In den Ankündigungen für den ROTEN SALON am 30. Juni mit Jürgen Bönig und seinem Buch „Otto Meissner – der Verleger des „Kapital“ in Hamburg“ wird die Zeile „Karl Marx kommt nach Hamburg – jetzt anmelden“ verwendet.
Angespielt wird damit auf die von Jürgen Bönig – auch schon im Band davor, „Karl Marx in Hamburg“ – geschilderten, tatsächlich stattgefundenen Hamburg-Besuche von Marx in den 1860er Jahren, die uns auch die Person Marx sehr nahe bringen, in ihrem Charakter und ihren Eigenheiten, in der Zusammenarbeit, in der Strategie und Arbeitsweise bei der Veröffentlichung des „Kapital“.
Hier wird aber gesagt, „Karl Marx kommt nach Hamburg – Jetzt anmelden“ … Ist sowas zulässig? Wo es doch klar ist, daß Marx, der tote, nicht nach Hamburg kommen kann und sich das „Jetzt anmelden“ nicht auf eine Autogrammstunde bezieht, sondern lediglich auf die Anmeldung für eine Veranstaltung für ein historische Buch über Marx und seine Zeit?
Man kann sich jetzt ärgern oder den wichtigen Fragen der heutigen Zeit zu wenden. Man kann sich aber auch fragen, und dazu lädt der MAC heute auf seine selbstreferenzielle Art ein: Was sind die Motive einer solchen Übertreibung? Was wäre, wenn Marx wirklich nach Hamburg käme? Ist es nur seine Lehre, die bis heute fasziniert und hohe Wirkung hat, oder ist es auch seine Person, die uns nicht loslässt?
Das ist ein ganzes Paket an Fragen. In seinem Versuch, es aufzuschnüren, beginnt der MAC mit einen Reminiszenz auf seine Lehrzeit als Journalist unter „linken Blattmachern“, erzählt, wie er das Geschäft der Übertreibung gelernt hat – und schließt damit, dass der Linken eine bessere und wirkungsvollere Vermittlung von Inhalten gut anstünde. Der Vermittlung von Inhalten war auch das Lebensziel des wirklichen Karl Marx
„Ich bin der Klaus Rainer Röhl von heute“ – ein Sprechblase des MAC, vielleicht oft auch nur eine Denkblase, ist auch besser so. Denn der Vergleich ist einerseits unrühmlich. Klaus Rainer Röhl war der immer eher ins Ungute tendierende und im Alter rechts gewordene Ehemann von Ulrike Meinhof, der die Zeitschrift konkret mit Sexbildern am Cover und halben Pornostories innen drin, zu verkaufen suchte.

Der Fetisch Überschrift oder „Zeile“ bei den früheren „Blattmachern„
Anderseits war Röhl doch ein talentierter „Blattmacher“, versammelte gute Autoren und war ein guter „Verkäufer“ von Geschichten – etwas, in dem ihm der junge MAC sehr nacheiferte. Auch sein unmittelbarer Ziehvater, der Österreicher Günther Nenning, dessen Ruf nicht viel besser war als der von Röhl, war ein „linker Blattmacher“, und das mit den um Aufmerksamkeit heischenden, teils übertriebenen Überschriften hatte „der Günther“ auch drauf. Übertreibung war in gewisser Weise das Geschäft der beiden. Und der MAC war ein guter Lehrling.
Was der junge MAC hier abgeguckt hatte, kam ihm in seiner späteren kommerziellen Karriere sehr zu gute, als es mit bitterem kapitalistischen Ernst darum ging, Zeitschriften unter starker Konkurrenz in hohen Auflagen zu verkaufen. Überschriften wurde dabei eine hohe Bedeutung beigemessen, ähnlich den „Claims“ in der Werbung. Es gab eigene „Zeilenkonferenzen“, in denen nichts anders gemacht wurde, als im Team brainzustormen über die griffigsten, zuupackendsten Überschriften. Mit Marktforschung wurde ermittelt, was bei den Leuten am besten ankommt.
