Abschied von links? Kowalczuk trifft Biermann

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Die Konflikte im Nahen Osten führen schon seit langem zu schweren Konflikten in der Linken. Dies zeigte sich schon im Frühjahr 2003, zum Angriff der USA auf den Irak wegen angeblicher Massenvernichtungswaffen, dem der damalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder die Zustimmung verweigerte  – während der bisher als links und friedensliebend wahrgenommene Liedermacher Wolf Biermann den Amerikanern zur Seite sprang, weil der Irak Israel bedrohe und Hussein ein skrupelloser Diktator sei. 
Seinen Sinneswandel dokumentierte Biermann in einem ausführlichen Text, der zuerst in der Zeit erschien. Die taz fiel damals über Biermann her („Bei Biermann sind endgültig die letzten Atome explodiert“), die Linke war entsetzt.

Auf den Ostberliner Biermann-Fan  Ilko-Sascha Kowalczuk, dem in der DDR ein Studium verweigert worden war, wirkte der Text ganz anders. Er wechselte die Fronten, wie er es selbst formuliert, und wurde, zusätzlich motiviert durch „die Kriege um das zerfallende Jugoslawien“ zum „aktiven Befürworter von Kampfmaßnahmen der Nato und Deutschlands“ (aus einem taz-Interview mit Kowalczuk, das auch im Blog vom 1.März 2024 nachzulesen ist: https://michael-hopp-texte.de/ilko-sascha-kowalczuk-ich-wollte-die-ddr-von-wolf-biermann/).
Inzwischen ist Kowalczuk führender Historiker in DDR-Fragen und Autor der viel beachteten, zweibändigen Biografie von DDR-Staatsratchef Walter Ulbricht, die sich in ihrer Breite und Fülle an Dokumenten wie eine Geschichte des Kommunismus in Deutschland liest. Wie schon angekündigt, ist Kowalczuk am 27. Mai 2024 im ROTEN SALON HAMBURG zu Gast. Anmelden: https://roter-salon-hamburg.de/

Am Samstag, dem 24. Mai sitzt  Kowalczuk im Rahmen der Leipziger Buchmesse zur Präsentation des zweiten Bandes der Ulbricht-Biographie mit Wolf Biermann auf dem Podium, am Dienstag, dem 26. ist eine ähnliche Veransaltung in Berlin, zu Biermann kommt da noch Marianne Birthler, die ehemalige Beauftrage für Stasiunterlagen.  Hier die Veranstaltungen: https://www.chbeck.de/kowalczuk-walter-ulbricht/product/36198345

Der heutige Blog bietet, auch in Vorbereitung des ROTEN SALON HAMBURG, echte Kowalczuk-Biermann-Festspiele, mit beiden Texten im Original.
Sehr lustig, wie die taz über Biermann hergefallen ist – und heute umsomehr nachdenklich machend der Original-Beitrag von Wolf Biermann, der mit zur persönlichen „Wende“ des Ilko Sascha Kowalczuk geführt hat. Die Diskurslinien, die sich an beiden Texten zeigen, tauchen ganz ähnlich in den heutigen, die Linke wieder zerreissenden Diskussionen über Ukraine und Gaza auf.

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Wolf Biermann-Platte “Das geht seinen sozialistischen Gang”, Rückcover. Mitschnitt des Live-Konzerts in der Kölner Sporthalle am 13. November 1976. Drei Tage später durfte Biermann in die DDR nicht mehr einreisen

taz über Biermann
„Sprechende Prostata“

Wolf Biermanns künstlerische Ergüsse will heute niemand mehr hören. Zuletzt fiel er durch sensationell peinliche Übersetzungen von Dylan- und Shakespeare-Werken auf, wobei sich zeigte, dass Biermann inzwischen eine Art sprechende Prostata ist. Am Donnerstag nun hat Biermann wieder gesprochen, diesmal im Deutschlandfunk, wo er begründete, warum der Irakkrieg dringend geführt werden musste. Wir erinnern uns: George W. Bush erklärte vor Kriegsbeginn, dass Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen besäße. Ein Jahr später erklärte derselbe George W. Bush, dass es sich wohl um einen Irrtum gehandelt habe, wenn der Eindruck entstanden sei, der Irak habe Massenvernichtungswaffen besessen, dem sei nämlich nicht so. Also sprang der weltberühmte Künstler Wolf Biermann vorgestern dem US-Präsidenten zur Seite und erklärte: „Die schlimmste Massenvernichtungswaffe des Irak war das Regime von Saddam Hussein.“ Im Hirn von Wolf Biermann sind endgültig die letzten Atome explodiert. Dann soll er uns doch bitte lieber mit seiner Klampfe quälen.

Wolf Biermannn im Original
Kriegshetze – Friedenshetze

Damit wir uns richtig mißverstehen – ich bin für diesen Krieg am Golf.

