Kämpfe gegen Dämonen

Heute geht´s um zwei politische Prozesse, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Eine Sternstunde der Demokratie vor dem Amtsgericht Hamburg bei der Klage-Verhandlung MASCH (Marxistische Abendschule Hamburg) gegen Freie und Hansestadt Hamburg um den Eintrag in den Verfassungsschutzbericht von 2021 – die zugunsten der MASCH ausging. Nach dem vorläufigen Urteil muss sie aus dem Bericht gestrichen werden und kann damit wieder die Gemeinnützigkeit erreichen.
Mithin können „Das Kapital“-Lese-Kurse in Hamburg als „gemeinnützig“ angesehen werden – ein unerwarteter Triumph für die MASCH und die gesamte Linke – mit hoher Strahlkraft, die heute noch gar nicht abzusehen ist. Und hoher Resonanz: Der Bericht der taz im Internet bekam 780 Likes, 12.000 Ansichten und jede Menge Sympathiebekundungen. https://taz.de/Marxistische-Abendschule-in-Hamburg/!6077668/
Und weil´s für die MASCH gerade so gut läuft und das auch für Euch zutreffen soll – hier das neue Kurs- und Veranstaltungs-Programm für Sommer 2025: https://www.masch-hamburg.de/

Im Programm findet Ihr auch die Veranstaltungen des ROTEN SALON HAMBURG – hier zur Anmeldung: https://roter-salon-hamburg.de/

Ein paar Tage davor der Prozess gegen die „RAF-Rentnerin“ („Bild“) Daniela Klette vor dem Oberlandesgericht Celle. Klette wird versuchter Mord und die Beteiligung an bewaffneten Raubüberfällen vorgeworfen. Hier ganz das Gegenteil. Wo Fakten fehlen, füllt Oberstaatsanwältin Annette Marquardt mit Gesinnung auf. Sie will Klette ein „Lebenslänglich“ anhängen.  M.H.

Prozess I.: MASCH gegen Feie und Hansestadt Hamburg
Marxismus ist gemeinnützig
Eine Stimme aus der MASCH, gleichzeitig Bericht über das Verfahren


Was wir schon immer wussten: Die Beschäftigung mit Gesellschaftskritik ist nicht schmuddelig, sondern kann dem Gemeinwohl dienen. Das Hamburger Finanzamt kann sich entspannen und die Gemeinnützigkeit der Marxistischen Abendschule (MASCH) – Forum für Wirtschaft und Politik e.V. wieder anerkennen.
Die MASCH Hamburg hatte vor dem Hamburger Verwaltungsgericht gegen den Hamburger Verfassungsschutz geklagt, weil ihr die Gemeinnützigkeit entzogen worden war. Sie wollte rückwirkend entfernt werden aus dem Verfassungsschutzbericht von 2021. Taucht man nämlich darin auf, wird die Gemeinnützigkeit gestrichen, wie es auf die MASCH seit 2020 zutraf.
Am Dienstag, 8. April, hat das Verwaltungsgericht Hamburg tatsächlich entschieden, dass die MASCH Hamburg im Verfassungsschutzbericht 2021 nichts zu suchen hat.  Das ist ein schöner Erfolg für die Demokratie.
Das „Frühwarnsystem der Demokratie“ (Eigenlob des Verfassungsschutzes), das versehentlich eine Dekade lang zehn Morde, 43 Mordversuche und drei Sprengstoffanschläge des Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) ausgerechnet den Opfern, meist Migranten, zugeschrieben hatte, und sich stattdessen intensiv mit der Beobachtung angeblich Demokratie gefährdender Organisationen wie der MASCH Hamburg – Forum für Politik und Kultur e.V. beschäftigt hatte, wurde in seine Schranken verwiesen.
Die Analyse der knapp 100 Kurse und 50 sonstigen Veranstaltungen, welche die kleine aber feine MASCH in zehn Jahren in üblicher Weise angeboten hatte, ergab im Universum des Hamburger Verfassungsschutzes, dass es sich bei der MASCH um eine Vorfeldorganisation der DKP handele. Das sind Formulierungen aus den 1980-er Jahren, als die DKP noch 50.000 Mitglieder hatte. Die vielfältige Behandlung verschiedenster theoretischer, nicht nur marxistischer Theorie, sei nur Tarnung ihrer marxistisch-leninistischen Positionen. Zudem habe man ein DKP-Mitglied in der MASCH entdeckt, das tatsächlich aktiv sei.

