DIE DREI versuchen mit jeweils drei kurzen Beiträgen zu einer Fragestellung, den Marxismus auf Themen anzuwenden, die es in der Form zur Zeit von Karl Marx noch nicht gab. Oder auch, klassische marxistische Thesen mit aktuellen Bedingungen zu konfrontieren.
Folge VI.: Verändert KI die Welt ?
DIE DREI sind im Kern Michael Hopp und Tobias Reichardt, Mitglieder der Marxistischen Abendschule Hamburg (MASCH). Hier seht Ihr das Programm der MASCH und könnt Euch über Kurse informieren: https://www.masch-hamburg.de/
Zu Hopp und Reichardt hinzugekommen sind inzwischen Barbara Eder und Michael Heidemann. Da wir die Anzahl der Beiträge auf drei begrenzt halten wollen, kann eine(r) immer sein „Recht auf Faulheit“ (1880, Essay von Marx-Schwiegersohn Paul Lafargue, der allerdings durch Selbstmord aus dem Leben schied) realisieren.
Thema heute: Verändert KI die Welt?
Die sogenannte „Künstliche Intelligenz“ ist die erwartbare Weiterentwicklung der digitalen Technologie und wäre sicher auch in einem Sozialistischen System entwickelt worden. Der Kapitalismus setzt große Hoffnung auf sie, die Profite zu optimieren (allein Microsoft will in den nächsten beiden Jahren 3,2 Milliarden Euro in die Weiterentwicklung investieren) und Schüler lassen sich heute schon von KI die Hausaufgaben schreiben. Aber ist die KI eine „Revolution“, wie oft gesagt wird? Im marxistischen Sinne sicher nicht, denn am Verhältnis von Kapital und Arbeit verändert sie nichts – im Gegenteil, sie kann dazu beitragen, die Widersprüche zu verschärfen
Beitrag 1
Tote Arbeit triumphiert über die lebendige
Von Barbara Eder, Wien
Künstliche Intelligenz – das klingt nach Fortschritt, nach Science-Fiction, nach einer Zukunft, in der algorithmisch gelenkte Verfahren der Datenverarbeitung uns den Alltag erleichtern und von der Lohnarbeit befreien. Versprechen dieser Art lösen dieser Tage keine marxistischen Forderungen ein, sie sind vielmehr integraler Bestandteil von disruptiven Strategien, die seit Beginn dieses Jahrhunderts von mit Venture-Kapital befeuerten US-amerikanischen Tech-Giganten vorangetrieben werden. Demnach sollen innovative Technologien bewirken, was menschliche Vernunft bislang nicht vollbrachte: Eine andere Ökonomie – im Sinne des Freiwerdens von Zeit, die bislang Zeit der Arbeit war.
Marx zufolge vergegenständlicht sich in einer Ware das durchschnittliche Quantum an Zeit, das für ihre Herstellung vonnöten ist. Sobald Maschinen diese Aufgabe übernehmen, verändert sich der gesamte Produktionsprozess – natürliche Begrenzungen stellen fortan keine äußeren Schranken mehr dar. Was fortan zählt, ist nicht mehr die Länge des Arbeitstages, sondern die Intensität der Vernutzung. Die auf Tauschwert beruhende Produktion kollabiert nicht einfach, stattdessen verändern sich die Vorstellungen von Zeit und Arbeit in der Maschinerie fundamental. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz schafft neue Zonen der Vernutzung, in denen die tote Arbeit über die lebendige triumphiert. Vergegenständlicht in den digitalen Apparaten der Plattformindustrie, tritt sie uns als entfremdet und frei von Sinn entgegen.
Mit KI hat sich das Kapital ein neues Spielzeug geschaffen, das Spiel bleibt jedoch dasselbe: Arbeitsteilung, Akkumulation und Intensivierung der Arbeit. Automatisierung vermehrt Industrieprofite und schafft neue Erwerbslosenheere – und vergrößert damit gesellschaftliche Ungleichheit. Die messianischen Marketingversprechen – effizienter, schneller, smarter – verschleiern indes, was wir längst wissen: Dass im Automaten kein autonomer Geist steckt. Ein Sprachverarbeitungsprogramm wie ChatGPT greift per Prompt lediglich auf das zu, was einst als Gemeingut ins Internet wanderte. Mit den ersten Digitalisierungsoffensiven im vergangenen Jahrhundert hat die schleichende Mobilmachung von Nutzerdaten begonnen, heute zählen CEOs wie Sam Altman zu ihren bekanntesten Profiteuren. Um dem „General Intellect“ erneut zu überantworten, was uns allen gehört, müssten wir mit den Maschinen auch die Daten, die sie antreiben, vergesellschaften. Davon sind wir derzeit noch weit entfernt.
