Was Schönes zum Jahreswechsel: Simone Scardovelli und Alexander Rischer sind „Black Shampoo“ und machen aus alten Songs große Songs für heute. Haben wir darauf gewartet? Absolut!
Die Werke anderer Künstler nachzusingen, ist eine Grundform des Pop. In die Rolle des Interpreten zu schlüpfen, ist nicht nur eine Vorstufe des musikalischen Schaffens, sondern kann auch eine eigene Linie sein, die dem Publikum interessante Aufschlüsse ermöglicht, sowohl über die interpretierten Titel wie über die Qualität des Interpreten, die sich im eigenen Werk oft ganz anders ausdrückt.
Coverversionen aufzunehmen, kann als unschuldige Fingerübung gedacht sein, wie beim jungen Bryan Ferry, der sich neben Roxy Music eine zweite Karriere eröffnen wollte, aber auch als Gestus der Omnipotenz. Ein Beispiel wäre dafür wäre der ältere Bob Dylan, selbst einer der meistgecoverten Künstler, der sich mit mehreren Alben und schließlich dem monströsen Dreifachding „Triplicate“ (die Überdimensionierung des Projekts ist hier titelgebend) selbst in die Klassik des American Songbook einschreiben wollte – damit allerdings auch die Pforte in sein Alterswerk eröffnete.
Coveralben können historische Glücksfälle sein, wie Wolfgang Ambros´ kongeniale Übertragungen von Bob Dylan ins Wienerische („Alan wi a Stan“), oder auch, um in die Gegenwart zu finden, einfach desaströs, wie das jetzt im Weihnachtsgeschäft veröffentlichte Beatles-Abbey Road -Nachgesinge durch Lucinda Williams.
In einer ganz anderen Liga spielt da „Cover-Sängerin“ Steffie Hempel, die auf ihren Touren durch St. Pauli (die eigentlich Performances sind) die Beatles zur Ukulele nicht nur nachsingt, sondern radikal und mit unglaublicher Energie auf ihren Wesenskern reduziert.
„Wahrsagerinnen-Surrealismus“ aus Hamburg
Womit wir in Hamburg wären – und einer, nun ja, „Cover-Band“, die als „Black Shampoo“ schon seit einiger Zeit dabei ist, sich große Songs der Popmusik in kleinen, kammermusikalischen Lösungen anzueignen, immer versehen mit einer performativen Note, die mit der Auffassung der Versionen einhergeht. Das kann sich in der Wahl der Location zeigen, oder im Styling der Sängerin Simone Scardovelli. „Wahrsager:innen-Surrealismus“ nennt die Band selbst ihre Ausstrahlung.
Alexander Rischer ist bei „Black Shampoo“, das eigentlich nur ein Duo ist und nur fallweise weitere Musiker hinzuzieht, Scardovellis Partner, Gitarrist und musikalisches Mastermind – und wie Scardovelli sonst in Fotografie, bildender Kunst und Film unterwegs. Dass bei beiden mit der Musik immer noch etwas anderes mitkommt, ist in jedem Augenblick eines Auftritts spürbar. Auch ein Blick ins Publikum oder auf die Qualität der Plakate offenbart die Anschlussfähigkeit des Projekts für andere Genres und Welten.
Wer meiner Generation angehört, wird hier an Velvet Underground denken, die sich in der geschützten Atmosphäre eines New Yorker Kunstclubs zur größten Band aller Zeiten entwickeln konnten. Ein Vergleich, der den „Shampoos“ wohl nur ein müdes Gekicher entlockte. Erstens gehören die Clubs, in denen „Black Shampoo“ auftreten, nicht Andy Warhol, sondern werden höchstens von Rocko Schamoni betreut, aber zweitens, viel wichtiger, gehen sie den weisen Weg der Hamburger Schule, es sich unter dem Radar einzurichten und die Nicht-Auffindbarkeit als grenzenlose Freiheit zu empfinden, die allenfalls an die Grenzen des damit oft verbundenen prekären Lebensstils stößt.
Mit bisher nicht viel mehr als ein paar Auftritten (an wohl ausgewählten, fast möchte man sagen, kuratierten Standorten wie dem Hamburger Hinterconti, der Pyramide Altona, oder dem Gadendorfer Krug an der Ostsee) und sowas wie einer „Platte“ noch nicht in Sicht, lassen sich die Shampoos von nichts und niemandem hetzen, in konsequenter Vernachlässigung von allem, was für eine „Karriere“ zu tun wäre, so dass dieser kleine Artikel in diesem kleinen Blog (der auch erst nach wochenlangem Aufschub seitens des Autors zustande kam), schon wie ein P.R.-Exzess wirkt.
