondere auch für die produktive Konsumtion. Damit ist das Problem der Bestimmung von Technik noch nicht gelöst, denn die Vielfalt der Bedürfnisse in der modernen Gesellschaft ist fast ebenso groß wie die Menge an Artefakten, die die Mittel zur Befriedigung liefern.

Ohne eine genauere Analyse der Nutzer und des Nutzens ist die Vielfalt nicht zu reduzieren. Es ist daher hilfreich die ökonomische Scheidung zwischen Konsumtion und Produktion zu machen. Beide unterscheiden sich systematisch in der Art und Weise des Technikgebrauchs: In der Produktion dient die Technik dem ökonomischen Zweck bei der Schaffung von Waren und der Herstellung ihres materiellen Gebrauchswerts. Dass beide, ökonomischer Zweck und Gebrauchswert, nicht zusammenfallen, ist typisch für die kapitalistische Produktionsweise. Der ökonomische Zweck, der den Einsatz von Maschinerie in der Produktion dirigiert, lässt sich als die Produktion von relativem Mehrwert bestimmen. »Gleich jeder andren Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit soll sie (d. i. die Maschinerie) Waren verwohlfeilern und den Teil des Arbeitstags, den der Arbeiter für sich selbst braucht, verkürzen, um den andren Teil seines Arbeitstags, den er dem Kapitalisten umsonst gibt, zu verlängern. Sie ist Mittel zur Produktion von Mehrwert.«³

Mithin zielt dieser Einsatz darauf, einen bestimmten Gebrauchswert mit vergleichsweise weniger Arbeitsaufwand als die Konkurrenz herzustellen. So begann die industrielle Produktion mit der maschinellen Herstellung von Garn, die in kurzer Zeit alle handwerklich produzierten Garne vom Markt fegte. Die weitere Entwicklung in der Textilindustrie führte dazu, dass sich Textilien verbilligten. Da dies auch mit anderen Waren geschah, führte diese Verbilligung von Konsumtionsmitteln dazu, dass der Wert der Ware Arbeitskraft reduziert werden konnte. Andererseits wurde die Vielfalt gerade der Warenprodukte für den Konsum durch die weitere Ausweitung der schon zu Marxens Zeiten »ungeheuren Warensammlung« vergrößert. Die Produktion des relativen Mehrwerts erlaubte ja nicht nur die Verbilligung der Ware Arbeitskraft, sondern erlaubte auch die Vergrößerung des Warenkorbs, der für die Reproduktion der Ware Arbeitskraft als angemessen angesehen, besser: von der Arbeiterbewegung errungen wurde.

Mit der industriellen Revolution wird das Kapitel einer neuen Art von Technik eingeleitet. Sie erfasste zunächst die Arbeitsmaschine, machte aber sogleich die Entwicklung einer gleichfalls umgewälzten Antriebsmaschine notwendig. Diese neue Technik wurde durch James Watt realisiert, den Marx wegen seiner weitsichtigen Formulierung in seinem Patent hervorhebt: »Das große Genie Watts zeigt sich in der Spezifikation des Patents, das er April 1784 nahm, und worin seine Dampfmaschine nicht als eine Erfindung zu besondren Zwecken, sondern als allgemeiner Agent der großen Industrie geschildert wird.«⁴

Die technische Revolution erscheint vielen Menschen als identisch mit der industriellen Revolution. Das Tempo der Veränderungen, das Ausmaß der Umweltauswirkungen, die Steigerung der Geschwindigkeit des gesellschaftlichen Lebens erscheinen als durch Maschinen für Massenproduktion, Transport, durch Telegrafie- und Telefonsysteme verursacht. Das Wort Technik bekommt einen neuen Inhalt, der schon bald mit Dystopien verbunden wird. Es muss in der industriellen Revolution also etwas mit der Technik passiert sein. Anders als häufig zu lesen ist, war aber nicht die Dampfmaschine der Ausgangspunkt der industriellen Revolution, sondern die Arbeitsmaschine oder Werkzeugmaschine, wie z. B. die Spinnmaschine oder die Drehmaschine. Aber das Gespann von Antriebs- oder Energiemaschine und Arbeitsmaschine erfüllt nur zusammen den ökonomischen Zweck. Der Grund dafür ist die Beseitigung der Abhängigkeit von der Geschwindigkeit menschlicher Arbeitsverrichtungen. Solange die produktiven Formveränderungen am Arbeitsgegenstand durch menschliche Kraft und Geschicklichkeit realisiert werden müssen, sind der Steigerung der Arbeitsgeschwindigkeit absolute Grenzen gesetzt, die in der menschlichen Physiologie liegen.

