Heute im Angebot: MACBOOK mit Buch-Essay zu Jens Beckerts Klima-Buch – PLUS Video-Interview mit dem Autoren, Leseprobe, Podast – Runterscrollen und Glücklichwerden!
Eingeschnürt wie ein Paket, Arme und Beine an den Körper gefesselt, so geht‘s hinab auf einer eine glitschigen, rasanten Rutsche, ähnlich wie in Schwimmbädern, nur grösser, höher. Unten: brennendes Wasser.
Kein schönes Bild, mit dem der MAC heute morgen erwacht. Um es loszuwerden, tippt er an Eva ins Handy: „Ich fühle mich wie gefesselt eine riesige Rutsche runter zu rutschen.“
Der MAC lässt sich eine Badewanne ein. Ist das adäquat, bzgl. Ressourcen? Natürlich nicht. Genauso nicht wie die gegrillte Krakauer bei „Lukullus“ am Kiez gestern Abend. Im Radio läuft ein Beitrag, wie hoch die Wirkung des Fleischverzichts auf das Klima ist. Eine Untersuchung sagt, je ärmer der Mensch, desto höher der Fleischkonsum, das gilt auch für ganze Länder. Und ev. auch für den MAC.
Hej, MAC, werde Chef deines eigenen Lebens!
Der MAC wundert sich über sich selbst, welch große Rolle der Klimawandel in seinem Leben spielt – „nur theoretisch“, findet Eva. Der MAC beißt einfach zu oft in den Apfel, dann tut es ihm leid, und das jeden Tag mehrmals, seit bald 70 Jahren. Die erwachsenen Kinder sagen ihm, er sei unglaubwürdig, wenn er ihnen jetzt mit Verzicht und Nachhaltigkeit kommt.
Doch in der Wanne kommen Gedanken, ev. verbessert das den Footprint wieder. Es ist auch nicht jeder Überkonsum Luxus, oder? Den Luxus-Plattenspieler hat der MAC seit 40 Jahren, in dem Zeitraum haben andere 10 Abspielgeräte, die der MAC alle nicht hatte.
Der Gedanke in der Wanne war: Hej, wie lange warst du eigentlich in Psychoanalyse? Da solltest doch du doch wissen, dass in dem Szenario mit der Rutsche ALLES DU bist, das gefesselte Paket, aber auch die Rutsche, das Seil, das dich fesselt – vielleicht auch der, der dich auf die Rutsche gesetzt hat.
Der ganze Film ist DEIN Film. Warum siehst du für dich nur die Opferrolle vor? Führe doch mal Regie! Über dein eigenes Leben.
Wenn das so leicht wäre! Jens Beckert, Soziologe und Direktor des Max Planck Instituts für Zukunftsforschung, bekommt gerade viel Beachtung für das Buch „Verkaufte Zukunft“. Er erörtert darin, warum die Menschen dem Klimawandel so apathisch gegenüber stehen. Gutes Thema! Was hindert die Menschen daran, „Regie“ zu übernehmen in der Abwehr von vorhersehbaren Klimakatastrophen, oder zumindest für ihre eigene Existenz unter diesen Bedingungen vorzusorgen? Warum machen so viele NICHTS?
Es ist so ähnlich wie der MAC in seiner Wohnsituation. Wie beim Klimawandel gibt es eindeutige Daten – dass er sich die große Fläche in der Innenstadt schon bald nicht mehr leisten kann, wenn nicht schon jetzt nicht.
Trotzdem tut er – NICHTS, naja, fast nichts. Was hindert ihn daran, eine neue Lösung zu finden? Das, was der MAC anderen abverlangt, nämlich in Alternativen zu denken, auch in gesellschaftlichen Alternativen, das schafft er in seinem eigenen Leben nicht.
