Die Dichterin und der Rächer

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Echt ein hartes Leben, das neue Leben des MAC als Veranstaltungsveranstalter, die krankheitsbedingte Absage von Ilko – Sascha Kowalczuk war natürlich ein Frust, zumal die Vorbereitung ganz toll gelaufen war, die hier präsentierten Contents (Artikel, Videos, div. Fundstücke) großes Interesse fanden. Bis zum neuen Termin am 25. November 2024 soll hier jetzt auch an dem streitbaren und hyperaktiven Historiker (dem es gesundheitlich übrigens wieder besser geht) dran geblieben werden, nicht jede Woche, aber immer wieder mal. Durch Kowalczuks hohe Präsenz in Social Media und Presse bieten sich häufig Anlässe für politische oder kulturelle Themen von allgemeinem Interesse.
Bestes Beispiel dafür ist Kowalczuks Intervention zum DDR-Roman der Booker-Preisträgerin Jenny Erpenbeck. „Kairos“ erhält international mehr Aufmersamkeit als in Deutschland und prägt damit in gewisser Weise das Bild, das man in der restlichen Welt von der einstigen DDR hat. Wie vielen anderen Autoren hält Kowalczuk auch ihr vor, das “andere Deutschland” zu verklären, weichzuzeichnen, jedenfallls nicht als das „Staatsgfängnis“ zu sehen, wie er das tut. Seine Buchbesprechung zu “Kairos”, die zuerst in der taz erschien, könnt ihr heute hier lesen.

Meint Kowalczuk die ganze Linke, wenn er die DDR verdammt?

Kowalczuk geht in der Besprechung in gewohntem Tempo und Furor zu Sache und bietet viele interessante Fakten über die privilegierte Situation, in die Erpenbeck in der DDR geboren war. Die Erfahrungen, der er persönlich mit dem System machen musste, das ihm ein Studium verwehrte, blieben Erpenbeck erspart. Für Kowalczuk typisch ist, daß er diese beiden Perspektiven nicht so stehen lassen kann, sondern mit hohem Einsatz (beinahe wäre hier gestanden: mit aller Gewalt) seinen Blickwinkel durchsetzen möchte.
Er macht die Kränkung und Zurückweisung, der er als 18jähriger in der DDR erfahren hat, zum Leitfaden seiner gesamten Tätigkeit.  Hier ließe sich dagegen halten, dass auch im Kapitalismus junge Menschen jede Menge an Zurückweisungen erfahren. Diese sollen aber als „Erfahrung“ verzeichnet werden, mitunter als ein pädagogisches „Grenzen setzen“, aber eben nicht als Trauma, das zur völligen Abwendung vom System führt. Hier misst Kowalczuk mit zweierlei Mass und merkt es gar nicht.
Der Widerstand auf den er mit seiner unerbittlichen Haltung immer wieder stößt, besonders bei ehemaligen BürgerInnen der DDR, hat auch damit zu tun, dass es einer Hybris nahe kommt, das Leben von Millionen Menschen als gescheitert zu erklären, wenn sie nur als Insassen dieses Staatsgefängnisses gesehen werden. Aber auch diese Replik kennt Kowalczuk und wehrt sie mit Lawinen von Fakten ab, die den Diktatur-Charakter der DDR belegen. Er darf sich aber nicht wundern, damit oft auch auf Unverständnis zu stossen, wenn die Lebenserfahrung des einzelnen dagegen steht. So wie Kowalczuk auf seiner Erfahrung besteht, sollte er auch andere gelten lassen, auch sein großartiges Wissen über die Geschichte macht ihn nicht zum moralischen Richter.
Als moralische Richtschnur könnte eher gelten, ob sich jemand prinzipiell zu einer Sehnsucht nach einer Gesellschaft bekennt, in der „keiner zurückgelassen wird“, wie es Stephanie Bart, die demnächst im ROTEN SALON zu Gast ist, in der Beschreibung ihres Romans zur RAF, „Erzählung zur Sache“, so schön sagt.  Dieses Bekenntnis lässt Kowalczuk vermissen und er scheint den Kapitalismus (mit seiner „Freiheit“) allen anderen denkbaren Systemen vorzuziehen. Auch so zu denken, kann er uns aber nicht abverlangen. M.H.

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“Ich glaube, daß der Westen nicht nur als Erlöser auftreten kann”, sagt Jenny Erpenbeck in einem Interview mit dem MDR, ” – und, daß dieses Streben nach Profitmaximierung einfach ein Prinzip ist, daß die Welt kaputt macht.” Damit macht sie sich DDR-Kritiker Kowalczuk nicht zum Fan

Kein Sehnsuchtsort, sondern Gefängnis

Jenny Erpenbeck wuchs in einer kommunistischen Parallelwelt mit allen möglichen Privilegien auf

Von Ilko – Sascha Kowalczuk *)

Ich kenne ziemlich viele gute Autor*innen, die noch nie einen Preis erhielten. Jenny Erpenbeck erhielt in Deutschland bereits sehrviele. Dennoch jammern ihre ostdeutschen Unterstützer*innen und nun auch sie selbst und beklagen, sie habe noch nie einen der drei großendeutschen Buchpreise erhalten und das läge daran, dass in den Jurys keine Ostdeutschen säßen.

