Das Thema Ungleichheit-Und-Warum-Nichts-Dagegen-Geschieht und auch die Linke nicht so recht was anfangen kann damit im Moment, war im MACBlog schon öfter angesprochen und wird auch weiterhin vorkommen.
Eine Quelle der Inspiration war für den MAC sicher die MASCH-Lektüre zum Klassiker von Thomas Piketty, „Das Kapital im 21. Jahrhundert“, der in einer grossen Untersuchung nachwies, dass in den westlichen Industrienationen das Kapital auf Kosten der Allgemeinheit wächst, immer schon, sozusagen, und zuletzt noch mit erhöhter Dynamik und Geschwindigkeit.
Piketty kommt auch heute im Blog vor, als Unterzeichner der „Berliner Deklaration“ der Denkfabrik „New Economy“, in der 70 Forscher aus aller Welt, keineswegs nur deklariert linke, mit deutlichen Worten dem Neoliberalismus abschwören. Ihr politisches Ziel ist es, die rechts- und linkspopulistischen Parteien anzugreifen und auf den Zorn der Wutbürger andere Antworten zu finden, als die falschen Versprechen von AfD, BSW & Co.
Dass die Linke bei dem Thema keinen Fuß in die Tür bekommt, wurde hier auch schon vielfach bedauert, als Ursache wurde – auch im Zusammhang mit dem ROTEN SALON mit Susan Neiman – die Wokeness vermutet, die den Blick von der sozialen Realität ablenkt.
Der Autor Jens Balzer hat mit „After Woke“ (Mattes & Seitz, Berlin) nun ein Buch herausgebracht, das eigentlich in MACBook besprochen werden sollte und sich damit beschäftigt, was von den Woke-Ideen sich vielleicht doch noch in eine linke Theorie und Praxis überführen liesse, etwa bestimmte, nicht alle, Sichtweisen des Postkolonialismus. Danach könne die Woke-Bewegung in die Ewigen Jagdgründe linker Moden übergehen, vergleichbar dem Verschwinden der Spontis. Allerdings haben es linke Moden so an sich, dass sie tiefe Furchen hinterlassen und das ist auch gut so. So wie die Linke nach den Spontis nie wieder war, wie davor.
Also, dieser selbe Jens Balzer hat in der Zeit einen Artikel zum 90. Geburtstag von Donald Duck geschrieben, auf den sich das Aufmacherbild und die Überschrift dieses Blogs beziehen. Seltsamerweise stellt Balzer die Frage gar nicht in seinem Artikel, vermerkt zwar das „jähzornige“ Wesen Donalds, interpretiert das aber nicht weiter. Schade, zumal auch der MAC jetzt nicht dazukommt. Die dazu unerzichtbare Quelle, nämlich Grobian Gans´ Standardwerk „Die Ducks. Psychogramm einer Sippe“ (rororo-Taschenbuch, nur mehr antiquarisch erhältlich) ist in einer Kiste mit Aufschrift „MAC Material“ vergraben, die zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Blogs nicht aufzufinden war.
Ist Donald jetzt Wutbürger? Nur geschätzt: Nein. Walzer hat recht mit dem Begriff „Jähzorn“, sicher war Donald auch ein cholerischer Erzieher seiner drei Neffen Tick, Trick und Track. Vielleicht war auch die Geschichte von Entenhausen (gegründet 1944) zu kurz, um sich auf ein greuliche Vorvergangenheit zu beziehen. Während des Zweiten Weltkriegs wurde Donald – wie viele seiner Kollegen auch – für amerikanische Propaganda gegen die Nazis eingespannt. 1943 erhielt er sogar den Oscar für „The Fuehrer’s Face“, einem Kurzfilm in dem er am nationalsozialistischen Deutschland verzweifelt.
Nachdem eine nur rhetorische Frage nun doch mit einigem Aufwand zumindest vorläufig beantwortet wurde … wird´s jetzt ERNST:
„Die Märkte allein werden weder den Klimawandel aufhalten noch zu einer weniger ungleichen Verteilung des Wohlstandes führen. Wir warnen vor einer Welt gefährlicher rechtspopulistischer Politik, die die wahren Gefahren nicht angeht.“
Aus: „Berliner Deklaration“, Manifest der Denkfabrik New Economy, verfasst u.a. von Dani Rodrik, Barry Eichengreen und Jean Pisani-Ferry.
