Was ist links heute I.
Zu den Waffeln, Genossen
Das Clipping lag schon ganz unten im Stapel des MAC, jetzt sollte es doch noch nicht in die Rundablage, alter Bürowitz, haha. Leon Holly, Volontär bei der taz, schrieb für die wochentaz-Ausgabe am 17. August einen auf den ersten Blick sympathischen, ehrlichen Artikel mit dem Titel „Zu den Waffen, Genossen“. Er erklärt darin, wie es mit der eigenen, in letzter Zeit von der Politik beharrlich geforderten „Wehrhaftigkeit“ stünde – in Antwort auf einen viel beachteten Text des marxistischen Autoren Ole Nyomen (Podcast „Wohlstand für alle“), der davor in der „Zeit“ erschienen war. Unter der Überschrift „Ich für Deutschland kämpfen? Never“ schrieb Nyomen, dass er nicht bereit sei, für den deutschen Kapitalismus das Sturmgewehr in die Hand zu nehmen, ja eigentlich „für fast gar nichts“. Vaterlandsverräter! Die Leser der „Zeit“ fanden das nicht so lustig.
Leon Holly schreibt, dass auch er den Krieg nur aus Büchern kenne und seine eigene „Kriegstüchtigkeit“ bezweifle – aber eben auch nicht „abhauen“ wolle. Mit einigen gut ausgewählten historischen Bezügen definiert er dann Krieg als Kampf nicht „für“, sondern „gegen etwas“, also etwa eine Invasion und in dem Zusammenhang den Schutz derer, die sich nicht selbst verteidigen können, wie Alte und Kinder. Er sieht aber auch Ziele, für die es sich bewaffnet zu kämpfen lohnt, in Deutschland die liberalen Grundrechte oder das Sozialstaatsgebot im Grundgesetz. Zitat: „Vor allem wenn die Alternative der reaktionäre russische Mafiakapitalismus ist, der nicht davor zurückschrecken würde, auch „Zeit“-Journalisten aus dem Fenster fallen zu lassen, queere Menschen in Berlin zu verhaften und – wenn der Kiewer Stadtteil Butscha als Beispiel dienen darf – Zivilist:innen in Potsdam massakrieren zu lassen.“ Ein weiteres, zutreffendes Argument führt Leon Holly an: „Auch die sozialistische Utopie müsste sich vielleicht eines Tages im Verteidigungskrieg wehren.“
Auf der Briefe-Seite der taz eine Woche danach formulierte Florian Suittenpoitner aus Köln den interessanten Einwand: „Ich halte das ganze für eine Scheindebatte, für Desinformation oder bestenfalls für naives Geplapper, denn postmoderne Kriege auf der Ebene großer Industriestaaten werden nicht von bewaffneten Individuen geführt – es sei denn als symbolisches Kanonenfutter.“
Symbolisch? Der Krieg in der Ukraine hat auf ukrainischer Seite zwischen 15.000 und 30.000 Opfer gefordert, auf russischer eher noch mehr. Das sind keine Zahlen wie in den beiden Weltkriegen, aber es gab eine Zeit, als wir sagten, jeder Kriegstote ist einer zu viel. Krieg ist Töten und Ermorden. Und wäre Leon Holly auch zum Töten und Ermorden von Menschen bereit, hat er sich das überlegt? In seinem Text zeigt er ein abstraktes, ideologiegeleitetes Verständnis vom Krieg, das den Tötungsfall ausblendet – vielleicht irgendwie ähnlich der Erfahrung, die man bei Shooter-Spielen macht.
Krieg wird in diesen Vorstellungen als Politik mit anderen Mitteln gesehen – und nicht mehr als das, was er ist, als GAU der Politik, Skandal, Monstrosität, Obszönität. Und daher auch nicht als etwas, das sofort zu beenden ist – aus dem einzigen Grund, das Sterben zu beenden.
Was ist links heute II:
Kowalczuk und seine Fehlleistungen
Der streitbare (ja!) Berliner Historiker Ilko Sascha Kowalczuk muss in diesem Blog nicht näher vorgestellt werden, eine ganze Reihe von Blogposts beschäftigten sich mit seiner zweibänden Walter Ulbricht-Biographie, in Vorbereitung eines ROTEN SALON HAMBURG im Mai, der aus gesundheitlichen Gründen abgesagt wurde – und nun am 25.11. nachgeholt wird.
Mit dem soeben erschienen „Freiheitsschock“, einem viel schmaleren Band, der eine „andere Geschichte Ostdeutschlands von 1989 bis heute“ erzählen will, hat Kowalczuk kurz vor den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg nun ein echten Bestseller gelandet, mit einer enormen Präsenz auf allen nur denkbaren Medienkanälen. Seine Beschreibungen einer ostdeutschen Mentalität sind im Moment als Erklärung für die Erfolge der AfD in den Ländern super gängig.
