DIE DREI versuchen mit jeweils drei kurzen Beiträgen zu einer Fragestellung, den Marxismus auf Themen anzuwenden, die es in der Form zur Zeit von Karl Marx noch nicht gab. Oder auch, klassische marxistische Thesen mit aktuellen Bedingungen zu konfrontieren.
DIE DREI sind im Kern Michael Hopp und Tobias Reichardt, Mitglieder der Marxistischen Abendschule Hamburg (MASCH). Hier seht Ihr das Programm der MASCH und könnt Euch über Kurse informieren: https://www.masch-hamburg.de/
Zu Hopp und Reichardt hinzugekommen sind inzwischen Barbara Eder und Michael Heidemann. Da wir die Anzahl der Beiträge auf drei begrenzt halten wollen, kann eine(r) immer sein „Recht auf Faulheit“ (1880, Essay von Marx-Schwiegersohn Paul Lafargue, der allerdings durch Selbstmord aus dem Leben schied) realisieren.
Folge X.: Ist Wissenschaft ein Herrschaftsinstrument?
Die Frage, ob Wissenschaft ein Herrschaftsinstrument ist, wird von Donald Trump gerade auf seine Weise beantwortet. Universitäten, die als „links“ aufgefallen sind, wird die Finanzierung gestrichen, Forschungsprojekte, die zu „woke“ sind oder mit dem Klimawandel (das Wort darf gar nicht mehr verwendet werden) in Zusammenhang stehen, werden gecancelt – Erschütterungen und Einschränkungen, die auch schon an deutschen Universitäten ankommen. Erst letzte Woche haben die drei prominenten Geisteswissenschaftter Marci Shore, Timothy Snyder und Jason Stanley angekünigt, die Yale University zu verlassen und nach Kanada auszuwandern. „Brain Gain“ ist das Schlagwort für die Hoffnung an deutschen Universitäten, den „Brain Drain“ an den US-Universitäten zum eigenen Vorteil drehen zu können.
Aus marxistischer Sicht ist die „Freiheit der Lehre“ im Kapitalismus ohnehin ein idealistisches Konstrukt, das vom Kapitalzweck missbraucht wird. Gegenüber diesem wäre sie zu verteidigen, wie die folgenden drei Beiträge in verschiedenen Schattierungen zeigen, gegen Donald Trump ohnehin. M.H.
Wer wissen will, muss umstürzen
Von Barbara Eder, Wien
In Die deutsche Ideologie von 1845/46 formulieren Karl Marx und Friedrich Engels eine Fundamentalkritik an der idealistischen Wissenschaftsauffassung ihrer Zeit, darunter auch an jener der Junghegelianer Bruno Bauer und Max Stirner. Anstatt Erkenntnis als ein rein geistiges, von der materiellen Welt losgelöstes Unterfangen zu begreifen, betonen sie deren Geschichtlichkeit und Materialität. Wissenschaft ist nicht bloß ideelle Spekulation, sondern Ausdruck realer gesellschaftlicher Verhältnisse. Erkenntnis über sie entsteht folglich nicht im luftleeren Raum, sondern während der Arbeit, in der Produktion und im sozialen Austausch miteinander. In Rekurs auf Ludwig Feuerbach kritisieren sie den Umstand, dass Philosophen die Welt bislang nur verschieden interpretiert haben, es komme jedoch darauf an, sie zu verändern.
Damit begründeten Marx und Engels ein materialistisches Wissenschaftsverständnis, das nicht auf Wahrheit im abstrakten Sinn abzielt, sondern auf Veränderbarkeit des Status Quo. Wenn sie den Begriff der Ideologie mit dem Machterhalt der herrschenden Klasse in Verbindung bringen, dann tun sie dies auch in der Absicht, ein Verhältnis auf Basis der Widerspiegelung fassbar zu machen. Noch bevor in einschlägigen Debatten von Ideologie als „notwendig falschem Bewusstsein“ – so etwa bei Terry Eagleton und Slavoj Žižek – die Rede sein sollte, fragten die Begründer des wissenschaftlichen Marxismus nach den Zusammenhängen zwischen spätmetaphysischer Weltbetrachtung und bürgerlicher Gesellschaftsordnung. Wo Kant über die Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung spekulierte, weist Marx den stabilisierenden Charakter derart gewonnener Erkenntnisse für die bürgerliche Herrschaft und den durch sie perpetuierten kapitalistischen Vergesellschaftungszusammenhang nach: Aus Machtverhältnissen werden so scheinbar naturwüchsige Tatsachen, aus Klassenzusammenhängen individuelle „Schicksale“.
