Das „Kapital“ kennt jeder. Aber wer weiß auch, dass es in Hamburg verlegt wurde? Um seinen Verleger Otto Meissner zu treffen, kam Karl Marx insgesamt fünf Mal nach Hamburg, 1845, 1849, 1867, 1869 und begab sich, meist aus London kommend, von den Landungsbrücken in sein jeweiliges Hotel. Der Historiker und Technikwissenschafter Jürgen Bönig hat dies schon 2017 in seinem Band „Karl Marx in Hamburg“ dargestellt, damals wurden in Hamburg auch Gedenktafeln aufgehängt und es gab eine von Bönig kuratierte „Kapital“-Ausstellung im Museum der Arbeit.
Jetzt, im Sommer 2025, kommt Bönig mit einem zweiten Band, der im ROTEN SALON HAMBURG am 30. Juni besprochen wird. In „Otto Meissner – Verleger des „Kapital“, Ein 1848er in Hamburg“ zeichnet Bönig das Porträt eines zurückhaltenden Mannes, Buchhändlers in Magdeburg und bei der Börsenbuchhandlung Hoffmann und Campe in Hamburg, der seit 1848 als Verleger Revolutionären, Freigeistern und Reformern eine Möglichkeit zur Veröffentlichung bot, als das verboten war, und so wichtigen Veränderungen in Wissenschaft und Politik zum Durchbruch verhalf.
2017, zur ersten „Marx in Hamburg“-Welle mit Buch und Ausstellung, standen grosse Berichte auch in bürgerlichen Blättern wie dem „Hamburger Abendblatt“, doch der hohe Anteil, den einzelne Hamburger Verlage an der Verbreitung der Ideen der Aufklärung und der Entstehung der Arbeiterbewegung hatten, fehlt in den heutigen Verlagschroniken und kommt in den Geschichtsbüchern der Stadt zu kurz. Dass das „Kapital“ in seinen drei Bänden von der Freien und Hansestadt Hamburg aus, im September 1867, aus seinen Weg in die Welt angetreten hat, und dies auch „befördert auch durch den Wagemut und die Unerschrockenheit seiner Bürger“ (Jürgen Bönig), das war 150 Jahre später, 2017, doch keine offizielle Erwähung wert. Stattdessen gab in der Stadt es den G 20-Gipfel.
Zur Einstimmung auf den ROTEN SALON am 30.06. mit Jürgen Bönig hier der erste Teil eines schönen Artikels von 2017 aus dem „Hamburger Abendblatt“, der die Besuche von Karl Marx in Hamburg mit einer erzählerischen Qualität, die übrigens auch die Bücher von Jürgen Bönig auszeichnet, konkret nachvollziehbar macht und damit auch einen Anschubs gibt, sich mit der historischen Dimension der Begebenheiten zu beschäftigen. Es war die damals in hoher Verfügbarkeit noch relativ neue Ware der Bücher, die verboten wurde und deren Verleger verfolgt und eingesperrt, weil Büchern – zu Recht – eine zentrale Rolle in der Verbreitung neuer und revolutionärer Ideen zuerkannt wurde. In dem Zusammenhang liesse sich auch die Frage stellen, welche Rolle heute Buchverlage in der Gesellschaft spielen und wie weit sie es als ihre als Aufgabe ansehen, zur gesellschaftlichen Entwicklung beizutragen. Die Frage ist naiv gestellt, ich weiß, aber oft sind die naiven Fragen die besten. Es wäre schön, wenn sich in der Diskussion im ROTEN SALON auch dieser Aspekt beleuchten liesse. M.H.