Soldaten sehn sich alle gleich
— lebendig und als Leich
(aus dem Lied Soldat, Soldat, 1964)

Ich warf mein bißchen
Menschenleben
In Mutlangen vor einen Truck
Der US-Army, ich bin eben
Auch einer von dem Friedenspack…
(aus dem Lied Mir selbst helfen
kann ich nicht, 1986)

Weil Feigheit vor dem wahren
Freund mich lähmt
weil Kühnheit vor dem falschen
Feind mich foppt
weil man mit Tränen kein Tyrannen
zähmt
und weil kein Lied die Amokläufer
stoppt…
(aus dem Lied Melancholie, 1990)

Mehr als diese drei Lieder weiß ich auch nicht. Ich sollte sie einfach vorsingen und ansonsten Gitarre spielen, es ist ja alles gesagt. Aber ich fürchte, wir würden aneinander vorbeisingen, sogar bei Hänschen klein ging allein oder We shall overcome auf der Demo in Bonn. Gewiß nicht alle, aber die meisten Friedenskämpfer in der Bundesrepublik waren seit der Ostermarschbewegung scharfsichtig auf dem einen und blind auf dem anderen Auge. Von einer Handvoll Stasi-Spitzel und DKP-Agenten ließen sie sich in all den Jahren des Kalten Krieges an einer unsichtbaren Kette wie ein Tanzbär dirigieren. Nun ist die Kette zwar zerrissen, aber die Hand, die sie hielt, ist abgefault. Und nun tapsen die Bärenkinder immer noch das naive Tänzchen und glotzen wie Heines romantischer Atta Troll in die böse Welt.

Auch ich glotze entsetzt in die Glotze und denke: Schade um uns Menschlein. Der dritte Weltkrieg beginnt, und, wie es im Liedchen heißt: „Die Erde wird ein öder Stern wie andre öde Sterne.“ Also Frieden! Frieden ohne Wenn und Aber! Jeder Krieg ist ein Verbrechen, auch der gerechte.

Und dann fällt mir die Nazizeit 1938 ein

Aber dann fällt mir die Nazizeit ein. Vier Friedenskämpfer haben 1938 das Münchner Abkommen besiegelt: Chamberlain, Daladier, Mussolini und Hitler — ein lehrreiches Gruppenfoto. Als Hitler dann gemeinsam mit Stalin Polen überfallen und annektiert hatte, wurde in den USA darüber gestritten, ob man in den Krieg gegen Nazideutschland eingreifen sollte. Zwei Sorten Amerikaner waren gegen den Krieg: die amerikanischen Nazis („The German Bund“) und die KP der USA. In ihrer Zeitung ‘Daily Worker‘ denunzierten die moskaugetreuen Kommunisten Roosevelt als Kriegstreiber mit Messer im Maul.

Diese Allianz zwischen echten Rechten und falschen Linken gibt es auch heute. Faschist Le Pen verteidigt den Überfall auf Kuwait, er sagt, es gehöre zum Irak wie Elsaß-Lothringen zu Frankreich. Die deutschen Reps vergleichen Saddams Griff nach dem Erdöl mit großdeutschen Ansprüchen auf Tirol und Schlesien. Der ehemalige SS-Mann Schönhuber ist besorgt, daß deutsche Soldaten für den „american way of live“ verheizt werden könnten.

In Frankreich fragten die linken Friedenskämpfer 1938: Mourir pour Danzig? — und die Antwort war klar: Nein! Laßt doch dem Herrn Hitler das bißchen Österreich und Tschechoslowakei und Polen… Füttert das Raubtier, dann beißt es uns nicht. Darf man vergleichen mit damals? Ist heute alles anders, vielleicht weil die Waffen furchtbarer geworden sind und weil das Leben der Menschheit auf dem Spiel steht? — Ihr lieben Friedensfreunde, dieses Leben steht sowieso auf dem Spiel, auch ohne Krieg. Ihr selbst verbraucht zuviel von dem Öl, um das es den Gangstern geht, ihr selbst freßt der hungernden Welt die Haare vom Kppf.

Ich fahre Auto wie ihr, heize mit Öl, esse gut und rase mit euch in die Umweltkatastrophen. Ein Fuß drückt aufs Gaspedal, der andere auf die Bremse. Aber ich kaue in diesen Tagen auch die Losungen auf den Demos in Deutschland und kriege das große Kotzen. Lieber pazifistisch gesinnter Leser, liebe friedensbewegte Leserin, damit wir einander von Anfang an richtig verstehn: Ich bin für diesen Krieg am Golf. Sie müssen ja nicht weiterlesen. Noch schlimmer: Ich hoffe, daß dieser Krieg das westöstlich zusammengekaufte Waffenarsenal zur Vernichtung Israels ganz und gar zerstört.

Von den Friedensdemonstranten hörte ich auch ein gutes Argument: Hätte man nicht lieber geduldig auf die Wirkung des Embargos warten sollen? Mag sein. Aber ich glaube es nicht. Allein durch den befreundeten Totfeind Iran konnte Saddam Hussein alles ins Land holen, was er für zivile und militärische Zwecke brauchte. Das Beispiel Südafrika lehrt uns, wie langsam ein Embargo Wirkungen zeigt. Nehmen wir optimistisch an, es hätte in zehn Jahren gegriffen — in drei Jahren hätte der Irak die Atombombe gehabt. Dramatisch in die Enge getrieben durch die Ächtung der halben Welt, kopflos durch Versorgungsschwierigkeiten in einem Land, das zu achtzig Prozent von Lebensmitteleinfuhren lebt, und angefeuert durch seine Anhänger in allen arabischen Staaten, hätte Saddam Hussein Israel mit einer einzigen Bombe verdampfen können.