Eine marxistische Theorie der Erkenntnis muss sich ihrer eigenen Voraussetzungen bewusst sein und sich im Kampf gegen das, was ist, bewähren. Demnach will sie die Welt und ihre Phänomene nicht einfach abbilden, sondern sie im Tun verändern – nur in und durch diesen Veränderungsprozess selbst kann überhaupt erkannt werden. Marxistische Wissenschaft ist demnach nicht der distanzierte Überblick aus Vogelperspektive, nicht das fein ziselierte Flechtwerk vermeintlich neutraler Kategorisierung mit stets erweiterbaren Untergruppen. Sie ist parteilich, aber nicht dogmatisch, analytisch, aber nicht kalt. Sie ist dialektisch – weil sie weiß, dass jede Erkenntnis ein Widerspruch ist: zwischen dem, was ist, und dem, was sein könnte. Sprengsätze für den Angriff aufs Bestehende liefert sie bis heute – gegen alle, die ihr Wissen universitär einhegen und als Eigentum verteidigen, anstatt es in den Dienst der gesellschaftlichen Transformation zu stellen. Und jene, die nicht einsehen wollen, dass Denken nur dann Sinn ergibt, wenn es sich auf das bezieht, was Menschen einander antun – und in einer befreiten Gesellschaft einander ersparen könnten.
Wissenschaft ist dem Kapital „fremd“
Von Michael Heidemann, Bremen
„Was Einer im Reiche der Wahrheit erwirbt, hat er allen erworben“, heißt es bei Friedrich Schiller. Darin steckt die Einsicht, dass wissenschaftliche Urteile allgemein und notwendig gelten. Sie sind – zumindest virtuell – bezogen auf eine geeinte Menschheit. Was einmal triftig gedacht wurde, kann prinzipiell auch von allen anderen nachvollzogen werden. Der Sklavenjunge in Platons Dialog Menon ist fähig, den mathematischen Beweis einzusehen, obwohl er als Sklave rechtlich aus der Gemeinschaft der attischen Bürger ausgeschlossen ist. Herrschaft ist stets partikular. Sie lässt sich nicht allgemein und notwendig begründen, denn ansonsten müsste das denkende Subjekt aus Freiheit seine eigene Unfreiheit nicht nur einsehen, sondern auch affirmieren – ein glatter Widerspruch! Herrschaftslegitimation bleibt somit stets erschlichen, inkonsistent, brüchig. Sie folgt nicht aus Einsicht, sondern aus Unterwerfung.
Die theoretische Einsicht von der praktischen Zustimmung trennen zu wollen, hieße die Einheit von theoretischer und praktischer Vernunft zu negieren. Diese Aufspaltung – und mit ihr die Enteignung der Subjekte von ihren materiellen Lebensinteressen – liegt dem falschen Objektivitätsbegriff aller positivistischen Wissenschaftstheorie zugrunde. In ihr reflektiert sich die Entfremdung der Menschheit von ihren Wesenskräften, die im Kapitalismus zur Kapitalverwertung, einem gegenüber den Menschen verselbständigten heteronomen Zweck, angewandt werden. Wer meint, der höchste Grad an Objektivität sei in der Wissenschaft dann erreicht, wenn das Subjekt der Erkenntnis – das eben auch ein wünschendes und wollendes ist – möglichst restlos aus dem Erkenntnisprozess getilgt ist, reproduziert blind das Ideal des Kapitals: eine Welt, in der alles Subjektive zum bloßen Funktionsorgan und Instrument der Verwertung geworden ist.
