In der Pubertät radikal geworden, heisst nicht, radikal sein ist pubertär

Auf geht´s! In der letzten Folge des Blog war zu lesen, wie eng der Wunsch, linksradikal zu werden, linksradikal zu sein, beim jungen Mann auf der Couch mit den Psychosen der Pubertät verbunden war, mit dem hysterischen Abgrenzen vom Vater, mit der permanenten Erregung in Folge des erwachenden sexuellen Begehrens. Diese Erzählung mag in der Rückschau skurril und unerheblich wirken, allenfalls vor-politisch, irgendwie nicht ernst zu nehmen, ähnlich übrigens, wie sich der junge Mann auf der Couch damals von den älteren Linksradikalen nicht ernst genommen fühlte. Und sie mag auf die Entwicklung des heute älteren MAC, der damit liebäugelt, „wieder linksradikal“ zu werden, von vornherein abwertend wirken, das back to the roots als eine Art vorgezogener Senilität, sich ausgerechnet auf eine chaotische, pubertäre Phase zurückzubeziehen – eine Alterspubertät, wie doch gesagt wird, dass alte Menschen wieder kindisch werden. Als etwas Irrationales jedenfalls, von unpolitischen Motiven  getrieben und damit, wie es dann aufritt und sich maskiert, nun ja, skurill, bizarr.

(Skurill  und bizarr sind echte Scheiss-Worte, die von dummen Spießern als sich selbst-überhöhende Abwehr gegen Sachen verwendet werden die sie nicht verstehen, aber vorbeugend schon mal ablehnen. Weiss nicht, warum ich heute nicht daran vorbeikomme. Ärgert mich auch. MH)

Dem plötzlichen Linksrutsch (äh, warum plötzlich?) im Kopf und Herzen (Reihenfolge?) des MAC mag auch eine nachlassende Libido unterstellt werden, die sich nur noch an sexuellen Erinnerungen entfachen kann, Erinnerungen, auch an den eigenen, noch jungen Körper, oder die tödliche Geilheit des Vampirs, der sich nur mit dem Missbrauch der Jungen am Leben halten kann. Wer sich mit solchen Phantasien beschäftigt muss damit rechnen und rechnet (spekuliert?) auch damit, dass sie ihm in die persönliche Ausstrahlung geschrieben sind. Und er (Gender-Alarm: in dem Fall ist ja ein er!) damit den jungen Revolutionären, deren Nähe er jetzt sucht, unter denen er sich jetzt herumtreibt, als alter geiler Bock gilt, oder als Spitzel des Verfassungsschutzes.

Dass ein Bekenntnis „ich bin linksradikal“ heute eher wie eine Titelzeile der „Titanic“ wirkt, jedenfalls aber enormen Erklärbedarf, ja Rechtfertigungsdruck auslöst, wurde dem Mann auf der Couch erstmals gewahr, als im Verlag über das Manuskript des MAC  gesprochen wurde und die häufige selbstverständliche Verwendung des Wortes „linksradikal“ zu ironischen Bemerkungen Anlass gab, als sei „linksradikal“ eine Art Retrothema, jedenfalls kein Begriff, der heute noch irgendetwas Reales beschreibe, sondern nur noch in den Erzählungen von „damals“ ein Schattendasein führe. Als der Autor in einem dieser Gespräche anmerkte, ein schönes Projekt für ihn wäre,  die „linksradikale“ Schüler- und Jugendpublizistik der 70er Jahre in einem kleinen Band aufzuarbeiten, führt dies zur belustigten Nachfrage, was denn immer mit „linksradikal“ gemeint sei. (In dem Stil auch eine weitere Bemerkung zwei Jahre später, als der MAC erzählte, an einem Das Kapital-Lesekreis der MASCH teilzunehmen: „Haha. Gibt es denn keine relevanteren Denker seither?“

(Nee, gibt es nicht, bzw. ja, gibt es, aber die bauen alle auf Marx auf oder um ihn herum.- Solche pauschale Einschätzungen versuche ich sonst zu vermeiden, sie haben was Günther-Nenning-haftes. MH)

Okay, Zwischenstopp, jedenfalls, die Erklärung sollt Ihr haben! Das ist es, was hier heute gesagt werden soll. Der raunende, schwurbelnde Ton der ersten Absätze kommt daher, dass die ganze Veranstaltung hier doch überwiegend ein Schattenboxen ist, die „Reaktion“, Erwiderung, Antwort des Autoren auf vom Autoren selbst behauptetes, selbst gefragtes … In der bekannten Form nach Zeitgeist-Methode zusammengeklopfte Stimmungsbilder, notdürftig von einer großen, bunten Überschrift (einer ANSAGE) zusammengehalten – und „was ist linksradikal heute“ ist eben eine solche ZEILE, eine solche Headline und es steht auch zu befürchten, dass nicht viel mehr dahinter ist.