Die Konstruktion der Arbeitsmaschine greift zunächst noch die Gestalt der Arbeitswerkzeuge in Manufaktur und Handwerk auf. Damit die Maschine nun die notwendigen Bewegungen für die Formveränderung des Arbeitsgegenstands ausführen kann, ähnlich wie sie zuvor von den Händen des Arbeiters verrichtet wurden, muss das, was Erfahrungswissen der Arbeiter bei der Durchführung ihrer Arbeit war, zum expliziten Wissen von Technikern und Ingenieuren für die mechanische Konstruktion werden. Die Verfügung des Kapitals wird damit eine doppelte: Einerseits lässt sich die Bewegung des Maschinenwerkzeugs enorm beschleunigen, andererseits können die Werkzeuge ins Gigantische vergrößert werden.

Die Gestaltung des Produktionsprozesses konnte nun ganz den Bedürfnissen des Kapitals untergeordnet werden, und es entstand ein Produktionssystem, das ohne seine zentrale Antriebskraft nicht möglich war: »An die Stelle der einzelnen Maschine tritt hier ein mechanisches Ungeheuer, dessen Leib ganze Fabrikgebäude füllt und dessen dämonische Kraft, erst versteckt durch die fast feierlich gemeßne Bewegung seiner Riesenglieder, im fieberhaft tollen Wirbeltanz seiner zahllosen eigentlichen Arbeitsorgane ausbricht.«⁵

Marx ging es um eine bestimmte Technik, nämlich die, die als Mittel für die Entwicklung der kapitalistischen Akkumulation erst geschaffen wurde, und zwar zum Zweck der Produktion von relativem Mehrwert. Technik ist bei ihm entweder Arbeitsgegenstand, Arbeitsmittel oder das Maschinensystem. Im Maschinensystem ist die Formveränderung des Arbeitsgegenstands vom Arbeiter auf die Maschine übergegangen. Der Arbeiter wird zum Anhängsel einer Produktionstechnik, er wird als Systemkomponente für das Laufen eines Mechanismus eingesetzt, legt aber selbst nicht mehr Hand an das Produkt an, jedenfalls nicht während der Fertigung, sondern nur noch in der Montage. Anders ist es beim Aufbau der Maschinerie, die von hoch spezialisierten Facharbeitern montiert und eingerichtet werden. Die Handarbeit verschwindet also nicht, aber sie ist immer weniger in den unmittelbar produktiven Bereichen zu finden. Und durch die immer weiter perfektionierte Robotertechnik wird sie auch in der Gegenwart immer weiter zurückgedrängt.

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Zu Gast in der MASCH: Hans Georg Bensch, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und außerplanmäßiger Professsor an der Leibniz Universität Hannover. Zu seinen Forschungsgebieten gehören u.a. Geschichte der Philosophie, Kritik der Politischen Ökonomie u. Kritische Theorie. Bensch gibt auch Einführungen in „Das Kapital“

Universeller Antrieb

Der unbedingte Wille zum Wachstum durch Steigerung der Produktionsmenge und Senkung des Kaufpreises bereitet sich im folgenden selbst Probleme beim weiteren Wachsen, zu deren Lösung Kreativität gefragt ist. Der Gesellschaft musste z. B. klar gemacht werden, dass man Kleidung nicht ewig lang trägt, sondern dass man sich Moden unterwerfen muss. Die Erfindung der Mode, wenn man so will ein moralischer Verschleiß der Textilien, ist diese kreative Lösung für eine Produktion, die auch die Bedingungen ihres Wachstums erschaffen muss, damit sie weiterwachsen kann. Der Konsument gerät damit zum Erfüllungsgehilfen eines Wachstums, seine Bedürfnisse werden in der Folgezeit weiterentwickelt und selbst auch schwache Zahlungsfähigkeit mit minderwertigen Waren geringerer Haltbarkeit abgegriffen.

Und hierin liegt ein weiterer Grund für die Naturzerstörung. Die Formung der Konsumtion durch den Kapitalismus hatte zu Marxens Zeiten ihren Startpunkt in der Textilindustrie. Aber eine Maschinerie, die von einer Naturkraft angetrieben wurde, konnte dieses permanente Wachstum nicht gewährleisten. Ohne eine adäquate Antriebsmaschine fand die kapitalistische Produktion in Gestalt der durch Wasserkraft betriebenen Waterframe eine Grenze durch gefrorene oder trocken gefallene Flüsse. Es war die Dampfmaschine, die das exponentielle Wachstum erst ermöglichte, angetrieben durch Kohle, deren Förderung dadurch zu einem so lohnenden Geschäft wurde, dass ganze Landstriche dadurch umgewandelt wurden, z. B. das Ruhrgebiet.