Schillers Wahrheitsideal bleibt freilich naiv, wenn nicht begriffen wird, wie das Kapital auf die ihm „‚fremde‘ Wissenschaft“ (MEW 23, S. 407 Fn) zugreift. ‚Fremd‘ ist die Wissenschaft für das Kapital, da der menschliche Erkenntnisprozess Spontaneität und produktive Einbildungskraft voraussetzt, also prinzipiell – und anders als in Schulen und Universitäten gewaltförmig versucht – nicht standardisierbar ist. Er lässt sich nicht unter ein methodisch geregeltes Verfahren bringen, wie es im industriellen Produktionsprozess mit der Produktion von Waren durch wertbildende ‚gesellschaftliche Durchschnittsarbeit‘ (vgl. ebd. S. 53) geschieht. Wie sollte in der wissenschaftlich-technischen Grundlagenforschung von Durchschnittsarbeit die Rede sein können? Wie viele Fehlversuche in der Hypothesenbildung, Berechnung und experimentellen Versuchsanordnung dürften es denn sein, um von einem ‚Durchschnitt‘ zu sprechen? Die wissenschaftliche Arbeit ist als „allgemeine Arbeit“ (MEW 25, S. 113) gerade dadurch ausgezeichnet, dass sie reproduzierbare neue Produktionsverfahren schafft, ohne selbst methodisch (griech. μέθοδος, ‚der Weg zu etwas hin‘) reproduzierbar zu sein. Deshalb ist sie für das Kapital und die relative Mehrwertproduktion so essentiell und zugleich ‚fremd‘, deshalb gründet jede ‚industrielle Revolution‘ in einer ‚wissenschaftlichen Revolution‘.
Da die durch Kooperation gewonnenen Resultate wissenschaftlicher Arbeit der Sache nach allgemein nutzbar sind, hat die bürgerliche Gesellschaft so ein Unding wie das ‚geistige Eigentum‘ hervorgebracht. Nur durch das Patent- und Lizenzrecht kann etwas an sich Allgemeines auf exklusive, partikulare Nutzung eingeschränkt werden. Was einer im Reiche der Wahrheit erwirbt, soll er also nach den Gesetzen der kapitalistischen Akkumulation ausdrücklich nicht ‚allen‘ erwerben. Dies betrifft zuvörderst die naturwissenschaftlich-technischen Bereiche, also die verwertbaren Resultate der Wissenschaft. Doch auch die sog. Geisteswissenschaften sind dem Kapitalzweck akkommodiert. Neben der fortwährenden Produktion gegenstandsloser Debatten, die darin umso nützlichere Herrschaftsideologie sind, greift in den Geisteswissenschaften eine zunehmend aktivistische Wissenschaftsfeindschaft um sich, die die reale gesellschaftliche Praxis der Wissenschaft als eines Herrschaftsinstruments zu Kapitalzwecken mit dem Begriff der Wissenschaft unterschiedslos in eins setzt. In Verkürzung eines Diktums von Francis Bacon ist nach postmodernem Verständnis Wissen immer bloß Macht. So schwankt die aktivistische Wissenschaftskritik begriffslos zwischen Fatalismus und Voluntarismus.
Dagegen stellt die Kritik der politischen Ökonomie von Marx die erste genuin kritische Theorie der Gesellschaft dar. Sie ist dem Wissenschaftsbegriff in ganzer Strenge verpflichtet – „jedes Urteil wissenschaftlicher Kritik“ ist ihrem Autor „willkommen“ (MEW 23, S. 17). In Anknüpfung an das idealistische Erbe der Philosophie beurteilt sie ihren Gegenstand (unausgesprochen) am Maßstab praktischer Vernunft – und verurteilt ihn! Darin erweist sich die Kritik der politischen Ökonomie als autonome Wissenschaft und damit als – wiederum: virtuell – emanzipiert von ihrer Indienstnahme für die Herrschaft. Den schlussendlich praktischen Beweis der Emanzipation muss die Menschheit freilich noch antreten.
PS: Der sog. ‚wissenschaftliche Sozialismus‘, wie er im Ostblock praktiziert wurde, ist die Parodie einer emanzipatorischen Wissenschaft. Er ersetzt den aufklärerischen Anspruch, sich des eigenen Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen, durch den autoritären Fetisch der wahlweise ‚materialistischen‘, ‚marxistischen‘ oder ‚marxistisch-leninistischen‘ Methode. Der solcherart betretene ‚Weg hin zu etwas‘ führte unweigerlich immer zum Politbüro. Kamen die Intellektuellen in ihrem Denken vom Parteiweg ab, verhalf ihnen eine ‚Selbstkritik‘ genannte Unterwerfungsgeste, die perfid Einsicht vortäuschen sollte, zurück zur Orientierung.
Ist Wissenschaft ein Herrschaftsinstrument?