Die Stellenbeschreibung „linker Blattmacher“ gibt´s heute nicht mehr
Nun ist heute der Ruhm der großen Blattmacher-Figuren wie Rudolf Augstein, Henri Nannen, die Gräfin Dönhoff, ev. noch der skurille Franz Josef Wagner. arg am Nachlassen, die Spezies „linker Blattmacher“ ist ausgestorben, sieht man von dem weiblichen Chefredakteurs-Trio der taz ab, das aber den eher chauvinistisch nach „Macher“ tönenden Begriff für sich nicht beanspruchen würde – oder … müsste man mal fragen.
Also, was haben wir gelernt, bisher, „linke Blattmacher“ gibt´s nicht mehr, was einerseits ein Glück ist, andererseits vielleicht auch ein Unglück, weil manche Dimensionen des früheren Blattmachens, gerade das übel beleumundeten „Verkaufen“ vom Inhalten, „der Linken“ heute auch fehlen, was ev. mit zu ihrer Marginalisierung beiträgt.
Wer links oder marxistisch ist, hat heute in der Regel kein besonderes Interesse an Medien und dementsprechend auch keine Leidenschaft dafür, mit der Folge, dass es heute in Deutschland so gut wie keine gut gemachten linken Medien gibt – „gut gemacht“ im Sinne von: um die Aufmerksamkeit und Aufnahmebereitschaft des Lesers kämpfend, in einer „breiteren Ansprache“ über das linke Publikum hinaus.
Laute Überschriften gelten eher als rechts
Ausnahme ist wieder die taz, die seit einiger Zeit mit zum Teil genial witzigen Headlines und Titelaufmachern arbeitet, etwas das in der Linken eigentlich verpönt ist, da die „gute Zeile“ (Wie macht man eine gute Zeile? Das wurde in der Nannen-Schule unterrichtet und der MAC zum Beispiel liebt es heute noch, „gute Zeilen“ zu machen) im rechten Boulevard wie „Bild“ als simplifiziernd, manipulierend oder hetzerisch missbraucht wird. Dazu kommt (wozu?), alles in allem, dass im Internet nochmal eine ganz andere Didaktik gefragt ist und die Aufmerksamkeitsökonomie nicht mehr auf die Schlagzeile der „Bild“ ausgerichtet ist.
Also alles Schnee von gestern? Sagen wir so, in der Lage zu sein, Inhalte so zu „verpacken“ oder zu „verkaufen“ – okay, für den, der sich an den aus der Welt der Waren abgeleiteten Begriffen stört: so zu formulieren, zulässig zu verkürzen, leicht verständlich aufzubereiten, dass sie in der Folge nicht „gekauft“, nein, aber an- und aufgenommen werden – ich denke, daß dies ein wünschenswertes Ziel wäre, darauf müssten wir uns verständigen können, wenn es um Kommunikation geht. Zumal in der Linken, für die das überzeugende Kommunizieren (früher sagte man: „die Agitation“) eigentlich grundlegend ist, so wie die Geschichte der Linken, in ihrer grossen Zeit in Europa, sich immer auch als Geschichte ihrer großen Zeitungen und anderer Drucksachen erzählen lässt. Marx selber, und darin unerreichtes Vorbild, war Journalist (Chefredakteur der „Rheinischen Zeitung“), Ökönom, Philosoph und vieles mehr in einer Person, über das Medium Text Menschen zu erreichen, war sein Lebensantrieb.
Karl Marx kommt nicht ins Westfield Center
Wie verhält sich das nun mit „Karl Marx kommt nach Hamburg“, der Werbezeile die für den ROTEN SALON am 30. Juni verwendet wird, in dem es doch nur ein Buch geht, dass – unter anderem – die Hamburg Besuche von Karl Marx in den 1860er Jahren behandelt, also gar nicht um einen Social-Media Termin mit dem „Kapital“-Autor im Westfield-Center.
Ist die Verpackungs-Furor des MAC da mit ihm durchgegangen und konnten ihn die Kollegen im ROTEN SALON nach abhalten? Oder ist es eine zulässige, witzige Verkürzung, die eine, nun ja, eher spezielle Veranstaltung mit einem historischen Thema (also ev. kein Massenprogramm) angemessen, charmant (Scheisswort) und offensichtlich übertreibend, anzupreisen und zu „verkaufen“ versucht, in der Absicht, dass Leute aufmerksam werden und kommen?