„Netter Kerl, obgleich etwas sächselnd, wie sein Name andeutelt“
So lautete das Urteil von Marx über seinen Verleger Otto Meissner, den er am 12. April 1867 trifft, um das Manuskript für „Das Kapital“ abzugeben, in einem Brief an Friedrich Engels. Marx ist zunächst nervös, weil er nur den ersten Band geschafft hatte, statt der angekündigten drei
Von Matthias Gretzschel
Der zwölfte April 1867 ist ein kalter und stürmischer Tag. Die Menschen, die durch Hamburgs Straßen gehen, frösteln und fliehen immer wieder vor Schnee- und Hagelschauern in Kontore, Passagen, Läden und Cafés. Schon fünf Uhr morgens hat die aus London kommende „John Bull“ Cuxhaven passiert, nun steuert Kapitän G.S. Marshall den Segelraddampfer elbaufwärts der Stadt entgegen. Als er gegen 12 Uhr den Landungsplatz für Dampfschiffe erreicht, liegt hinter den Passagieren eine 51-stündige strapaziöse Reise, während der die meisten von ihnen seekrank geworden sind. Der Mann mit der Mähne und dem dichten Vollbart, der das Schiff verlässt, ist dagegen guter Laune. Während die allermeisten Passagiere während der Reise unter schwere Übelkeit litten, hat er mit dem Kapitän, einem in London ansässigen Uhrmacher und einem deutsch-amerikanischen Viehhändler „im kleinen Kreis gekneipt“, womit der exzessive Genuss alkoholischer Getränke umschrieben ist. Das „höchst tolle Wetter“, wird der Bärtige später unter Verwendung eines „Faust“-Zitats schreiben, sei ihm so angenehm gewesen, dass er sich „so kannibalisch wohl wie 500 Säue“ gefühlt habe.
Der vollbärtige Mann mit der langen Mähne, der heute vor genau 150 Jahren in Hamburg eintrifft, heißt Karl Marx und im Gepäck hat er ein Manuskript, das er persönlich bei seinem Verleger vorbeibringen will. Der Titel des Buchprojekts heißt „Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie“.
Mit gemischten Gefühlen läuft Marx nun Richtung Binnenalster, um im Haus des Verlegers Otto Meißner vorzusprechen, denn laut Vertrag soll er eigentlich jetzt das komplette Manuskript abgeben, doch hat er bisher nur den Text des ersten Bandes geschafft. Doch als er an der Bergstraße 26 die Glocke schellt, erfährt er, dass der Verleger außer Haus sei. Also geht er erst einmal zu seinem Hotel, das er nach weniger als fünf Minuten am Adolphsplatz erreicht. Es ist das ziemlich noble „Zingg’s Hotel“, das gegenüber der Börse steht und unmittelbar nach dem Großen Brand von dem schweizerischen Architekten Auguste de Meuron erbaut wurde. Von ihm stammte übrignes auch der erste Bau des Thalia Theaters. Eigentlich erstaunlich, dass Marx so komfortabel logiert, denn seine finanziellen Verhältnisse sind wiedermal ziemlich prekär. Unmittelbar vor Beginn seiner Hamburg-Reise hat ihm sein vermögender Freund Friedrich Engels Geld zukommen lassen. Die 35 Pfund Reisegeld gestatten es Marx, „Kleidungsstücke und Uhr, die im Pfandhaus wohnen“ wieder auszulösen. Angesichts der Gläubiger, die seine Frau Jenny in London fast täglich bedrängen, hat er auch ein schlechtes Gewissen, die Familie zu verlassen. Aber die Reise muss sein, denn das Kapital, dessen ersten Band er teilweise während einer schmerzhaften Hauterkrankungen verfasst hat, ist sein theoretisches Hauptwerk, von dessen Bedeutung er überzeugt ist. An einen finanziellen Erfolg glaubt er allerdings nicht, es werde ihm, schreibt er später, nicht einmal so viel einbringen, wie die Zigarren kosteten, die er während des Schreibens geraucht habe.
Inzwischen hat Otto Meißner im Verlag erfahren, dass sein Londoner Autor eingetroffen ist und in Zingg’s Hotel auf ihn wartet. Dort treffen die beiden gegen 19 Uhr schließlich zusammen, und Marx’ Befürchtungen, der unvollständigen Lieferung wegen Vorhaltungen hören zu müssen, sind schnell zerstreut. Der Verleger und sein Autor können gut miteinander, so gut, dass sie miteinander „kneipen“, wie Marx das feuchtfröhliche Beisammensein nennt. „Netter Kerl, obgleich etwas sächselnd, wie seine Name andeutelt“, schreibt Marx. Dabei stammt Meißner aus Quedlinburg im Harz, also nicht aus direkt Sachsen, aber derart feine sprachliche Nuancen interessieren Marx offenbar nicht. Jedenfalls ist der Verleger bereit, anders als ursprünglich geplant, den ersten Band des kapitalen Werks herauszubringen, auch wenn der Rest noch nicht vorliegt. In den vier Tagen, die Karl Marx in Hamburg verbringt, werden noch eine ganze Reihe Details besprochen. Zum Beispiel, dass das Buch nicht in Hamburg, sondern in Leipzig gedruckt werden soll, weil Meißner an der Gelehrsamkeit der hiesigen Korrektoren zweifelt. Das ist offenbar keine schlechte Entscheidung, denn als Marx am 5. Mai, seinem 49. Geburtstag, die Korrekturbögen zur Durchsicht bekommt, ist er von der Leistung der renommierten Leipziger Druckerei Otto Wigand recht angetan. Die Druckfehler seien „relativ unbedeutend“.