Wenn es keine Alternative zum Kapitalismus mehr gibt, endet auch die Politik
Jens Beckert führt ähnliche Gründe an, warum sich die Leute beim Klima nicht bewegen. Die Ziele zu abstrakt (ist Überleben ein abstraktes Ziel? Unter bestimmen Umständen offenbar ja), die damit verbundenen Maßnahmen überwiegend nachteilig, alles WENIGER – ob ein Mehr an Zufriedenheit dabei rauskommt, ist für viele nicht ausgemacht, vor allem für die nicht, die sich ein Weniger gar nicht leisten können.
Wie fast alle Experten nennt auch Beckert als Gründe für den Klimawandel die „kapitalistische Moderne“, die auf permanentes Wachstum und Überverbrauch ausgerichtete Verschwendungsökonomie in einem Teil der Welt – die zu einer Verdoppelung des CO2 Ausstoßes in den letzten 40 Jahren geführt hat. In den Konsequenzen bleibt er defätistisch („Wir müssen uns eingestehen, dass wir den Klimawandel bei den Pariser Klimazielen nicht stoppen werden“) oder vage („Vielleicht hat man die Verbindung des soziologischen Kernthemas ‚soziale Ungleichheit‘ und der Klimakrise lange nicht erkannt.“)
Im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“, aus dem die beiden Zitate stammen, führt er auch aus, sich eine Abkehr vom Wachstum nicht vorstellen zu können: „Bei allen utopischen Großlösungen, die mir begegnen, lässt sich leicht durchbuchstabieren, warum sie nicht politikfähig sind. Die Unternehmen wollen wachsen. Die soziale Integration unserer Gesellschaft beruht ganz wesentlich auf Konsum. Politisch geht es darum, Zugewinn zu ermöglichen, damit man etwas zum Verteilen hat. Ansonsten läuft man in Verteilungskonflikte hinein, die politisch kaum durchzustehen sind, sie Heizungsstreit, siehe Bauernproteste – das sind ja erst die Anfänge.“
Jens Beckert ist richtig in der Analyse, er verschweigt auch nichts – aber das Naheliegende, dass es die Wirtschaftsform des Kapitalismus ist, die zu dieser Krise geführt hat, spricht er nicht aus. Dabei bildet die Erschöpfung der Ressourcen in all ihren Konsequenzen die wahrscheinlich größte Legitimationskrise, die der Kapitalismus je hatte. Wer braucht ein System, dass die Grundlagen der Existenz, zerstört bzw. dem diese Zerstörungsmacht potentiell immer innewohnt? Was hindert Beckert daran, dies auszusprechen?
VIDEO-INTERVIEW MIT JENS BECKERT
https://www.mpifg.de/1272448/2024-beckert-verkaufte-zukunft
Warum eigentlich führt „Wachstum“ die Liste der Alternativlosigkeiten an?
Von ähnlicher Qualität ist ein aktuelles Gutachten des deutsche Ethikrates, das sich mit dem Thema der „Klimagerechtigkeit“ befasst. Vorgeschlagen wird, vom Klimawandel stärker Betroffene sollen „Transferleistungen“ bekommen, „partizipatorische Aushandlungsprozesse“ sollen zum Ausgleich von Klimaungerechtigkeiten führen – fast klingt es so, als sei der Klimawandel in Tarifpartner, mit dem man nur zu einem guten Abschluss finden muss.
Wie bei Eckert wird auch angesprochen, es sei, namentlich im globalen Norden, „rational alternativlos“, mit Wachstum bei Ressourcen und Konsum Schluss zu machen – gleichwohl sei „nicht abzusehen“, wie das „Ende der Ausrichtung auf quantitatives Wachstum“ gesellschaftlich durchzusetzen wäre.
