Rückkehr der Missionarsstellung

Über die Herstellung dieser Texte

Im Surrealismus gab es den Begriff des „automatischen Schreibens“, der mit der Theorie des Unbewussten verknüpft ist. Gemeint ist eine „Stimme“, die durchlässig ist für Emotionen und Haltungen und die Perspektive verändert auf bereits schriftlich fixierte Inhalte. Bei der Autorin Friederike Mayröcker bewirkt dieser „Strom des Bewusstseins“  die Verwandlung geschriebener Texte in vielstimmige Hörspiele. Im Falle des MAC geht es um die Durcharbeitung von aktuellen Zeitungsausschnitten, die im Sinne einer teils geplanten (Beschaffung der Zeitungen), teils  intuitiven Cut-Up-Technik (Anzeichnung und Anordnung der „Clippings“) angeregt wird.
Ziel ist ist eine Quellen-basierte Bewusstseinserweiterung und damit Erweiterung der Handlungsfähigkeit, für den Autoren selbst und in Folge für seine LeserInnen  – die herzlich eingeladen sind, den Blog durch ähnlich entstehende Beiträge zu bereichern.

Die Schreibtechnik selbst strebt ein möglichst direktes Protokollieren  (gleich einer technischen Aufzeichnung) der inneren Stimme an – durch schnelles, ungeschütztes Schreiben (eher ein Hintippen)  in „Schüben“ (längere Passagen ohne Korrektur-Unterbrechungen) und Beschränkung auf die notwendigsten (Verständlichkeit) Korrekturvorgänge. In diesem Am-Ende-doch-Aufpimpen der Texte liegt aber die Gefahr der Verlogenheit, sich selbst und der Lesegemeinde gegenüber.

Mehrfach hat der MAC hier schon auf den großen Autoren und Blogger Rainald Götz Bezug genommen, den er auch schon mal als „grossen Gott der Blogger“ beeichnet hat, sich selbst dagegen als „kleinen“. Offengelegt ist damit der Bezugsrahmen, in dem sich der MAC Blog bewegt, so wie die Darlegung der Schreibtechnik an dieser Stelle  eventuell auch eine Freilegung der allgemeinem Schreibtechnik bei Blogs bedeutet.

Allerdings will der MAC auch nicht verheimlichen, bisher kein Interesse an Theorie und Praxis des BLOGS gezeigt zu haben, in keinem diesbezüglichen Zusammenhang zu stehen oder ihn anzustreben und auch keine sonstigen Blogs zu lesen, mit der einzigen Ausnahme der in „Abfall für alle“ und „wrong“ (beide Suhrkamp) enthaltenen Blog-Texte von Rainald Goetz. 
In dieser Einschränkung mag sich verraten, wie eng Gespräch und Selbstgespräch beim MAC beeinander liegen, man könnte auch sagen, durcheinanderkommen.

Anregung: Friederike Mayröcker, zitiert in einem Artikel der taz, Donnerstag, 19.12.24, zum Erscheinen neuer Gedichtbände im Suhrkamp Verlag

VW, Tesla, KTM:  Das Jahr der Arbeitskämpfe, die keine Klassenkämpfe sein wollen

Es gibt „die Linke“, der Begriff ist hier absichtlich unscharf gesetzt, gemeint sind die Teilnehmer von „Das Kapital“-Lesekreisen in der MASCH bis hin zur so genannten Partei, die um ihren Verbleib in den Parlamenten kämpft – und es gibt die realen Arbeitskämpfe
Diesen Eindruck gewann der MAC in diesem Herbst, als er sich in „der Linken“ bewegte und gleichzeitig die Berichte über die „VW-Krise“, die Streiks bei Tesla oder die Schließung des österreichischen Motorradherstellers KTM wahrnahm und ihm dabei schmerzhaft bewusst wurde, das zwischen beiden Sphären so gut wie kein Zusammenhang besteht.
Die Anlässe werden in der Linken eher weniger wahrgenommen als in der allgemeinen Öffentlichkeit und ihren Medien, die Berichterstattung in der linken Presse kommt eher peripher daher, es werden dafür keine besonderen Ressourcen mobilisiert, wie es ihrem Gewicht angemessen wäre.
In den Lesekreisen, an denen der MAC teilnimmt, ergab sich zumindest die Gelegenheit des  ansatzweisen Abgleichs der Arbeitskampf-Realität mit den Schriften von Marx, ansonsten war nicht zu bemerken (kommt vielleicht noch), dass die realen Klassenkämpfe zur Bildung oder Weiterentwicklung von politischer Theorie genützt würden, was die erste und vornehmste Aufgabe „der Linken“ wäre.