Was für ein Humbug! Saßen denn in der International-Booker-Jury Ostdeutsche? Und wer zeichnete Volker Braun, Durs Grünbein, Sarah Kirsch, Wolfgang Hilbig, Reinhard Jirgl, Elke Erb (alle Büchner-Preis), Uwe Tellkamp, Julia Franck, Eugen Ruge, Antje Ravik Strubel (Deutscher Buchpreis), Ingo Schulze und Clemens Meyer (Preis der Leipziger Buchmesse) oder Lutz Seiler aus, der gleich alle drei großen Preise erhielt?

Jenny Erpenbeck gilt mittlerweile weltweit als DDR- und Osterklärerin. Ist es zu erklären, dass in ihren Statements und Büchern nie jene vorkommen, die 1989/90 gewonnen haben, die befreit wurden, die endlich ankommen konnten? Bei ihr gibt es „1989“ als Freiheitsfest nicht. Sie glaubt nämlich: „Wir haben gegen uns selbst gewonnen, deshalb sieht die Freude darüber manchmal wie Hass aus.“

Tatsächlich haben „wir“ gegen „die“ gewonnen und es ist auch im Rückblick für so manche Ostdeutsche nicht einfach zu sagen, zu welcher Gruppe sie gehör(t)en – die meisten, in meiner Perspektive, waren „die“, jene also, die das System trugen, verteidigten oder einfach nur bis zuletzt erduldeten. Jenny Erpenbeck jedenfalls hat durch „1989“ verloren – etwa ihre Hoffnungen, ihre Utopien, ihr Warten auf das Bessere, wie sie 2014 Abiturientinnen erzählte.

Jenny Erpenbeck kommt aus einer sehr kommunistischen Familie. Ihr Großvater Fritz Erpenbeck kam relativ spät mit 30 zur KPD (1927), wurde aber schnell als Journalist eine wichtige Größe im Propagandaapparat der Partei. Die Nazi-Diktatur überlebte er in der Sowjetunion und kam als Mitglied der berühmten „Gruppe Ulbricht“ 1945 zurück nach Deutschland. Er zählte zu den eifrigen Hardcore-Propagandistendes Regimes. In Berlin-Pankow ist immer noch eine Straße nach ihm benannt – warum auch immer.

Seine Ehefrau, Hedda Zinner hinterließ als Künstlerin und Funktionärin wenigstens ein Buch, anders als ihr Mann, das auch heute noch erwähnenswert ist: In der 1989 erschienen „Selbstbefragung“ schaut sie auf ihr Leben zurück und berichtet für DDR-Verhältnisse kritisch über die Exiljahre in der Sowjetunion. Insgesamt zählte jedoch sie wie ihr Mann zu dem großen kommunistischen Schweigekartell über die Jahre des Terrors in der Sowjetunion.

Ihr Sohn John Erpenbeck ist 1942 in der Sowjetunion, in Ufa, wohin die Kommunistische Internationale und das berühmte „Hotel Lux“ von Moskau aus evakuiert worden sind, geboren worden. Er wurde in der DDR nach einem Physikstudium ein leninistischer Philosoph, für den es trotz Mauer keine Reisebeschränkungen gab. Als Schriftsteller trat er in die Fußstapfen seiner Eltern, seine Bücher waren beliebter und auch anspruchsvoller als die seiner Eltern. Einige Jahre war er mit Doris Kilias verheiratet, der Mutter von Jenny Erpenbeck. Sie war eine habilitierte Romanistin und übersetzte aus dem Arabischen.

Jenny Erpenbeck, geboren 1967, wuchs nicht nur in dieser kommunistischen Parallelwelt mit allen möglichen Privilegien auf. Sie hatte sogar das Privileg, mit ihrer Mutter vor dem Mauerfall etwa ein Jahr lang in Italien leben zu können. Das sind Erfahrungen, die Perspektiven und Wahrnehmungen prägen. Das DDR-Gefängnis erscheint in einer solchen Perspektive wohlfühliger, annehmbarer.