Beitrag 2
Wer zerschlägt Google?
Von Michael Hopp, Hamburg
Künstliche Intelligenz aus marxistischer Sicht ist ein leichtes und ein schweres Thema zugleich. Leicht, weil auf den ersten Blick offensichtlich ist, dass auch bei dieser grundlegenden Technologie das Eigentumsverhältnis die am Ende entscheidende Barriere ist, um die Inbesitznahme und Kontrolle durch die Gesellschaft zu verhindern, mit allen negativen Folgen und dystopischen Wahrscheinlichkeiten.
Nicht so leicht, weil das „Eigentum“ keine klassischen Produktionsmittel sind, sondern eher die technische Infrastruktur für eine Dienstleistung, und die daraus erfolgende Wertschöpfung nach einer anderen Logik erfolgt als bei der kapitalistischen Produktion von Waren. Zudem ist das Produkt, die Digitalität, zu einer Infrastruktur wie Wasser und Elektrizität geworden, die uns alle zu Kunden und Nutznießern macht, über die Klassengrenzen hinweg, mit sehr viel abhängig machender „Vernebelung“ des Gehirns, da sich ja die Gesellschaft ohne Digitalität gar nichts mehr zuzutrauen scheint.
Die „Künstliche Intelligenz“ ist in dem Zusammenhang nichts anderes als ein neues Produkt im digitalen Sektor (noch mehr Daten, noch mehr Logarithmen, noch mehr Strom-Verbrauch), das zuletzt die erdrückende Vormacht der amerikanischen Digitalkonzerne nach Börsendaten von 2024 deutlich weiter ausgebaut hat. Acht der zehn wertvollsten Unternehmen der Welt stammen heute aus den USA, der Börsenwert allein von Microsoft ist 77 Prozent höher als der aller DAX-Unternehmen zusammen. Die von Marx prophezeite, als Folge des Wachstums relativ schnell eintretende Überakkumulation scheint für diese Unternehmen kein Thema zu sein, weil sie mit einem Rohstoff handeln, der einen praktisch unendlichen, sich wie von selbst vergrößernden Angebots (Daten)- und Absatzmarkt (Dienstleistungen) hat, der sich für sehr geringe Kosten bzw. über die Kostenbeteiligung Dritter und jedes einzelnen Konsumenten bedienen lässt.
Dass eine Technologie, die auf das Leben jedes einzelnen Einfluss nimmt, in den Händen einer Handvoll von Superkapitalisten liegt, ist eine Entwicklung, die sich niemand gewünscht hätte, außer diese selbst. (Es kam so harmlos-freundlich angeschwemmt alles, das Silicon Valley wirkte zunächst wie die Fortsetzung der Hippie-Zeit mit anderen Mitteln.) Und dass eine zentrale Infrastrukturleistung (vergleichbar Wasser, Strom, Bildung) ausschließlich in privaten Händen ist, ist etwas, das Demokratie strukturell aushebelt – dies umso mehr, wenn man noch die Manipulativkraft mit einbezieht, die digitale Kommunikation auszeichnet. Ein Faschismus lässt sich mit KI ohne Zweifel leichter einführen, die angestrebte digitale Verwaltung Amerikas ist unter Trump ein Schritt in diese Richtung.
In Europa wird von einer Zerschlagung Googles phantasiert, aber niemand weiß, wie das gelingen könnte und wie weit die Hersteller überhaupt ein Gegenüber bieten für diese Auseinandersetzung. Für Strafzahlungen haben sie jedenfalls immer genug Geld in der Tasche. Wie bei jeder Technologie hängt es auch bei der KI davon ab, von wem und wie sie genutzt wird. Sie ist keine „unsozialistische“ Entwicklung, im Gegenteil, sie könnte für mehr Beteiligung und mehr Mitbestimmung über das „was“ und „wie“ des Produzierens, des Forschen und des Lernens genutzt werden. Wir stehen heute einem Ultra-Kapitalismus mit faschistischer Tendenz gegenüber, auf die der klassische Klassenkampf noch keine Antworten gefunden hat bzw. vielleicht auch gar nicht kann. Streiken geht schon mal nicht, denn nur Dank Meta und sogar Elon Musks X kann ich Ihnen, verehrte LeserInnen, diesen Text zur Verfügung stellen.
Die Hoffnung für die Menschen ist, dass die Technologie nun mal in der Welt ist und sie auch von ihnen in ihrem Sinne genutzt werden kann. Um aber die enormen heutigen Risiken zu begrenzen, führt kein Weg daran vorbei, mit politischen Mitteln die Macht der Konzerne anzugreifen. Wie das geht? Fragen wir mal die KI.