Die Schrecken des Krieges kenne ich von 1943

Die Schrecken des Krieges kenne ich nicht nur aus Filmen und Büchern. Wer mir die „desastres de la guerre“ predigen will, kommt zu spät. 1943 war ich mitten im Feuersturm von Hamburg. Phosphorübergossene Menschen brannten wie Fackeln. Manche warfen sich von der Brücke ins Wasser, und wenn sie wieder auftauchten, brannten sie weiter. Wenige überlebten den Bombenteppich im Arbeiterviertel Hammerbrook. Wir irrten durch das Inferno. Ein Wunder rettete mich: Es war die Tatkraft meiner Mutter. Sie nahm mich auf dem Rücken und schwamm mit mir durch den Kanal aus dem Feuer ins Offene. Kennst du die geschmolzene Uhr von Hiroschima? In Hammerbrook ist meine kleine Lebensuhr stehngeblieben. Seit dieser Nacht unter dem britischen Bombenteppich vom Dienstag, dem 27., auf den 28. Juli, bin und bleibe ich sechseinhalb Jahre alt. Süderstraße/Nagelsweg/Ausschleger Weg. Brennende Dächer flogen durch die Luft wie Drachen. Vierzigtausend Tote. Weltenende. Nichts ist vergessen, keine Feuersäule, kein abgeworfener Tannenbaum, keine verkohlte Leiche am Kantstein, kein Schrei und kein zerfetztes Gesicht.

Und weil ich unter dem gelben
Stern
In Deutschland geboren bin
Drum nahmen wir die englischen
Bomben
Wie Himmelsgeschenke hin…

Liebe Inge Aicher-Scholl. Was würde Ihre ermordete Schwester Sophie zu diesem Krieg sagen? Soll man einen Hitler machen lassen um des Friedens willen? Gewiß erinnern Sie sich daran, wie wir vor fünf Jahren in Mutlangen auf dem Asphalt saßen, gegen die Cruise Missiles. Ich seh’ noch die gewaltigen Trucks der US-Army auf uns zurollen. Und wie die deutschen Polizisten uns dann wegschleppten. Und wie der Richter in Schwäbisch Gmünd unsre kleine Schar in Fließbandverfahren wegen „Nötigung aus niedrigen Motiven“ verurteilten. 3.000 Mark Strafe. Das ging mir am Arsch vorbei und war, dachte ich, eine gute Investition in den Weltfrieden. Aber was heute?

Modische Palästinensertücher und kein Wort für Israel

In den Nachrichten sehe ich die Bilder von Friedensdemonstrationen vor US-Air-bases. Die meisten Losungen sind antiamerikanisch, als wären die USA der Aggressor. Modische Palästinensertücher und kein Wort für Israel. Man kommt sich vor wie auf der falschen Beerdigung. Die Tränen fließen aus Menschenaugen über Krokodilsleder. Die Friedensbewegung konnte die Aufrüstung des Irak durch deutsche Firmen nicht verhindern, schlimm genug. Aber jetzt möchte sie die Zerstörung der ABC-Fabriken und Raketen aufhalten, mit denen Saddam&Co Israel vernichten wollen. Was Hitler seine Leute in jahrelanger blutiger Handarbeit üben ließ: die Ausrottung des jüdischen Volkes, das wird Saddam Hussein jetzt auf einen Streich mit einem Knopfdruck versuchen.

Wollt ihr den totalen Krieg?, fragte Goebbels.
In den Geschichtsbüchern steht, was Eure Großväter Hitlers hinkendem Gehirnauskratzer im Berliner Sportpalast entgegenjauchzten: Jaaaa!!!! Wer mich aber heute fragt: Willst du den totalen Frieden? — dem sage ich nein danke.

Krieg, das weiß man, da schlagen sich junge Männer gegenseitig tot, die einander gar nicht kennen und die einander nichts taten. Sie tun dies auf Befehl von alten Männern, die sich sehr wohl kennen und die in der Regel sehr alt werden. Die Idee ist drollig und wurde oft gedacht: Man sollte lieber die kriegsgeilen Politiker und Generäle mit Messer und Gabel in einer Arena aufeinander loslassen. In alten Zeiten gab es das: Anstelle des Heeres kämpfen die beiden Anführer gegeneinader. Lang ist’s her!

Aber was heißt schon lange her. Vorgestern bissen wir einander noch auf den Bäumen und balgten uns auf dem Affenfelsen. Gestern kämpften wir Steinbeil gegen Lanze. Vor einer Stunde stach Odysseus dem Kyklopen Polyphem mit einem glühenden Pfahl das eine Auge aus. Vor einer halben Stunde erledigte David Goliath mit einer Steinschleuder. Dann die Pfeile der Armbrust, sie durchschlugen die Ritterrüstungen wie bloße Haut. Grad erst vor einer Minute wurde das Schießpulver erfunden und vor einer Sekunde die Atombombe. Lang ist’s her.

Der Fortschritt in der Menschheitsgeschichte ist eine Schnecke, schleimige Blutspur, hegel-marxistisches Dogma. Fortschritt unaufhaltsam, rasend schnell, und geht nach hinten los. Fortschritt — ein blindes Mischmonster aus Löwe, Maulwurf und Drache im Krebsgang. Chimäre Fortschritt, vernünftiges Hirngespinst der Aufklärung und trotz alledem unsere einzige Hoffnung.