Die Goldies haben gleich ein ganzes Genre gecovert
Wie nachhaltig (hier passt das Wort mal!) erfolgreich und subversiv die „Unter dem Radar-Taktik“ sein kann, in der sich die beiden als Einzelkünstler oder in anderen Projekten schon lange vor „Black Shampoo“ geübt haben, zeigt gerade das 40-Jahre-Jubiläum der „Goldenen Zitronen“. Es schwemmt so vieles ans Tageslicht (auch an großartiger Grafik übrigens!), das über die Jahrzehnte bisher gar nicht immer sichtbar war. Die Zitronen haben sich ürbigens nicht damit begnügt, einzelne Songs zu covern, sie waren so unbescheiden, gleich den ganzen Punk zu „covern“.
Songs zu covern, kann darin begründet sein, keine eigenen geschrieben zu haben (oder keine besseren als bestehendes Material – und dies einzusehen), es kann eine kommerzielle Strategie sein (wie Weihnachts- oder Bob Dylan-Lieder aufnehmen) – oder auch ihr Gegenteil, da man mit Cover-Alben nie reich werden kann. Kompositions-Tantiemen gehen dabei nicht ein, sondern müssen abgegeben werden, was sich nur bei erwartbar hohen Verkäufen überhaupt rechnet.
Bei „Black Shampoo“ ist es all das nicht, sondern es ist die Grundidee, das künstlerische Konzept, das in der Aneignung fremden, aber bekannten Materials liegt, deren Ausgangspunkt die natürliche Distanz zum Material ist. Ein 40 Jahre alter Song ist heute schon in die Ferne gerückt, ev. von Erinnerungen sentimental verkleistert – was sehen und spüren wir, wenn wir heute wieder näher ran gehen?
Die abgründige Story von Bowies „China Girl“
Als David Bowies „China Girl“, das zum „Black Shampoo“-Repertoire gehört, herauskam, war Scardiovelli 12 Jahre alt – die Abgründigkeit des Textes, wäre ihr damals nicht begreiflich gewesen, aber auch mir nicht, der ich zu der Zeit schon 28 war und gerade zum ersten Mal Vater geworden, aber immer noch für jede Verführung offen. In der Zwischenzeit sind wir andere geworden, Simone, ich, der Song. David Bowie ist tot, wir leben noch ein paar Jahre.
In gewisser Weise blieb die Story von „China Girl“ damals in einem harmlosen, rhythmisch kopflos machenden Soundgestampfe verborgen, wenngleich Bowie sie im Gesang schon mit allerhand Ambivalenzen auflud, wenn er etwa das „shut your mouth“ in höchster Sanftheit singt. Das Ego des Songs ist ein kaputter, in Projektionen verstrickter Mann, der Halt und Trost findet bei einem „little“ China Girl. Im Streit wirft das Mädchen ihm an den Kopf, doch die Klappe zu halten („Oh, Baby, just shut your mouth“) – was darauf hin geschieht, bleibt offen, mit der bei „Shh …“ abgebrochenen Verszeile.
Klar ist das Stück gut ausgewählt, wie übrigens alle anderen in dem Programm auch. Scardovelli eröffnen sich riesige Spielräume, das „China Girl“ heute neu zu erzählen, als Frau heute, 40 Jahre, nachdem ihn ein damals 36jährige Mann geschrieben hat. Das Ergebnis, wie ich es im Gadendorfer Krug an der Ostsee hören durfte, ist großartig, anders kann ich es nicht sagen und möge nur dies von dem Artikel hängen bleiben.
Mit ihrem Vortrag evoziert Scardovelli Denkblasen wie „Missbrauch! Me Too!“, doch während sie sich noch der erzielten Wirkung erfreut, dämmert es der Zuhörerschaft, das hier eine Frau singt, die in ihrem Gesang gar nicht anders kann, als das Selbstmitleid und die gescheiterte Selbstüberhöhung des Protagonisten „(I´m feeling tragic like I´m Marlon Brando“) ins Lächerliche zu ziehen, um gleichzeitig die Entladung der Spannung in Gewalt jederzeit als Opfer erleben zu können. Das reale Risiko ist bekanntlich hoch.
Dabei ist im Vortrag von „Black Shampoo“ Scardovelli nur die „Rampensau“, wie sie von sich selbst sagt. In der Aufbereitung arbeitet sie eng mit Rischer zusammen, der ihr mit seinem Popwissen hilft, die Texte zu erschließen, auch vor dem Hintergrund der Biografie der Musiker. „Den Song `Waiting Around To Die` von Townes van Zandt, den wir im Programm haben“, erzählt Scardovelli, „kannte ich zunächst gar nicht. Jetzt ist es der wichtigste Song in meinem Leben.“
WICHTIGER HINWEIS: Beim Zuhören ist das keineswegs so kompliziert, sondern erschließt sich wie von selbst (ist eben Kunst und nicht Leitartikel) auf einer emotionalen Ebene, die sich auf der Heimfahrt durch die stockdunkle Nacht im Zwiegespräch vertraut erörtern lässt. So man nicht alleine ist.