Am 16. April verlässt Marx per Zug Hamburg wieder, um die nächsten Wochen in Hannover zu verbringen. Der Mediziner (und Sozialdemokrat) Louis Kugelmann hat ihn zu sich eingeladen. Gesehen haben die beiden sich noch nie, aber brieflich verkehren sie schon seit Jahren miteinander. Und der Besuch wird so angenehm, dass Marx ihn rückblickend „zu den schönsten und freudigsten Oasen in der Lebenswüste“ bezeichnen wird. Am 16. Mai trifft Marx dann erneut in Hamburg ein, wo er sich noch einmal mit Otto Meißner trifft. Am Abend, so ist eigentlich vorgesehen, will man in die Oper gehen, denn dort steht gerade ein kulturelles Großereignis an. Albert Niemann, ein führender Wagner-Interpret und ein Superstar jener Zeit, hat sich angesagt, doch Karl Marx verzichtet auf die „Tannhäuser“-Aufführung mit der etwas arroganten Begründung, er fühle sich von Hannover zu verwöhnt, „um einer Theatervorstellung in minder guter Qualität beiwohnen zu wollen“. Von Kennerschaft zeugt das jedenfalls nicht, denn Wagner selbst hält große Stücke auf Niemann, der in seiner verwegenen Haar- und Barttracht Marx übrigens recht ähnlich sieht, und später an der Metropolitan Opera in New York Triumphe feierte. Statt dessen kommt es ausgerechnet in Hamburg zu einer höchst merkwürdigen Begegnung. „Trotz aller Vorsichtsmaßregeln“, wie Marx später an Kugelmann schreibt, trifft er sich zu einem Gespräch mit dem Journalisten Wilhelm Maar, jenem berüchtigten Ideologen, der den Begriff Antisemitismus prägte und 1879 die üble Kampfschrift „Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum – Vom nichtconfessionellen Standpunkt aus betrachtet“ veröffentlichte. Er sei ein „ins Christliche übersetze Lassalle, natürlich viel weniger wert“, schreibt Marx über Maar, der schon 1880 Juden mit Ratten assoziierte und zu den den Vordenkern der Nazi-Ideologie gehört hatte.
Am 17. Mai 1867 trifft Karl Marx die Rückreise nach London an, wieder bei rauem Wetter und bewegter See. Mit an Bord ist ein preußisches Fräulein, das sich in der britischen Metropole als ziemlich hilfsbedürftig erweist. Karl Marx gibt sich ganz ritterlich und hilft ihr in London, dass sie samt Gepäck den richtigen Bahnhof für die Weiterreise findet. Dass es sich bei dieser offenbar recht ansehnlichen Elisabeth von Puttkammer um die Nichte von Otto von Bismarck handelt, nimmt Marx eher belustigt zur Kenntnis. Umgekehrt ist sie nicht wenig erstaunt, als sie erfährt, dass es sich bei dem charmanten Bärtigen um den berüchtigten Verfasser des „Kommunistischen Manifests“ handelt. Sie sei zwar „in rote Hände gefallen“, meint Marx, der hinzufügt: „Ich tröstete sie jedoch, dass unser Rendezvous ohne Blutverlust abgehen werde, und sah sie gesund und munter nach ihrem Bestimmungsplatz abfahren.“
Als der erste Band des „Kapitals“ am 14. September 1867 im Börsenblatt des Deutschen Buchhandels als Neuerscheinung annonciert wird, dürften wohl weder der Hamburger Verleger Otto Meißner noch Karl Marx selbst geahnt haben, dass dieses Buch (mit den beiden folgenden, nach dem Tod des Verfassers erschienenen Bänden) zu den wichtigsten und bis heute weltweit einflussreichsten Schriften zur Ökonomie und politischen Philosophie zählen würde. Im selben Jahr hatte Meißner übrigens auch deutlich weniger gewichtige Titel im Programm, etwa „Die Käfer von Hamburg und Umgebung“ eines gewissen C.H. Preller.