Wir erleben in diesen Zeiten einen zynischen Beweis für den Fortschritt der Geschichte. Juden sitzen 45 Jahre nach Auschwitz zu Haus in ihren gemütlichen Gaskämmerchen hinter Plastikfolie und Tesa-Klebstreifen, das ist Fortschritt. Sie warten in Tel Aviv und Jerusalem mit deutschen Gasmasken über der Judennase auf den Moment, wo das Giftgas von oben eingeworfen wird. Das ist der Fortschritt: Diesmal ist es kein SS-Mann, der das körnige Zyklon-B von Hand aus einer IG-Farben-Dose durch den Luftschacht einschüttet. Heute warten die jüdischen Menschenkinder auf das moderne Saringas, auf Tabungas und auf das gefürchtete Senfgas, eingeworfen durch den jordanischen Luftkorridor mit einer sowjetischen Scud-B-Rakete.

Und wie damals in dem Duschraum: Die Juden wehren sich nicht. Sie harren und hoffen wie in der Nazizeit auf das Kriegsglück der Alliierten. Aber auch hier eine kleine Variation: Die Opfer sind bis an den Goldzahn bewaffnet. Ist das Fortschritt? Israel hat die Atombombe und könnte noch im Sterben in einem Vergeltungsschlag Saddam Hussein und seine kriegsbegeisterte Bande mit in den Abgrund reißen.

Fortschritt, eine Spirale vom Urknall zum Endknall. Alles wiederholte sich und immer anders. Die Ausrottung war den Juden sowohl von Hitler als auch von Saddam Hussein offen angekündigt. Damals wie heute kam die Drohung von einem blutigen Emporkömmling, einem Tyrannen, Demagogen und Machtparanoiker. Aber auch hier ein Fortschritt: Man muß nicht mehr mutmaßen. Der Autor von Mein Kampf war bis 1933 nur eine Großfresse, und keiner konnte wissen, ob er sein blutiges Gerede dann auch wahr macht. Saddam Hussein aber ist ein gestandener Massenmörder. Er überfiel den Iran und schickte Millionen Menschen in den Tod. Er vergaste aus Gründen strategischer Zweckmäßigkeit einen Teil seiner eigenen Zivilbevölkerung: die Kurden. Er zerfetzte mit seiner sowjetischen Artillerie Abertausende iranischer Kindersoldaten, die Chomeini gegen ihn in die Schlacht geschickt hatte. Die Kinder trugen alle um den Hals einen Plastikschlüssel für die Tür ins Himmelreich.

Aus Erfahrungen dieser Art kommt solch ein Satz: „Ich kann drei, ja sechs Millionen Tote hinnehmen, das stehe ich durch.“ Stimmt, er steht es durch: neunzig Meter unter der Erde in einem atombombensicheren Bunkersystem, Modell „Neue Heimat“, gebaut von Baufirmen des DGB.

Oder ganz anders. Vielleicht hat der Kriegsheld längst seinen Bart abgeschnitten und lebt mit Familie in der Schweiz als Herr Salman Russel in einer Villa am Zürisee. Ein Lebensabend unter einer Sonne, die nie untergeht: seine Nummernkonten. Er führt den Hund im Nobelviertel Erlenbach spazieren, während seine diversen Doubles im Irak die Amerikaner foppen, genau wie die Raketenattrappen.

Ich fand jetzt eine ganzseitige Anzeige der Firma PDS/Linke Liste. Da sieht man, dick schwarz umrandet, ein Dokumentationsfoto. Ein Meeresstrand ist zu sehen. Ruhige See, schwache Brandung, ablandiger Wind. Im Mittelpunkt dümpelt, hinten auf Grund gesetzt, eine Art Schiff, ein verlassenes Landungsboot für Mannschaften und Panzerfahrzeuge. Die Landeklappe zum Strand hin hängt runtergelassen an Drahtseilen. Auf dem Strand sieht man drei tote Soldaten. Sie liegen da in voller Kampfmontur in perspektivisch idealer Anordnung. Zwei auf dem Bauch, der Mittlere liegt auf dem Rücken. Beim näheren Hinsehen ist erkennbar, daß das linke Bein des Toten im Vordergrund halb in den Ufersand eingespült ist. Das bedeutet, die Leichen liegen zumindest schon seit ein paar Stunden da und wurden von Wellen überleckt, als noch Flut war. Vielleicht hatten die Leichen auch vordem im Wasser getrieben und waren dann von stärkeren Wellen an den Strand geworfen worden.

Ihre Körperhaltung sieht entspannt aus, die Beine leicht angewinkelt. Der Arm des Mittleren liegt breit vom Körper ab, den Strand hoch, in einer Christus-Haltung. Handfläche nach vorn, wie hingehalten zum Annageln ans Kreuz. Die Finger dieser Hand bilden, wie im Kinderschlaf, eine leicht offene Faust. Seine Füße sind übereinandergelegt, auch wie für den Nagel.

Ja, alle drei Soldaten liegen da wie Schlafende. Der Mann im Vordergrund liegt mit dem Gesicht unter dem Stahlhelm. Die Sonne knallt ihm von Süden her unter dem Helmrand in die freiliegende Gesichtshälfte. Der Tote müßte einen Sonnenbrand kriegen. Die Sonne steht offenbar sehr steil an einem wolkenlosen Himmel, denn die Schatten sind kurz und scharf. Es muß gegen Mittag und es muß Sommer sein. Der Strand verläuft also in nordsüdlicher Richtung, klar, es könnte sich um die Küste des Atlantiks handeln.