In dem Manifest wird mit dem Neoliberalismus abgerechnet, genauer, mit dem sogenannten Washington Consenus, der seit vier Jahrzehnten den Vorrang von Privatisierung, weniger Staat und anderen marktliberalen Ideen predigt.
Unterschrieben haben 70 führende Forscher, bei weitem nicht nur linke Ökonomen wie Mariana Mazzucato oder Thomas Piketty, sondern auch der politisch nicht verortete Nobelpreisträger Angus Deaton oder Olivier Blanchard, Ex-Chefökonom des Internationalen Währungsfonds. Auch die Mitwirkung von Stormy-Annika Mildner, langjährige Abteilungsleiterin des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Henning Vöpel, Vorstand des liberalen Freiburger CEP-Instituts oder Daniela Schwarzer, Vorständin der Bertelsmann-Stiftung, sprechen nicht für eine von linken Forschern dominierte Initiative.
(Zitiert nach: Süddeutsche Zeitung, 24. Juli 2024)
„Plötzlich wirkt der Reichtumsbegriff viel frischer und viel vielfältiger.“
Ulrike Winkelmann, Chefredakteurin der taz, beobachtet, dass neuer Schwung in die Ungleichheitsdikussion kommt
Auf einem dieser Empfänge, mit denen sich der Medien- und Politikbetrieb in Berlin durch den Sommer hangelt, traf ich einmal Gerhard Schick. Der hatte Ende 2018 sein Grünen-Bundestags-mandat niedergelegt, um die Bürgerbewegung Finanzwende zu gründen, was ich bedauerte, denn linke Finanzexperten werden im Bundestag dringend gebraucht, also meckerte ich ihn an: Gerade mit einer Ampelregierung könne er doch wohl etwas bewegen! Er lächelte milde und sagte sinngemäß, er sei eigentlich ganz zuversichtlich, dass seine Arbeit auch außerhalb von Partei und Fraktion sinnvoll sei.
Diesen Sommer denke ich, dass er wahrscheinlich recht hatte. Die Berichterstattung über das ökonomische, ökologische und demokratische Problem, das der Überreichtum in Deutschland und anderswo produziert, hat sich enorm verstärkt, ist breiter geworden und gleichzeitig präziser. Das ist jetzt erst einmal meine Privatempirie (vielleicht fühlt sich für eine wissenschaftliche Erhebung jemand aus all den Medienstudiengängen angesprochen – das Semester fängt bald an!).
Aber die Zahl der Beiträge über die Vermögensteuer, eine wirksamere Erbschaftsteuer, eine globale Mindeststeuer, über alles Mögliche also, um der Vermögenskonzentration in wenigen Händen etwas entgegenzusetzen, ist doch auffällig.
Wie kann es sein, dass in Deutschland
Reichtum nicht messbar sein soll?
Auch Capital berichtet mit kritischem Unterton (sieh an, da schreibt ein Ex-taz-Kollege), dass gerade in Deutschland die Über-100-Millionen-Dollar-Superreichen in letzter Zeit noch reicher wurden (plus 10 Prozent in einem Jahr) und damit die bloß Ein-bis-fünf-Millionen-Dollar-Reichen (plus 5 Prozent im selben Jahr) weiter hinter sich lassen.
Die Berichtsanlässe liefern hierbei oft die „Wealth Reports” etwa der Boston Consulting Group – von dort stammen die eben zitierten Zahlen – oder auch von Oxfam. Anders aber als noch vor wenigen Jahren gibt es jetzt eine ganze Reihe von Organisationen, die sich zu solchen Routineterminen äußern und eigene Recherchen, Vorschläge und überhaupt ein paar Ideen beisteuern: Das Netzwerk Steuergerechtigkeit erwähnte ich letztes Mal an dieser Stelle, die abgabewilligen Erbinnen der Initiative taxmenow, aber auch Gerhard Schicks Bürgerbewegung Finanzwende gehören dazu.
Es sieht aus, als hätten diese Initiativen es vermocht, dem Thema endlich Leben einzuhauchen. Das bedeutet, dass die drängendsten Fragen sich herumsprechen: Wie kann es sein, dass in Deutschland Reichtum nicht messbar sein soll? Wer genau ist eigentlich diese Stiftung Familienunternehmen, die in Deutschland offenbar die Gesetzesvorlagen mitverfassen darf?