Es ist interessant, dass Max-Planck-Direktor Beckert wie die Experten beim Ethikrat beim Thema Klimawandel nicht mehr auf gesellschaftliche Bewegung als Gestaltungsinstrument setzen. Eigentlich ist es völlig unklar, an wen sich Forderungen richten, am Ende fallen sie immer auf den einzelnen zurück, er soll keine Bratwurst essen und am nächsten Tag in der Früh nicht die Badewanne einlassen. Und nicht das Wort „Kapitalismus“ in den Mund nehmen. Auch das haben Eckert und der Ethikrat gemeinsam: Sie verzichten so weit wie nur irgendwie möglich auf das böse K-Wort. Karl-Heinz Dellwo hat in der letzten konkret sehr schön dargelegt, wie sehr sich die Fronten gegen die verhärtet haben, die Alternativen zum Kapitalismus ansprechen oder gar offen antikapitalistisch auftreten: „Alles ist in der ‚liberalen Demokratie‘ verhandelbar, nur eines nicht: Der Kapitalismus als Lebensgrundlage“.
Die Klima-Erklärer merken nur nicht, dass ihre Analyse-Instrumente damit stumpf sind. Warum führt Wachstum die Liste der Alternativlosigkeiten an? Weil es der Tropf ist, an dem der Kapitalismus hängt. “Im Rahmen der kapitalistischen Marktordnung ist es ohne massive Rezession, Arbeitslosigkeit, Verarmung und soziale Konflikte nicht möglich, aus der Wachstumsspirale von Produktion, Konsum und Verbrauch fossiler Energien auszusteigen“, schreibt die Philosophin Olivia Mitscherlich-Schönherr von der Universtität Potsdam in „der freitag“. Eine ethisch wirksame Haltung müsse sich daher „mit ökonomischen Anstrengungen verbinden, die kapitalistische Marktwirtschaft zu überwinden.“
Gerade ließen die „Klima-Senioren“ in der Schweiz eine gesunde Umwelt zum „Menschenrecht“ erklären, ein gutes Medienthema, weil es an einem weiteren Beispiel deutlich macht, wie sehr der Kapitalismus Menschenrechte verletzt – und übrigens für immer mehr elementare Bedürfnisse keine Lösungen hat: nach Marktgesetzen können in Deutschland keine Wohnungen mehr gebaut und VW sagt, massentaugliche E-Autos können nur in China zusammengeschraubt werden. Und der „grüne Kapitalismus“ rechnet sich nur, wenn er Menschen und Bodenschätze noch aggressiver ausbeutet, als der sich großteils an „Lieferketten“ gebundene alte Kapitalismus wagt.
Klar ist es auch langweilig zu sagen und oft eine billige Pointe, „der Kapitalismus“ sei für alles verantwortlich, zumal sich das System so eingenistet hat in den Köpfen (selbst den intellektuellsten) und Herzen (selbst den wärmsten) , das sich inzwischen jeder einzelne als kleiner Kapitalist fühlt und die Antwort auf jede Schuldfrage ein traurig gemurmeltes (alle sehen weg) „Wir“ geworden ist und damit ist natürlich niemand schuld.
Das ist aber das Verhalten von Kindern am Schulhof. Wenn wir erwachsen werden wollen, Chefs über das eigene Leben, dann sollten wir uns zumindest bemühen, Ursachen zu erkennen und zu benennen. Gerade von führenden Soziologen oder Ethikräten müsse man das verlangen können.
Hugh, der MAC hat gesprochen. Aber wie findet er jetzt eine kleinere Wohnung?
Jens Beckert: Verkaufte Zukunft – Warum der Kampf gegen Klimawandel zu scheitern droht, Suhrkamp Verlag, 2024, 238 Seiten, 28,00 € (gedruckt)
Blog:
Text-Quellen:
„Wunschdenken hilft nicht“, Interview mit Jens Beckert, Süddeutsche Zeitung, 12. März 2024, Seite 12
„Auf dem linken Auge bisschen blind“, Olivia Mitscherlich-Schönherr über das Gutachten des Ethikrates zur Klimagerechtigkeit, der freitag, 4. April 2024, Seite 4
„Demokratisch in den Untergang“, Leitartikel von Karl-Heinz Dellwo, konkret 4/2024, Seite 9