Warum wählte Marx also ausgerechnet den in Hamburg ansässigen Verlag, um sein Opus Magnum herauszubringen? Das habe gewiss auch mit Zufällen zu tun, sagt Mario Bäumer, der gegenwärtig eine Ausstellung zum „Kapital“ vorbereitet. „Einerseits hatte Friedrich Engels bei Meißner bereits seine Schrift über die preußische Militärfrage veröffentlicht und dabei offenbar ganz gute Erfahrungen gemacht. Andererseits war Hamburg nicht von der preußischen Zensur betroffen.“
Und was ist mit den Schauplätzen des denkwürdigen Marx-Besuches, dessen Verlauf der Autor Michael Sommer auf der Grundlage von Briefen und anderen Quellen geradezu minuziös rekonstruiert hat, nach 150 Jahren noch zu sehen? Der „Landungsplatz für Dampfschiffe“, an dem Marx von Bord ging, befand sich ungefähr dort, wo ab 1907 die Pontons der St.-Pauli-Landungsbrücken errichtet wurden. Das Haus Bergstraße 26, in dem der Verlag Otto Meißner 1867 seinen Sitz hatte, wurde beim alliierten Bombenangriff im Juli 1943 zerstört und später komplett abgerissen. Heute erstreckt sich hier die Europa-Passage. Und auch Zingg’s Hotel ging im Feuersturm unter. Auf dem Grundstück gegenüber der Handelskammer errichtete der Architekt Georg Wellhausen 1953 ein Bürogebäude, das – wie passend für das Areal der einstigen Herberge des „Kapital“-Autors – heute die Deutsche Bank residiert.
Quelle: Der Artikel erschien zuerst im „Hamburger Abendblatt vom 12.04.2017
Matthias Gretzschel ist ein deutscher Theologe, Journalist und Schriftsteller

Jürgen Bönig, Otto Meissner, Verleger des „Kapital“, Ein 1848er in Hamburg, VSA: Verlag, Hamburg 2025
Wir sollten bei Rotem Salon und MASCH in Zukunft verstärkt Veranstaltungen zur Geschichte von Aufklärung, Emanzipation, Liberalismus und Arbeiterbewegung in Hamburg anbieten! Dass heute diese Errungenschaften weltweit durch autoritäre Tendenzen und Bewegungen bedroht sind, ist ein zusätzlicher Grund, sich mit ihrer Geschichte zu beschäftigen.
Lieber Tobias,
Danke für den Eintrag. Eine Diskussion, wie sich der ROTE SALON positioniert, wird ohnehin zu führen sein – spätestens dann, wenn wir uns mit der Vereinsgründung auch an „Köpfen“ verbreitern und damit hoffentich auch Spielräume entstehen, solche Diskussion überhaupt zu führen.
Inhaltlich würde ich Dir in seiner solchen Diskussion allerdings eher widersprechen.
Ich bin der Meinung, der ROTE SALON muss „aktuell“ bleiben, und sich mit Gegenwart und Zukunft beschäftigen.
Deinem Vorschlag, mehr dezidiert historische Veranstaltungen zu machen, würde ich entgegenhalten:
Die betonte Beschäftigung mit Geschichte im Zusammenhang mit dem Marxismus, macht den Marxismus selber zur Geschichte. Genau dagegen wäre aber anzukämpfen.
Dass dies auf „solider“ marxistischer Basis gelingen kann, zeigt die ZME, gerade wieder in ihrer letzten Ausgabe. Ich selber, klar, halte da auch journalistische, essayistische, gerne auch literarische Beiträge, für legitim und wichtig.
Marx war übrigens Journalist, Philosoph, Ökonom, Gesellschaftswissenschafter, um mal zurückzuschauen.
In der gegenwärtigen politischen Situation, bei der es stark darum geht, junge Menschen vor dem Abdriften nach rechts zu bewahren, wäre es für mich unpassend, sich auf die Geschichte zurückzuziehen.