Von Tobias Reichardt, Hamburg
Marx war ein entschiedener Anhänger der Wissenschaften, die zu seiner Zeit bahnbrechende Fortschritte erzielten. Die Entwicklung der Produktivkräfte war und ist nur durch Wissenschaft möglich. Diese Fortschritte stellten für Marx gleichzeitig die Voraussetzung für eine Verbesserung der Lebensqualität und für die Befreiung der Menschen von notwendiger Arbeit dar, für die Schaffung von freier Zeit. Aber nicht nur eine Entwicklung der Produktivkräfte, auch die Kritik des Kapitalismus war für Marx ohne Wissenschaft unmöglich. Die Bewegungsprinzipien von Natur und Gesellschaft erkennt man nicht voraussetzungslos. Es bedarf dazu des methodischen Vernunftgebrauchs, empirischer Forschung und theoretischer Arbeit. Zweifellos kannte und kritisierte Marx auch Ideologien, die unter dem Mantel von Wissenschaft verbreitet wurden und Herrschaft rechtfertigten. Dies lastete Marx aber nicht der Wissenschaft als solcher an, sondern ihren jeweiligen Urhebern und der Gesellschaft, in der sie lebten.
Im Laufe der weiteren Entwicklung des Kapitalismus haben Technik und Wissenschaft eine immer größere Bedeutung gewonnen. Sie erscheinen daher immer stärker als in gesellschaftliche Herrschaft verflochten. Im zwanzigsten Jahrhundert hat sich zudem gezeigt, dass Wissenschaft nicht prinzipiell vor der Übernahme faschistischer Ideologien schützt. Deutschland war ein Land mit hoch entwickelter Wissenschaft und hat dennoch den Nationalsozialismus hervorgebracht. Viele Akademiker und Wissenschaftler waren selbst Nationalsozialisten. Man kann offenbar arbeitsteilig eine wissenschaftliche Tätigkeit ausüben und trotzdem irrationalistischen Ideologien anhängen. Dies hat zu einer Hinterfragung von Aufklärung und Wissenschaft durch die Kritische Theorie geführt, etwa in der „Dialektik der Aufklärung“. Adorno und Horkheimer verwenden den Ausdruck „Wissenschaft“ vor allem pejorativ. Unter „Wissenschaft“ verstehen sie zumeist eine positivistische Faktenhuberei. Dem stellen sie die „Kritische Theorie“ oder die „Philosophie“ entgegen. Dabei geben die Protagonisten der Kritischen Theorie jedoch das Prinzip von Wissenschaft, Rationalität, die Möglichkeit objektiver Erkenntnis und natürlich auch den technischen Fortschritt keineswegs auf. Als Positivismus macht sich die Wissenschaft zu einem Herrschaftsinstrument. Als Philosophie oder Kritische Theorie ist sie jedoch in der Lage Herrschaft aufzudecken und zu kritisieren.
Bezüglich der kritischen Betrachtung von Wissenschaft und ihrer gesellschaftlichen Rolle gibt es eine oberflächliche Ähnlichkeit von Kritischer Theorie und Poststrukturalismus. Insbesondere im Gefolge von Foucault ist Wissenschaft pauschal als Macht- und Herrschaftsinstrument betrachtet worden. Foucault analysiert wissenschaftliche Diskurse vor allem – wenn nicht ausschließlich – als Ausdruck von dem, was bei ihm „Macht“ genannt wird. Das Streben nach objektiver Wahrheit ist für ihn nur eine Bemäntelung des Strebens nach Macht. Auch eine „kritische“ Wissenschaft ist nach Foucault immer nur Ausdruck anders gelagerter Machtbestrebungen. Befreiung durch Wissenschaft ist bei ihm nicht mehr denkbar. Foucault hat damit dem Irrationalismus und der Gegenaufklärung gerade in der Linken den Boden bereitet.
Heute gibt es Irrationalismus und Wissenschaftsfeindlichkeit von rechts und links. Parteien, Strömungen und Regierungen aller Richtungen versuchen die Wissenschaftsfreiheit einzuschränken: An den Hochschulen möge doch bitte nur gelehrt werden, was moralisch und politisch korrekt ist. Die Rechte bekämpft etwa Marxismus, Gender Studies und Israel-Kritik, die Linke will Erkenntnisse unterbinden, von denen sich Identitätsgruppen beleidigt fühlen könnten.