Bedeutet also, was ich gegen meine alte (junge) und neue (alte) Linksradikalität vorbringe, das bringe ich selber vor und folge damit dem Eremiten Peter Handke, der das „Selbstgespräch“  oder die Dialoge mit erdachten Gesprächspartnern oder die verschleiernden oder entlarvenden Bezugnahmen auf das eigene Werk in letzter Zeit als literarische Methode etabliert hat.

(WIENER, Tempo und Peter Handke, für viele eine besonders unerträgliche Mischung, ich weiß. MH)

Stopp. Nein, der Mann auf der Couch identifiziert sich nicht mit seinen (erdachten) Feinden, sondern postuliert selbstbewusst:

Dass eine politische Prägung in der Pubertät ihren Ausgang nimmt – daran ist politisch nichts auszusetzen, so wie an der Pubertät auch nicht! Wozu haben Parteien Jugendorganisationen? Fridays For Future, schon mal gehört? Allerdings gibt es wenig Nachdenken darüber in der Gesellschaft, wie die Politisierung der jungen Menschen in digitaler Zeit verläuft und an welchen Stellen sie bewußt wird.

(In den 70er Jahren war es üblich, sich selbst über die Beschreibung seiner „Politisierung“ vorzustellen: „Also, meine Politisierung begann…“ und es folgte wie in einem CV die Aufzählung div. politischer Splittergruppen, mit denen man schon Kontakt hatte, angeblich oder wirklich. MH)

Und dass sich ein älterer MAC „auf seine Wurzeln“ (doofes Wort?) besinnen (das kommt dann mit) kann und damit überprüfen, „was war damals eigentlich“, um zu gucken, woran lässt sich anschließen und woran eher nicht, und eben, ja, nicht immer nur auf sich selbst starrend, die Frage zu bearbeiten, was bedeutet der Anspruch (?) „linksradikal“ heute für andere – und damit für die Gesellschaft. Was lässt sich damit anfangen? In der Pubertät radikal geworden zu sein, bedeutet nicht, radikal sein ist pubertär! Nein! Auf keinen Fall! Quod erat demonstrandum.

Als Beweismittel bemühen wir heute wieder einen Einstieg in „Mann auf der Couch“. Es geht um die Zeit des jungen MAC mit der revolutionären Wiener „Spartakus“-Bewegung und ihrer Kampagne „Öffnet die Heime“. Deutlich wird der kindliche und naive Zugang zur Gewalt, der in der Gruppe herrschte und ihre Struktur, die antiautoritär-autoritäre Züge hatte. Davon wird auch anhand anderer Beispiele noch in weiteren Folgen des Blog zu reden sein.

Die “Twen-Shop-Revolte”

Textauszug: Mann auf der Couch, Seite 93 – 98

Das Jahr 1969, ich war 14, wirkte wie ein Erdbeben auf mich, es machte mir aber keine Angst, ich lief nicht davon, eher wollte ich die stärksten Ausläufer erwischen und mich richtig wegtragen lassen. Es begann mit dem Twen Shop im Wiener Messepalast, einer Art Jugendmesse, veranstaltet von der bürgerlichen Tageszeitung Kurier und der ÖVP-nahen Jungarbeiterbewegung. Bei freiem Eintritt erlebte ich da das Konzert von Novaks Kapelle, mit ihrem Song »Hypodermic Needle«, die Verstärker so aufgedreht, dass ich dachte, ich müsse mir die Ohren zuhalten, hätte das nicht uncool gewirkt. Tief beeindruckt, fast schockiert war ich von Sänger Walla Mauritz, mit der aus der Hüft-und Glocken-Hose hinten herauslugenden Pofalte, wie er sich am Höhepunkt des Songs auf den Bühnenboden warf und sich wie ein zuckender Riesen-Embryo einrollte.