Der sechswöchge Arbeitskampf bei VW in Wolfsburg mit seinen Großkundgebungen, bei dem es im ersten Schritt um den Abbau von 35.000 Arbeitsplätzen geht, ist in der Geschichte der deutschen Tarifauseinandersetzungen ein singuläres, spektakuläres Ereignis mit hoher Symbolwirkung für die aktuelle Lage des deutschen Kapitalismus. Insofern rappelt es im Stream des MAC.

Die knapp vor Weihnachten erzielte Tarifeinigung mit der IG-Metall wurde nach sechs Wochen von VW-Gesamtbetriebsrätin Daniela Cavallo als „solidarisch“ bezeichnet, was zu bezweifeln wäre. Mehr als 35.000 Beschäftige werden bis 2030 ihre Stelle verlieren, die verbliebenen 95.000 dürfen erst nach sechs Nullrundenjahren wieder Lohnverhandlungen führen. Standort-Schliessung wurden „vorerst“ aufgeschoben, mit Ausnahme von Osnabrück, wo das Werk aufgelöst und voraussichtlich veräußert wird. Der „Erfolg“ der Tarifeinigung ist allerdings teuer erkauft.
„Die 1,5 Milliarden Euro jährlich, die die rund 140.000 Arbeitnehmer leisten sollen, sind ein verdammt hoher Beitrag für die Zukunft von VW. Dass der Vorstand damit strotzt, er und das Management würden sich überproportional an der Kostenreduzierung beteiligen, ist ein Witz. Zehn Prozent weniger für die VW-Oberen für die kommenden zwei Jahre wirkt zwar auf den ersten Blick viel. Aber damit verdienen Vorstandsmitglieder immer noch das Hundertfache oder mehr des Durchschnittslohns bei VW“, schreibt Pascal Beucker in der taz vom 24./25./26. Dezember.
Keinen Beitrag leisten wollen die Eigentümer-Familien Piech und Porsche, die allein im vergangenen Geschäftsjahr 4,5 Milliarden aus dem Konzern entnahmen.

Irgendwie fühlt sich das schon nach Klassenkampf an, sagt die innere Stimme des MAC, allerdings nach einem, der scham- und sprachlos und ohne mindestens einen Vorwand zu formulieren, von oben geführt wird, während die „Arbeitnehmer-Seite“ der Inszenierung der Gewerkschaft zu folgen schien, die im Tarifkampf Opfer geringer halten will, aber darauf verzichtet, klassenpolitisch Terrain zu gewinnen. Die Arbeiter sind in diesem Bild nicht mehr als zu beschützende Opfer der als gegeben und naturhaft angenommen ökonomischem Umstände, nicht aber das Subjekt der Geschichte, wie es einer aus Arbeitnehmern (die ja in Wirklichkeit Arbeitgeber sind) entwickelten Arbeiterklasse zukäme.

Dem Daten-gestützen Bewusstseinsstrom folgend sind es mehrere, gravierende Faktoren, die den Übergang vom Arbeitskampf zum Klassenkampf verhindern bzw. vielleicht sind es, etwas bescheidener angesetzt, zunächst nur Fragen, die aufgeworfen werden können :

Entwicklung der Produktivkräfte – dieses magische Stichwort bei Marx entfaltet auch hier seine Wirkung. Bei Marx ist der Kipp-Punkt zur Beendigung des Kapital-Arbeit-Verhältnisses erreicht, wenn das Kapital in die Phase der Überakkumulation tritt und die Produktivkräfte (zu denen die „Arbeitnehmer“ gehören) so weit entwickelt sind, dass sie selbst die Kontrolle über die Produktion übernehmen können. Nun zählen die VW-Arbeiter wahrscheinlich zu den best ausgebildeten Industriearbeitern der Welt – warum können sie den Laden nicht, oder Teile davon, in Selbstverwaltung übernehmen?