Der Stahlhelm ist kein wehrmachtsdeutscher Kochtopf, dieses Fabrikat würde ich wiedererkennen. Kenner könnten an den Salatschüsseln leicht sehn, ob es amerikanische oder britische Soldaten sind, die da den großen Schlaf schlafen. Und es muß ein schmaler Strand gewesen sein, denn oberhalb des Kopfes des vorderen Toten erkennt man schon wellengewaschenes Wurzelwerk von irgendwelchen Sträuchern. Kurz: Es könnte sich um ein Foto von der Landung der Alliierten in der Normandie handeln.

Am 6. Juni 1944 errichtete eine Armada von 6.400 Landungsfahrzeugen unter dem Feuerschutz von Schlachtschiffen und Flugzeugen den ersten Brückenkopf gegen die Wehrmacht in Frankreich. Man weiß, die Landung war hervorragend geplant und bestens durchgeführt worden, dennoch gab es furchtbar viele Opfer auf seiten der Angreifer.

Ich habe es gar nicht eilig mit meiner politischen Schlußfolgerung, sie ist sowieso nicht welterschütternd. Schaun wir uns in Ruhe die drei Toten an. Dank der Zensur sehen wir in diesen Tagen sowieso keine aufreizenden Bilder von den Opfern des Krieges in der Glotze. Das bißchen Platz muß sein, das bißchen Zeit in diesen hektischen Tagen.

Die drei Soldaten erinnern mich, wie sie da liegen, an das berühmte Sonett des Arthur Rimbaud. Mit siebzehn Jahren schrieb der französische Dichter dieses Meisterwerk, das in France mancher Schüler auswendig hersagen kann: La Dormeur du Val (Der Schläfer im Tal). Dreizehn Zeilen lang schildert Rimbaud einen schlafenden jungen Soldaten, aber in der letzten, der vierzehnten Zeile kommt die erschreckende Wahrheit heraus: Der Junge ist tot.

Der Schläfer im Tal
Das ist die grüne Mulde, da murmelt der Bach
und schmückt
Das Ufergezweig mit
silberflirrendem Fetzengewirre
Dort, wo vom kahlen Gebirge die Sonne und wie verrückt
Ins kleine Tal reingleißt, schäumt auf das
Strahlengeflirre
Ein junger Soldat, Mund offen, die Stirne bloß und bleich
Läßt seinen Nacken im saftigen blauen Kressekraut
baden
Er schläft da hingestreckt. Und eine Wolke
schwimmt leicht dahin
Er schläft im Bett aus Grün, wo Lichtschauer
sich entladen
In Schwertlilien stecken die Stiefel. Er lächelt so brav
Wie’n krankes Kind wohl lächelt. Er nimmt ‘ne Mütze
voll Schlaf
Ihn friert. So wärme ihn doch, Natur, in seiner Not!
Und seine Nüstern, sie beben in all dieser Nasenlust nicht
Die Hand ruht auf der Brust, er schläft im Licht
Zwei Löcher hat er an der Seite rechts. Und die sind rot.

Das Schlimme, das Schöne und Geniale an diesem Gedicht ist nun dies: Wenn du die blutige Pointe erst einmal kennst, dann hat das Sonett beim zweiten Lesen nicht etwa einen langen Bart wie ein alter Witz. »Er liegt da hingestreckt« — solche Doppeldeutigkeiten kündigen deutlich genug eine Katastrophe an, die längst geschehen war. Und du schlägst dich vor die Stirn und sagst: Hätte ich doch merken müssen! Klar wie Kloßbrühe! clear as mud! Aber ich habe eben mal wieder geglotzt statt hingeschaut.

Und nun das Photo mit den drei toten Amerikanern in der Werbeanzeige der PDS gegen den Krieg am Golf. Versuchen wir also, zu sehn und nicht zu glotzen. »Schickt die Politiker in die Wüste — nicht Soldaten!« steht groß ins Photo montiert. Und außerdem rechts unten ein Kästchen mit acht Zeilen aus dem bekannten Deserteurlied von Boris Vian.

Ein Photo vom Anti-Hitler-Krieg — nun mißbraucht gegen den Anti-Saddam-Hussein-Krieg

Was ist das für ein gemischter Ideologie-Salat in der PDS-Propaganda-Schüssel? Clear as mud!
Erstens ein Photo vom Anti-Hitler-Krieg, nun mißbraucht gegen den Anti-Saddam-Hussein-Krieg. Zweitens ein französisches Lied aus der Zeit des algerischen Kolonialkrieges der Franzosen, neu mißbraucht gegen die UN-Streitmacht am Golf. Drittens meine deutsche Übersetzung. Ich hatte sie gemacht, um junge deutsche Soldaten des Warschauer Pakts und der NATO in der Zeit des Kalten Krieges zum Desertieren zu ermuntern. Nun werden die Verse mißbraucht gegen alliierte Armeen, die ein Regime bekämpfen, das fest versprochen hat, Israel auszulöschen. Und als Salatsauce eben diese friedensfreudige Standardlosung: Schickt die Politiker in die Wüste — nicht Soldaten.