Die MASCH hat selbst noch einmal nachgeschaut: null Prozent Veranstaltungen, die man mit Förderung des Leninismus assoziieren könnte, dafür zum Beispiel 20 Prozent Kritische Theorie in den Kursen und Veranstaltungen der letzten zehn Jahre. Das beeindruckte die Schlapphüte nicht, denn schon in den 20-er Jahren des letzten Jahrhunderts (!) habe sich die damalige, der KPD nahe stehende Marxistische Arbeiterschule mit akademischem und bürgerlichem Personal geschmückt, d.h. getarnt.
Wer das System des Kapitalismus abschaffen oder aufheben wolle, wolle auch die freiheitlich demokatische Grundordnung abschaffen. Die MASCH wehrte sich dagegen: niemand in ihr wolle beispielsweise Wahlen abschaffen oder Opposition verbieten; es gehe darum, Demokratie in der Gesellschaft breiter zu verankern, so wie beispielsweise Betriebsräte und Mitbestimmung kein Widerspruch zur parlamentarischen Demokratie seien. In einer komplexen Welt sei dazu marxistische Theorie unerlässlich.
Die MASCH teile auch nicht die leninistische Vorstellung, eine Avantgarde müssen mittels eines Transmissionsriemens ihren Kanon in den Hirnen der Menschen verankern, sondern sie suche nach den primären Lernmotivationen von Teilnehmenden und versuche, widerständiges Lernen zu vermeiden. Deshalb gebe es keine Zwänge wie Noten oder Zeitdruck in den Kursen.
Wenn man die Schützengräben von 1983 verlasse und tatsächlich die zweimal im Jahr erscheinenden MASCH-Programme mit offenen Augen lese, könne das niemand übersehen. Hat das Gericht auch nicht.

bewaffnete einsatzkraefte sicherten die ankunft der angeklagten
Prozess-Bewachung in Celle: Krieg gegen eine Rentnerin

Prozess II.: Oberlandesgericht Celle verhandelt gegen Daniela Klette
Anklage gegen einen „Dämon“
Ein „Cold Case“ heiß gemacht: Prozeß gegen Daniela Klette im Hochsicherheitsgerichtssaal des Oberlandesgerichts in Celle
Von Karl-Heinz Dellwo

Sie gilt, so wurde Dr. Annette Marquardt 2015 bei der Überreichung einer ministeriellen Dankes-Urkunde von der damals leitenden Oberstaatsanwältin Gresel-Appelbaum freundlichst bedacht, als »ein großer Glücksfall für die Staatsanwaltschaft Verden«. Sie gilt auch als Cold-Case Ermittlerin. Heute sitzt sie mit der stellvertretenden leitenden Oberstaatsanwältin Dr. Katharina Sprave im Hochsicherheitsgerichtssaal des Oberlandesgerichts in Celle als Anklägerin gegen Daniele Klette. Sie gilt als temperamentvoll und aus Berichten weiß man: Wenn sie in eine zu durchsuchende Wohnung stürmt im Rahmen der Fahndung nach Burkhard Garweg, dann bricht es an der Haustürschwelle manchmal schon überfallartig aus ihr heraus: »Wo ist er?“  Sie setzt bei dem legal Überfallenen auf Überrumpelung.  Auch reckt sie manchmal bei Zeugenbefragungen schnell und ruckartig, jede Distanzschwelle überschreitend, den Kopf nah an den des Delinquenten und bohrt ein »Sie wissen mehr!« schon fast körperlich in ihn hinein.  Die Mauer des Gegenübers soll weichen, um es wehrlos zu machen.