Angesichts dessen ist es mehr denn je an der Zeit, mit Susan Neiman („Links ist nicht woke“) das Erbe der Aufklärung und damit Wissenschaft zu verteidigen. Zweifellos wird Wissenschaft in bestimmter Form weiter als Herrschaftsinstrument missbraucht werden. Dies ist dann rational und methodisch zu kritisieren. Die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts werden jedoch auch nur mithilfe von Wissenschaft zu bewältigen sein. Klima- und Naturschutz, Verständigung zwischen Staaten und Kulturen, Frieden und gesellschaftliche Fortschritte werden wir nur mit Vernunft und wissenschaftlichem Denken erreichen und sichern.
Gedanken zu Michael Heidemann’s Beitrag:
Bei M.H. heißt es richtigerweise eine Trennung von theoretischer Erkenntnis und praktischer Zustimmung sei die Negation von der Einheit praktischer und theoretischer Vernunft. Doch wie ist die Einheit zu fassen und inwiefern hängen, mit Alfred Sohn-Rethel gesprochen Warenform und Denkform zusammen. Anders: Auf welcher Grundlage erhält ein Urteil in der Naturwissenschaft( aber nicht nur in dieser) seinen Wahrheitsgehalt, und weiter wäre zu entfalten, wie sich gerade die Aufspaltung in Theorie auf der einen und Praxis/Empirie auf der anderen Seite letztlich begründet. Liegt diese Spaltung in einem überhistorischen Wesen des Erkenntnisprozesses selbst(? wohl kaum) bzw. im Nachdenken über Natur und Gesellschaft oder ist sie selbst Resultat kapitalistischer Vergesellschaftung.
Sie selbst besäße keine Methode schaffe aber Methodische Verfahren aus sich heraus. Doch welche Wahrheit besitzt eine Wissenschaft, deren Resultate reproduzierbar, methodisch anwendbar, schlicht verwertbar sein sollen, sein müssen. Bei Kant ist der Ort, in welchem die Urteile ihren Wahrheitsgehalt erhalten das Transzendentalsubjekt, bei Hegel der Geist, Sohn-Rethel radikalisiert dies und stellt damit Hegel „vom Kopf auf die Füße“, indem er die Synthese durch den Wert/die bare Münze vermittelt sieht. Dies gilt damit genauso für die Denkform, die Form, in der Wissen akkumuliert wird, die Wissen-schaf[f]t. Und begründet so ein notwendig negatives Verhältnis zu dieser, als einer, die ihre Wahrheit aus der allgemeinen Unwahrheit bezieht: der Synthese durch den Wert. Und damit wird die Rettung der Wissenschaft durch die Betonung ihrer selbst nicht methodischen, sondern kreativen Wesenskraft selbst zur Irrfahr. Denn der ‚fremde‘(n) Wissenschaft ist ihr Quellort schrecklich vertraut.
Von einer Wissenschaft an sich zu sprechen, heißt davon zu sprechen was sie für sich ist, und damit, was sie in der durch das Kapital vermittelten und synthetisierten Gesellschaft ist. Und damit an die Dialektik von Organ und Werkzeug zu erinnern, welche Horkheimer in seinem bereits angesprochenen Aufsatz zur traditionellen und kritischen Theorie über eben jene Verschlingungen zu sagen hat: ist das Werkzeug, wie oft beschworen ein verlängertes Organ, so zusehends das Organ ein verlängertes Werkzeug. Die Wissenschaft ist, wie bereits von Michael Heinemann erwähnt, begrifflich nichts der Gesellschaft Äußeres und kann ihr somit auch nicht per se als grundsätzlich Positives, Besseres gegenübergestellt werden. Der mathematisch naturwissenschaftlichen Disziplin ist ihr Gegenstand ebenso blind, wie der des Kapitals immer schon war, da ihr Grund außerhalb von ihr liegt, also in der falschen Gesellschaft. Wie der Schraubenproduzent nichts darüber weiß, wo seine Schraube eingedreht werden wird und er sich glücklich dünkt, wenn die Rillen der Schraube symmetrisch und nach Norm fabriziert sind, so weiß der Naturwissenschaftler nicht über die schließliche Nutzanwendung seiner Theorie, weil diese außer ihr liegt. Außerhalb, da das Denken in Theorie selbst diese Reflexion verunmöglicht und ihm in gegenständlicher, abgeschlossener Form gegenübertritt.
Der Nationalsozialismus korrumpiert die Wissenschaftler dann keinesfalls, denn in ihrer Logik sind sie unbestechlich.
Das Loblied auf die Wissenschaftsfreiheit, wird damit zum Abgesang auf die Freiheit inmitten der Unfreiheit.