Als sie den International Booker Prize erhielt, gab sie viele Interviews. In einem sagte sie der „Tagesschau“: „Und die, sage ich jetzt mal, falsche Sprache hat, glaube ich, auch einen Großteil dazu beigetragen, dass die DDR untergegangen ist, weil es einfach keinen wirklichen Austausch mehr gegeben hat. Zwischen der Regierung und den Leuten hat es keinen wirklichen Dialog mehr gegeben. Das ist viel schlimmer,als man denkt. Die Wirtschaft war natürlich auch marode, aber auch diese Sprache hat die Idee des Aufbruchs, die es am Anfang gab, nach dem Krieg, wirklich ruiniert.“

Diese Sätze zeigen sehr gut, warum es nötig ist, auf den familiären Hintergrund von Erpenbeck hinzuweisen. Denn hier kommen gleich mehrere Mythen zum Tragen, die in diesem systemtragenden Milieu bis heute wiedergekäut werden: Die Idee des Aufbruchs am Anfang sei durch die Sprache ruiniert worden. So erzählen die sich das und ignorieren, dass die kommunistische „Diktatur des Proletariats“ unter Führung der „Partei neuen Typus“ keine Verheißung auf Gerechtigkeit, Freiheit, Demokratie und Gleichheit darstellte, zu keinem Zeitpunkt, sondern immer eine unfreiheitliche und antidemokratische Herrschaftsform einer Minderheit über eine Mehrheit meinte.

Und natürlich hat auch nicht die Sprache das System „ruiniert“, sondern Terror, Gewalt, Unterdrückung, Militarisierung sowie die fehlende Einhaltung der Menschenrechte, alles gebündelt im Mauersystem, haben immer eine Mehrheit das nicht nur symbolisch eingezäunte Land – überall im Land stieß man auf Mauern, in jeder Schule, Bibliothek, Zeitung, Universität, LPG, auf jedem Arbeitsplatz – ablehnen lassen.

Jenny Erpenbeck ging schon vor Jahren noch einen Schritt weiter. In einem Gespräch mit dem Tagesspiegel beklagte sie Anfang 2019, Postkarten über den Osten würden immer nur die Mauer zeigen, aber nicht den Alltag. Ich weiß ja nicht, wo sie lebte (na ja, ich weiß es schon), aber in dem Ostberlin, in dem ich fast auf den Tag genauso lange lebte wie sie (nur bei mir gab es keine Westerholungsaufenthalte), war die Mauer ein Ding, das meinen Alltag bestimmte. Und zwar nicht, weil ich weg wollte. Ich wuchs ja gar nicht so anders auf, auch ich wurde kommunistisch erzogen und geprägt. Und doch erinnere ich mich anders, denn die Mauer war täglicher Gesprächsgegenstand, Sehnsuchtsort, Hoffnungsort, Angstort, Todesort, der Ort, der nicht nur mir verwehrte, zu sprechen, zu lesen, zu hören, zu tun, was ich will, der mich Tag für Tag begrenzte, einschränkte, verwundete, wütend und hoffnungslos machte, sondern auch der Ort, der meinen Alltag wie kaum etwas anderes bestimmte – das wurde mir erst allmählich bewusst. Auch das hing mit der Mauer zusammen – der Mauer von alltäglicher Dummheit, Borniertheit, Gewalt, Ideologie, Hass.

Jenny Erpenbeck hat vielbeachtete Romane vorgelegt. Mir gefällt ihre „Schreibe“, ich lese sie nicht ungern. Aber bei mir blieb immer einmerkwürdiger Unterton hängen. In ihrem letzten Roman „Kairos“ gibt es irgendwie nur Verlierer*innen (und einen schrecklich pervertierten Westen). Selbst der Auflösung des verhassten DDR-Rundfunks wird hier nachgejammert, als ginge mehr als ein Propagandaapparat verloren.

Bezeichnend ist eine Passage über die Umbenennung der Dimitroffstraße 1990 in Danziger Straße im Prenzlauer Berg. Das war eine unmögliche Entscheidung – das wird auch in diesem Roman so angeprangert. Allerdings erfährt niemand in diesem Buch, warum nun Dimitroffstraße die bessere Bezeichnung gewesen sein soll. Dafür gibt es nämlich keine Argumente – Dimitroff war ein blutrünstiger Diktator. Bulgariens. Sein einbalsamierter Leichnam wurde 1990 aus dem Sofioter Mausoleum entnommen (und das Mausoleum 1999 gesprengt) – aber in Ostberlin soll weiter eine Straße nach ihm benannt werden? Das ist ein Geschichtsumgang, den Erpenbeck nicht nur als künstlerische Freiheit pflegt, sondern den sie auch in ihren Interviews und Reden verbreitet.

Bei ihr erscheint der Osten als Sehnsuchts -und Hoffnungsort, als Zukunftsverheißung, während der Westen als Gegenteil, als dumpf, hoffnungslos, oberflächlich, ganz und gar schrecklich vorkommt. Im Kontext der Ostdeutschlanddebatte bedient sie damit jene nostalgischen und antifreiheitlichen Gefühle, jene blödsinnige Ostdeutschtümelei, die historisch haltlos, politisch irrelevant sind, aber im Grunde einer Sehnsucht nach einem Gestern Platz geben, das auch durch die damit verbundenen Gefühle weder besser noch humaner wird: Mauer bleibt Mauer.

Jenny Erpenbeck, Kairos, Penguin Random House Verlagsgruppe, 2024, 22 € – ausgezeichnet mit dem Booker Prize 2024

*) Der Text erschien zuerst in der taz vom 30. 05. 2024

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