Auch in der Anklagevertretung scheint sie der aktivere Teil zu sein gegenüber Daniela Klette. Jedenfalls liest sie von 13 vorgetragenen Straftatbeschuldigungen 11 selber vor mit einer monotonen Stimme, stehend selbstverständlich, denn bei der Anklage steht der Staat, während die Anwälte bei ihren Gegenanträgen sitzen. Schwarze Haare, schwarzer Talar, im schlechten Licht des fensterlosen Saales, in dem fast jedes Gesicht grau wird, könnte man an eine Figur aus irgendeinem Film Noir denken, eine gewisse Härte als auch Desillusionierung ausstrahlend, denn dem Bösen geht, wie man weiß, nie die Puste aus. Aber auch, wenn man irgendwie an einen Raben denkt, wenn man sie da so stehen und mit heller Stimme eine Beweisführung vortragen sieht wie das Picken auf der harten Schale einer noch zu knackenden Nuss, so fällt doch das Bedürfnis nach einem kleinen, optischen Kontra auf: Als sie am Tag der Prozesseröffnung durch den Saal geht, sieht man sie in roten Schuhen. Auch am zweiten Prozesstag ist sie damit geschmückt. Schwarz-Rot, was für ein Outfit! Ob sie weiß, dass sie im Lieblingsdesign der Anarchisten herumläuft? Macht und Anarchie liegen gar nicht so weit auseinander, wenn man an jenen Satz des Herzog von Blangis aus Pasolinis Salò denkt, mit dem jener beansprucht, dass sie die wirklichen Anarchisten seien, »natürlich erst dann, wenn die Macht im Staate uns gehört. Tatsächlich ermöglicht erst die Macht die Anarchie«. Frau Dr. Marquardt weiß die Staatsmacht auf ihrer Seite, sie drückt sich geradezu durch sie aus.

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Daniela Klette im Gerichtssaal: Das Recht der Angeklagten, zu schweigen

Wo sachliche Beweisen fehlen, werden die Lücken mit Gesinnung gefüllt

In den RAF-Prozessen hatte die politische Justiz früher die Macht der freien Hand. Ob Anwaltsausschlüsse, Abhören der Verteidigung, heimliche Vorabsprachen mit den Revisionsinstanzen, notorisches Ablehnen aller Kontext herstellenden Anträge der Verteidigung – im Feindverhältnis, angeführt von der Bundesanwaltschaft, konnte man hemmungslos sein. Ein Hauch von Anarchie durchzieht auch die Anklageschrift aus Verden, wie Rechtsanwalt Ulrich von Klinggräff minutiös, manchmal fast schon zu ausführlich, in seinem Einstellungsantrag begründet. Es wird gemixt, wie es gerade passt. Während nach außen Frau Dr. Marquardt erklärt, es gehe hier nur um Straftatbestände im Bereich von Geldraub, versucht sie überall, wo ihr die sachlichen Beweise fehlen, die Lücken mit Gesinnung zu füllen. Es folgt der Erzählung: So war es bei der RAF üblich. Ihre ganze Anklageschrift ist von Bezügen auf eine angebliche RAF-Mentalität, die schon damals fiktiv war, durchzogen, in der alle rücksichtslos von der Waffe Gebrauch machen und mit einer ständigen Tötungsbereitschaft durch die Gegend laufen. Das muss sie in Stellung bringen gegenüber einer Angeklagten, die, wie man weiß, sich trotz einer Wohnung mit einigen Waffen, friedlich hat abführen lassen.

 Es geht ihr augenscheinlich darum, der Angeklagten Daniela Klette eine Mordabsicht anzuhängen und ihr mit einem Lebenslänglich zu drohen. Am zweiten Prozesstag rechtfertigt sich Frau Dr. Marquardt gegen die entsprechenden Vorwürfe der Verteidigung damit, dass sie der Angeklagten ja angeboten habe, mit ihr zu sprechen, damit sie auch entlastende Beweise aufgreifen kann. Als gäbe es nicht das Recht der Angeklagten, einfach zu schweigen und gerade gegenüber der Staatsanwaltschaft keine Aussagen zu machen. Hinter der Drohung »Tötungsabsicht« steckt zweifellos der Pressionsversuch, der Angeklagten Aussagen abzunötigen, ihr eine Kooperationsbereitschaft aufzuzwingen, an deren Ende ein Tauschgeschäft steht: Aussage gegen Strafmilderung. Es folgt dem Spiel ‚Der Preis ist heiß‘.  Wie weit das gehen kann, hat man u.a. an den ehemaligen RAF-Mitgliedern gesehen, die in der DDR untergekommen waren. Egal an welchen RAF-Aktivitäten sie beteiligt waren, sie waren, nachdem sie sich alle gegenseitig belastet hatten, nach einer überschaubaren Zeit wieder »draußen«, zumindest schon im offenen Vollzug. Das Selbst des Staates ist immer fraglich, besonders in krisenhaften Zeiten. Besonders im Fall einer 30jährigen erfolglosen Fahndung. Dieses Selbst, das das Selbst der politischen Eliten, der Institutionen, aber auch eines großen Teils der staatshörigen Bevölkerung ist, benötigt immer den Verrat der anderen als politisches Viagra, der immer der Verrat an sich selbst ist. Das ist hier in der BRD das Kontinuum: Hier hat die Elite, auch »das Volk« in der Geschichte regelmäßig Eide geschworen und sie kurz danach wieder vergessen beziehungsweise durch andere Eide ersetzt. Mit den Eiden ist das so wie mit den Währungen: von der Reichsmark zur D-Mark und von dort zum Euro – wer denkt noch an den Wert der vergangenen papiernen Lappen, wenn ihr mystischer Inhalt verflogen ist? 