Warum fehlt dazu so sehr das Selbstvertrauen, dass eine solche politische Forderung im Arbeitskampf nicht nur nicht angesprochen wurde, sondern tatsächlich unaussprechlich erscheint, obwohl es doch ein fundamentaler und natürlicher Ansatz wäre. Zwar werden dem Management Fehler vorgeworfen, die Eigentümer-Familien, die sich auch keinewegs mit strategischer Weitsicht hervortun, bleiben im Götterstatus, Kritik und Gegenwehr sind nicht vorgesehen.  Warum? (Der Umstand der Überakkumulation scheint in der Verflechtung mit China, wo sich das Versprechen ewigen Wachstums für den deutschen Hersteller nicht mehr erfüllt, gegeben zu sein.)

size=708x398
Arbeitskampf auch bei Elson Musk´s Tesla. Mehr Innovation schafft keineswegs bessere Bedingungen für die Arbeiter, absolut das Gegenteil ist der Fall

Innovation und Arbeiterklasse – über dieses Verhältnis muss dringend nachgedacht werden. Zu Zeiten von Marx gab es den Begriff Innovation in der Form noch nicht, allerdings spricht er über die  «Entwicklung der Maschinerie», der erst eintrete, wenn die «große Industrie schon höhre Stufe erreicht hat und die sämtlichen Wissenschaften in den Dienst des Kapitals gefangengenommen sind; andrerseits die vorhandne Maschinerie selbst schon große Ressourcen gewährt» *)
Die in den „Dienst des Kapitals genommene Wissenschaft“ ist  heute ein  weltweitetes Geflecht aus internen Entwicklungsabteilungen, Hochschulkooperationen und externen Start-Ups und Entwicklertruppen, auf das sich Unternehmen im Wettbewerb um Innovation stützen.
Wie Innovationen (am liebsten immer so disruptiv wie die Dampfmaschine oder das Handy) entstehen, daraus ist heute eine eigene Wissenschaft geworden, die mit verschiedenen Modellen experimentiert.

Die akademische Grundierung dieses Milieus (die nichts aussagt über die Arbeitsverhältnisse) schafft einen künstlichen Widerspruch zu den Beschäftigen in der Produktion, der aber über einen erweiterten Begriff der Arbeiterklasse, wie er im Marxismus auch zu finden ist, aufgehoben werden könnte. Der angestellte Entwicklungsingenieur bei VW ist keiner grundsätzlich anderen Lage als der Facharbeiter in der Halle.
Dennoch, die Kluft zwischen den Arbeitern und denen, die im Innovationsprozess involviert sind, könnte grösser nicht sein.
Das schwächt die Arbeiter-Seite in einem Arbeitskampf, der auch aus dem Grund geführt wird, dass das Unternehmen in die Defensive geraten ist, weil es an einer Innovationsschwäche leidet, in den Bereichen Software und E-Mobilität, vor allem gegenüber dem Weltmarkt-Konkurrenten China, der mehr Innovation zu geringeren Kosten hervorbringt. Im Bewusstsein führt dies bei den Arbeitern zum Teil zu konservativen, dem technischen Fortschritt gegenüber abgeneigten Haltungen und zu einem Nationalismus der Interessen. E-Autos gelten dann als Misserfolg, China, gerade noch wichtigster Absatzmarkt von VW, als Gegner.

Die Entfremdung gegenüber der Innovation führt weiters zu einem Verstummen der Arbeiter, wenn es um Produktionsziele geht – der von der IG Metall vorgelegte „Zukunftsplan“ zielte mehr auf Verteidigung des Bestehenden als auf eine Produktion in einem neuen, fortschrittlichen Geist, mit Technik im Interesse ALLER Menschen.  So wurde – meines Wissens – die Forderung, die Produktion bei VW teilweise auf Gemeinwohl-Nutzen – wie Busse und Bahnen – umzustellen, in der allgemeinen Debatte formuliert und kam nicht im Arbeitskampf vor.