Unersättlicher Energiehunger

Die Umwälzungen sowohl der Arbeits- als auch der Antriebsmaschine haben gravierende Auswirkungen auf die Natur. Der Energieumsatz in der Dampfmaschine führte zu einem exponentiellen Anstieg des Kohleverbrauchs, zu welchem die notwendig gewordene Metallgewinnung in Erzhütten ebenfalls erheblich beitrug. Die Kohle war am Beginn der industriellen Revolution der Energierohstoff. In England verdoppelte sich die Kohleförderung zwischen 1760 und 1790 und wurde bis 1840 verfünffacht, bis 1875 versiebenfacht und erreichte im Spitzenjahr 1925 247 Millionen Tonnen, was ungefähr das Fünfhundertfache der Förderung von 1760 war. Kohle musste daher selbst industriell gefördert und transportiert werden, was wiederum ohne die Dampfeisenbahn nicht hätte bewerkstelligt werden können. Die Dampfmaschine wurde also tatsächlich der universelle Antrieb, und zwar in weit größerem Maßstab als James Watt es sich träumen ließ.

Was Marx am Beispiel des Zusammenspiels von Dampfmaschine und Arbeitsmaschinen aufzeigt, ist heute durch Elektrizität und Computer in einem Ausmaß realisiert, dass Massenproduktion zum Standard für alle Waren des täglichen Lebens geworden ist. War der Einsatz der klassischen Antriebsmaschine auf die Dampfmaschine einer Fabrik begrenzt, erfährt sie durch die Elektrizität eine Entfesselung. Durch den Aufbau von zentralen Kraftwerken wurde es möglich, die Kosten für die Energie weiter zu senken. Die riesigen Verbrennungsanlagen der ersten Dampfkraftwerke schafften einerseits eine Konzentration und damit eine neue Dimension der Verbrennung von Kohle im großen Stil, anderseits wird die durch sie gelieferte Energie beliebig teilbar und über weite Strecken transportierbar. War die Dampfmaschine noch etwas für größere Unternehmen und der Transport der Antriebsenergie von der zentralen Antriebsmaschine zu den einzelnen Arbeitsmaschinen über den Transmissionsmechanismus mit Treibriemen ein ebenso gefährliches wie verlustreiches und damit teures Geschäft, kann die vom Kraftwerk gelieferte elektrische Energie zu nahezu jedem Ort mit relativ wenig Verlust geliefert werden, auch in die privaten Haushalte.

Die im 19. Jahrhundert begonnene exponentielle Steigerung des Energiekonsums wurde im 20. Jahrhundert fortgesetzt, vor allem durch die Erfindung des Automobils und die Entdeckung der Energiequelle Erdöl. Es liegt auf der Hand, dass das Öl eine noch bedeutendere Rolle einnimmt als die Kohle, und dies hat mit einer besonderen Technik zu tun: der Verbrennungsmaschine, einer Maschine, die die Verbrennung intern im Zylinder durchführt und damit Brenn- und Dampfkessel der Dampfmaschine überflüssig macht. Von Étienne Lenoir 1859 entwickelt, um eine kompakte und kostengünstige Alternative zur Dampfmaschine zu haben, wurde daraus in Gestalt des stationären Ottomotors ab 1876 ein Bestseller der Deutz AG. Die Verbrennungsmotoren kamen schnell aus der Nische für geringe Leistungen heraus und machten der Dampfmaschine ernsthafte Konkurrenz. Das eigentliche Feld des Ottomotors wurde dann das Automobil.

In den USA wurde die Massenproduktion des komplexen technischen Geräts Automobil durch Henry Ford ab 1914 verwirklicht. Er wandelte die anspruchsvolle handwerkliche Teilefertigung mit Universalmaschinen konsequent in maschinelle Fertigung mit Spezialmaschinen um, die auch von Angelernten bedient werden konnten. Zusätzlich wurde die Montagearbeit am Fließband auf Höchstleistung getrimmt.