Seitens des States geht es immer um Verrat

Es geht nicht um »Wahrheit«, was immer das sein soll, in einem Konflikt zwischen Souveränitätsansprüchen. Um diesen Konflikt ging es zwischen RAF und Staat von beiden Seiten und damit um den Kampf, auf welche Grundlage wir unsere kollektive Existenz stellen; es geht, von Seiten des Staates immer nur um den Verrat. Hier darf niemand zu etwas stehen.  Wer zu etwas steht, greift an, könnte man sagen. Schon das ist ein Akt des Terrors.  Wer dagegen verrät, ist zerstört und damit gefahrlos. Macht funktioniert, wie wir von Foucault wissen, durch Disziplinierung und Geständniszwang. Wir kennen es alle aus George Orwells 1984, wo sich am Ende Winston und Julia gegenseitig verraten und Winston nüchtern feststellt: »Sie hatten sich verraten. Schließlich war das der Sinn der Folter, dachte er – nicht nur, dass man stirbt, sondern dass man vorher gebrochen wird.« Das ist der Kampf, den Frau Dr. Marquardt führt: Der Täter/die Täterin ist am Ende ein Nichts. Der Staat dagegen in triumphaler Stärke. Das ist eine Sucht, die nie befriedigt ist. Lina E. bekommt fünf Jahre und drei Monate für Angriffe auf Rechtsradikale. Man kennt es aus der Weimarer Zeit: Politischer Mord in den Jahren 1919 – 22: 22 Morde begangen von Linken, 10 Hinrichtungen, durchschnittliche Haftzeit: 15 Jahre. 354 Morde von Rechtsradikalen: einmal lebenslang, durchschnittliche Haftdauer vier Monate. Verurteilte Nazirichter nach 1945: keiner. Dafür bekam die Witwe von Roland Freisler auf Dauer ihre Witwenrente, während der BGH gegen die Mitglieder des Politbüros in der DDR filigran zu begründen wusste, warum ihnen die Ehrenrente wegen Inhaftierung in Konzentrationslagern aberkannt werden durfte.

Man könnte es fast schon als ironisch bezeichnen, wenn die Ermittlungsrichterin beim BGH, Frau Dr. Dietsch, das Besuchsverbot gegen Gabriele Rollnik bei Daniela Klette damit begründet, dass deren Mitgliedschaft in der Bewegung 2. Juni zwar schon Jahrzehnte lang zurückliegt, aber »die damaligen Taten von derartigem Gewicht und Gefährlichkeit [waren], das Rückschlüsse auf die Manifestation der dahinter stehenden inneren Einstellung zulässig sind.[1]« Ob Frau Dr. Dietsch dieses Festschreiben von Taten in die eigene DNA auch in die DNA der Justiz überträgt und sich insoweit selber nach ihrer Motivation befragt? Wahrscheinlich nicht.

Die letzte Aktion der RAF war 1993 das Sprengen der neu gebauten Justizvollzugsanstalt Weiterstadt. Bei dieser Aktion hat das RAF-Kommando alles dafür getan, dass niemand verletzt wird.  Ihre Auflösung datiert von 1998. Nicht aufgelöst hat sich das mediale und staatliche Verhältnis. Bei den Medien, zumindest bei einem Großteil, konnte man nach der Festnahme von Daniela Klette im Februar 2024 fast schon an ein Gelage denken, ein neues großes Fressen lockte. Der jahrelange Phantomschmerz der abhanden gekommenen RAF verflog und endlich erschien der geliebte Feind wieder am Horizont, wenn auch nur als eigene Projektion auf billiger Beleggrundlage. Viele fühlten sich geradezu zu journalistischen Höhenflügen in der Denunziation und im Abkanzeln animiert. Manches war auf offenkundige Durchstechereien der Staatsanwaltschaft in Verden zurückzuführen. So titelte der „Spiegel“ beweislos die Nachricht, das Christian Klar Daniela Klette getroffen haben muss. Dabei ging es ausschließlich um den Dreisatz: Klette, Klar, RAF = Terror. Das zählt zu der staatsanwaltlichen öffentlichen Stimmungsmache vor dem Prozess, aus der ein entsprechendes Urteil sich fast schon als zwangsläufig abfordern lässt. Ein öffentliches Medium dazu lässt sich offenkundig leicht finden.