Wenn der Marxismus keine Antworten für Gegenwart und Zukunft hat, dann brauchen ihn junge Menschen nicht.
Der Marxismus ist eine Wissenschaft, die aus dem Verständnis von Geschichte und Gegenwart in die Zukunft blickt. Der Rückblick macht aber überhaupt nur Sinn, wenn sich aus ihm der Blick nach vorne ergibt.
Das Leben unter heutigen, neuen Voraussetzungen, wie Digitalisierung (in technologischer und philosophischer Hinsicht), Klimawandel, dazu Migration, Kriege und weltwirtschaftliche Neuordnung, alles in jeder Stunde des Alltags spürbar, muss im Zentrum marxistischer Theoriebildung stehen. Die wissenschaftliche Entwicklung des Marxismus kann nur dann Hand in Hand gehen mit der Entwicklung politischer Ideen, wenn sie auf der Grundlage der heutigen Realität erfolgt.
Dass dazu das Studium der Geschichte gehört, ist selbstverständlich, genauso braucht es aber Zukunftswissenschaften – wo z.B. geguckt werden kann, wie weit uns digitale Technologie dem kommunistischen Ideal näher bringen kann, genauso, wie das Marx für die Maschinen gemacht hat.
Mit einer historischen Ausrichtung, würde der ROTE SALON nicht nur keine jungen Leute gewinnen, sondern selbst reaktionär werden. Ist das Bewahren von „Errungenschaften“ nicht schon gefährlich nahe an dem „früher war alles besser“-Credo des Trumpismus? Brauchen wir nicht neue Ideen, zeigt sich nicht schon längst, dass das Verteidigen der alten Errungenschaften nicht reicht?
In einer MASCH-Gruppe, der ich angehöre, wird oft gesagt, dass der Klassenkampf nicht mehr aktuell sei. Ist daraus die Konsequenz, nur mehr in die Vergangenheit zu schauen? Die Verteidigung der „alten Errungenschaften“ ist mir verdächtig, weil sie oft bruchlos übergeht in die Verteidigung des Kapitalismus.
Peter Mertens hat in Hamburg gesagt, Depression und Nostalgie seien die beiden Seiten einer Medaille. Dagegen anzukämpfen war in der Programmatik seiner Partei in Belgien die zweitwichtigste Dimension. Die wichtigste übrigens: „Discuss analysis about what´s happening today. No nostalgia, no reconstruction.“
Wir als Marxisten heute dürfen die „Kompetenz“ für Zukunft nicht verlieren, das ist der eigentliche Kampf und die eigentliche Anstrengung.
Jenny Kellner, die voraussichtlich im Oktober im ROTEN SALON zu Gast sein wird, schreibt in ihrem Buch “Anti-ökomischer Kommunismus“ (Campus Verlag): „Ein Ergebnis der Auseinandersetzungen Blanchots, Nancys, Zizeks, Badious, Negris und anderer mit dem Begriff Kommunismus beseht bei allen inhaltlichen Kontroversen darin, dass die Philosophie heute, im Hinblick auf die historisch-politische Realität wie im Hinblick auf sich selbst, wesentlich die Aufgabe hat, die Idee des Kommunismus erneut und neu zu denken.“
Ich denke, das könnte so eine Art Programmatik für den ROTEN SALON und die Auswahl der Bücher/Themen sein. Grundlegend dabei ist für mich
– Verständnis schaffen dafür, was in der Welt vor sich geht (welche Bücher/Autoren sind dabei hilfreich?)
– Was bedeutet das für die, die aktiv werden wollen?
Dafür würde eine vorwiegend historische Ausrichtung nicht ausreichen. Peter Mertens hat für seine Partei eine Definition formuliert, die auch zum ROTEN SALON passt: „There is a room, there is a space for people who try to understand what is happening.“ Er meinte damit auch, dass die Zahl derer wächst, die erkennen, dass der westliche Kapitalismus keine Antworten für die Zukunft mehr hat. „Die Leute finden sich nicht an einem Ort“, sagte er auch, „aber in ihnen liegt das soziologische Potential für Widerstand.“ Solche Leute zu erreichen und ihnen ein wenig Orientierung anzubieten, das wäre aus meiner Sicht ein Ziel für den ROTEN SALON.
M.H.