Wir sollen also gegen Saddams Okkupationsheer den verfetteten Kohl in die Wüste schicken, den herzkranken Genscher, Graf Lambsdorff am Stock, Minister Schäuble im Rollstuhl und den falschen Fallschirmspringer Gregor Gysi. Das ist der kabarettistische Vorschlag einer Partei, die grade eben selbst vom WirsinddasVolk- Volk in Wüste geschickt wurde und dabei weich im Bundestag gelandet ist. Es stinkt, der Appell ist demagogisch.

Infam: Die drei toten alliierten Soldaten vom D-Day werden gegen die lebenden alliierten Soldaten ins Feld geführt. Diese drei Toten haben mein Leben gerettet, wie könnte ich das aus lauter Friedensliebe vergessen! Wenn die Soldaten der Roten Armee und der US-Army nicht gegen sie gekämpft hätten, würden die Deutschen heute noch Heil Hitler schrein. Statt dessen schrein sie jetzt im Osten »Russen raus!« und im Westen »Amis raus aus Arabien!«

Der Krieg begann weder an diesem 15. Januar noch am Tag des Überfalls auf Kuwait. Dieser Krieg ist nur der Punkt aufs »I«. Zu spät unser Geschrei. Alles begann, als Breschnew den Irak mit Panzern, Raketen, Mig-Düsenbombern und schwerer Artillerie und Kalaschnikows ausrüstete. Der Krieg begann, als die Franzosen dem Irak die Atombombenfabriken bauten und die Mirage-Düsenjäger lieferten. Alles war gelaufen, als deutsche Kriegsprofiteure dem Irak wie auch Libyen Giftgasfabriken verkauften. Und alles war verdorben, als die Amerikaner alle Augen zudrückten, weil ihr Todfeind Chomeini geschwächt werden sollte. Das Verbrechen wurde schon begangen, als die Stasi des Markus Wolf dem irakischen Diktator einen mehrfach verschachtelten Spitzelapparat gegen das eigene Volk installierte: ein Machtmittel, mit dessen Hilfe Saddam Hussein jede innere Opposition im Keime ersticken konnte. Und so hatte das irakische Volk immer weniger Chancen, sich selbst von dieser Tyrannei zu befreien. Noch unter PDS-Modrow und CDU-Eppelmann wurde korrekt geliefert und unterstützt. Es wurden sogar palästinensische Terroristen im PDS-Staat bis zum Ende ausgebildet und ausgerüstet — Vertrag ist Vertrag. Bis heute arbeiten Militärberater der sowjetischen Armee im Dienste des Irak.

Wer sah nicht die rührenden Fernsehbilder, als Willy Brandt ein Flugzeug voll deutscher Geiseln befreit hatte. Nun hören wir, daß etliche von diesen losgebettelten Technikern und Ingenieuren wieder zurückgeflogen sind, weil sie im Irak für 60.000 Mark Lohn im Monat die unterbrochene Arbeit fortsetzen wollten. Vertrag ist Vertrag. Ich denke, solche Menschen müßten erhängt werden wie Kriegsverbrecher. Und die feinsinnigen Rechtsanwälte, die wasserdichten Notare, die hanseatischen Kaufleute und respektablen Geschäftsführer, die alle am Geschäft mit dem Tod verdient haben, verdienen den Tod, genau wie Göring und Krupp und Eichmann.

Das Pentagon brannte schon lange darauf, seine Waffen auszuprobieren…

Der Golfkrieg ist wie eine blutige Karikatur der Völkergemeinschaft. Alle haben zusammengearbeitet. Die Sowjets liefern die Scud-Rakete, und die Deutschen verbessern sie so, daß sie den Weg über Jordanien bis nach Israel schafft. Grade weil er so schön komplex ist, führt uns dieser Krieg modellhaft das Perpetuum mobile unserer Selbstvernichtung vor. Die Rüstungskonzerne in aller Welt liefern an alle Welt Waffen, zu deren Bekämpfung sie dann aber neue und noch mehr Waffen liefern müssen. Die armen Völker bezahlen die Waffen mit Hunger, Durst, Krankheiten und Unwissenheit. Die reichen Länder bezahlen mit genau dem Überfluß, den sie den armen Ländern abgeben könnten und müßten, damit die Welt nicht vollends in eine arme und eine reiche Hälfte zerbricht.

Kein Blut für Öl — das ist nun die antiamerikanische Losung. Heilige Einfalt! Natürlich geht es auch den Amerikanern ums Öl. Noch schlimmer: Das Pentagon brannte schon lange darauf, seine Waffen auszuprobieren. Noch perverser: Die US-Rüstungslobby braucht dringend den Beweis dafür, daß die Billionen Dollars kein rausgeschmissenes Steuergeld waren. Der lukrative Ost-West-Konflikt ist ihnen verdorben, aber die Aktionäre der Kriegsindustrie wollen, daß das Wettrüsten trotzdem weitergeht. Und bei den Präsidentschaftswahlen will kein Kandidat die jüdischen Stimmen verspielen.