Im Buch selbst, aber auch in Interviews verbindet Kowalczuk stimmige Analysen der Stimmung in Ostdeutschland immer wieder mit Ausfällen gegenüber „linker Ideologie“, die weit unter dem Niveau seiner sonstigen Ausführungen sind und sich eher für den rechten Stammtisch eignen. Und in den Medien werden auch diese gerne mitgenommen, diese vielleicht sogar am liebsten. Hier ein Zitat aus „Freiheitsschock“, das den Linken-Fresser Kowaclzuk zeigt:
„Aber auch linke Extremisten argumentieren, wenn auch unter anderen Vorzeichen, sie strebten die „wahre“ und „echte“ Demokratie und Freiheit an. Anders als rechte Extremisten können sie sich dabei auf theoretische Arbeiten und einige Klassiker der Revolte stützen, die ihnen in ihrer Annahme, nur soziale Gerechtigkeit, womöglich sogar soziale Gleichheit garantiere „echte“ Demokratie, garantiere Partizipation für alle und damit „echte“ Freiheit, zur Seite stehen. Die linke Idealisierung sozialer Gleichheits- und Gerechtigkeitsversprechen droht stets in extremistische Annahmen und Forderungen zu kippen – und in der historischen Realität tat sie es jedenfalls überall dort, wo Kommunisten an die Macht kamen (und sie nirgends demokratisch, sprich durch freie Wahlen wieder abgaben). Linke reden ungern über Freiheit, ohne sie zu relativieren.“ (Freiheitsschock, Seite 16, 17)
Uff. Das ist so ziemlich wörtlich, vielleicht ein bisschen eloquenter formuliert, was dem MAC von seinen Nazi-Schuldirektoren und von seinem Kleinunternehmer-Vater vorgehalten wurde, als er sich im Wien der 70er Jahre der Sektion IV. von „Spartakus“ angeschlossen hatte. Kowalczuk sollte sich zu schade sein, für die Droge Aufmerksamkeit seine Reputation zu beschädigen. Aber er ist eben auch ein Popstar und bei denen ist es immer ein bisschen egal, was sie sagen …
Ilko-Sascha Kowalczuk, Freiheitsschock, C.H. Beck Verlag, München 2024, 22 €
Was war links damals I.
Nenning träumte vom deutsch-russischen Haus
Jetzt wird´s superspeziell. Der MAC hat beim „Neues Forvm“-Herausgeber Günther Nenning im Wien der 70er Jahre sowas wie linken Journalismus gelernt. 50 Jahre später: Der Münchner Designer und Zeitschriftenarchivar Horst Moser macht sich in einem Facebook-Post über eine Fehleinschätzung Nennings aus dem Jahr 1990 lustig, die sich ganz gut zum heutigen Zeitgeist in Verbindung bringen lässt.
Horst Moser leitet ein in Facebook:
Nennen wir es ein ›Problem‹. — — — Ich mag es nicht besonders, wenn Autoren darüber schreiben, welche Entwicklungen bevorstehen, was kommen wird — also: politische und gesellschaftliche Prognosen, möglicherweise unter dem Label ›alternativlos‹. Ein Problem besteht im vorliegenden Fall darin, dass ich den Günther Nenning (Doktordoktor) außerordentlich schätze. Sein Club 2 ist Weltkulturerbe. Allerdings schrieb Nenning 1990 eine angeblich »historisch begründete« Prognose:
»Michail Gorbatschow ist ein Machtgenie. In der Sowjetunion, oder was davon übrig bleibt, wird’s Gorbatschow sein — Auslöser der Revolution, Traumtänzer durch alle ihre Phasen, Endiger der Revolution. Sein Instinkt fürs Obenbleiben wird ihn sicher geleiten. Und die Leute werden froh sein, wenn, nach schätzungsweise zehn Revolutionsjahren, endlich wieder, um 2000, Ruhe und Ordnung herrschen. Deutschland und Rußland werden Hausherren sein im ›gemeinsamen europäischen Haus‹. Ihr ›gemeinsames Haus‹ reicht vom Atlantik bis zum Pazifik. Die USA, auf dem Weltmarkt ohnehin nachhinkend, werden auf Europa verzichten müssen. Gorbatschow wird weit ins neue Jahrtausend an der Macht bleiben.«
Tja, nicht 20 Jahre wie Nenning spekuliert, sondern zwei Jahre nach Veröffentlichung dieses Textes in „Tempo“ war Gorbatschow entmachtet. Nenning kannte logischerweise die amerikanische Brzeziński-Doktrin von 1997 (›The Grand Chessboard: American Primacy and Its Geostrategic Imperatives.‹) noch nicht, nach der von Carter bis Obama Geopolitik betrieben wurde. Einer der obersten Grundsätze lautet, dass Deutschland und Russland niemals zusammenkommen dürfen und dass Russland geschwächt werden muss. Der Ukrainekrieg und die Sprengung von Nordstream war ein grelles Lebenszeichen der Brzeziński-Doktrin. Autoren, merkt Euch bitte die Hunter S. Thompson-Journalismus-Doktrin: WAS. WER. WO. WANN. WIE. WARUM. (Ende Moser-Post)
Im „Geopolitischen“ mag Horst Moser recht haben, von New Journalism scheint er weniger zu verstehen. Dass der immer zugeknallte Thompson nach der „Wer-Wo-Was“-Regel vorgegangen sein soll, wäre dem MAC neu.