Ein Urerlebnis, erstmals hatte ich etwas empfunden, von dem ich heute noch nicht frei bin, eine Mischung aus Stärke – der Lärm, das Saurauslassen – und Schwäche – das Zugedröhnte, das Rumstolpern, der Embryo.

Das war jetzt Kultur für mich, vielleicht noch das Theaterstück Magic Afternoon von Wolfgang Bauer, nichts anderes kam mehr infrage. Kein »Theater der Jugend«-Abonnement mehr im Renaissance-Theater mit den Nazi-Stücken von Annelies Umlauf-Lamatsch aus den 30er Jahren.

Später drehte ich beim Fernsehen eine Dokumentation über Novaks Kapelle, in der ich den Sänger, Walla Mauritz, wie auf Frank Zappas Toilettenposter, am Klo interviewte und ihn mit ängstlicher Stimme fragte: »Was willst du mit deiner Musik ausdrücken?« – und er antwortete in breitestem Wienerisch: »Goa nix. Des Anzige, wos i ma ausdruck, is a Wimmerl am Oarsch.« Heute steht das Video bei YouTube, es haben sich aber nur 30 Leute angesehen.

Auf dem Twen Shop ging es für mich aber nicht nur Richtung Pop, sondern auch Richtung Politik. Ich bekam ein Flugblatt in die Hand gedrückt, das den Twen Shop als zu kommerziell und als reaktionär brandmarkte – ich war mitten in die später sogenannte »Twen-Shop-Revolte« geraten. »Ihr kommt gar nicht mehr zum Twen Shop oder ihr kommt bewaffnet« hieß es da, Herausgeber war die Spartakus Kampfbund Jugend, mit einer Adresse in der Theobaldgasse im sechsten Bezirk, am halben Weg zwischen meiner Volksschule und dem Gymnasium Amerlinggasse. Genannt war in dem Flugblatt auch der Kritische Klub in der Museumstraße 5, der später berühmten Adresse von Günther Nenning und des Neuen Forum, wo ich vier Jahre später zu arbeiten beginnen sollte. Mein halbes Leben war auf diesem Flugblatt vorgezeichnet.

Michael Genner, der für den Inhalt verantwortlich war, wurde wenig später verhaftet, wegen Anstiftung zum Aufstand angeklagt, von einem Geschworenengericht wegen »Aufwiegelung« zu einem Monat »schwerer Kerker« verurteilt, kam jedoch nach sechs Monaten Untersuchungshaft frei.

Spartakus in Wien

Ich lernte den unheimlichen Mann mit der vorgewölbten Stirn, den stechenden schwarzen Augen und der bellend lauten Stimme später in der Spartakus-Kommune in der Theobaldgasse kennen, wo ich eines Nachmittags mit meinem Freund Hans vorstellig wurde. Wir wollten »mit dem Genner« über eine Kooperation mit meiner damals eigentlich schon entschlafenen »Bewegung« Impetus sprechen, in Wirklichkeit ging es mir aber um die Mitarbeit an der Spartakus-Zeitschrift Nachrichten für Unzufriedene, die mich ebenso stark elektrisiert hatte wie der Auftritt von Novaks Kapelle. Auf dem Titel war eine pornografische Zeichnung zu sehen, ein Riese von Junge, der mit seinem emporschnellenden steifen Schwanz den spießigen Kaffeetisch seiner Zwergen-Eltern in die Luft schleudert, übernommen aus dem im März Verlag erschienenen Comic Anne und Hans kriegen ihre Chance. Dieser Junge, der wollte ich sein.

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Der Junge Hans, der wollte ich sein. Aus: Anne und Hans kriegen ihre Chance! Hrsg.: Bernd Brummbär; Brumm Comix im März Verlag, 1970

Zur Redaktionskonferenz wurde ich eingeladen, und ich versuchte auch, an anderen Treffen teilzunehmen, bei denen nicht klar war, ob sie wirklich stattfanden und wer dabei sein sollte. Ich hockte viele Nachmittage unsicher und schüchtern auf dem Matratzenlager im Gemeinschaftsraum und beobachtete die Spartakisten, das Paar Norma und Jakob Mytteis, die hier auch wohnten, den Sänger Willi Stelzhammer, die Bürohilfe Kati, die mich immer zur Tür reinließ, ohne mich eines Blicks zu würdigen.