Auch der Sprachgebrauch und sein kultureller Resonanzboden werden aufgelockert.
Reiche, Superreiche, Überreiche – der ganze Reichtumsbegriff wirkt plötzlich ganz frisch und ist vielfältiger geworden. Seit Jahrzehnten grübeln die SoziologInnen, wie sich in Deutschland das Gerücht aus den 50er Jahren halten kann, man sei eine „nivellierte Mittelstandsgesellschaft” und irgendwie gleicher als das europäische Umland. Der Historiker Hans-Ulrich Wehler hat dazu mal gesagt, dieses immer schon falsche Selbstbild habe sein „Unterfutter” in den Jahren vor 1945: „Es gab eine erstaunliche Sehnsucht nach der Mitte, die auch von der Volksgemeinschaftsideologie angesprochen worden war.”
Ohne Reste dieser irrigen Vorstellung einer Mittelstandsgesellschaft in allzu vielen Köpfen hätte die Jahrzehnte währende Steuerverschonung der Vermögenden durch wechselnde Koalitionen nicht so gut funktioniert. Wenn diese ideologische Ära jetzt zu einem Ende kommen sollte, braucht’s nur noch eine handlungsfähige Regierung, um… – ach, Mist. Ich vergaß.
(Zitiert nach: taz, 17.-23. August 2024)
„Der Kapitalismus dient heute nur einer Minderheit!“
Angus Deaton, in Schottland geborener und an der US-Universität Princeton unterrichtender Wirtschaftsnobel-Preisträger, kritisiert die Vernachlässigung der Arbeiterklasse, aber auch die Einwanderung
Wie kommen Sie darauf, dass der US-Kapitalismus heute nur einer Minderheit dient?
Die Daten zeigen es. Jenen Amerikanern, die keinen Collegeabschluss haben, ist es in den vergangenen 50 Jahren schlecht ergangen. Wir reden von zwei Dritteln der Bevölkerung. Ihre Leben sind im Zuge der De-industrialisierung auseinandergefallen. Ihre Löhne sind gesunken. Sie sterben in einem Maß an Suiziden, Überdosen, Alkoholismus und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, wie wir es bei Menschen mit Studium nicht feststellen. Und die Zahlen steigen.
Sie und Ihre Frau, die Ökonomieprofessorin Anne Case, haben diese „Tode der Verzweiflung” nun mit neuen Daten unterfüttert: Wer nicht auf dem College war, lebte 2021 in den USA im Schnitt achteinhalb Jahre kürzer. Ist der Bildungsabschluss heute die entscheidende Trennlinie der US-Gesellschaft?
Ja, aber das müsste nicht so sein. Die US-Industrie hatte früher auch für ungelernte Arbeiter gute Jobs. Mich macht es wütend, wenn ich höre:Aber das BIP wächst doch! Was nützt das, wenn die Leute reihenweise sterben und sich ihre Leichen in den Straßen türmen, so wie es in den USA geschieht. Früher dachte ich, nur Grüne oder Wachstums-skeptiker reden so.
Der Abstieg der amerikanischen Arbeiterklasse begann um das Jahr 1970 herum. Was ist damals passiert?
Vieles. Der Vietnamkrieg lehrte die Menschen, ihrer Regierung zu misstrauen. Die Produktivität wuchs langsamer, sodass es weniger zu verteilen gab. Die Gewerkschaften verloren an Macht, zugunsten von Kon-zernen. Google gibt heute so viel Geld für Lobbyismus in Washington aus wie alle Gewerkschaften zusammen. Die Arbeiterklasse wurde so praktisch ihrer Möglichkeit beraubt, politischen Einfluss zu nehmen.
Fast niemand im US-Kongress vertritt mehr ihre Interessen. Nur 23 von 535 Kongressmitgliedern haben kein Studium. Aber man kann ein Land nicht mit Studierten regieren.
Sie glauben, dass Einwanderung die Ungleichheit fördert, weil es die Löhne drückt. Wie kommen Sie darauf?
Ganz einfach, wenn das Angebot steigt, sinken die Preise – auch wenn wir nicht wis-sen, um wie viel und der Effekt gering sein könnte. Viele US-Arbeitgeber bekämpfen alle Versuche, die Einwanderung zu regu-lieren. Das hat einen simplen Grund: Sie mögen billige Arbeitskräfte. Schlimmer noch, illegale Einwanderer lassen sich zu niedrigen Löhnen beschäftigen und bedro-hen, falls sie versuchen, sich zu beklagen. Es gibt diese unheilige Allianz zwischen Arbeitgebern und Linken, die Einwanderung nicht zu beschränken.