Aber ganz gleich, all das Gesagte führt doch schnurstraks zu der Journalismus-Diskussion, die wir im Herbst führen wollen, zB mit Lukas Meisner und seinem Buch „Medienkritik muss links sein“ im ROTEN SALON am 4. November in Hamburg. Jetzt buchen: www.roter salon hamburg
NACHLESE ZUM ROTEN SALON „DIGITALE GEGENMACHT“ AM 22. JULI 2024
Neu konfiguriert
Digitalisierung verändert die Formen gewerkschaftlicher Organisierung. BUCHTIPP Martin Oppelt, Falko Blumenthal u.a. „Digitalisierung von Gegenmacht“, Transkipt Verlag
Von Heike Langenberg, verdi news 04/2024
Zu Gewerkschaften gehören auch Grundgedanken wie Solidarität und Gemeinschaft. Nicht umsonst zählt seit 2014 auch das Singen der Lieder der deutschen Arbeiterbewegung zum immateriellen Kulturerbe der UNESCO. Doch wie sieht es mit diesen Grundgedanken im digitalen Zeitalter aus, das eher von der Vereinzelung bzw. von nicht persönlichen Treffen geprägt ist? Damit haben sich Martin Oppelt und Falko Blumenthal beschäftigt. In ihrem Buch haben sie Aufsätze verschiedener Autor*innen zu diesem Thema veröffentlicht. Sie sehen durchaus Chancen für die Gewerkschaften in der Digitalisierung, auch wenn diese ebenso wie Globalisierung und Neoliberalismus die Organisations- und Durchsetzungsfähigkeit von Gewerkschaften stark verändert hat. Aber diese Formen stärken auch die Kapitalseite. Wie also können Gewerkschaften weiter Gegenmacht organisieren?
„Die Digitalisierung in all ihren Facetten konfiguriert nun diese Machtressourcen neu“, schreiben die beiden Autoren in ihrem Vorwort. Dabei verweisen sie auf digitale und hybride Versammlungen, auf die Möglichkeit von Shit- und Candystorms, aber auch auf neue Selbstverständnis- se und Kulturen der Digitalität. Ein digitales Bürger*innenbewusstsein schaffe weitreichende Ansprüche auf Gestaltung und Mitgestaltung – und damit eine Brücke zu den demokratisieren- den Zielen der Arbeiter*innenbewegung.
Das müssen die Gewerkschaften auf verschiedenen Ebenen nutzen. So weist Johanna Wenckebach, ehemalige Wissen- schaftliche Direktorin des Hugo- Sinzheimer-Instituts der Hans- Böckler-Stiftung, auf die Möglich- keiten der Mitbestimmung von Betriebs- und Personalräten hin. Sie müssten dafür sorgen, dass die Einführung und Nutzung von algorithmischen Systemen ohne erhöhte Arbeitsintensität und zu- sätzliche Überwachungsmöglichkeiten der individuellen Rechte der Beschäftigten vor sich gehe. Die Gewerkschaften kämpfen daher auf politischer Ebene für zeit- gemäße Mitbestimmungsrechte.
Am Beispiel von überwiegend digital organisierten Arbeitskämpfen wie etwa beim Lieferdienst Gorillas zeigen die Wissenschaftler Janis Ewen, Heiner Heiland und Martin Seeliger, worin Stärken und Schwächen liegen können. ver.di-Mitglied Tim Laumann beschreibt, wie Unternehmen versuchen, ihre Lieferketten zu sichern, indem sie große Datenmengen aus den Sozialen Medien nutzen, um zum Beispiel Streiks vorherzusagen – und damit umgehen zu können.
Martin Oppelt, Falko Blumenthal, Digitalsierung von Gegenmacht, Transkipt Verlag, Bielefeld 2023, 22 €, auch als PDF erhältlich
Er wird ja demnächst im Roten Salon auftreten. Da können, ja müssen wir ihn mal drauf ansprechen.
Das Kowalczuk hört sich tatsächlich so als, als würde er jede Betonung von sozialer Gleichheit oder Gerechtigkeit als Extremismus-verdächtig abqualifizieren. Alles Linke wird unter Verdacht gestellt. Dabei hatte ihn bisher politisch immer so bei SPD oder Grünen verortet. Das hört sich aber eher nach CDU/FDP oder sogar AFD an.
Das nicht – man kann seine Einstllung leicht nachlesen, bei dem, was er in Social Media macht oder im neuen Buch.
Er bekennt sich da als Popper-Fan. Da er so viel kommuniziert, ist bei ihm alles ganz offensichtlich. Ich hatte ihm im Blog auch schon mal angegriffen und ja auch seine antikommunistischen Parolen in die Zitate-Kacheln genommen. Also wir sollten damit einen ganz offenen Umgang haben.