Beitrag 3
Eigentum verändert sich nicht durch Technologien
Von Tobias Reichardt, Hamburg
Die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz, die in letzter Zeit an Fahrt aufgenommen und einen Hype ausgelöst hat, stellt zunächst einmal eine Produktivkraftentwicklung dar. Die Entwicklung der Produktivkräfte hat Marx nachdrücklich begrüßt, sie ist für ihn Basis jedes gesellschaftlichen Fortschritts und jeder Emanzipation. Auf ihrer Grundlage leben die Menschen besser und länger. So kann auch die KI dazu beitragen, Arbeitszeit einzusparen, etwa für die Erstellung von Texten, Programmen oder Bildern, für Übersetzungen oder für Recherchen. KI erlaubt es, große Datenmengen zu bearbeiten, die menschliche Arbeitskraft ohne Hilfsmittel nur mit extrem hohen Aufwand oder gar nicht bewältigen könnte. So können mit Hilfe von KI in der Medizin durch Verarbeitung großer Datenmengen, die den Horizont des einzelnen Arztes bei weitem übersteigen, Krankheiten erkannt werden, die sonst unerkannt blieben. Insofern handelt es sich um eine neutrale Technologie, die bereits im Kapitalismus vielen Menschen nützen wird. Sie kann auch in einer nichtkapitalistischen Weise und zum Wohl aller eingesetzt werden. Gleichzeitig wird KI für fragwürdigere Zwecke wie die effektivere Kriegsführung herangezogen. Auch hierin ist die Technik neutral, sie kann für gute oder schlechte Zwecke, für Verteidigung oder Eroberung eingesetzt werden.
In anderem Sinne ist die Technologie nicht neutral. KI folgt immer den ihr eingepflanzten Algorithmen, die wiederum der bestehenden kapitalistischen Gesellschaft entstammen. Sie „diskriminiert“ und hat „Vorurteile“. So wird die in einem Kreditinstitut verwendete KI schnell lernen, dass es „schlechtere“ Wohngegenden gibt, deren Bewohner ihre Kredite im Durchschnitt seltener und zögerlicher zurückzahlen als die Bewohner anderer Viertel. Vielleicht findet sie heraus, dass ähnliches auch für Menschen bestimmter Herkunft gilt. Ob dies eine legitime Verallgemeinerung von Erfahrungswerten oder eine verwerfliche Diskriminierung ist, ist eine politische Entscheidung, die – KI hin oder her – von Menschen getroffen werden muss. Es ist von KI nicht zu erwarten, dass sie solche erkannten Muster daraufhin hinterfragt, welche sozialen Verhältnisse hinter ihnen stecken und ob diese sozialen Verhältnisse möglicherweise kritikwürdig und veränderbar sind.
Eine Gefahr liegt hier darin, dass Ergebnisse von KI, insbesondere wenn man mit ihrer Arbeitsweise nicht vertraut ist, als objektive Wahrheit erscheinen, da sie ja von einer „überlegenen Intelligenz“ ausgeheckt wurden, und die darin steckenden menschlichen Handlungen und Entscheidungen nicht mehr gesehen werden. Man könnte hier mit Marx von einer „Entfremdung“ sprechen, insofern das eigene Produkt den Menschen als ein fremdes und unverstandenes gegenübersteht.
KI hat nur wenig mit Intelligenz zu tun. Sie ist ein kompliziertes, hochgradig arbeitsteilig erstelltes und nur schwer noch zu durchschauendes Hilfsmittel für menschliche Intelligenz. Wie so oft wird auch dieser technologische Trend mit Erwartungen überfrachtet: So wird KI bisweilen zugeschrieben, Diskriminierung und Hierarchien aufzuheben, Empathie zu fördern (!) und Inklusion in ganz neuem Umfang zu ermöglichen. Solchen Versprechungen gegenüber ist ebenso kritische Distanz zu bewahren wie gegenüber der Befürchtung, die KI werde demnächst nach der Weltherrschaft streben. Soziale Hierarchien ergeben sich für Marx letztlich aus den Eigentumsverhältnissen. Diese ändern sich aber nicht durch neue Technologien. Wie jede andere Technologie ist der Einsatz von KI gesellschaftlich zu kontrollieren. Sie bedarf der bewussten politischen Gestaltung, des reflektierten und gemeinwohlorientierten Gebrauchs. Das Kapital setzt sie – wie sollte es anders sein – für die Steigerung von Profit ein – ohne Rücksicht auf die Folgen für die betroffenen Menschen. Hier bedarf es des politischen Gegengewichts durch eine kritische Linke und innerhalb des kapitalistischen Betriebs durch die Organe der betrieblichen Mitbestimmung.