Einwanderer arbeiten als Küchenhilfen, Putzkräfte, Bauarbeiter. Sie machen jene Jobs, die Amerikanern zu schmutzig sind.
Unsinn! Wären die Löhne höher, würden Amerikaner diese Arbeit sehr wohl ma-chen. So war es um 1970, als es in den USA viel weniger Einwanderer gab als heute. Und selbst wenn es stimmt, dass Einwanderer aus purer Verzweiflung jeden noch so herabwürdigenden Job annehmen, ist das aus moralischer Sicht problematisch. In jedem Fall erhöht es die Ungleichheit, weil es den Niedriglohnsektor schafft und vergrössert.
Sollten die USA keine Einwanderer mehr ins Land lassen, so wie Trump das vorhat?
Ich weiß es nicht und kann Ihnen heute nicht sagen, welche Politik ich befürworte. Ich habe darüber nicht genug nachgedacht.
(Zitiert nach: Süddeutsche Zeitung, 5. September 2024)
Was ist links heute III.
„Ist es es wirklich die letzte Chance für Linke, dass sie im Reden und Handeln kaum noch von Rechten zu unterscheiden sind?
Die Wochenzeitung Die Zeit stellt Überlegungen an, wie denn heute ein linker Politiker aussehen müsste:
Das BSW übt sich derweil vor allem in Wagenknechts Spezialdisziplin: Ressentiments erkennen und verstärken. Klassisch linke Forderungen (gute Renten, höhere Löhne) hat sie zwar noch im Programm, aber, ihren Fokus richtet die neue Partei vor allem aufs Dagegensein. Gegen Elektroautos und Wärmepumpen, gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und überhaupt gegen alles, was die Regierung so beschließt. Gesellschaftlich gibt es für diese Art der Wutpolitik durchaus eine Nachfrage.
Aber ist es wirklich die letzte Chance für Linke, dass sie im Reden und Handeln kaum noch von Rechten zu unterscheiden sind?
Wie es anders gehen könnte, lässt sich derzeit – ausgerechnet – in den USA beobachten. Hier gibt es eine linke Partei, die ihre inneren Widersprüche für den Moment beiseiteräumt, die auf gekonnte Weise machtorientiert und diszipliniert agiert und die insbesondere in der Figur des running mate Tim Walz einen Archetyp für moderne linke Politik entwickelt hat: Ein Mann, der in seiner Freizeit Fasane jagt und sich als Gouverneur für die Rechte von Transmenschen eingesetzt hat. Ein Gewerkschafter, der für das Recht auf Abtreibung kämpft. Ein Foot-ballcoach, ein Ex-Soldat, ein Autoschrauber, der linke Politik betreibt, ohne dass sie besonders links daherkommt, sondern schlicht: vernünftig.
(Zitiert nach: Die Zeit, 28. August 2024)
Was war links damals II.
Der Pazifismus hatte es in der Bundesrepublik selten so schwer wie heute.
Wenn das Bundesverfassungsgericht heute entscheiden würde, dass der Satz „Soldaten sind Mörder” nicht strafbar ist -der Protest wäre lauter als im Jahr 1995, als Karlsruhe dieses Straflosigkeitsurteil fällte.
Die höchsten Richter stellten sich damals nicht hinter diesen Satz; sie teilten nicht die Aussage, sondern sie schützten den, der sie macht, vor strafrechtlicher Verfolgung – nicht mehr, nicht weniger.
Wären nur solche Meinungen von der Meinungsfreiheit geschützt, die von der Mehrheit geteilt werden, dann müsste die Meinungsfreiheit künftig Mehrheitsmeinungsfreiheit heißen.
Es mag sein, dass der Satz heute, in der Kriegstüchtigkeitsrenaissance, die Mehrheit so aufbringt wie damals, 1931, als Kurt Tucholsky ihn formulierte. Aber selbst damals kam das Kammergericht Berlin im folgenden Jahr zu einem Freispruch: Straffrei bleibt, wer sich mit dem Krieg als solchem und seiner verrohenden Dynamik auseinandersetzt.
Text von Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung, 30. August 2024