Die autoritäre Mobilisierung durch Trump und Co. ersetzt letztlich die abstrakte Herrschaftsform durch eine auf Loyalität und Treue basierenden. Der Wissenschafts-Betrieb wird zum nützlichen Gehilfen für den Bandenchef im Kampf um das dickste Stück vom Kuchen. Die Theorie mag passen oder nicht, das hat der Gangster dann von Fall zu Fall zu unterscheiden, mehr als darauf hoffen, weiter nützlich zu sein, können die Wissenschaftler dann auch nicht mehr tun.
Vergessen zu erwähnen: das bezieht sich auf Tobias Beitrag.
Fragen über Fragen. Ich ergänze noch: Sollen wir wirklich die Oligarchen von Harvard verteidigen? Sicher würde Trump mich und uns auch bekämpfen. Aber, ich sage es mal vorsichtig: die Woken tun das auch. Sobald ich zur Hamas, zu Gender oder auch zur Philosophiegeschichte eine Position habe, die nicht dem entspricht, was gerade PC ist, werden sie versuchen mich sozial zu zerstören. Meine Idealvorstellung wäre, dass die rechten und die linken Feinde der Wissenschaft sich irgendwie ausbalancieren. Leider ist die Befürchtung realistischer, dass jeweils die Seite, die gerade die Übermacht hat, die Wissenschaft und das freie Denken behindert.
Ich möchte einen Gedanken von Michael Ho. aufgreifen: Die Wissenschaftsfreiheit ist doch zu verteidigen, oder nicht? Gegen die Trumps, aber auch gegen die Aktivisten, die uns auf bestimmte, ihnen genehme Positionen verpflichten wollen. Für mich sind die Trump nicht in jeder Hinsicht unähnlich.
Oder übersehe ich da was, Barbara, Michael und Michael?
Das für die Woke-ist nicht links-Debatte Schwierige ist, dass Trump gerade im Kampf gegen Universtitäten, ähnliche Argumente bemüht. Er ist anti-woke. Diesen Widerspruch müssen wir auflösen. Anti-woke gibt es von links und von rechts. Das spaltet aber noch mehr. Deshalb wäre ich dafür, die woke-Diskussion zu beenden und zu sagen WIR ALLE SIND LINKS – das ist eigentlich der Geist der 68er. Neu gedacht wird das – hoffe ich – in dem Buch „Universalismus für alle“ von Jule Govrin, die wir auch in den RS einladen wollen
Ich kann Michael auch in swoeit beipflichten, dass „wir“ als Marxisten und Co. für die Trump-Regierung ebenso „woke“ sind, wie etwaige queerfeministische Aktivsten. Stichwort: Kulturmarxismus.
Dabei sollte man die innerlinken Debatte nicht aufgeben, aber nach Außen hin, bei Angriffen auf bewahrenswerte Güter wie die Wissenschaftsfreiheit, sich doch denken, das irgendwo doch auf einer Seite steht.
Dieses Gegeneinander ausspielen lassen von Linken, kann man ja nicht nur in diesem Kontext beobachten, sondern auch beim Thema militärische Aufrüstung oder polizeiliche und meinungsfreiheitbeschränkende Maßnahmen zum Thema Nahost.
Ob „WIR ALLE SIND LINKS“ dann aber die adäquate Antwort ist? Klar, der Sozialisation und dem Gefühl nach mag man sich irgendwie einer gesellschaftlichen Linken verbunden sehen. Aber wenn man dann mal begrifflich näher zu bestimmen versucht, was eigentlich links sein soll, wird es doch meist sehr dünn. Was verbindet z.B. Karl Marx und die Sozialdemokratie? Was Herbert Marcuse und die Grünen? Was Adorno/Horkheimer, die 68er und die RAF? Was Michel Foucault, Wolfgang Pohrt und Achille Mbembe? Sind Hamas und Hisbollah Teil der „globalen Linken“ (O-Ton Judith Butler)? War die UdSSR links? Maos oder das heutige China? Die Zapatisten? Das Black Power Movement? Die Occupy- oder die Klimabewegung?
Ich glaube, es ist kein Zufall, dass Marx kein Marxist sein wollte und Horkheimer von der „traditionellen“ die „kritische“ Theorie abgrenzte, nicht die „linke Theorie“ von der „rechten“. Links und rechts sind politische Identitätsmarker, keine substantiellen Begriffe.