Alles niedrigste Motive. Und ich sage mir: zum Glück! Denn wenn es um die hehren Prinzipien der Menschlichkeit ginge, um Freiheit und Demokratie, dann würde Präsident Bush seine Jungs nicht kämpfen lassen. Die USA sahn ja auch gelassen zu, als Iran und Irak sich zerfleischten. Saddams Völkermord an den Kurden war denen eine häßliche Lappalie, und Saddams Terror gegen das eigene Volk war ein totalitäres Kavaliersdelikt. Die USA hatten schon so viele unglückliche faschistische Liebschaften in der Welt. Auch wenn jeder ratlose Kommentator es so ähnlich wiederholt, ist es doch wahr: Wenn in Kuwait nicht Öl gefördert würde, sondern nur die Kunst des Kamelreitens, dann hätten sie dem Dieb aus Bagdad die wertlose Beute gelassen.

Ja, ich bin froh, daß es solche zuverlässigen Interessen gibt, Israel stünde sonst allein da

Ja, ich bin froh, daß es solche zuverlässigen Interessen gibt, Israel stünde sonst allein da. Saddam würde den Judenstaat auslöschen, wenn nicht heute, dann morgen mit einer deutsch-französischen-britischen Atombombe.

Es gibt zwei Beteiligte an diesem Weltkonflikt, deren Lage ähnlich verzweifelt und heillos ist: die Juden und die Palästinenser. Sie sind auch die einzigen, die echte, will sagen: existenzielle Interessen haben und die deshalb auch eigentlich Verbündete sein sollten.

Weder der jordanische König noch der syrische Diktator, nicht der schwachsinnige Tyrann in Libyen und schon gar nicht der größenwahnsinnige Despot an Euphrat und Tigris interessieren sich für das Schicksal der Palästinenser.

Das einzig Echte an Saddam, scheint’s, ist sein Revolver unter der Wampe, mit dem er bei Diskussionen im Führungsstab gelegentlich einige seiner Kumpane erschießt. Ich glaube, nicht einmal sein Haß gegen Israel ist echt. Der Haß auf die Juden und die Liebe zu den Palästinensern sind nur zwei Seiten derselben falschen Münze, mit der er die Einheit der arabischen Welt unter seiner Führung kaufen will.

An Menschenverachtung werden diese Gestalten nur von Arafat übertroffen

An Menschenverachtung werden all diese blutigen Trauergestalten nur noch von Arafat übertroffen. Ihm sind die Selbsterhaltung und eine Pirouette bei der Selbstdarstellung auf der Weltbühne offenbar wichtiger als seine gequälten Landsleute. Er leckt mit Bruderküssen seinen Todfeind, den kleinen König von Jordanien, ab, der 1970/71 die Kämpfer der PLO zu Abertausenden niedermetzeln ließ. Arafat ermuntert die Kinder der Intifada, gegen schwerbewaffnete Soldaten mit dem Stein in der Hand vorzugehn. Arafat ist ein Feigling in der Pose des Kämpfers, Revolutionsschwadroneur, der in New York operettenhaft in die Decke schießt, eine Lebemann, der fanatisierte Unglücksmenschen im Gaza-Streifen in den Tod schickt. Von Luxushotel zu Luxushotel jettet er um den Erdball, ein alt und fett gewordener Phrasendrescher mit immer demselben falschen Siegerlächeln. Er ist ein Verlierer auf Kosten seines Volkes, eine blutige Witzfigur der Weltgeschichte, eine Witzbudenfigur aus der Zeit des Kalten Krieges.

Eins haben wir gemeinsam: Auch ich singe einen Geschichtsoptimismus, der aus Niederlagen gemacht ist. Aber immerhin reite ich nicht mit dem Arsch anderer Menschen durchs Feuer.

Ja, ich bin Partei in diesem Streit, und ich bin kein Jude. Die aus mir einen hätten machen können, sind alle ermordet worden.
Das begeisternde Erlebnis meines Vaters in den zwanziger Jahren war, daß er eben nicht Jude ist, sondern Mensch. Als Kommunist und Werftarbeiter verdrängte er das Judentum seiner Kindheit. Nach Hitlers Machtergreifung kämpfte er im illegalen Widerstand und wurde verhaftet. Als er im Hamburger Hafen Waffenschiffe sabotierte, die Nachschub für Hitlers Legion Condor nach Spanien bringen sollten, kämpfte er auf seiten der spanischen Republik. Er tat auf seine Weise dasselbe wie seine Genossen, die in den Internationalen Brigaden gegen Franco kämpften und starben. Der faschistische General hatte ja auch seine Unterstützung in aller Welt. Allein die Tatsache, daß er den ganzen Krieg nur machen konnte, weil die US-amerikanische Texaco ihm auf Pump 1936 bis 1939 alles an Flugbenzin und Diesel für die Panzer lieferte, das werde ich auch nicht vergessen, wenn eine Dea- Tankstelle am Straßenrand winkt.

Eine Gerichtsverhandlung gegen meinen Vater begann mit den üblichen Formalitäten. Name? — Biermann, Dagobert. Geboren? — 1904 in Hamburg. Beruf? — Maschinenschlosser. »Religion keine« — ergänzte der Richter. Nein, schrie da mein Vater, ich bin Jude! — Idiot! Lieber Idiot! Meine alte Mutter weinte in diesen Tagen wie eine junge Frau, als wär’s grad eben passiert: Hätte er doch geschwiegen! Vielleicht wäre er durchgekommen! Sie hätten es vielleicht übersehn.