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Sechs Terrabyte Daten, kurz vor Prozessbeginn ausgehändigt

Der Verteidiger Lukas Theune verlangt in einem umfassend vorgetragenen Antrag die Aussetzung des Verfahrens, nachdem den Anwälten 16 Stunden vor Prozessbeginn zwei 12 und 6 Terrabyte große Datenträger ausgehändigt worden waren mit verteidigungsrelevanten Daten. Eine unvorstellbare Menge. Alleine auf der kleineren 6 Terrabyte großen Platte befinden sich 2,6 Millionen sogenannte Datenentitäten, was Adressen, Logfiles oder Mails oder Bilder oder sonst etwas sein können. Ein nachvollziehbares Ansinnen der Verteidigung. Die Polizei brauchte zur Strukturierung dieser Daten das Programm Pathfinder der japanisch-israelischen Firma Cellebrite, die ihre technischen Fähigkeiten, mit denen man sich in jedes digitale Gerät unbemerkt einloggen kann, auch an Diktaturen veräußert. Die Anwälte haben dieses Programm nicht. Sie beantragten im Kontext einer »Waffengleichheit« den Zugang zu diesem Programm.

Der Antrag auf Aussetzung des Verfahrens wurde am 1. April, dem zweiten Prozesstag, vom Gericht abgelehnt. Auch der Zugang zum »Pathfinder«. Nun haben sie einen Heuhaufen, in dem sie nach Nadeln suchen können. Auch der Einstellungsantrag der Verteidigung wurde abgelehnt. Die Kammer, die über ihren Vorsitzenden immer sehr konziliant auftritt, ist zu dem Verfahren fest entschlossen. Sie versichert, durch nichts beeinflusst und der Wahrheit verpflichtet zu sein, und beruft sich darauf, schon in der Zulassung der Anklage die darin enthaltenen RAF-Bezüge der Staatsanwaltschaft als für das Verfahren bedeutungslos verworfen zu haben. Man wird sehen.

Cold Case ist bei den einen die Königsdisziplin in der kriminalistischen Forensik. Anderen bei der Polizei gehen solche Fälle auf die Nerven, weil sie zu viele Ressourcen binden.  Dort etwas finden und aufzuklären, wo andere gescheitert sind, das triggert. Es ist heute Bestandteil vieler Filme und Serien: Aufklären, Nachsetzen, Aburteilen. Stempel drauf: erledigt! Den größten Cold-Case der Geschichte des letzten Jahrhunderts hat aber auch Frau Dr. Marquardt verpasst und in der Anklage unerwähnt gelassen: die postfaschistische BRD mit ihren straflos gestellten Naziverbrechern, jede Menge davon in Polizei und Justiz.  Auch daraus war die RAF begründet und nach ihrem Ende kam die Not der verbliebenen Gesuchten, sich finanzielle Ressourcen zu suchen, um zu überleben. Denn sich in die Hände dieser politischen Justiz aus der alten BRD zu begeben, konnte man nun wirklich niemand anraten und niemandem abverlangen.  Man mag die Überlebensmethoden kritisieren, meinetwegen auch juristisch bewerten, aber es ist nur die alte politische Niedertracht, den Betroffenen dabei jede politische Moral abzusprechen und sie lieber subjektivistisch zu dämonisieren. Um nichts anderes geht es in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft in Verden.
Inmitten von allem sitzt eine Angeklagte, die augenscheinlich bei sich ist und jene Ruhe ausstrahlt, die man braucht, wenn Treibjäger meinen, der Sieg sei ihrer.

[1] BGH-Beschluss vom 20. Dezember 2024

Der Artikel erschien zuerst in „nd-aktuell“ am 09.04.25


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