In Europa setzte sich dieses Produktionssystem so richtig erst nach dem Zweiten Weltkrieg durch. Aber auch hier – insbesondere in Deutschland – entwickelte sich die Automobilindustrie zur Leitbranche. Diese von der Politik durch Straßenbau und Bahnabbau aktiv betriebene Entwicklung hat am Desaster des Klimawandels einen großen Anteil. Die Überproduktion von Automobilen nahm schon in den 1970er Jahren Fahrt auf, mit harten Konsequenzen für Landschafts- und Stadtbild und für den öffentlichen Nahverkehr: Die Festlegung der Mobilität auf das Automobil als Dienst am Wirtschaftswachstum führte nicht nur zur Luftverpestung und Steigerung der CO2-Konzentration, sondern auch zu einer ungeheuerlichen Zahl an Verkehrstoten.

Das Automobil nimmt eine Sonderstellung ein. Es ist das maßgebliche Transportmittel für Güter und damit Teil des kapitalistischen Verwertungsprozesses. Diese Entwicklung wurde durch den Dieselmotor befördert, der die Transportkosten erheblich senkte und die Standardantriebsmaschine des Lkw ist. Der Dieselmotor erlaubt zudem auch riesige Bauformen, die in der Schiffahrt zur Anwendung kommen, und ist damit die technische Basis für die moderne Globalisierung. Durch Containerschiffe werden z. B. Teile der amerikanischen Baumwollernte nach China verschifft, die dann in Form der Billig-T-Shirts wieder zurückkehrt, was pro T-Shirt Transportkosten im Cent-Bereich ausmacht. Diese enorme Verbilligung der Transportkosten wird durch die Rationalisierung der gesamten Transportkette durch Container ermöglicht, die im Hafen in einem Bruchteil der früheren Umschlagszeit vom Schiff auf den Lkw bewegt werden: Anfang der 1970er Jahre, am Beginn des Niedergangs der Stückgutschiffe, brauchte eine Ladung von 45 Tonnen einen Kran, 20 Arbeiter und eine ganze Schicht. Dies wird heute von einem Containerbrückenfahrer in einer Minute erledigt.

Dieser beschleunigte Umschlag durch die neue Transportkette Lkw–Containerschiff–Lkw steigert schon das Kapitalwachstum erheblich. Hinzu kommt, dass die Benutzung von Produktionsstandorten in der ganzen Welt und ihre Entkoppelung von den Verkaufsmärkten die Benutzung der weltweit billigsten Arbeitskräfte ermöglichte. Außerdem hatte dies den für Unternehmen schönen Nebeneffekt, dass kostspielige und eigentlich unnötige Standortfaktoren, wie z. B. Arbeitsschutz, in vielen Ländern nahezu wegfielen. Was in den entwickelten Länder als Arbeitsschutzstandard erkämpft wurde, galt für Unternehmen nicht automatisch für alle Standorte, vor allem nicht für die lokalen Zulieferer und Ausgründungen.

Nahezu alle technischen Vorgänge brauchen Energie, die zu einem überwiegenden Teil aus Energierohstoffen entnommen wird. Kohle, Erdgas und Öl machen immer noch über 80 Prozent des Primärenergieverbrauchs in Deutschland aus, Öl allein fast ein Drittel. Dieses Wirtschaftsgut scheint aufgrund seiner vom technischen Standpunkt aus idealen Eigenschaften unverzichtbar und nur sehr schwer zu substituieren zu sein. Seine Bereitstellung ist daher die gegenständliche Bedingung schlechthin für fast den gesamten materiellen Lebensprozess im Kapitalismus.

Veränderungen des Energiepreises schlagen prompt und direkt auf den Kapitalaufwand für die Fortführung und die Erweiterung des Unternehmens durch; eine Erhöhung macht die Geschäftstätigkeit unweigerlich teurer, sie vergrößert den notwendigen Kapitalvorschuss, mindert die Profitrate und bremst das Unternehmenswachstum. Die kapitalistischen Nationalökonomien hängen mit ihrem Maschinen-, Geräte- und Fuhrpark, ihren Energie verschlingenden Produktions- und Zirkulationsprozessen, schließlich den Notwendigkeiten und Gewohnheiten eines »Endverbraucher«-Daseins existentiell von beständiger Belieferung mit großen Mengen an Energie ab. Dies ist der Hintergrund dafür, dass Ölkatastrophen nur gelegentlich von der Weltöffentlichkeit beachtet werden, wie die Ölkatastrophe im Nigerdelta, die seit 50 Jahren anhält und Natur und Gesundheit von Millionen Menschen in katastrophalem Ausmaß ruiniert hat.