Das stimmt. Im Gefängnis hätte er überleben können, er wäre vielleicht gar nicht entlassen worden … nach Auschwitz. Wäre hätte könnte. Er saß noch sicher im Knast Bremen-Oslebshausen, als seine Eltern, als seine Geschwister und deren Ehegatten und alle Kinder auf die große Reise nach Osten gingen. Über zwanzig Hamburger Juden, die 1942 ermordet wurden. Mein Vater hatte sich gewehrt gegen das Unrecht, und so lebte er ein Jahr länger.

Wohnte ich in Israel, würde ich wahrscheinlich zu den Kritikern der Regierung gehören. Ich wäre einer von vierhunderttausend Menschen dort, die gegen den Libanonkrieg ihrer eigenen Regierung protestierten. Ich stünde auf seiten derer, die immer wieder versuchen, mit den Palästinensern zu reden, und ich würde gegen die aggressive Siedlungspolitik der orthodoxen Eiferer öffentlich ansingen.

Allerdings würde mich diese Haltung nicht viel kosten, denn in Israel ist die Opposition zur Regierung ungefähr so teuer, will sagen: so billig wie hier. Stell dir eine religiöse oder soziale Intifada in irgendeinem arabischen Land vor, sie würde keine zwei Stunden dauern. Im März 1982 trat in der syrischen Stadt Hama eine radikal islamische Gruppe gegen die Politik von Hafis el-Assad auf. Er ließ, nachdem diese Opposition erledigt war, noch zwanzigtausend Menschen in dieser Stadt prophylaktisch umbringen.

Um die Herrschaften in den Scheichtümern ist es so wenig schad wie um die faschistischen Militärdiktaturen. Ob die Reichtümer des Landes von lebenslustigen Parasiten verpraßt oder von totalitären Fanatikern vergeudet werden, nimmt sich nicht viel. Das Erbe der französischen und britischen Kolonialpolitik, die Hypotheken des Kalten Krieges der Großmächte, die ätzende Krankheit religiöser Intoleranz — all dies lastet auf den Ländern dort. Frieden? Ja, lieber heute als morgen, wenn diese Völker eine Chance kriegen, brüderlich nebeneinander zu leben mit Israel. Und Israel selber?

Die Araber können nicht fordern, daß es seine Politik gegenüber den Palästinensern radikal ändert und die Juden dort gleichzeitig mit der Ausrottung bedrohen. Solange die Existenz Israels nicht anerkannt ist, kann es die besetzten Gebiete nicht denen übergeben, die auf ihre Fahnen geschrieben haben: Bewerft die Juden mit Giftgas! Ich höre schon die dialektischen Einwände gegen diese Ursache-Wirkung-Logik. Aber die Logik kommt aus mehreren Kriegen, in denen arabische Staaten versucht haben, Israel zu vernichten — aufgerüstet und angestachelt von der Sowjetunion. Seit Gorbatschow sich von dieser zynischen Außenpolitik abwendet, könnte manches besser werden, wie in Europa. Aber wir sehn es ja: Die westdeutschen Geschäftemacher verscheuerten aus Profitgier prompt und in besserer Qualität alles, was die Sowjetunion nicht mehr liefert.

Bindet euer Palästinensertuch fester, wir sind geschiedene Leute

Mein Vater ist so jung geblieben. Längst bin ich älter als er. Ich überholte ihn an dem Tag, als ich vor fast fünfzehn Jahren in den Westen kam. Für den russischen Dichter Julij Daniel schrieb ich noch in der DDR vier Zeilen, die jetzt mich einholen und die eine schöne Musik brauchten:

Ich bin zu müd fürs Schlausein und zu alt
Zu stolz für euern Harleki
Den Tod nicht mehr, ich fürchte nur
Das Leben auf den Knien.

Für mich schließt sich ein Kreis zu meinen frühen Kinderjahren in diesem geschichtsdummen Land. Ich komme wieder an in den Kälten einer altvertrauten feindseligen Fremdheit. Nach über zwei Generationen hat sich das alte deutsche Farbmuster auf historisch höherer Stufe wieder eingemendelt. Gregor Mendel, der Naturforscher und Prälat mit seinen Generationen gekreuzter Erbsen, Bohnen und Stiefmütterchen im Klostergarten zu Brünn, war kein Kämpe im Historikerstreit und wollte uns nichts beweisen. Aber ich bin auch kein festgewachsenes Pflänzchen im großdeutschen Schrebergarten. Ihr überdeutschen Deutschen, egal ob Kriegsgewinnler oder Friedensengel, ich weiß, ihr könnt sehr gut ohne mich. Aber ich kann auch ohne euch.

Heute ist Montag, der 28. Januar. Man mag nur noch in Tagen denken in dieser Endzeit. In den Nachrichten kam eine Neuigkeit, die mich entsetzt und gar nicht wundert: Saddam kündigt nach dem konventionellen Raketenvorspiel nun den nichtkonventionellen großen Vernichtungsschlag gegen Israel an. Er wird also meinen Freund Walter Grab und seine Frau Ali in Tel Aviv der erste Mal im Leben vergasen und meinen toten Vater zum zweiten Mal. Und ich höre schon den lapidaren Kommentar von einigen besonders fortschrittlichen deutschen Friedensfreunden: selber schuld. Na dann! Bindet euer Palästinensertuch fester, wir sind geschiedene Leute.

Ilko-Sascha Kowalczuk Walter Ulbricht – Der kommunistische Diktator, C.H. Beck Verlag, 2024, 58,00 €

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