„Männersongs“ nach einer Fahrt mit der „Wilden Maus“
Oftmals sind es „Männersongs“, die Sacardovilli und Rischer ausgesucht haben, um sie ordentlich durchzubeuteln. Genauso gut wie bei „China Girl“ gelingt das bei dem Openener „Waitin´ Around to Die“ von Townes van Zandt und bei „What Difference Does It Make“ von The Smiths – womit auch schon das breite Spektrum an Sounds der Originalsongs angezeigt ist, das „Black Shampoo“ mit sparsamen Mitteln wie Gitarre, analoges Keyboard, Klanghölzchen und fallweise bunt schimmernden Frequenzgläsern lässig in den Griff bekommt und damit fast schon einen Überschuss an Wohlklang produziert. Rischer ist das, was man früher einen Musicians Muscian genannt hat, einer, der mit halsbrecherischer Sophistication und sozusagen „intellektuell“ spielt (und damit, andere, männliche Musiker verschreckt) – und damit kokurrenzlos ist bei den Frauen, die es lieber intuitiv auffassen, aber nichts dagegen haben, wenn dahinter harte Arbeit steckt.
Beim van Zandt-Klassiker kommt sofort auch die Frage auf, warum eine Frau nie „Ich sitze hier nur rum, um zu sterben“ sagen würde (auch wenn Scardovelli sagt, daß sie ihn heute liebt, geschrieben hätte sie ihn nicht) und bei dem großartigen Smiths-Lied vollbringt Scardovelli das Kunststück, den üblen Vorwurf im Text – „Mach kein Theater! Was macht es schon, wenn ich mit einer anderen was hatte? Welchen Unterschied macht es?“ – mit weiblichem Ausdruck so zu parieren, dass er auf den Absender selbst zurückprallt und dieser tot umfällt.
Großen Anteil an der Inszenierung hat Rischers komplexes „Saitenzupfspiel“ (Scardovelli), das den Gesang trägt und die Gefühle bereits setzt, bevor sie sich aus der Intonation erschliessen, oder ist das zu geschwollen gesagt? Ist geil, jedenfalls. Gerne würde man jetzt rufen HINGEHEN! KAUFEN! Aber darauf warten wir noch geduldig, und als Übergangs-Behelf sei hier im Blog die an sich schon wunderbare Playlist der Black Shampoo-Konzerte wiedergegeben, für den neujährlichen Gang zum Plattenschrank oder das Antippen der Spotify-Liste.
P.S.: In die Beispiele der Coveralben zu Beginn des Textes hätte schon wegen seiner Aktualität ein anderes Cover-Album gehört, das überall ehrfürchtig besprochene neue Soap & Skin-Werk „Torso“, der ansonsten recht wunderbaren Österreicherin Anja Plaschg. Sie macht mit dem Bowie-Song „Girl Loves Me“ (vom letzten Album „Blackstar“) etwas ähnliches wie „Black Shampoo“ mit „China Girl“ und erreicht damit auch ein ähnliches Niveau. Bei anderen Titeln – wie „Pale Blue Eyes“ – leider eher nicht, da ist es ein Stadttheater-mäßiges Nachsingen ohne eigene Idee. Noch schlimmer bei „The End“. Plaschg hat nicht verstanden, dass es gefährlich, eigentlich tödlich ist, Nico zu nahe zu kommen. So gesehen, scheint ihre „Pop-Intelligenz“ doch etwas weniger ausgeprägt zu sein, als man sie im Hause „Black Shampoo“ vorfindet. 1:0 für Hamburg.
Black Shampoo, Original Bühnenreihenfolge
Gadendorfer Krug 10.08.2024
- WAITING AROUND TO DIE
- FINE ANYWAY
- SOME MISUNDERSTANDING
- WHAT DIFFERENCE DOES IT MAKE
- JODE / Tomorrow is gone
- LOVE AINT FOR KEEPING
- TERRACOTTA HEART
- CHINA GIRL
- FELT/ FORTUNE
- NOTHING
- IN A MANNER OF SPEAKING
- FACE IN THE CROWD
Im Text erwähnte Platten
Bryan Ferry, Bryan Ferry, Another Time, Another Place, Polydor/E.G., 1974
Wolfgang Ambros, Allan wia a Stan, Bellaphon Records, 1978
Bob Dylan, Triplicate, CBS, 2017
Lucinda Williams, Sings The Beatles from Abbey Road, Thirty Tigers, 2024
Soap & Skin, Torso, Solfo Pias, 2024