Änderung der Zwecke

Die Technik wurde dem Kapital subsumiert. Das heißt nicht nur, dass technische Artefakte vom Kapital als Mittel für sein Wachstum verwendet werden, sondern auch, dass schon die Entstehung von Technik sich diesem Zweck verdankt. Damit ist gemeint, dass die wichtigsten Institutionen der Technikentwicklung die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der kapitalistischen Unternehmen selbst sind. Großzügige Unterstützung, neben direkten Subventionen des Staates, erfahren sie durch die Ausbildung von Ingenieuren (mehr als 25 Prozent der Hochschulabsolventen), durch kostenlos nutzbare Resultate der technikwissenschaftlichen Forschung der Hochschulen und durch Großforschungseinrichtungen, wie z. B. die Fraunhofer Gesellschaften, mit ca. 30.000 Beschäftigten, die größte im technischen Bereich.

Allerdings ist die Erfindung neuer Technik nicht von Anfang an schon Mittel für Kapitalwachstum. Der Entwicklungsprozess ähnelt dem der Entwicklung eines Medikaments: Neue Stoffe erweisen sich als biochemisch interessant, wirken auch im Tierversuch, aber zeigen am Menschen unvorhergesehene Nebenwirkungen, die dazu führen können, dass man die weitere Entwicklung einstellen und die bisherigen Investitionen abschreiben muss. Die Vision einer neuen Technik ist eben noch nicht ihre Wirklichkeit. Im Entwicklungsprozess zeigt sich, dass die Naturgesetze nicht willkürlich für menschliche Zwecke eingespannt werden können. Ihre Kenntnis allein führt noch nicht zur Technik, weswegen es ein Irrtum ist, die Technik auf Naturwissenschaften zu reduzieren.

Die moderne Technik entsteht in Entwicklungslabors, die ähnlich wie die pharmazeutische Indus­trie immer viele Projekte in der Pipeline haben, von denen die meisten, man spricht von 90 Prozent, in irgendeiner Phase abgebrochen werden. Aber alle angestoßenen Projekte der Industrie haben einen klaren Bezug auf ihre Verwertung. Die Bereitschaft, diese Investitionen zu tätigen, ergibt sich aus dem Erfolg der Technik in der Vergangenheit. Auch wenn die Erfolgswahrscheinlichkeit nur zehn Prozent betragen sollte, liefert sie genug Wachstumsmöglichkeiten, die restlichen 90 Prozent mitzufinanzieren. Die Entwicklung der Technik ist zum allergrößten Teil Privatsache der Unternehmen. Solange dies so ist, steht Technik im Dienst des Kapitals, d. h. im Dienst des Zwecks der effizienten Ausbeutung der Arbeit und mit der Folge der zerstörerischen Nutzung der Natur, auch wenn es regenerative Energietechnik ist.

Der Widerspruch zwischen Kapital und Natur, erwachsend aus der Benutzung der Natur für Kapitalwachstum, und ihre dadurch hervorgerufene Schädigung lassen sich nicht auflösen. Dies gelänge erst dann, wenn die Zwecke der Produktion vernünftig und offen in der Gesellschaft festgelegt und ihre Folgen für Mensch und Natur mit dem gesellschaftlichen Nutzen abgewogen werden können. Erst wenn die Produktion nicht mehr durch den Zweck der Verwertung des Werts bestimmt ist, könnte eine auf die Bedürfnisse der Menschen ausgerichtete und die Natur bewahrende Produktion realisiert werden. Der Produzent wäre dann auch für den Nutzen seiner Produkte und die Ressourcenschonung verantwortlich und nicht für den Profit. Dann wäre die Bedingung dafür geschaffen, dass die Technik dazu diente, die Arbeitszeit zu verringern und die natürlichen Lebensgrundlagen zu bewahren, und ihre Entwicklung und Anwendung würde nicht mehr systematisch »zugleich die Springquellen alles Reichtums« untergraben: »die Erde und den Arbeiter«.

Anmerkungen

1 Karl Marx: Das Kapital, Bd. 1. MEW, Bd. 23, S. 529 f.

2 Jürgen Habermas : Marx in Perpektiven. In: Ders.: Arbeit, Erkenntnis, Fortschritt.
Amsterdam 1970, S. 74–80, hier S. 80

3 Karl Marx, a. a. O., S. 391

3 Ebd., S. 398

4 Ebd., S. 402

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