Internationalität und Arbeiterklasse – hier gibt es ähnlich große Defizite wie beim Thema Innovation. Bei VW ist es offensichtlich geworden, dass die höheren deutschen Löhne aus den Werken in China abgeschöpft wurden, was die Arbeiter in Deutschland in ein schwieriges Verhältnis setzt zu den Klassenangehörigen in China. Bei diesem Thema fällt das Nachschlagen bei Marx relativ leichter, der Proletariat und Arbeiterbewegegung, snychron zur Entwicklung des Kapitalismus, immer international und universell sah. „Die Arbeiter haben kein Vaterland“, schreibt er im „Kommunistischen Manifest“ **), sie seien selbst eine Nation, in der die „Absonderungen und Gegensätze der Völker verschwinden.“

Vielleicht ist das Über- und Hauptproblem heute, dass sich der Kapitalismus immer weiter internationalisiert und seine „Wertschöpfungsketten“ um die ganze Welt gelegt hat, während die Arbeiterklassen ins Nationale zurückgefallen sind, sich Klassenkämpfe national aber nur mehr sehr eingeschränkt und ohne übergreifende Perspektive führen lassen. 
Gegen die Verlagerung von ganzen Produktionszweigen nach China, wie es VW plant, ist die IG Metall machtlos. Wenn die Arbeitsplätze weg sind, helfen auch keine Streiks mehr.
Ein Beleg für fehlende Begrifflichkeiten liegt auch darin, dass  im VW-Konflikt an keiner Stelle Zusammenhänge gezeigt wurden, zu den zur gleichen Zeit stattfindenden Auseinandersetztungen bei Tesla in Magdeburg (hier ist die neue Realität angekommen und bietet sich an für einen Blick in die Zukunft) und KTM in Österreich. Bei Tesla wäre klar erkennen zu gewesen, daß es so einfach nicht ist: Mehr Innovation schafft keineswegs bessere Bedingungen für die Arbeiter, ganz im Gegenteil.

*) Karl Marx: Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie, MEW, Bd. 42, S. 600 (im Abschnitt «Fixes Kapital und Entwicklung der Produktivkräfte der Gesellschaft», dem sogenannten Maschinenfragment

**) Karl Marx und Friedrich Engels: Das Kommunistische Manifest, zitiert nach der „Hobsbawm“-Ausgabe im Argument Verlag, Seite 67, im Kapitel „Proletarier und Kommunisten“

Anregung: Div. Artikel aus Süddeutsche Zeitung, taz, Junge Welt, ak im Zeitraum 17. bis 24. Dezember 2024

MAC Zitat

Eva und der MAC diskutieren, ob sie gemeinsam alt, richtig alt, werden wollen. Ihr Altersunterschied beträgt 12 Jahre.
Sagt der MAC:
„So wie sich das heute anfühlt, möchte ich die Schande und die Zumutungen des Alters lieber alleine erdulden und will keine Zuschauer haben dabei.“
„Ich will mir von dir den Arsch nicht abwischen lassen. Das ist unsexy. Nur von Profis. Aber kann ich die bezahlen?“
„Ich weiss nicht woher ich es habe, es steht glaube ich auch im MAC, aber da wusste ich es schon nicht. Von Wolfsrundeln wird gesagt, okay, wer sagt das, dann ist es eben nur eingebildet, wenn ein Tier langsam wird und krank und todkrank, dann zieht es sich von den anderen unbemerkt in ein Gebüsch zurück, und stirbt da.
Das Bild lässt mich nicht los. Ich finde es nicht traurig, sondern richtig.“

Nächster Blog im Stream (ab 3. Januar 2025)

Themen: Ökokommunismus, Israel/Gaza

Zur Zeit am Lesetisch

Gisela Elsner, Die Welt betrachtet ohne Augenlider, Verbrecher Verlag

Carl von Ossietzky, Ein Lesebuch für unsere Zeit, Tredition Classics (Print on Demand)

Klaus Lederer, Mit Links die Welt retten, Kanon Verlag (K.L. ist Gast im ROTEN SALON HAMBURG am Montag, 24. Februar 2025

Karl Marx, Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, MEW-Werke, Band 42, ab Seite 115

Karl Marx und Friedrich Engels, Das Kommunistische Manifest – Mit einer Einführung von Eric Hobsbawm, Argument Verlag

G.W.F Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, ab §33, Seite 87, Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Scroll to Top
Scroll to Top