Ich aber ließ Kati, heimlich und verstohlen, nie aus den Augen, wenn ich da war, fantasierte, sie hätte viele dichte Schamhaare, »einen irren Busch«, wie ich es auf den Nacktbildern von Yoko Ono mit John Lennon gesehen hatte, die in der underground erschienen waren, und stellte mir vor, ich würde am Spartakus-Schreibtisch mit ihr pudern, wie man damals in Wien sagte. Politik, Schreibtisch und Sex kamen damals schon ganz klar zusammen, Sexpol. Bei der Redaktionskonferenz für Nachrichten für Unzufriedene bekam ich den Mund nicht auf und es fragte mich auch niemand.

In den Treffen ging es um die Aktion »Öffnet die Heime«, die ein schönes linksradikales Thema war, denn die »Bundeserziehungsanstalten« wie Kaiser-Ebersdorf oder Kirchberg wurden damals noch wie Gefängnisse in einer Diktatur geführt, die Kinder von Nazi-Pädagogen unter Drogen gesetzt, verprügelt, missbraucht.1

Entsprechend rau war die Basis der Spartakisten, es waren aus Heimen Ausgerissene, Schulabbrecher und ausgestiegene Lehrlinge, die nicht über Schulungszirkel, sondern über das Gruppenerlebnis und das »eiserne Zusammenhalten« zu Spartakus gefunden hatten.

Dagegen war ich ein Milchbubi und bekam schweißnasse Hände, als mir vor einer Demo ein fetter Schraubenschlüssel in die Hand gedrückt wurde, den ich mir in den Stiefel stecken sollte. Aber da wir uns in einem ständigen »Kampf« befanden, konnte man gegen eine Bewaffnung nicht viel einwenden. Ernst wurde es, als ich den „Auftrag« bekam, beim Überfall auf ein Nazi-Lager in Mürzzuschlag mitzumachen. Ich hatte mich zunächst dafür angeboten, weil mein Vater in der Nähe, am Semmering, das Ferienhaus hatte und ich dachte, ich könne am Wochenende da einfach kurz mal verschwinden und ein paar Nazis verkloppen.

Ich fühlte mich zunächst anerkannt, wenn auch zu einem hohen Preis, sagte alles zu verlor dann aber komplett die Nerven und meldete mich nie wieder bei Spartakus.

Ein Detektiv jagt den Wirrkopf

Das Verhältnis zu meinem Vater verschlechterte sich in dieser Zeit rasend schnell. Ich war schwach in der Schule, feig und verschlagen, verschwieg schlechte Schulnoten und Zeugnisse und war in seinen Augen ein Wirrkopf. Er hatte mir, wie das so seine Art war, einen Privatdetektiv nachgeschickt und aufgedeckt, dass ich die Nachmittage nicht beim Musiklehrer, sondern bei Spartakus in der Theobaldgasse verbrachte. Er begann es offen zu bereuen, mich zu sich geholt zu haben. Ich erinnere ihn zu sehr an meine Mutter, die er doch gerade verlassen habe, weil er ihre Art nicht ertrage. »Jetzt sitzt der Bua da«, beklagte er sich einmal vor Gästen, ich saß dabei, »und glotzt mich mit demselben Blick an. Wie habe ich das verdient?«

Meine Rache bestand darin, krank zu werden, damit hatte ich ja schon Erfahrung, jetzt aber wirklich krank zu werden, eine zunächst rätselhafte Knochenmarkseiterung am rechten Unterschenkel, die mich für ein Jahr ins Bett zurückkehren ließ. Danach hatte ich den Anschluss in der Schule verloren und wechselte an ein uninspiriertes Realgymnasium, eine Zeit, in der ich wie tot war und weder schrieb noch irgendwelche politischen Aktivitäten entwickelte. Erst 1973, als ich eine Buchhändlerlehre begann und dann auch schnell von meinem Vater auszog, wurden das Schreiben und die Faszination für alles, was linksradikal war, wieder lebendig.

1 Eine  aktuelle politische Einordnung und Analyse der Wiener „Spartakus“-Bewegung und ihrer Kampagne „Öffnet die Heime“ (1970-1972) findet Ihr hier. Es handelt sich um eine Masterarbeit an der Universität Wien von 2018, die Autorin ist Louise Beckershaus: https://www.momentum-kongress.org/system/files/congress_files/2020/2_p_beckershaus.pdf

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