In der Zeile steht eine Unwahrheit, denn Karl Marx ist seit 1883 tot und kann deshalb nicht nach Hamburg kommen. Da dies aber – vor allem im Publikum des ROTEN SALON – als bekannt vorausgesetzt werden kann, ist keine Täuschung gegeben oder doch nur in einem lässlichen Ausmaß … Wozu aber? Ja, um durch einen leichten Ganglienkitzel (hey, was ist hier los, ist der wieder auferstanden?) Aufmerksamkeit zu erregen – für eine gute und politisch wichtige und nützliche Sache, nämlich die Vorstellung des Buchs von Jürgen Bönig über Otto Meissner, den Verleger von Karl Marx in Hamburg.

Kann man Fan-Boy sein von Karl Marx?
Was wäre aber, wenn … Karl Marx kommt nach Hamburg – jetzt anmelden! Wen würde das berühren? Die Weltöffentlichkeit? Auf der Wiederauferstehungs-Ebene jedenfalls. Aber Marx? Oder würden sich die Menschen andere Wiederauferstehungen eher wünschen? Churchill, Mao, Kennedy, Che Guevara, Freud, Trotzki, John Lennon? Lieber keine! Der MAC denkt, Marx würde eine Wiederauferstehungsliste am ehesten anführen, weil die treuesten Fan-Boys hat, die sich am öftesten die Frage stellen: Was hätte Marx gesagt? Obwohl sich Marx selbst jeden Personenkult verboten hat („Wenn aus meinen Arbeiten Marxismus werden soll, bin ich jedenfalls nicht dabei – ich bin kein Marxist“ , wird ihm zugeschrieben) ist doch einer entstanden, der seine Perversion im Sowjetkommunismus und vor allem in der DDR überdauert hat. Personenkult, naja. Der MAC kann nur für sich sprechen: Ich bin Fan von Karl Marx, wie ich Fan von Bob Dylan und Sophia Kennedy bin. Marx und Bob Dylan sind ungefähr gleich auf, uns Sophia Kennedy hat noch so wenig gemacht, dass mein Fantum auch etwas kleiner ist. Bin ich oberflächlich, weil ich das sage? Nein! Wieso?
Und was heisst Perversion, gibt es denn einen nicht-perversen Personenkult? Freilich kann man auch fragen: gibt es denn was nicht Perverses? Dass die Faszination für den Marxismus nicht nur streng wissenschaftlicher Einsicht oder Erkenntnis folgt, sondern auch mit der Person ihres Urhebers zu tun hat, der bis heute viele Identifikations- und Entlastungsebenen anbietet – als Journalist unter Druck, als notorischer Terminüberzieher, als Streithahn und Besserwisser, als politisch immer wieder Gescheiterter, als sich-selber-ständig-und gnadenlos-Überfordernder, als einer, der mit Geld nicht umgehen konnte, als im Familienleben nicht Genügender, als einer, dem akademische Würden versagt bleiben. Bis auf den letzten treffen alle Punkte auf den MAC zu – er weiss aber, dass andere nicht die ihm selbst eigene, exhibitionistische, natürlich auf Entlastung abzielende Offenheit haben, und jede libidinöse Bindung an den Mann aus Trier bestreiten würden. Dem MAC scheint es so zu sein, dass die Entscheidung, heute Marxist zu sein – mit all der Vergeblichkeit, die ihr auch anhaftet in den Augen der anderen – durchaus auch „emotionale Mehrwerte“ bietet. Karl Marx kommt nach Hamburg? Nichts wie hin!
Warum Marx? Was ist die spezfische Faszination, wie war die Entwicklung beim MAC, die schon in den 1970er Jahren begonnen hat – wer darüber mehr wissen will, kann hier nachlesen:
https://michael-hopp-texte.de/vom-psychologischen-mehrwert-marxist-zu-sein/